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Marburger Zeitung. Nr. 121, Marburg, 10.10.1911.

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Marburger Zeitung Nr. 121. 10. Oktober 1911

[Spaltenumbruch]
Politische Umschau.
Zum Grazer Mandatskampf.

Der Vollzugsausschuß des Grazer deutsch-
freiheitlichen Wahlausschusses stimmte dem von
anderer Seite angeregten Wunsche des Doktor
Weidenhoffer zu, seinen Rücktritt von der
Kandidatur zugunsten des Justizministers Doktor
v. Hochenburger zu genehmigen. -- Die
Revolverschüsse im Parlamente haben also Herrn
Dr. Weidenhoffer das Mandat aus der Hand ge-
schossen und der Justizminister erhält das frei-
gewordene Grazer Reichsratsmandat. Der Rücktritt
des Dr. Gargitter von seiner aussichtslosen Sonder-
kandidatur ist unter diesen Umständen ebenfalls zu
erwarten. Das sind gewiß seltsame Folgen von
Revolverschüssen!

Die Lehrerschaft Steiermarks und der
Deutsche Nationalverband.

Die Leitung des Verbandes der deutschen
Lehrer und Lehrerinnen in Steiermark hat an den
Deutschen Notionalverband folgende Drahtung ge-
richtet: "Die Lehrerschaft Steiermarks sieht sich
durch die Nichtarbeitsfähigkeit des Landtages auf
unbestimmte Zeit in ihrer letzten Hoffnung getäuscht
und angesichts der furchtbaren Teuerung geradezu
der Vernichtung preisgegeben. Ein solcher Zustand
ist umso unerträglicher, als im Gegensatze zu anderen
Ständen gerade die seit jeher zu geringen Bezüge
der Lehrerschaft von jeder nennenswerten Erhöhung
ausgeschlossen blieben. Außerstande, diesen un-
würdigen Znstand noch länger zu ertragen, erwartet
die Lehrerschaft Steiermarks vom verehrlichen Deutschen
Nationalverbande, daß er ungesäumt veranlasse,
durch die eheste Verwirklichung des Antrages Pacher
in Gesetzesform eine sichere Bürgschaft dafür zu
schaffen, daß die den Ländern zu überweisenden
Staatszulagen sofort nach Sanktion des Gesetzes
ausschließlich zur Ausbezahlung an die Lehrer ver-
wendet werden. Gleichzeitig erwartet die Lehrerschaft,
daß der Deutsche Nationalverband gegen jede die
Regelung der Lehrergehalte betreffende einschränkende
Beeinflussung der Landesverwaltungen durch das
Unterrichtsministerium, wie sie jüngst in Böhmen
erfolgte, energisch Stellung nehme."

Das Ende einer Partei.

Aus Wien wird berichtet: Die "Allgemeine
Korrespondenz" gibt eine Äußerung Dr. Pattais
wieder, der wörtlich gesagt haben soll: Die christ-
lichsoziale Partei
ist nur noch ein Kadaver.
Es hilft ihr nichts mehr, sie wird sich niemals
erholen und bei den nächsten Wahlen kehrt sie nur
noch als eine kleine Partei weniger bäuerlicher Ab-
geordneter ins Abgeordnetenhaus zurück. Die Zeit
der christlichsozialen Ära ist für immer vorbei.

Reichsratswahl in Wien.

Bei der Reichsratswahl in Ottakring, die durch
die Doppelwahl Schuhmeiers notwendig wurde,
ward der Sozialdemokrat Sever mit 9883 Stimmen
[Spaltenumbruch] gewählt; der Christlichsoziale erhielt 2132 Stimmen.
Am 13. Juni hatte der sozialdemokratische Wahl-
werber 9567, der christlichsoziale 2999 Stimmen er-
halten.

Die Fleischnot.

Die ungarische Regierung hat die Einfuhr
von 15.000 geschlachteten Schweinen aus Serbien
über das lange schon erschöpfte Kontingent endlich
in Gnaden erlaubt. Nun aber -- verbot die ser-
bische Regierung die Ausfuhr. Serbischen Blättern
zufolge ist das Verbot darauf zurückzuführen, daß
die serbische Regierung nicht einmal einer Antwort
gewürdigt wurde, als sie nach Erschöpfung des
Kontingentes ersuchte, Vieh nach dem autonomen
Zolltarif einführen zu dürfen!

