Europa. Wochenschrift für Kultur und Politik. Jahrgang 1, Heft 14. Berlin-Charlottenburg, 20. April 1905.A. Kalthoff: Kultur und Partei. 649 mamentlich in Deutschland naturnotwendig ergibt, die Frage nach dem Ver-hältnis zwischen Kulturleben und Parteileben. Die Frage ist von zwei Seiten aus leicht entschieden: von der einen, Es ist eine in der Geschichte immer wiederkehrende Tatsache, daß jede Darin liegt von vornherein der Dualismus zwischen Kultur und Partei A. Kalthoff: Kultur und Partei. 649 mamentlich in Deutschland naturnotwendig ergibt, die Frage nach dem Ver-hältnis zwischen Kulturleben und Parteileben. Die Frage ist von zwei Seiten aus leicht entschieden: von der einen, Es ist eine in der Geschichte immer wiederkehrende Tatsache, daß jede Darin liegt von vornherein der Dualismus zwischen Kultur und Partei <TEI> <text> <body> <div type="jArticle" n="1"> <p><pb facs="#f0009" n="649"/><fw type="header" place="top">A. Kalthoff: Kultur und Partei. 649</fw><lb/> mamentlich in Deutschland naturnotwendig ergibt, die Frage nach dem Ver-<lb/> hältnis zwischen Kulturleben und Parteileben.</p><lb/> <p>Die Frage ist von zwei Seiten aus leicht entschieden: von der einen,<lb/> die die Berechtigung einer tatkräftigen politischen Partei überhaupt nicht an-<lb/> erkennt; von der anderen, der die Parteiziele ohne weiteres mit den letzten<lb/> und höchsten Kulturzielen zusammenfallen. Die Frage wird aber brennend,<lb/> sobald das Recht der Parteipraxis neben die Forderungen einer Kulturtheorie<lb/> gestellt wird. Und die Frage wird um so schwieriger, je kräftiger in einer<lb/> Partei das Bewußtsein von dem Rechte ihrer Praxis entwickelt erscheint. Für<lb/> die Frage aber muß auch die Geschichte die letzte entscheidende Antwort geben.</p><lb/> <p>Es ist eine in der Geschichte immer wiederkehrende Tatsache, daß jede<lb/> neue Kulturbewegung im Ringen mit einem mächtigen Geguer sich im Ver-<lb/> laufe des Kampfes von ihrem Gegner diejenigen Kunstgriffe und Fertig-<lb/> keiten aneignet, denen der Gegner seine Ueberlegenheit verdankt. So fand<lb/> das Christentum in seinen Anfängen einen Staat vor, der über eine uner-<lb/> hörte Militär= und Polizeimacht verfügte. Aber es dauerte kaum 300 Jahre,<lb/> da hatte das Christentum alle die Züge des römischen Zäsarenreiches ange-<lb/> nommen, die zu seinem ursprünglichen Wesen in schroffstem Gegensatz ge-<lb/> standen, und es eroberte die Welt mit den gleichen Waffen, die ihm zuerst<lb/> Tod und Verderben gebracht hatten. Als dann der territoriale Staat aus<lb/> der Umklammerung der kirchlichen Gesellschaftsform sich losgerungen, er-<lb/> scheint er doch mit allen den Prädikaten behaftet, auf die die Kirche sich gegen<lb/> ihn berufen, um sein Existenzrecht ihm abzusprechen: er hält sich für so ab-<lb/> solut, so unfehlbar, so überirdisch und göttlich, wie die Kirche es zu sein nur<lb/> je beansprucht. — Wenn nun heute der Sozialismus sowohl der Kirche wie<lb/> dem Staate mit einem neuen Kulturprogramm entgegentritt, wird er dann<lb/> das Schicksal seiner Vorgänger teilen? Wird auch er von seinen Gegnern<lb/> gerade das annehmen, was er bekämpft? — Da sich Schwerkraft nur durch<lb/> Schwerkraft überwinden läßt, nicht durch eine Jdee, so kann auch eine ge-<lb/> schlossene Organisation nur durch eine Organisation bekämpft werden. Das<lb/> ist ein Gesetz in der Geschichte, daran kann nicht gerüttelt werden. Aber<lb/> eine Organisation ist immer etwas Bedingtes, sie muß ihre Formen wie ihre<lb/> Taktik nach den äußeren Verhältnissen richten, unter denen sie wirken will. Ein<lb/> Kulturprogramm dagegen will etwas Unbedingtes geben, ein Entwicklungs-<lb/> ziel, das sich mit innerer Notwendigkeit durchsetzen soll.</p><lb/> <p>Darin liegt von vornherein der Dualismus zwischen Kultur und Partei<lb/> begründet, und die unumwundene Anerkennung dieses Dualismus ist eine<lb/> elementare Bedingung für das richtige Verhältnis zwischen beiden. Das war<lb/> das Verhängnis der kirchlichen Gesellschaft, daß sie diesen Dualismus für<lb/> sich selbst nicht gelten ließ. vielmehr in sich, in ihrer Organisation, die Ver-<lb/> wirklichung ihres ursprünglichen Kulturprogramms zu haben meinte. So<lb/> wurde die Kirche alleinseligmachend. Jhre Mehrheit wurde ein Dogma, ein<lb/> amtlich festgestellter Lehrsatz, dessen weitere Entwicklung <gap reason="illegible" unit="chars" quantity="6"/>wieder nur durch<lb/> amtliche Festsetzungen erfolgen konnte. Jhre Versammlungen, ihre Synoden<lb/> und Konzilien wurden ihnen die Nepräsentationen der unbedingten Gehor-<lb/> sam verlangenden zentralisierten Kircheneinheit, ihre Führer die Stellvertreter<lb/> Gottes auf Erden. Das ist eine ganz natürliche, schon von dem Römerreich<lb/> her übernommene Entwicklung. Es ist der Weg, der in der Geschichte immer </p> </div> </body> </text> </TEI> [649/0009]
A. Kalthoff: Kultur und Partei. 649
mamentlich in Deutschland naturnotwendig ergibt, die Frage nach dem Ver-
hältnis zwischen Kulturleben und Parteileben.
