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Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 14. Berlin-Charlottenburg, 20. April 1905.

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684 Roda Roda: Der Despot von Kyrghyn.
[Abbildung]
Der Despot von Kyrghyn.
Von Roda Roda, Berlin.

    [ Nachdruck verboten.

Jm Jahre 1312 der Hedjra gelangte auf dem Souk=Archipel, dessen
Hauptinsel Kyrghyn heißt, ein Herrscher zur Regierung, der alsbald das
ganze Reich mit lähmendem Grauen erfüllte. Der ruhigste Bürger war nicht
sicher vor dem Tode, wenn es den Sykophanten gefiel, ihn anzugeben. Aus
den Kerkern stank die modernde Verzweiflung. Schwangere Frauen wurden
gepeinigt und Kinder gebrandmarkt.

Jn seine Gemächer eingeschlossen, von finsteren Heiducken bewacht, schien
der Despot seine Stunden im Ersinnen immer neuer Qualen zu verbringen.
Seine Unsichtbarkeit verlieh dem Wüten alle Entsetzlichkeiten des blinden Ver-
hängnisses.

Jm Jahre 1322 jagte der Despot sein Volk in einen Krieg gegen die
Jschgüzaren; der dem ischgüzarischen Säbel entrann, entrann nicht dem Hunger,
dem Frost und der Pestilenz.

Jnmitten dieser Tyrannei beschloß ein lodernder Jüngling sein Leben
an die Entthronung des Despoten zu wagen. Mit Hilfe einer gleichgesinnten
Schar gelang es ihm, durch einen Handstreich zuerst die Aufmerksamkeit der
Sklaven zu erregen und dann die Scheiterhaufen der Marterpfähle rächend
zu entflammen.

Das Feuer griff um sich. Die Söldlinge schlossen sich der Empörung
an. Bald brannte es an allen Enden.

Es fiel der Wallgürtel der Hauptstadt -- kaum verteidigt. Ein letzter
Angriff auf die Zitadelle entwaffnete die letzten Wächter.

Bei Hörnerschall und Sturmläuten drangen die Rebellen ein, um den
Despoten festzunehmen.

Sie fanden einen bleichen Knaben mit guten, offenen Augen. Er war so
gut, daß er nicht einmal von den Verschwörern Böses befürchtete.



684 Roda Roda: Der Despot von Kyrghyn.
[Abbildung]
Der Despot von Kyrghyn.
Von Roda Roda, Berlin.

    [ Nachdruck verboten.

Jm Jahre 1312 der Hedjra gelangte auf dem Souk=Archipel, dessen
Hauptinsel Kyrghyn heißt, ein Herrscher zur Regierung, der alsbald das
ganze Reich mit lähmendem Grauen erfüllte. Der ruhigste Bürger war nicht
sicher vor dem Tode, wenn es den Sykophanten gefiel, ihn anzugeben. Aus
den Kerkern stank die modernde Verzweiflung. Schwangere Frauen wurden
gepeinigt und Kinder gebrandmarkt.

Jn seine Gemächer eingeschlossen, von finsteren Heiducken bewacht, schien
der Despot seine Stunden im Ersinnen immer neuer Qualen zu verbringen.
Seine Unsichtbarkeit verlieh dem Wüten alle Entsetzlichkeiten des blinden Ver-
hängnisses.

Jm Jahre 1322 jagte der Despot sein Volk in einen Krieg gegen die
Jschgüzaren; der dem ischgüzarischen Säbel entrann, entrann nicht dem Hunger,
dem Frost und der Pestilenz.

Jnmitten dieser Tyrannei beschloß ein lodernder Jüngling sein Leben
an die Entthronung des Despoten zu wagen. Mit Hilfe einer gleichgesinnten
Schar gelang es ihm, durch einen Handstreich zuerst die Aufmerksamkeit der
Sklaven zu erregen und dann die Scheiterhaufen der Marterpfähle rächend
zu entflammen.

Das Feuer griff um sich. Die Söldlinge schlossen sich der Empörung
an. Bald brannte es an allen Enden.

Es fiel der Wallgürtel der Hauptstadt — kaum verteidigt. Ein letzter
Angriff auf die Zitadelle entwaffnete die letzten Wächter.

Bei Hörnerschall und Sturmläuten drangen die Rebellen ein, um den
Despoten festzunehmen.

Sie fanden einen bleichen Knaben mit guten, offenen Augen. Er war so
gut, daß er nicht einmal von den Verschwörern Böses befürchtete.



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[684/0044] 684 Roda Roda: Der Despot von Kyrghyn. [Abbildung] Der Despot von Kyrghyn. Von Roda Roda, Berlin. [ Nachdruck verboten. Jm Jahre 1312 der Hedjra gelangte auf dem Souk=Archipel, dessen Hauptinsel Kyrghyn heißt, ein Herrscher zur Regierung, der alsbald das ganze Reich mit lähmendem Grauen erfüllte. Der ruhigste Bürger war nicht sicher vor dem Tode, wenn es den Sykophanten gefiel, ihn anzugeben. Aus den Kerkern stank die modernde Verzweiflung. Schwangere Frauen wurden gepeinigt und Kinder gebrandmarkt. Jn seine Gemächer eingeschlossen, von finsteren Heiducken bewacht, schien der Despot seine Stunden im Ersinnen immer neuer Qualen zu verbringen. Seine Unsichtbarkeit verlieh dem Wüten alle Entsetzlichkeiten des blinden Ver- hängnisses. Jm Jahre 1322 jagte der Despot sein Volk in einen Krieg gegen die Jschgüzaren; der dem ischgüzarischen Säbel entrann, entrann nicht dem Hunger, dem Frost und der Pestilenz. Jnmitten dieser Tyrannei beschloß ein lodernder Jüngling sein Leben an die Entthronung des Despoten zu wagen. Mit Hilfe einer gleichgesinnten Schar gelang es ihm, durch einen Handstreich zuerst die Aufmerksamkeit der Sklaven zu erregen und dann die Scheiterhaufen der Marterpfähle rächend zu entflammen. Das Feuer griff um sich. Die Söldlinge schlossen sich der Empörung an. Bald brannte es an allen Enden. Es fiel der Wallgürtel der Hauptstadt — kaum verteidigt. Ein letzter Angriff auf die Zitadelle entwaffnete die letzten Wächter. Bei Hörnerschall und Sturmläuten drangen die Rebellen ein, um den Despoten festzunehmen. Sie fanden einen bleichen Knaben mit guten, offenen Augen. Er war so gut, daß er nicht einmal von den Verschwörern Böses befürchtete.

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Zitationshilfe: Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 14. Berlin-Charlottenburg, 20. April 1905, S. 684. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_europa0114_1905/44>, abgerufen am 21.11.2024.