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Mährisches Tagblatt. Nr. 266, Olmütz, 21.11.1892.

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[Spaltenumbruch]

derösterreichs, erinnerte daran, wie nur durch Einig-
keit das geplante Werk gefördert werden könne und
erklärte, daß die Vereinigte Linke den größten
Werth darauf lege, diese Bewegnng mannhaft zu
unterstützen. (Stürmischer langanhaltender Beifall.)

Mächtige Wirkung riefen die Ausführungen
des nächsten Redners, des Bürgermeisters Kit-
tinger
aus Karlstein im Waldviertel, der ur-
eigenen Domäne Schönerers, hervor. Herr Kittin-
ger schilderte in markigen Sätzen den Despotis-
mus der gegnerischen Partei, der sich selbst im
Familienleben geltend machte. (Pfui-Rufe.) Redner
dankte für die deutsch-fortschrittliche Organisation
und bat nur, daß recht oft Wählerversammlungen
im Waldviertel abgehalten würden. (Beifallssturm.)

Nachdem der empfohlene Wahlaufruf ein-
stimmig angenommen wurde erfolgte die Wahl
der Parteileitung, welche Professor Dr. Sueß zum
Obmanne wählte, worauf die Versammlung schloß.




Reichsrath.
Sitzung des Abgeordnetenhauses vom
19. November.


Der Sturm im Abgeordnetenhause ist also
für dießmal vorübergerauscht. Nachdem der Prä-
sident heute erklärt hatte, das Haus werde
Dienstag über den Antrag, dem Abgeordneten
Menger die Mißbilligung auszusprechen, die Be-
rathung pflegen, hatten die Herren Jungtschechen
die Güte, den Vertreter des Stadtbezirks Jägern-
dorf seine Rede vollenden zu lassen. Wie das
Haus über den Antrag entscheiden wird, läßt sich
natürlich nicht voraussagen. Es ist selbstver-
ständlich, daß der Abg. Menger das Wort Hoch-
verrath nur im politischen, nicht aber im straf-
rechtlichen Sinne gemeint und daß er nicht be-
absichtigt hat, den Abg. Masaryk einer Handlung
zu beschuldigen, für die ihn, hätte er sie außer-
halb des Hauses begangen, der Staatsanwalt
zur Verantwortung ziehen müßte. Die Jung-
tschechen stellen sich einfältiger als sie sind, wenn
sie sich den Anschein geben, als verständen sie
dieß nicht. Ebenso unterliegt es keinem Zweifel,
daß der genannte Abgeordnete im vollen
Rechte war, als er für eine Reihe schwerer
Beschuldigungen, welche Masaryk gegen die
Deutschen vorgebracht hatte, eine scharfe und
entschiedene Abwehr übte. Will die Majorität
gerecht sein, so muß sie den Mißbilli-
gungsantrag ablehnen, der sich überhaupt im
Munde eines Jungtschechen wunderlich genug aus-
nimmt. Sind denn diese temperamentvollen
Politiker in ihrem Auftreten gegen die Deutschen
etwa fein und maßvoll? Bisher hat man überall
nur das Gegentheil wahrgenommen. Wo die
Jungtschechen in ihren Vereinen versammelt sind,
[Spaltenumbruch] wird über die Deutschen in einem Tone ge-
sprochen, dessen Roheit und Leidenschaftlichkeit
kaum mehr übertroffen werden kann. Die jung-
tschechische Presse schreibt über uns Deutsche in
einem förmlichen Dreschflegelstyl. Aber daran ist's
noch nicht genug; zur Grobheit gesellt sich in
den Spalten dieser Blätter die tückische Ver-
leumdung, die gemeine erbärmliche Denunciation,
und es gibt kein Verbrechen gegen den Staat
und die Gesellschaft, deren man die Deutschen in
dieser Scandalpresse im schlimmsten Sinne des
Wortes nicht beschuldigte. Eine Partei, die
Solches treibt und duldet, gibt sich selbst der
Lächerlichkeit preis, wenn sie plötzlich empfind-
lich wird.

Die Sitzung nahm folgenden Verlauf: Als
erster Redner ergriff Abgeordneter Masaryk
das Wort; er sagte, er könne als Ver-
treter eines Volkes und als Mitglied einer
Partei, welche die persönliche Ehre hochschätze,
und als Mitglied des Hauses Aeußerungen,
die ihn persönlich betreffen, nicht ruhig
vorübergehen lassen und ersuche daher nach § 58
der Geschäftsordnung: Das Haus wolle seine
Mißbilligung über die in der Rede des Abg.
Menger gefallenen Aeußerungen "Gewissenlosig-
keit, Rohheit, Hochverrath" aussprechen. (Beifall
der Jungtschechen, auf einigen Stellen der Rechten
und auf der äußersten Linken.)

Der Präsident erklärt, daß gemäß § 58
der Geschäftsordnung die einzelnen Abtheilungen
zusammentreten und einen Mißbilligungsausschuß
bilden werden, der binnen 24 Stunden zu be-
richten hat. Mit Rücksicht darauf, daß morgen
Sonntag ist und wenn kein Widerspruch erfolgt,
beraume er den Bericht dieses Ausschusses für
Dienstag an. (Allgemeine Zustimmung.)

Hierauf schreitet das Haus zur Tagesordnung
und setzt die Generaldebatte über das
Budget fort.