Die portugiesische Königsrevolution.

Nach den heute vorliegenden Nachrichten ist die
monarchische Verschwörung gegen die portugiesische
Republik vollkommen gescheitert. Die königlichen
Truppen wurden von den republikanischen geschlagen
und flüchteten sich auf spanisches Gebiet. Wie be-
richtet wird, ist eine neue Erhebung ausgeschlossen,
weil nicht mehr soviel Mittel aufgebracht werden
können.




Eigenberichte.
Die Schule in Hraftnig.
Eine Entscheidung des Verwaltungs-
gerichtshofes. -- Ehrung des steirischen
Schulvereinsreferenten.


Kürzlich hat der Deutsche Schulverein in
Hrastnig ein Gebäude gekauft, um für die Lehrer-
wohnungen und den Kindergarten, die im Schul-
gebäude infolge des starken Anwachsens der Schul-
kinderanzahl (gegenwärtig rund 230) keinen Platz
mehr hatten, neuen Raum zu schaffen. Zu diesem
Zwecke wird das vom Deutschen Schulvereine an-
gekaufte Gebäude adaptiert werden und wird dann
zwei Säle für den Kindergarten, die Wohnung des
Oberlehrers und der Kindergärtnerin und den Kinder-
garten enthalten. Samstag den 7. Oktober kam der
steirische Referent des Deutschen Schulvereines, Herr
Dr. Baum, nach Hrastnig, um die neuerworbene
Realität und die deutsche Schule zu besichtigen.
Diese Gelegenheit wurde vom deutschen Ortsschulrate
benützt, Herrn Dr. Baum die Ehrenurkunde
über die in der letzten Vollversammlung des deutschen
Ortsschulvereines für Hrastnig und Umgebung er-
folgte Ernennung zum Ehrenbürger zu über-
reichen. Zu diesem Zwecke versammelte sich der
Vereinsausschuß und die Mitglieder des Lehrkörpers
in der Werksrestauration, wo eine erhebende Feier
stattfand. Der Obmann des Ortsschulrates für
Hrastnig und Umgebung, Herr Fabriksdirektor
Wiltschnigg, hielt an Herrn Dr. Baum eine
Ansprache, in welcher er die Verdienste des Ge-
feierten um das deutsche Schulwesen im steirischen
Unterlande im allgemeinen und hinsichtlich der deutschen
Schule in Hrastnig im besonderen rühmend hervor-
[Spaltenumbruch] hob; zum Schlusse überreichte der Redner Herrn
Dr. Baum die Ehrenmitgliedsurkunde. Dr. Baum
dankte mit herzlichen Worten für die ihm berei tete
Auszeichnung und besprach sodann die nationalen
Verhältnisse im Unterlande und die Schwierigkeiten,
die besonders in Hrastnig dem deutschen Schulwesen
bereitet wurden. Dr. Baum pries sodann jene
Männer, die ohne Hilfe von auswärts, nur im
Vertrauen auf ihre eigenen Kräfte, im Jahre 1907
darangingen, mutvoll an den Bau einer deutschen
Schule in Hrastnig zu schreiten. Dieses Vorhaben
hätte aber nie erfüllt werden können, wenn nicht
der Deutsche Schulverein mit einer ausgiebigen
Bausubvention den deutschen Schulbau gefördert
und durch seine tatkräftige M[i]thilfe den Bau der
Schule gesichert hätte. Außerdem trägt der Deutsche
Schulverein die Kosten der Erhaltung der vier-
klassigen Schule als deutsche Schulvereinsschule.
Die schon lange Zeit währende Aktion zur Über-
tragung der Schule in die öffentliche Verwaltung
ist, wie der Redner mitteilte, mit dem an diesem
Tage erflossenen Urteile des k. k. Verwaltungs-
gerichtshofes günstig abgeschlossen worden; der Ver-
waltungsgerichtshof hat den Rekurs der slowenischen
Gemeindevertretung, welcher sich gegen die deutsche
Schule kehrte, endgiltig abgewiesen. Hrastnig
hat nun eine öffentliche deutsche Schule!

