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Das Heller-Blatt. Nr. 32. Breslau, 9. August 1834.

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Das Heller=Blatt.
[Beginn Spaltensatz] Blicke auf die gigantischen Mauern, auf die glänzen-
den und kolossalen Säulen geheftet, die sich immer
mehr auszudehnen und zu vergrößern schienen, je mehr
wir uns ihnen näherten. Eine tiefe Stille herrschte in
unserer ganzen Karavane, Jeder fürchtete, den Ein-
druck dieses Schauspiels zu verlieren, wenn er sich dar-
über ausspräche; selbst die Araber schwiegen und schie-
nen von einem mächtigen Gefühl ergriffen zu seyn.
Endlich langten wir bei den ersten Marmorblöcken, bei
den ersten Trümmern an, welche durch die Erdbeben
über eine Meile von den Denkmälern selbst fortgeschleu-
dert worden sind, wie trockene Blätter von dem Sturme
weit fort getrieben werden. Die tiefen und weiten
Spalten, die wie Thäler die schwarzen Seiten des
Anti=Libanon zerreißen, öffneten schon ihre Abgründe
unter dem Schritte unserer Pferde; jene großen Becken
von Stein, deren Wände noch die tiefen Spuren des
Meißels tragen, zeigten noch einige riesenhafte Blöcke,
die halb von ihrem Grunde abgelöst, und andere, die
schon auf allen vier Seiten behauen waren und nur auf
die Arme einer Riesen=Generation, die sie fortbewegen
sollten, zu warten schienen; ein einziger jener Blöcke
des Balbek war 62 Fuß lang, 80 Fuß breit und 16 Fuß
dick. Einer unser Araber stieg vom Pferde, ließ sich
in eine Kluft hinab und kletterte auf einen der Steine
hinauf, indem er die eingemeißelten Löcher und das
dicht eingewachsene Moos benutzte; oben auf der Platt-
form lief er hin und her und stieß ein wildes Geschrei
aus; aber das Piedestal erdrückte durch seine Masse
den Menschen unserer Zeit; der Mensch verschwand
vor seinem Werke; es bedürfte der vereinten Kraft von
60,000 Menschen unserer Zeit, um einen solchen Stein
nur von der Stelle zu rücken, und die Plattformen der
Tempel von Balbek zeigen noch kolossalere, die 25 bis
30 Fuß über dem Erdboden erhaben sind, um Säulen
zu tragen, die im Verhältniß zu solchen Grundlagen
stehen! Wir setzten zwischen der Wüste zur Linken und
den wellenförmigen Bergen des Anti=Libanon zur Rech-
ten, unsere Reise fort. Die Akropolis oder der künst-
liche Hügel, der alle große Denkmäler von Heliopolis
trägt, erschien uns hier und da über den Gipfeln der
großen Bäume; endlich lag er ganz vor uns, und die
ganze Karavane stand plötzlich still, wie von einem
elektrischen Schlage getroffen. Keine Feder, kein
Pinsel kann den Eindruck beschreiben, den dieser ein-
zige Blick auf Auge und Seele hervorbringt; unter un-
seren Schritten, in dem Bett des Stromes, mitten
in den Feldern, rings um alle Baumstämme lagen un-
geheure Blöcke von rothem oder grauem Granit, von
blutfarbigem Porphyr, von gelben Stein, so glänzend
wie parischer Marmor; Stücke von Säulen, gemei-
ßelte Kapitäler, Architraben, Verzierungen, Karnieße,
Gesimse, Piedestale, zerstreute Glieder, die zu leben
schienen, Statuen, die mit dem Gesicht gegen die Erde
gestürzt waren; alles das durch einander, zerstreut, in
[Spaltenumbruch] Haufen gethürmt und von allen Seiten auf uns ein-
dringend, wie die Lava eines Vulkans, der die Trüm-
mer eines großen Reiches auswirft! Kaum ein schma-
ler Weg, um sich durch diesen Kehricht der Künste, der
die ganze Erde bedeckt, durchzuwinden.

Jenseits dieses Schaums von Trümmern, die
wahrhafte Dünen von Marmor bilden, lag der Hügel
von Balbek, eine Plattform von 1000 Schritt Länge
und 700 Fuß Breite, ganz von Menschenhänden er-
baut und aus behauenen Steinen zusammengesetzt, von
denen einige 50 bis 60 Fuß lang, und 20 bis 30 Fuß
hoch sind. Dieser Hügel von geschnittenem Granit
stellte sich uns von seiner östlichen Seite dar, mit sei-
nen tiefen Grundpfeilern und seiner unermeßlichen Be-
kleidung, mit den breiten Oeffnungen seiner unterirdi-
schen Gewölbe, in die sich das Wasser des Stromes
schäumend ergoß und im Verein mit dem Winde Töne
hervorbrachte, die dem fernen Geläute der Glocken un-
serer großen Kathedralen glichen. Auf der ungeheuren
Plattform zeigte sich uns die eine Seite der großen
Tempel, deren Goldfarbe gegen den Hintergrund des
azurblauen Himmels wunderherrlich abstach. Ei-
nige jener verödeten Denkmäler schienen noch ganz un-
versehrt, als ob sie gestern erst beendigt worden wären;
von anderen sah man nur noch Trümmer, einzelne
Säulen, verfallenes Gemäuer. Das Auge verlor sich
in den schimmernden Säulengängen der verschiedenen
Tempel, und das Ende dieser Welt von Stein war
nicht abzusehen. Die drei gigantischen Säulen des
großen Tempels, die noch majestätisch ihr reiches und
kolossales Gesimse trugen, beherrschten die ganze Ge-
gend, und verloren sich in dem blauen Himmel der
Wüste, wie ein luftiger Altar, zum Opferdienst von
Giganten bestimmt.