Abg. Dr. Menger fährt in seiner gestern
unterbrochenen Polemik gegen den Abg. Masaryk
fort. Er beleuchtet die Nachtheile, welche Oester-
reich erfahren müßte, wenn ein selbstständiger
böhmischer Staat zustande käme, beklagt die ge-
hässige Behandlung des ungarischen Nachbar-
staates, mit dem wir durch wirthschaftliche und
politische Bande verknüpft sind, und geht dann
in eine Kritik der Aeußerungen des Abgeordneten
Masarik über den Dreibund über. Die gegen-
wärtige Zeit -- sagt der Redner -- birgt für
die ganze westliche Cultur mindestens ebenso große
Gefahren, als jene, als das Heer der Türkei
unter Kara Mustapha auf der einen Seite und
die Heere des franz. Königreichs von der andern
Seite gegen Deutschland und Oesterreich, sowie
auch gegen Italien heranstürmten. Rußland steht
bis an die Zähne gewaffnet gegen die westliche
Cultur, und durch ein unglückliches Zusammen-
[Spaltenumbruch] treffen der Verhältnisse bietet Frankreich diesem
Gegner der modernen Cultur die Hand. Dagegen
hat sich, insbesondere durch die unglaubliche
Selbstverleugnung unseres Herrschers, der Drei-
bund gebildet; wir votiren unser Vermögen, wir
votiren das Blut unserer Söhne und Brüder,
weil wir glauben, daß es kein größeres Unglück
geben kann, als wenn einmal die Kosaken-Sotnien
ihre Pferde in der Donau tränken und hundert-
bis zweihunderttausend halbwilde Reiter auf
Mitteleuropa losgelassen werden.

Wir bringen alle Opfer und wünschen, daß
jedes unserer Bataillone und jede Reiterescadron,
die ins Feld zieht, das Bewußtsein mitnimmt,
für Oesterreich, für alle Völker, aber auch für
die ganze westliche Cultur zu kämpfen gegen Un-
cultur und Barbarei, die durch den Gegner
repräsentirt wird. (Lebhafter Beifall links.) Nun
kommt ein hochgelehrter Professor der Prager
Universität und sagt: Es kann für uns und die
anderen Völker kein größeres Unglück eintreten,
als wenn der Dreibund siegen würde. Die Folge
davon ist, daß wir eigentlich die Niederlage
wünschen sollten und all das unermeßliche Elend,
das Keiner von uns zu sehen wünscht, weil wir
Alle lieber den Tod sehen würden als einen
Sieg Rußlands über die westliche Cultur. (Leb[-]
hafter Beifall und Händeklatschen links.)

Der Redner weist nun gegenüber den höh-
nenden Worten Masaryk's auf die Verdienste
hin, welche sich die Deutschösterreicher um die
Literatur, Kunst und Wissenschaft des gesammten
Deutschthums erworben haben, und meint, es sei
doch selbstverständlich, daß sich die Deutschen
Oesterreichs nicht des Glückes berauben lassen
wollen, an der geistigen Arbeit Deutschlands
theilzunehmen.

Auf die Interpellation der Linken im Falle
Bosak übergehend, erklärt der Redner, es sei nicht
blos im Interesse der Deutschen, sondern im In-
teresse der gesammten Bevölkerung, besonders der
von Prag, gelegen gewesen, die Sache nicht ruhig
hingehen zu lassen. Redner weist darauf hin,
daß die Geschwornen in diesem Falle selbst die
Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten angenommen
haben, sonst hätten sie denselben nicht wegen
Uebertretung des Waffenpatentes verurtheilen
können. Es sei wohl klar, daß ein viel gerin-
gerer Grad von Zurechnungsfähigkeit dazu ge-
höre, einzusehen, daß man nicht auf offenem
Platze auf eine ganze Gesellschaft schießen darf,
als dazu, ein Delikt gegen das Waffenpatent zu
beurtheilen. Man habe diesen Proceß mit einem
anderen verglichen, in welchem ein Deutscher von
tschechischen Geschwornen freigesprochen wurde.
Auch dort kam etwas vor, was zu denken geben
muß. In einem Staate mit so viel Nationali-
täten muß die Justiz über allem Hader der Na-
tionalitäten stehen. In diesem Processe hat ein




[Spaltenumbruch]

Hatte ich ihn doch oft vor den unseligen Leiden-
schaft warnen müssen.

"Und wieviel brauchst Du?"

"Dreitausend Mark!"

"Bis wann?"

"Bis heute um Mitternacht! Ich bin den
ganzen Tag herumgelaufen, das Geld zusammen
zu bekommen -- aber wer borgt einem armen
Referendar 3000 Mark?"

Mir schwindelte der Kopf, wenn ich die
Situation überdachte. Er mußte die Schuld
einlösen, er mußte -- das fühlte ich, sonst war
er ein Kind des Todes.

Und ich selbst? Konnte ich ihm helfen? Wo-
her sollte ein armer Schriftsteller, der sich mit
seiner Feder schlecht und recht ernährt, dreitau-
send Mark nehmen? Dem borgt auch Niemand
etwas!

Ich sann nach, ein Gedanke schoß mir durch
den Kopf.

"Bist Du bei Eck gewesen?" fragte ich.

Er sah mich starr an.

"Bei Eck?" meinte er tonlos. "Was soll
ich bei ihm? Er hat mir neulich nicht einmal
100 Mark geborgt, als ich zum Begräbniß mei-
ner Mutter reisen wollte --"

"Da lagen die Sachverhältnisse immer noch
etwas anders", tröstete ich, "wenn Du keine
Mittel hattest, konntest Du eben nicht reisen --
hier aber steht noch mehr auf dem Spiel, als
das Versäumniß bei der Beerdigung einer
Mutter!"

Harry lachte auf.


[Spaltenumbruch]

"Er thut's nicht! Er thut's nicht! Es ist
gegen seine Grundsätze."