(Stürmischer Beifall.) Diese günstige Lösung der
Hrastniger Schulfrage hat neuerdings die dringende
Notwendigkeit der deutschen Schule in Hrastnig
bewiesen. Dr. Baum schloß seine Ausführungen
unter lebhaftem Beifall. Geraume Zeit noch ver-
weilten die Versammelten beieinander, von der Freude
darüber erfüllt, daß die Hrastniger deutsche Schul-
frage nun für immer gelöst ist!


(Windische Taktik.)

In der Vorwoche brannte
hier ein Strohschober, der ganz offenbar angezündet
worden war, nieder. Dies ist heuer der dritte Brand
in unserem Markte. Der Strohschober ist beiläufig
50 Meter vom Wirtschaftsgebäude des Herrn Bürger-
meister Gollob, aber gedeckt durch das Wirtschafts-
gebäude des Herrn Johann Ferk, gestanden. Diesen
Umstand benützte ein Berichterstatter und sandte an
das Grazer Tagblatt einen Artikel, in dem er ganz
unzweideutig zu erkennen gab, daß es sich hier nur
um einen windischen Brandleger handelt, da der
Strohschober nur zu dem Zwecke angezündet worden
wäre, damit auch die Gebäude des Bürgermeisters
mit ein Raub der Flammen werden sollen. Natürlich
kom auf diesen Zeitungsbericht in alle slowenischen
Zeitungen ein Artikel nach dem anderen. Daß es
hiebei an den gemeinsten Beschimpfungen nicht fehlte,
ist ganz selbstverständlich. Nun aber kommt das
Schönste. Es stellte sich nämlich heraus, daß den
Artikel in das Grazer Tagblatt ein fanatischer
Wende einsandte. Aus welchem Grunde? Wahr-
scheinlich wird dieser windische Herr seine Leute
besser kennen als wir und bei dieser Kenntnis kann
er sich dann so etwas schon erlauben. Oder aber
fehlte den Windischen schon der nötige Grund, um
gegen die Deutschen ihre bekannten Verleumdungen




[Spaltenumbruch]

Straßen bewohnte und Frau Stennhold eröffnete,
daß er den Herrn Justizrat notwendig sprechen
müßte, da lachte die gute Alte ihm ins Gesicht
und sagte: "Ja mein liebes Herrchen, das sagt
jeder, der ein Verbrechen oder sonst was auf dem
Herzen hat. Mein alter Herr praktiziert seit zehn
Jahren nicht mehr, namentlich nicht für Reiche.
Geben Sie sich keine Mühe, er schmeißt Sie eben-
sogut wie jeden anderen vor die Tür!"

"Das wird er nicht tun, denn ich bin ein
naher Verwandter von ihm und habe etwas drin-
gendes mit ihm zu besprechen."

"Ah, wohl der Herr Neffe, der Herr Garde-
leutnant in Zivil, der vor etwa sieben Jahren
schon einmal so unliebenswürdig aufgenommen
wurde. -- Ja, das tut mir aufrichtig leid, mein
Herr. Vielleicht versuchen Sie, den Herrn Justizrat
draußen zu sprechen. Er kommt jetzt von der Wart-
burg zurück. Wenn Sie ihm entgegengingen --"

"Danke, danke", sprach Siegfried und empfahl
sich, um diesen ihm sehr einleuchtenden Rat gleich
zu befolgen.

Der sonst so belebte Weg nach der alten
Wartburg war heute bei der sengenden Hitze wie
ausgestorben. Es war so still und feierlich unter
den alten Buchen und die grauen, moosbedeckten
Felsen, ehrwürdige Zeugen einer bewegten Ver-
gangenheit, schauten Siegfried so traurig an, als
wollten sie sagen: "Armes Menschenkind, hoffe
nichts von einem Herzen, das härter als wir!
-- Da saß ein alter Mann neben einem Kühle
[Spaltenumbruch] spendenden, geheimnisvoll murmelnden Rinnsal,
das sich durch hartes Gestein seinen Weg gebahnt
und seit Jahrhunderten in immer gleichem Lauf
sein silberglitzerndes Wasser in die Tief schleuderte.
-- Der Greis saß mit tiefgesenktem Haupt auf
einem der moosigen Steine und dachte an ver-
gangene Tage.