Wir hielten uns nur einige Augenblicke auf, um
einen raschen Blick auf das zu werfen, was wir aus
so weiter Ferne und mit so vielen Gefahren aufgesucht
hatten; und da wir endlich sicher waren, für den an-
dern Morgen ein Schauspiel zu besitzen, das selbst der
Traum nicht herrlicher gestalten kann, so setzten wir
unseren Weg fort. Der Tag neigte sich zu Ende; wir
mußten ein Lager suchen, entweder unter dem Zelte,
oder in irgend einer Höhle dieser Ruinen, um uns von
einem vierzehnstündigen Marsche zu erholen. Wir ließen
Balbek links liegen und gingen auf die Stelle zu, wo
aus einem Haufen Trümmern, unter denen wir einige
arabische Hütten bemerkten, eine Rauchsäule aufstieg.
Der Boden war uneben und bergigt, und hallte unter
den Hufen unserer Pferde so hohl wider, als ob er sich
bei jedem Schritte unter uns öffnen wollte. Wir lang-
ten vor der Thür einer kleinen Hütte an, die halb
durch Marmorblöcke bedeckt wurde, und die aus schlecht
zusammen gefügten Trümmern von Marmor und Por-
phyr erbaut war. Es war der bischöfliche Palast des Bi-
schofs von Balbek, der in dieser Wüste eine kleine Heerde
[Ende Spaltensatz]

Das Heller=Blatt.
[Beginn Spaltensatz] Blicke auf die gigantischen Mauern, auf die glänzen-
den und kolossalen Säulen geheftet, die sich immer
mehr auszudehnen und zu vergrößern schienen, je mehr
wir uns ihnen näherten. Eine tiefe Stille herrschte in
unserer ganzen Karavane, Jeder fürchtete, den Ein-
druck dieses Schauspiels zu verlieren, wenn er sich dar-
über ausspräche; selbst die Araber schwiegen und schie-
nen von einem mächtigen Gefühl ergriffen zu seyn.
Endlich langten wir bei den ersten Marmorblöcken, bei
den ersten Trümmern an, welche durch die Erdbeben
über eine Meile von den Denkmälern selbst fortgeschleu-
dert worden sind, wie trockene Blätter von dem Sturme
weit fort getrieben werden. Die tiefen und weiten
Spalten, die wie Thäler die schwarzen Seiten des
Anti=Libanon zerreißen, öffneten schon ihre Abgründe
unter dem Schritte unserer Pferde; jene großen Becken
von Stein, deren Wände noch die tiefen Spuren des
Meißels tragen, zeigten noch einige riesenhafte Blöcke,
die halb von ihrem Grunde abgelöst, und andere, die
schon auf allen vier Seiten behauen waren und nur auf
die Arme einer Riesen=Generation, die sie fortbewegen
sollten, zu warten schienen; ein einziger jener Blöcke
des Balbek war 62 Fuß lang, 80 Fuß breit und 16 Fuß
dick. Einer unser Araber stieg vom Pferde, ließ sich
in eine Kluft hinab und kletterte auf einen der Steine
hinauf, indem er die eingemeißelten Löcher und das
dicht eingewachsene Moos benutzte; oben auf der Platt-
form lief er hin und her und stieß ein wildes Geschrei
aus; aber das Piedestal erdrückte durch seine Masse
den Menschen unserer Zeit; der Mensch verschwand
vor seinem Werke; es bedürfte der vereinten Kraft von
60,000 Menschen unserer Zeit, um einen solchen Stein
nur von der Stelle zu rücken, und die Plattformen der
Tempel von Balbek zeigen noch kolossalere, die 25 bis
30 Fuß über dem Erdboden erhaben sind, um Säulen
zu tragen, die im Verhältniß zu solchen Grundlagen
stehen! Wir setzten zwischen der Wüste zur Linken und
den wellenförmigen Bergen des Anti=Libanon zur Rech-
ten, unsere Reise fort. Die Akropolis oder der künst-
liche Hügel, der alle große Denkmäler von Heliopolis
trägt, erschien uns hier und da über den Gipfeln der
großen Bäume; endlich lag er ganz vor uns, und die
ganze Karavane stand plötzlich still, wie von einem
elektrischen Schlage getroffen. Keine Feder, kein
Pinsel kann den Eindruck beschreiben, den dieser ein-
zige Blick auf Auge und Seele hervorbringt; unter un-
seren Schritten, in dem Bett des Stromes, mitten
in den Feldern, rings um alle Baumstämme lagen un-
geheure Blöcke von rothem oder grauem Granit, von
blutfarbigem Porphyr, von gelben Stein, so glänzend
wie parischer Marmor; Stücke von Säulen, gemei-
ßelte Kapitäler, Architraben, Verzierungen, Karnieße,
Gesimse, Piedestale, zerstreute Glieder, die zu leben
schienen, Statuen, die mit dem Gesicht gegen die Erde
gestürzt waren; alles das durch einander, zerstreut, in
[Spaltenumbruch] Haufen gethürmt und von allen Seiten auf uns ein-
dringend, wie die Lava eines Vulkans, der die Trüm-
mer eines großen Reiches auswirft! Kaum ein schma-
ler Weg, um sich durch diesen Kehricht der Künste, der
die ganze Erde bedeckt, durchzuwinden.