"Ach was!" sagte ich ärgerlich. "Grundsätze!
So toll wird Eck doch nicht sein, daß er, der
über 500.000 verfügt und dem die 3000 Mark
eine Kleinigkeit sind, in diesem Falle seine
Grundsätze ins Treffen führen wollte! Warte,
ich komme mit!"

Rasch zog ich mich an, wortlos eilten wir
die Treppe hinab. Draußen nahm ich eine ge-
rade vorüberfahrende Droschke und im scharfen
Trabe ging es der Wohnung Ecks zu. Sie war
erleuchtet.

Gott sei Dank, er war also zu Hause.

In seinem Prunkzimmer empfing er uns:
in seinem kostbaren türkischen Schlafrock gehüllt,
trat er uns entgegen, dichte Rauchwolken aus
einer langen Pfeife vor sich herblasend.

"Guten Abend, Kinder," meinte er und
streckte uns die beringte Hand entgegen. "Seid
willkommen! Was trinkt Ihr? Sherry, Cobbler,
Heidsik, Chateau-Yquem? Oder wollt Ihr lieber
einen Punsch haben?"

"Nichts von alledem, mein lieber Eck,"
sagte ich, "etwas ganz anderes wollen wir!"

"Gute Cigarren etwa?"

"Nein," fahre ich fort, "aber Geld!"

"Nanu!" Er trat einen Schritt zurück.

"Ja," sagte ich wieder, "Geld! Und zwar
sofort! Dreitausend Mark! Schließe also mal
gefälligst Deinen Arnheim auf und entnimm
demselben einige Staats-Coupons!"

Er lächelte.


[Spaltenumbruch]

"Du bist bei guter Laune," entgegnete er.
"Du willst Witze machen!"

Ich wurde sehr ernst.

"Lieber Eck," fuhr ich wieder fort, "ich
scherze bei Gott nicht! Harry hat leichtsinniger-
weise gespielt, er muß bis heute um Mitternacht
dreitausend Mark beschaffen, sonst -- -- Du
weißt, was ich sagen will! Darum hilf!"

Harry selbst hatte bisher kein Wort ge-
sprochen. Jetzt aber schrie er auf im Tone wildester
Leidenschaft:

"Hilf!"

Mir zerriß dieser Ton die Brust. Das war
derselbe herzdurchdringende Ton, mit welchem
Marquis Posa zur Königin sagt: "O Königin,
das Leben ist doch schön!"

"Du weißt, lieber Harry," entgegnete Eck,
"daß die Spielleidenschaft eine höchst verwerf-
liche Leidenschaft ist. Kein Mann darf ihr
fröhnen -- --"

"Gott im Himmel," fuhr ich auf, "halte
jetzt keine Moralpredigten! Das werden wir schon
morgen besorgen! Jetzt hilf und rette! Die Zeit
ist kostbar!"

"Liebe Kinder, Ihr wißt, meine Grundsätze
sind in dieser Beziehung felsenfest -- --"

"Sprich jetzt nicht von Deinen Grundsätzen,"
rief ich, "zeige Dich jetzt als Mensch, dessen
oberster und erster Grundsatz allzeit sein soll, dem
Nächsten zu helfen -- --"

"Ja, ja," entgegnete er. "Aber ich habe nun
einmal das feste Princip, kein Geld zu verleihen


[Spaltenumbruch]

deröſterreichs, erinnerte daran, wie nur durch Einig-
keit das geplante Werk gefördert werden könne und
erklärte, daß die Vereinigte Linke den größten
Werth darauf lege, dieſe Bewegnng mannhaft zu
unterſtützen. (Stürmiſcher langanhaltender Beifall.)

Mächtige Wirkung riefen die Ausführungen
des nächſten Redners, des Bürgermeiſters Kit-
tinger
aus Karlſtein im Waldviertel, der ur-
eigenen Domäne Schönerers, hervor. Herr Kittin-
ger ſchilderte in markigen Sätzen den Deſpotis-
mus der gegneriſchen Partei, der ſich ſelbſt im
Familienleben geltend machte. (Pfui-Rufe.) Redner
dankte für die deutſch-fortſchrittliche Organiſation
und bat nur, daß recht oft Wählerverſammlungen
im Waldviertel abgehalten würden. (Beifallsſturm.)

Nachdem der empfohlene Wahlaufruf ein-
ſtimmig angenommen wurde erfolgte die Wahl
der Parteileitung, welche Profeſſor Dr. Sueß zum
Obmanne wählte, worauf die Verſammlung ſchloß.




Reichsrath.
Sitzung des Abgeordnetenhauſes vom
19. November.