Die Frage ist von zwei Seiten aus leicht entschieden: von der einen,
die die Berechtigung einer tatkräftigen politischen Partei überhaupt nicht an-
erkennt; von der anderen, der die Parteiziele ohne weiteres mit den letzten
und höchsten Kulturzielen zusammenfallen. Die Frage wird aber brennend,
sobald das Recht der Parteipraxis neben die Forderungen einer Kulturtheorie
gestellt wird. Und die Frage wird um so schwieriger, je kräftiger in einer
Partei das Bewußtsein von dem Rechte ihrer Praxis entwickelt erscheint. Für
die Frage aber muß auch die Geschichte die letzte entscheidende Antwort geben.
Es ist eine in der Geschichte immer wiederkehrende Tatsache, daß jede
neue Kulturbewegung im Ringen mit einem mächtigen Geguer sich im Ver-
laufe des Kampfes von ihrem Gegner diejenigen Kunstgriffe und Fertig-
keiten aneignet, denen der Gegner seine Ueberlegenheit verdankt. So fand
das Christentum in seinen Anfängen einen Staat vor, der über eine uner-
hörte Militär= und Polizeimacht verfügte. Aber es dauerte kaum 300 Jahre,
da hatte das Christentum alle die Züge des römischen Zäsarenreiches ange-
nommen, die zu seinem ursprünglichen Wesen in schroffstem Gegensatz ge-
standen, und es eroberte die Welt mit den gleichen Waffen, die ihm zuerst
Tod und Verderben gebracht hatten. Als dann der territoriale Staat aus
der Umklammerung der kirchlichen Gesellschaftsform sich losgerungen, er-
scheint er doch mit allen den Prädikaten behaftet, auf die die Kirche sich gegen
ihn berufen, um sein Existenzrecht ihm abzusprechen: er hält sich für so ab-
solut, so unfehlbar, so überirdisch und göttlich, wie die Kirche es zu sein nur
je beansprucht. — Wenn nun heute der Sozialismus sowohl der Kirche wie
dem Staate mit einem neuen Kulturprogramm entgegentritt, wird er dann
das Schicksal seiner Vorgänger teilen? Wird auch er von seinen Gegnern
gerade das annehmen, was er bekämpft? — Da sich Schwerkraft nur durch
Schwerkraft überwinden läßt, nicht durch eine Jdee, so kann auch eine ge-
schlossene Organisation nur durch eine Organisation bekämpft werden. Das
ist ein Gesetz in der Geschichte, daran kann nicht gerüttelt werden. Aber
eine Organisation ist immer etwas Bedingtes, sie muß ihre Formen wie ihre
Taktik nach den äußeren Verhältnissen richten, unter denen sie wirken will. Ein
Kulturprogramm dagegen will etwas Unbedingtes geben, ein Entwicklungs-
ziel, das sich mit innerer Notwendigkeit durchsetzen soll.
Darin liegt von vornherein der Dualismus zwischen Kultur und Partei
begründet, und die unumwundene Anerkennung dieses Dualismus ist eine
elementare Bedingung für das richtige Verhältnis zwischen beiden. Das war
das Verhängnis der kirchlichen Gesellschaft, daß sie diesen Dualismus für
sich selbst nicht gelten ließ. vielmehr in sich, in ihrer Organisation, die Ver-
wirklichung ihres ursprünglichen Kulturprogramms zu haben meinte. So
wurde die Kirche alleinseligmachend. Jhre Mehrheit wurde ein Dogma, ein
amtlich festgestellter Lehrsatz, dessen weitere Entwicklung ______wieder nur durch
amtliche Festsetzungen erfolgen konnte. Jhre Versammlungen, ihre Synoden
und Konzilien wurden ihnen die Nepräsentationen der unbedingten Gehor-
sam verlangenden zentralisierten Kircheneinheit, ihre Führer die Stellvertreter
Gottes auf Erden. Das ist eine ganz natürliche, schon von dem Römerreich
her übernommene Entwicklung. Es ist der Weg, der in der Geschichte immer
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