Wie schien ihm sein liebeleeres Leben heute so
öde, so traurig. Da war niemand auf der Welt,
der ihm liebkosend und zärtlich als einen geliebten
Vater, Großvater, Onkel usw. begegnete. Wohl
segneten ihn viele und dankten ihm ihre Rettung
aus Schmach und Schande, aber was war trotzdem
sein Alter? -- Verdrießlichkeit über Verdrießlichkeit
vergällte ihm seines arbeitsreichen Lebens Feier-
abend. -- Er tat einen tiefen Seufzer und richtete
sein müdes Haupt langsam empor, mit der zitterigen
Greisenhand das schneeweiße Haar aus der Stirn
streichend.

Erst in diesem Augenblicke erkannte Siegfried,
der erwartungsvoll des Weges weiter gewandert
war, seinen Oheim. -- Was hatten doch die sieben
Jahre aus ihm gemacht! Grüßend trat er jetzt
dicht an ihn heran und sagte in seiner ruhigen
Weise: "Onkel Karl, Du kennst mich gewiß nicht
wieder. Ich bin Siegfried von Rouland."

Der Greis setzte die goldene Brille, die er
neben sich gelegt, auf die große, scharf gebogene
Nase und sah den Sprecher wie träumend an. --
"Du, Siegfried?" sprach er nach einigen Minuten
peinlichen Schweigens. -- "Ah so, nun, ich kann
[Spaltenumbruch] es mir denken, habe das gelesen, Dem Vater, der
--, na, schon gut, Dein Vater machte Bankerott,
Du läufst in Zivil herum. Die Not ist groß!
-- Da besucht man den alten Erbonkel. -- Ja,
täuscht Euch nur nicht, Ihr Großmäuler! -- der
alte Erbonkel hat sein Testament lange gemacht!"

"Onkel, Du verkennst mich", fuhr Siegfried
mit der ihm eigenen Würde fort: "Ich sehe in
Dir keinen Mann, dessen Erbschaft ich erhoffe,
[son]dern nur den Bruder meiner geliebten Mutter,
den einzigen Menschen auf Erden, an den ich mich
in meinem Unglück noch wenden kann."

"Ha, ich denke, Du bist glücklicher, junger
Ehemann. -- Meine Gratulation übrigens noch
nachträglich. -- Der reiche Graf Rabenau ist also
durch Dich noch mit mir verwandt geworden."

Auf diese von sarkastischem Lächeln begleiteten
Worte erwiderte Siegfried: "Meine Frau weilt in
der Irrenanstalt. Glücklicher Gatte bin ich nie ge-
wesen. -- Dank für Deine Gratulation."

Der Justizrat hatte sich erhoben und schaute
den Offizier mit gewaltsamen, aber keineswegs mit-
leidigen Blicken an.

"Ja, das kommt von der Eitelkeit. Ein Grafen-
kind! Nur ja immer hoch hinaus. Und dann ist
das Elend groß. Doch was war der Grund deines
Besuches, wohl wieder bloße Pietät wie damals
vor etwa sieben Jahren?

"Nein, keineswegs, ich sagte schon, die Not
hätte mich zu Dir getrieben.

(Forts. folgt.)


Marburger Zeitung Nr. 121. 10. Oktober 1911

[Spaltenumbruch]
Politiſche Umſchau.
Zum Grazer Mandatskampf.

Der Vollzugsausſchuß des Grazer deutſch-
freiheitlichen Wahlausſchuſſes ſtimmte dem von
anderer Seite angeregten Wunſche des Doktor
Weidenhoffer zu, ſeinen Rücktritt von der
Kandidatur zugunſten des Juſtizminiſters Doktor
v. Hochenburger zu genehmigen. — Die
Revolverſchüſſe im Parlamente haben alſo Herrn
Dr. Weidenhoffer das Mandat aus der Hand ge-
ſchoſſen und der Juſtizminiſter erhält das frei-
gewordene Grazer Reichsratsmandat. Der Rücktritt
des Dr. Gargitter von ſeiner ausſichtsloſen Sonder-
kandidatur iſt unter dieſen Umſtänden ebenfalls zu
erwarten. Das ſind gewiß ſeltſame Folgen von
Revolverſchüſſen!