Der Sturm im Abgeordnetenhauſe iſt alſo
für dießmal vorübergerauſcht. Nachdem der Prä-
ſident heute erklärt hatte, das Haus werde
Dienſtag über den Antrag, dem Abgeordneten
Menger die Mißbilligung auszuſprechen, die Be-
rathung pflegen, hatten die Herren Jungtſchechen
die Güte, den Vertreter des Stadtbezirks Jägern-
dorf ſeine Rede vollenden zu laſſen. Wie das
Haus über den Antrag entſcheiden wird, läßt ſich
natürlich nicht vorausſagen. Es iſt ſelbſtver-
ſtändlich, daß der Abg. Menger das Wort Hoch-
verrath nur im politiſchen, nicht aber im ſtraf-
rechtlichen Sinne gemeint und daß er nicht be-
abſichtigt hat, den Abg. Maſařyk einer Handlung
zu beſchuldigen, für die ihn, hätte er ſie außer-
halb des Hauſes begangen, der Staatsanwalt
zur Verantwortung ziehen müßte. Die Jung-
tſchechen ſtellen ſich einfältiger als ſie ſind, wenn
ſie ſich den Anſchein geben, als verſtänden ſie
dieß nicht. Ebenſo unterliegt es keinem Zweifel,
daß der genannte Abgeordnete im vollen
Rechte war, als er für eine Reihe ſchwerer
Beſchuldigungen, welche Maſařyk gegen die
Deutſchen vorgebracht hatte, eine ſcharfe und
entſchiedene Abwehr übte. Will die Majorität
gerecht ſein, ſo muß ſie den Mißbilli-
gungsantrag ablehnen, der ſich überhaupt im
Munde eines Jungtſchechen wunderlich genug aus-
nimmt. Sind denn dieſe temperamentvollen
Politiker in ihrem Auftreten gegen die Deutſchen
etwa fein und maßvoll? Bisher hat man überall
nur das Gegentheil wahrgenommen. Wo die
Jungtſchechen in ihren Vereinen verſammelt ſind,
[Spaltenumbruch] wird über die Deutſchen in einem Tone ge-
ſprochen, deſſen Roheit und Leidenſchaftlichkeit
kaum mehr übertroffen werden kann. Die jung-
tſchechiſche Preſſe ſchreibt über uns Deutſche in
einem förmlichen Dreſchflegelſtyl. Aber daran iſt’s
noch nicht genug; zur Grobheit geſellt ſich in
den Spalten dieſer Blätter die tückiſche Ver-
leumdung, die gemeine erbärmliche Denunciation,
und es gibt kein Verbrechen gegen den Staat
und die Geſellſchaft, deren man die Deutſchen in
dieſer Scandalpreſſe im ſchlimmſten Sinne des
Wortes nicht beſchuldigte. Eine Partei, die
Solches treibt und duldet, gibt ſich ſelbſt der
Lächerlichkeit preis, wenn ſie plötzlich empfind-
lich wird.

Die Sitzung nahm folgenden Verlauf: Als
erſter Redner ergriff Abgeordneter Maſařyk
das Wort; er ſagte, er könne als Ver-
treter eines Volkes und als Mitglied einer
Partei, welche die perſönliche Ehre hochſchätze,
und als Mitglied des Hauſes Aeußerungen,
die ihn perſönlich betreffen, nicht ruhig
vorübergehen laſſen und erſuche daher nach § 58
der Geſchäftsordnung: Das Haus wolle ſeine
Mißbilligung über die in der Rede des Abg.
Menger gefallenen Aeußerungen „Gewiſſenloſig-
keit, Rohheit, Hochverrath“ ausſprechen. (Beifall
der Jungtſchechen, auf einigen Stellen der Rechten
und auf der äußerſten Linken.)

Der Präſident erklärt, daß gemäß § 58
der Geſchäftsordnung die einzelnen Abtheilungen
zuſammentreten und einen Mißbilligungsausſchuß
bilden werden, der binnen 24 Stunden zu be-
richten hat. Mit Rückſicht darauf, daß morgen
Sonntag iſt und wenn kein Widerſpruch erfolgt,
beraume er den Bericht dieſes Ausſchuſſes für
Dienſtag an. (Allgemeine Zuſtimmung.)

Hierauf ſchreitet das Haus zur Tagesordnung
und ſetzt die Generaldebatte über das
Budget fort.

Abg. Dr. Menger fährt in ſeiner geſtern
unterbrochenen Polemik gegen den Abg. Maſařyk
fort. Er beleuchtet die Nachtheile, welche Oeſter-
reich erfahren müßte, wenn ein ſelbſtſtändiger
böhmiſcher Staat zuſtande käme, beklagt die ge-
häſſige Behandlung des ungariſchen Nachbar-
ſtaates, mit dem wir durch wirthſchaftliche und
politiſche Bande verknüpft ſind, und geht dann
in eine Kritik der Aeußerungen des Abgeordneten
Maſařik über den Dreibund über. Die gegen-
wärtige Zeit — ſagt der Redner — birgt für
die ganze weſtliche Cultur mindeſtens ebenſo große
Gefahren, als jene, als das Heer der Türkei
unter Kara Muſtapha auf der einen Seite und
die Heere des franz. Königreichs von der andern
Seite gegen Deutſchland und Oeſterreich, ſowie
auch gegen Italien heranſtürmten. Rußland ſteht
bis an die Zähne gewaffnet gegen die weſtliche
Cultur, und durch ein unglückliches Zuſammen-
[Spaltenumbruch] treffen der Verhältniſſe bietet Frankreich dieſem
Gegner der modernen Cultur die Hand. Dagegen
hat ſich, insbeſondere durch die unglaubliche
Selbſtverleugnung unſeres Herrſchers, der Drei-
bund gebildet; wir votiren unſer Vermögen, wir
votiren das Blut unſerer Söhne und Brüder,
weil wir glauben, daß es kein größeres Unglück
geben kann, als wenn einmal die Koſaken-Sotnien
ihre Pferde in der Donau tränken und hundert-
bis zweihunderttauſend halbwilde Reiter auf
Mitteleuropa losgelaſſen werden.

Wir bringen alle Opfer und wünſchen, daß
jedes unſerer Bataillone und jede Reiterescadron,
die ins Feld zieht, das Bewußtſein mitnimmt,
für Oeſterreich, für alle Völker, aber auch für
die ganze weſtliche Cultur zu kämpfen gegen Un-
cultur und Barbarei, die durch den Gegner
repräſentirt wird. (Lebhafter Beifall links.) Nun
kommt ein hochgelehrter Profeſſor der Prager
Univerſität und ſagt: Es kann für uns und die
anderen Völker kein größeres Unglück eintreten,
als wenn der Dreibund ſiegen würde. Die Folge
davon iſt, daß wir eigentlich die Niederlage
wünſchen ſollten und all das unermeßliche Elend,
das Keiner von uns zu ſehen wünſcht, weil wir
Alle lieber den Tod ſehen würden als einen
Sieg Rußlands über die weſtliche Cultur. (Leb[-]
hafter Beifall und Händeklatſchen links.)