Jenseits dieses Schaums von Trümmern, die
wahrhafte Dünen von Marmor bilden, lag der Hügel
von Balbek, eine Plattform von 1000 Schritt Länge
und 700 Fuß Breite, ganz von Menschenhänden er-
baut und aus behauenen Steinen zusammengesetzt, von
denen einige 50 bis 60 Fuß lang, und 20 bis 30 Fuß
hoch sind. Dieser Hügel von geschnittenem Granit
stellte sich uns von seiner östlichen Seite dar, mit sei-
nen tiefen Grundpfeilern und seiner unermeßlichen Be-
kleidung, mit den breiten Oeffnungen seiner unterirdi-
schen Gewölbe, in die sich das Wasser des Stromes
schäumend ergoß und im Verein mit dem Winde Töne
hervorbrachte, die dem fernen Geläute der Glocken un-
serer großen Kathedralen glichen. Auf der ungeheuren
Plattform zeigte sich uns die eine Seite der großen
Tempel, deren Goldfarbe gegen den Hintergrund des
azurblauen Himmels wunderherrlich abstach. Ei-
nige jener verödeten Denkmäler schienen noch ganz un-
versehrt, als ob sie gestern erst beendigt worden wären;
von anderen sah man nur noch Trümmer, einzelne
Säulen, verfallenes Gemäuer. Das Auge verlor sich
in den schimmernden Säulengängen der verschiedenen
Tempel, und das Ende dieser Welt von Stein war
nicht abzusehen. Die drei gigantischen Säulen des
großen Tempels, die noch majestätisch ihr reiches und
kolossales Gesimse trugen, beherrschten die ganze Ge-
gend, und verloren sich in dem blauen Himmel der
Wüste, wie ein luftiger Altar, zum Opferdienst von
Giganten bestimmt.

Wir hielten uns nur einige Augenblicke auf, um
einen raschen Blick auf das zu werfen, was wir aus
so weiter Ferne und mit so vielen Gefahren aufgesucht
hatten; und da wir endlich sicher waren, für den an-
dern Morgen ein Schauspiel zu besitzen, das selbst der
Traum nicht herrlicher gestalten kann, so setzten wir
unseren Weg fort. Der Tag neigte sich zu Ende; wir
mußten ein Lager suchen, entweder unter dem Zelte,
oder in irgend einer Höhle dieser Ruinen, um uns von
einem vierzehnstündigen Marsche zu erholen. Wir ließen
Balbek links liegen und gingen auf die Stelle zu, wo
aus einem Haufen Trümmern, unter denen wir einige
arabische Hütten bemerkten, eine Rauchsäule aufstieg.
Der Boden war uneben und bergigt, und hallte unter
den Hufen unserer Pferde so hohl wider, als ob er sich
bei jedem Schritte unter uns öffnen wollte. Wir lang-
ten vor der Thür einer kleinen Hütte an, die halb
durch Marmorblöcke bedeckt wurde, und die aus schlecht
zusammen gefügten Trümmern von Marmor und Por-
phyr erbaut war. Es war der bischöfliche Palast des Bi-
schofs von Balbek, der in dieser Wüste eine kleine Heerde
[Ende Spaltensatz]

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Der Tag neigte sich zu Ende; wir mußten ein Lager suchen, entweder unter dem Zelte, oder in irgend einer Höhle dieser Ruinen, um uns von einem vierzehnstündigen Marsche zu erholen. Wir ließen Balbek links liegen und gingen auf die Stelle zu, wo aus einem Haufen Trümmern, unter denen wir einige arabische Hütten bemerkten, eine Rauchsäule aufstieg. Der Boden war uneben und bergigt, und hallte unter den Hufen unserer Pferde so hohl wider, als ob er sich bei jedem Schritte unter uns öffnen wollte. Wir lang- ten vor der Thür einer kleinen Hütte an, die halb durch Marmorblöcke bedeckt wurde, und die aus schlecht zusammen gefügten Trümmern von Marmor und Por- phyr erbaut war. Es war der bischöfliche Palast des Bi- schofs von Balbek, der in dieser Wüste eine kleine Heerde

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Zitationshilfe: Das Heller-Blatt. Nr. 32. Breslau, 9. August 1834, S. 254. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_heller32_1834/6>, abgerufen am 03.12.2024.