Die Lehrerſchaft Steiermarks und der
Deutſche Nationalverband.

Die Leitung des Verbandes der deutſchen
Lehrer und Lehrerinnen in Steiermark hat an den
Deutſchen Notionalverband folgende Drahtung ge-
richtet: „Die Lehrerſchaft Steiermarks ſieht ſich
durch die Nichtarbeitsfähigkeit des Landtages auf
unbeſtimmte Zeit in ihrer letzten Hoffnung getäuſcht
und angeſichts der furchtbaren Teuerung geradezu
der Vernichtung preisgegeben. Ein ſolcher Zuſtand
iſt umſo unerträglicher, als im Gegenſatze zu anderen
Ständen gerade die ſeit jeher zu geringen Bezüge
der Lehrerſchaft von jeder nennenswerten Erhöhung
ausgeſchloſſen blieben. Außerſtande, dieſen un-
würdigen Znſtand noch länger zu ertragen, erwartet
die Lehrerſchaft Steiermarks vom verehrlichen Deutſchen
Nationalverbande, daß er ungeſäumt veranlaſſe,
durch die eheſte Verwirklichung des Antrages Pacher
in Geſetzesform eine ſichere Bürgſchaft dafür zu
ſchaffen, daß die den Ländern zu überweiſenden
Staatszulagen ſofort nach Sanktion des Geſetzes
ausſchließlich zur Ausbezahlung an die Lehrer ver-
wendet werden. Gleichzeitig erwartet die Lehrerſchaft,
daß der Deutſche Nationalverband gegen jede die
Regelung der Lehrergehalte betreffende einſchränkende
Beeinfluſſung der Landesverwaltungen durch das
Unterrichtsminiſterium, wie ſie jüngſt in Böhmen
erfolgte, energiſch Stellung nehme.“

Das Ende einer Partei.

Aus Wien wird berichtet: Die „Allgemeine
Korreſpondenz“ gibt eine Äußerung Dr. Pattais
wieder, der wörtlich geſagt haben ſoll: Die chriſt-
lichſoziale Partei
iſt nur noch ein Kadaver.
Es hilft ihr nichts mehr, ſie wird ſich niemals
erholen und bei den nächſten Wahlen kehrt ſie nur
noch als eine kleine Partei weniger bäuerlicher Ab-
geordneter ins Abgeordnetenhaus zurück. Die Zeit
der chriſtlichſozialen Ära iſt für immer vorbei.

Reichsratswahl in Wien.

Bei der Reichsratswahl in Ottakring, die durch
die Doppelwahl Schuhmeiers notwendig wurde,
ward der Sozialdemokrat Sever mit 9883 Stimmen
[Spaltenumbruch] gewählt; der Chriſtlichſoziale erhielt 2132 Stimmen.
Am 13. Juni hatte der ſozialdemokratiſche Wahl-
werber 9567, der chriſtlichſoziale 2999 Stimmen er-
halten.

Die Fleiſchnot.

Die ungariſche Regierung hat die Einfuhr
von 15.000 geſchlachteten Schweinen aus Serbien
über das lange ſchon erſchöpfte Kontingent endlich
in Gnaden erlaubt. Nun aber — verbot die ſer-
biſche Regierung die Ausfuhr. Serbiſchen Blättern
zufolge iſt das Verbot darauf zurückzuführen, daß
die ſerbiſche Regierung nicht einmal einer Antwort
gewürdigt wurde, als ſie nach Erſchöpfung des
Kontingentes erſuchte, Vieh nach dem autonomen
Zolltarif einführen zu dürfen!

Die portugieſiſche Königsrevolution.