Der Redner weiſt nun gegenüber den höh-
nenden Worten Maſařyk’s auf die Verdienſte
hin, welche ſich die Deutſchöſterreicher um die
Literatur, Kunſt und Wiſſenſchaft des geſammten
Deutſchthums erworben haben, und meint, es ſei
doch ſelbſtverſtändlich, daß ſich die Deutſchen
Oeſterreichs nicht des Glückes berauben laſſen
wollen, an der geiſtigen Arbeit Deutſchlands
theilzunehmen.

Auf die Interpellation der Linken im Falle
Boſak übergehend, erklärt der Redner, es ſei nicht
blos im Intereſſe der Deutſchen, ſondern im In-
tereſſe der geſammten Bevölkerung, beſonders der
von Prag, gelegen geweſen, die Sache nicht ruhig
hingehen zu laſſen. Redner weiſt darauf hin,
daß die Geſchwornen in dieſem Falle ſelbſt die
Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten angenommen
haben, ſonſt hätten ſie denſelben nicht wegen
Uebertretung des Waffenpatentes verurtheilen
können. Es ſei wohl klar, daß ein viel gerin-
gerer Grad von Zurechnungsfähigkeit dazu ge-
höre, einzuſehen, daß man nicht auf offenem
Platze auf eine ganze Geſellſchaft ſchießen darf,
als dazu, ein Delikt gegen das Waffenpatent zu
beurtheilen. Man habe dieſen Proceß mit einem
anderen verglichen, in welchem ein Deutſcher von
tſchechiſchen Geſchwornen freigeſprochen wurde.
Auch dort kam etwas vor, was zu denken geben
muß. In einem Staate mit ſo viel Nationali-
täten muß die Juſtiz über allem Hader der Na-
tionalitäten ſtehen. In dieſem Proceſſe hat ein




[Spaltenumbruch]

Hatte ich ihn doch oft vor den unſeligen Leiden-
ſchaft warnen müſſen.

„Und wieviel brauchſt Du?“

„Dreitauſend Mark!“

„Bis wann?“

„Bis heute um Mitternacht! Ich bin den
ganzen Tag herumgelaufen, das Geld zuſammen
zu bekommen — aber wer borgt einem armen
Referendar 3000 Mark?“

Mir ſchwindelte der Kopf, wenn ich die
Situation überdachte. Er mußte die Schuld
einlöſen, er mußte — das fühlte ich, ſonſt war
er ein Kind des Todes.

Und ich ſelbſt? Konnte ich ihm helfen? Wo-
her ſollte ein armer Schriftſteller, der ſich mit
ſeiner Feder ſchlecht und recht ernährt, dreitau-
ſend Mark nehmen? Dem borgt auch Niemand
etwas!

Ich ſann nach, ein Gedanke ſchoß mir durch
den Kopf.

„Biſt Du bei Eck geweſen?“ fragte ich.

Er ſah mich ſtarr an.

„Bei Eck?“ meinte er tonlos. „Was ſoll
ich bei ihm? Er hat mir neulich nicht einmal
100 Mark geborgt, als ich zum Begräbniß mei-
ner Mutter reiſen wollte —“

„Da lagen die Sachverhältniſſe immer noch
etwas anders“, tröſtete ich, „wenn Du keine
Mittel hatteſt, konnteſt Du eben nicht reiſen —
hier aber ſteht noch mehr auf dem Spiel, als
das Verſäumniß bei der Beerdigung einer
Mutter!“

Harry lachte auf.


[Spaltenumbruch]

„Er thut’s nicht! Er thut’s nicht! Es iſt
gegen ſeine Grundſätze.“

„Ach was!“ ſagte ich ärgerlich. „Grundſätze!
So toll wird Eck doch nicht ſein, daß er, der
über 500.000 verfügt und dem die 3000 Mark
eine Kleinigkeit ſind, in dieſem Falle ſeine
Grundſätze ins Treffen führen wollte! Warte,
ich komme mit!“

Raſch zog ich mich an, wortlos eilten wir
die Treppe hinab. Draußen nahm ich eine ge-
rade vorüberfahrende Droſchke und im ſcharfen
Trabe ging es der Wohnung Ecks zu. Sie war
erleuchtet.

Gott ſei Dank, er war alſo zu Hauſe.

In ſeinem Prunkzimmer empfing er uns:
in ſeinem koſtbaren türkiſchen Schlafrock gehüllt,
trat er uns entgegen, dichte Rauchwolken aus
einer langen Pfeife vor ſich herblaſend.

„Guten Abend, Kinder,“ meinte er und
ſtreckte uns die beringte Hand entgegen. „Seid
willkommen! Was trinkt Ihr? Sherry, Cobbler,
Heidſik, Chateau-Yquem? Oder wollt Ihr lieber
einen Punſch haben?“

„Nichts von alledem, mein lieber Eck,“
ſagte ich, „etwas ganz anderes wollen wir!“

„Gute Cigarren etwa?“

„Nein,“ fahre ich fort, „aber Geld!“

„Nanu!“ Er trat einen Schritt zurück.

„Ja,“ ſagte ich wieder, „Geld! Und zwar
ſofort! Dreitauſend Mark! Schließe alſo mal
gefälligſt Deinen Arnheim auf und entnimm
demſelben einige Staats-Coupons!“

Er lächelte.


[Spaltenumbruch]

„Du biſt bei guter Laune,“ entgegnete er.
„Du willſt Witze machen!“

Ich wurde ſehr ernſt.

„Lieber Eck,“ fuhr ich wieder fort, „ich
ſcherze bei Gott nicht! Harry hat leichtſinniger-
weiſe geſpielt, er muß bis heute um Mitternacht
dreitauſend Mark beſchaffen, ſonſt — — Du
weißt, was ich ſagen will! Darum hilf!“

Harry ſelbſt hatte bisher kein Wort ge-
ſprochen. Jetzt aber ſchrie er auf im Tone wildeſter
Leidenſchaft:

„Hilf!“

Mir zerriß dieſer Ton die Bruſt. Das war
derſelbe herzdurchdringende Ton, mit welchem
Marquis Poſa zur Königin ſagt: „O Königin,
das Leben iſt doch ſchön!“

„Du weißt, lieber Harry,“ entgegnete Eck,
„daß die Spielleidenſchaft eine höchſt verwerf-
liche Leidenſchaft iſt. Kein Mann darf ihr
fröhnen — —“

„Gott im Himmel,“ fuhr ich auf, „halte
jetzt keine Moralpredigten! Das werden wir ſchon
morgen beſorgen! Jetzt hilf und rette! Die Zeit
iſt koſtbar!“

„Liebe Kinder, Ihr wißt, meine Grundſätze
ſind in dieſer Beziehung felſenfeſt — —“

„Sprich jetzt nicht von Deinen Grundſätzen,“
rief ich, „zeige Dich jetzt als Menſch, deſſen
oberſter und erſter Grundſatz allzeit ſein ſoll, dem
Nächſten zu helfen — —“

„Ja, ja,“ entgegnete er. „Aber ich habe nun
einmal das feſte Princip, kein Geld zu verleihen


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[[2]/0002] deröſterreichs, erinnerte daran, wie nur durch Einig- keit das geplante Werk gefördert werden könne und erklärte, daß die Vereinigte Linke den größten Werth darauf lege, dieſe Bewegnng mannhaft zu unterſtützen. (Stürmiſcher langanhaltender Beifall.) Mächtige Wirkung riefen die Ausführungen des nächſten Redners, des Bürgermeiſters Kit- tinger aus Karlſtein im Waldviertel, der ur- eigenen Domäne Schönerers, hervor. Herr Kittin- ger ſchilderte in markigen Sätzen den Deſpotis- mus der gegneriſchen Partei, der ſich ſelbſt im Familienleben geltend machte. (Pfui-Rufe.) Redner dankte für die deutſch-fortſchrittliche Organiſation und bat nur, daß recht oft Wählerverſammlungen im Waldviertel abgehalten würden. (Beifallsſturm.) Nachdem der empfohlene Wahlaufruf ein- ſtimmig angenommen wurde erfolgte die Wahl der Parteileitung, welche Profeſſor Dr. Sueß zum Obmanne wählte, worauf die Verſammlung ſchloß. Reichsrath. Sitzung des Abgeordnetenhauſes vom 19. November. Wien, 19. November. Der Sturm im Abgeordnetenhauſe iſt alſo für dießmal vorübergerauſcht. Nachdem der Prä- ſident heute erklärt hatte, das Haus werde Dienſtag über den Antrag, dem Abgeordneten Menger die Mißbilligung auszuſprechen, die Be- rathung pflegen, hatten die Herren Jungtſchechen die Güte, den Vertreter des Stadtbezirks Jägern- dorf ſeine Rede vollenden zu laſſen. Wie das Haus über den Antrag entſcheiden wird, läßt ſich natürlich nicht vorausſagen. Es iſt ſelbſtver- ſtändlich, daß der Abg. Menger das Wort Hoch- verrath nur im politiſchen, nicht aber im ſtraf- rechtlichen Sinne gemeint und daß er nicht be- abſichtigt hat, den Abg. Maſařyk einer Handlung zu beſchuldigen, für die ihn, hätte er ſie außer- halb des Hauſes begangen, der Staatsanwalt zur Verantwortung ziehen müßte. Die Jung- tſchechen ſtellen ſich einfältiger als ſie ſind, wenn ſie ſich den Anſchein geben, als verſtänden ſie dieß nicht. Ebenſo unterliegt es keinem Zweifel, daß der genannte Abgeordnete im vollen Rechte war, als er für eine Reihe ſchwerer Beſchuldigungen, welche Maſařyk gegen die Deutſchen vorgebracht hatte, eine ſcharfe und entſchiedene Abwehr übte. Will die Majorität gerecht ſein, ſo muß ſie den Mißbilli- gungsantrag ablehnen, der ſich überhaupt im Munde eines Jungtſchechen wunderlich genug aus- nimmt. Sind denn dieſe temperamentvollen Politiker in ihrem Auftreten gegen die Deutſchen etwa fein und maßvoll? Bisher hat man überall nur das Gegentheil wahrgenommen. Wo die Jungtſchechen in ihren Vereinen verſammelt ſind, wird über die Deutſchen in einem Tone ge- ſprochen, deſſen Roheit und Leidenſchaftlichkeit kaum mehr übertroffen werden kann. Die jung- tſchechiſche Preſſe ſchreibt über uns Deutſche in einem förmlichen Dreſchflegelſtyl. Aber daran iſt’s noch nicht genug; zur Grobheit geſellt ſich in den Spalten dieſer Blätter die tückiſche Ver- leumdung, die gemeine erbärmliche Denunciation, und es gibt kein Verbrechen gegen den Staat und die Geſellſchaft, deren man die Deutſchen in dieſer Scandalpreſſe im ſchlimmſten Sinne des Wortes nicht beſchuldigte. Eine Partei, die Solches treibt und duldet, gibt ſich ſelbſt der Lächerlichkeit preis, wenn ſie plötzlich empfind- lich wird. Die Sitzung nahm folgenden Verlauf: Als erſter Redner ergriff Abgeordneter Maſařyk das Wort; er ſagte, er könne als Ver- treter eines Volkes und als Mitglied einer Partei, welche die perſönliche Ehre hochſchätze, und als Mitglied des Hauſes Aeußerungen, die ihn perſönlich betreffen, nicht ruhig vorübergehen laſſen und erſuche daher nach § 58 der Geſchäftsordnung: Das Haus wolle ſeine Mißbilligung über die in der Rede des Abg. Menger gefallenen Aeußerungen „Gewiſſenloſig- keit, Rohheit, Hochverrath“ ausſprechen. (Beifall der Jungtſchechen, auf einigen Stellen der Rechten und auf der äußerſten Linken.) Der Präſident erklärt, daß gemäß § 58 der Geſchäftsordnung die einzelnen Abtheilungen zuſammentreten und einen Mißbilligungsausſchuß bilden werden, der binnen 24 Stunden zu be- richten hat. Mit Rückſicht darauf, daß morgen Sonntag iſt und wenn kein Widerſpruch erfolgt, beraume er den Bericht dieſes Ausſchuſſes für Dienſtag an. (Allgemeine Zuſtimmung.) Hierauf ſchreitet das Haus zur Tagesordnung und ſetzt die Generaldebatte über das Budget fort. Abg. Dr. Menger fährt in ſeiner geſtern unterbrochenen Polemik gegen den Abg. Maſařyk fort. Er beleuchtet die Nachtheile, welche Oeſter- reich erfahren müßte, wenn ein ſelbſtſtändiger böhmiſcher Staat zuſtande käme, beklagt die ge- häſſige Behandlung des ungariſchen Nachbar- ſtaates, mit dem wir durch wirthſchaftliche und politiſche Bande verknüpft ſind, und geht dann in eine Kritik der Aeußerungen des Abgeordneten Maſařik über den Dreibund über. Die gegen- wärtige Zeit — ſagt der Redner — birgt für die ganze weſtliche Cultur mindeſtens ebenſo große Gefahren, als jene, als das Heer der Türkei unter Kara Muſtapha auf der einen Seite und die Heere des franz. Königreichs von der andern Seite gegen Deutſchland und Oeſterreich, ſowie auch gegen Italien heranſtürmten. Rußland ſteht bis an die Zähne gewaffnet gegen die weſtliche Cultur, und durch ein unglückliches Zuſammen- treffen der Verhältniſſe bietet Frankreich dieſem Gegner der modernen Cultur die Hand. Dagegen hat ſich, insbeſondere durch die unglaubliche Selbſtverleugnung unſeres Herrſchers, der Drei- bund gebildet; wir votiren unſer Vermögen, wir votiren das Blut unſerer Söhne und Brüder, weil wir glauben, daß es kein größeres Unglück geben kann, als wenn einmal die Koſaken-Sotnien ihre Pferde in der Donau tränken und hundert- bis zweihunderttauſend halbwilde Reiter auf Mitteleuropa losgelaſſen werden. Wir bringen alle Opfer und wünſchen, daß jedes unſerer Bataillone und jede Reiterescadron, die ins Feld zieht, das Bewußtſein mitnimmt, für Oeſterreich, für alle Völker, aber auch für die ganze weſtliche Cultur zu kämpfen gegen Un- cultur und Barbarei, die durch den Gegner repräſentirt wird. (Lebhafter Beifall links.) Nun kommt ein hochgelehrter Profeſſor der Prager Univerſität und ſagt: Es kann für uns und die anderen Völker kein größeres Unglück eintreten, als wenn der Dreibund ſiegen würde. Die Folge davon iſt, daß wir eigentlich die Niederlage wünſchen ſollten und all das unermeßliche Elend, das Keiner von uns zu ſehen wünſcht, weil wir Alle lieber den Tod ſehen würden als einen Sieg Rußlands über die weſtliche Cultur. (Leb- hafter Beifall und Händeklatſchen links.) Der Redner weiſt nun gegenüber den höh- nenden Worten Maſařyk’s auf die Verdienſte hin, welche ſich die Deutſchöſterreicher um die Literatur, Kunſt und Wiſſenſchaft des geſammten Deutſchthums erworben haben, und meint, es ſei doch ſelbſtverſtändlich, daß ſich die Deutſchen Oeſterreichs nicht des Glückes berauben laſſen wollen, an der geiſtigen Arbeit Deutſchlands theilzunehmen. Auf die Interpellation der Linken im Falle Boſak übergehend, erklärt der Redner, es ſei nicht blos im Intereſſe der Deutſchen, ſondern im In- tereſſe der geſammten Bevölkerung, beſonders der von Prag, gelegen geweſen, die Sache nicht ruhig hingehen zu laſſen. Redner weiſt darauf hin, daß die Geſchwornen in dieſem Falle ſelbſt die Zurechnungsfähigkeit des Angeklagten angenommen haben, ſonſt hätten ſie denſelben nicht wegen Uebertretung des Waffenpatentes verurtheilen können. Es ſei wohl klar, daß ein viel gerin- gerer Grad von Zurechnungsfähigkeit dazu ge- höre, einzuſehen, daß man nicht auf offenem Platze auf eine ganze Geſellſchaft ſchießen darf, als dazu, ein Delikt gegen das Waffenpatent zu beurtheilen. Man habe dieſen Proceß mit einem anderen verglichen, in welchem ein Deutſcher von tſchechiſchen Geſchwornen freigeſprochen wurde. Auch dort kam etwas vor, was zu denken geben muß. In einem Staate mit ſo viel Nationali- täten muß die Juſtiz über allem Hader der Na- tionalitäten ſtehen. In dieſem Proceſſe hat ein Hatte ich ihn doch oft vor den unſeligen Leiden- ſchaft warnen müſſen. „Und wieviel brauchſt Du?“ „Dreitauſend Mark!“ „Bis wann?“ „Bis heute um Mitternacht! Ich bin den ganzen Tag herumgelaufen, das Geld zuſammen zu bekommen — aber wer borgt einem armen Referendar 3000 Mark?“ Mir ſchwindelte der Kopf, wenn ich die Situation überdachte. Er mußte die Schuld einlöſen, er mußte — das fühlte ich, ſonſt war er ein Kind des Todes. Und ich ſelbſt? Konnte ich ihm helfen? Wo- her ſollte ein armer Schriftſteller, der ſich mit ſeiner Feder ſchlecht und recht ernährt, dreitau- ſend Mark nehmen? Dem borgt auch Niemand etwas! Ich ſann nach, ein Gedanke ſchoß mir durch den Kopf. „Biſt Du bei Eck geweſen?“ fragte ich. Er ſah mich ſtarr an. „Bei Eck?“ meinte er tonlos. „Was ſoll ich bei ihm? Er hat mir neulich nicht einmal 100 Mark geborgt, als ich zum Begräbniß mei- ner Mutter reiſen wollte —“ „Da lagen die Sachverhältniſſe immer noch etwas anders“, tröſtete ich, „wenn Du keine Mittel hatteſt, konnteſt Du eben nicht reiſen — hier aber ſteht noch mehr auf dem Spiel, als das Verſäumniß bei der Beerdigung einer Mutter!“ Harry lachte auf. „Er thut’s nicht! Er thut’s nicht! Es iſt gegen ſeine Grundſätze.“ „Ach was!“ ſagte ich ärgerlich. „Grundſätze! So toll wird Eck doch nicht ſein, daß er, der über 500.000 verfügt und dem die 3000 Mark eine Kleinigkeit ſind, in dieſem Falle ſeine Grundſätze ins Treffen führen wollte! Warte, ich komme mit!“ Raſch zog ich mich an, wortlos eilten wir die Treppe hinab. Draußen nahm ich eine ge- rade vorüberfahrende Droſchke und im ſcharfen Trabe ging es der Wohnung Ecks zu. Sie war erleuchtet. Gott ſei Dank, er war alſo zu Hauſe. In ſeinem Prunkzimmer empfing er uns: in ſeinem koſtbaren türkiſchen Schlafrock gehüllt, trat er uns entgegen, dichte Rauchwolken aus einer langen Pfeife vor ſich herblaſend. „Guten Abend, Kinder,“ meinte er und ſtreckte uns die beringte Hand entgegen. „Seid willkommen! Was trinkt Ihr? Sherry, Cobbler, Heidſik, Chateau-Yquem? Oder wollt Ihr lieber einen Punſch haben?“ „Nichts von alledem, mein lieber Eck,“ ſagte ich, „etwas ganz anderes wollen wir!“ „Gute Cigarren etwa?“ „Nein,“ fahre ich fort, „aber Geld!“ „Nanu!“ Er trat einen Schritt zurück. „Ja,“ ſagte ich wieder, „Geld! Und zwar ſofort! Dreitauſend Mark! Schließe alſo mal gefälligſt Deinen Arnheim auf und entnimm demſelben einige Staats-Coupons!“ Er lächelte. „Du biſt bei guter Laune,“ entgegnete er. „Du willſt Witze machen!“ Ich wurde ſehr ernſt. „Lieber Eck,“ fuhr ich wieder fort, „ich ſcherze bei Gott nicht! Harry hat leichtſinniger- weiſe geſpielt, er muß bis heute um Mitternacht dreitauſend Mark beſchaffen, ſonſt — — Du weißt, was ich ſagen will! Darum hilf!“ Harry ſelbſt hatte bisher kein Wort ge- ſprochen. Jetzt aber ſchrie er auf im Tone wildeſter Leidenſchaft: „Hilf!“ Mir zerriß dieſer Ton die Bruſt. Das war derſelbe herzdurchdringende Ton, mit welchem Marquis Poſa zur Königin ſagt: „O Königin, das Leben iſt doch ſchön!“ „Du weißt, lieber Harry,“ entgegnete Eck, „daß die Spielleidenſchaft eine höchſt verwerf- liche Leidenſchaft iſt. Kein Mann darf ihr fröhnen — —“ „Gott im Himmel,“ fuhr ich auf, „halte jetzt keine Moralpredigten! Das werden wir ſchon morgen beſorgen! Jetzt hilf und rette! Die Zeit iſt koſtbar!“ „Liebe Kinder, Ihr wißt, meine Grundſätze ſind in dieſer Beziehung felſenfeſt — —“ „Sprich jetzt nicht von Deinen Grundſätzen,“ rief ich, „zeige Dich jetzt als Menſch, deſſen oberſter und erſter Grundſatz allzeit ſein ſoll, dem Nächſten zu helfen — —“ „Ja, ja,“ entgegnete er. „Aber ich habe nun einmal das feſte Princip, kein Geld zu verleihen

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Zitationshilfe: Mährisches Tagblatt. Nr. 266, Olmütz, 21.11.1892, S. [2]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_maehrisches266_1892/2>, abgerufen am 23.11.2024.