Nach den heute vorliegenden Nachrichten iſt die
monarchiſche Verſchwörung gegen die portugieſiſche
Republik vollkommen geſcheitert. Die königlichen
Truppen wurden von den republikaniſchen geſchlagen
und flüchteten ſich auf ſpaniſches Gebiet. Wie be-
richtet wird, iſt eine neue Erhebung ausgeſchloſſen,
weil nicht mehr ſoviel Mittel aufgebracht werden
können.




Eigenberichte.
Die Schule in Hraftnig.
Eine Entſcheidung des Verwaltungs-
gerichtshofes. — Ehrung des ſteiriſchen
Schulvereinsreferenten.


Kürzlich hat der Deutſche Schulverein in
Hraſtnig ein Gebäude gekauft, um für die Lehrer-
wohnungen und den Kindergarten, die im Schul-
gebäude infolge des ſtarken Anwachſens der Schul-
kinderanzahl (gegenwärtig rund 230) keinen Platz
mehr hatten, neuen Raum zu ſchaffen. Zu dieſem
Zwecke wird das vom Deutſchen Schulvereine an-
gekaufte Gebäude adaptiert werden und wird dann
zwei Säle für den Kindergarten, die Wohnung des
Oberlehrers und der Kindergärtnerin und den Kinder-
garten enthalten. Samstag den 7. Oktober kam der
ſteiriſche Referent des Deutſchen Schulvereines, Herr
Dr. Baum, nach Hraſtnig, um die neuerworbene
Realität und die deutſche Schule zu beſichtigen.
Dieſe Gelegenheit wurde vom deutſchen Ortsſchulrate
benützt, Herrn Dr. Baum die Ehrenurkunde
über die in der letzten Vollverſammlung des deutſchen
Ortsſchulvereines für Hraſtnig und Umgebung er-
folgte Ernennung zum Ehrenbürger zu über-
reichen. Zu dieſem Zwecke verſammelte ſich der
Vereinsausſchuß und die Mitglieder des Lehrkörpers
in der Werksreſtauration, wo eine erhebende Feier
ſtattfand. Der Obmann des Ortsſchulrates für
Hraſtnig und Umgebung, Herr Fabriksdirektor
Wiltſchnigg, hielt an Herrn Dr. Baum eine
Anſprache, in welcher er die Verdienſte des Ge-
feierten um das deutſche Schulweſen im ſteiriſchen
Unterlande im allgemeinen und hinſichtlich der deutſchen
Schule in Hraſtnig im beſonderen rühmend hervor-
[Spaltenumbruch] hob; zum Schluſſe überreichte der Redner Herrn
Dr. Baum die Ehrenmitgliedsurkunde. Dr. Baum
dankte mit herzlichen Worten für die ihm berei tete
Auszeichnung und beſprach ſodann die nationalen
Verhältniſſe im Unterlande und die Schwierigkeiten,
die beſonders in Hraſtnig dem deutſchen Schulweſen
bereitet wurden. Dr. Baum pries ſodann jene
Männer, die ohne Hilfe von auswärts, nur im
Vertrauen auf ihre eigenen Kräfte, im Jahre 1907
darangingen, mutvoll an den Bau einer deutſchen
Schule in Hraſtnig zu ſchreiten. Dieſes Vorhaben
hätte aber nie erfüllt werden können, wenn nicht
der Deutſche Schulverein mit einer ausgiebigen
Bauſubvention den deutſchen Schulbau gefördert
und durch ſeine tatkräftige M[i]thilfe den Bau der
Schule geſichert hätte. Außerdem trägt der Deutſche
Schulverein die Koſten der Erhaltung der vier-
klaſſigen Schule als deutſche Schulvereinsſchule.
Die ſchon lange Zeit währende Aktion zur Über-
tragung der Schule in die öffentliche Verwaltung
iſt, wie der Redner mitteilte, mit dem an dieſem
Tage erfloſſenen Urteile des k. k. Verwaltungs-
gerichtshofes günſtig abgeſchloſſen worden; der Ver-
waltungsgerichtshof hat den Rekurs der ſloweniſchen
Gemeindevertretung, welcher ſich gegen die deutſche
Schule kehrte, endgiltig abgewieſen. Hraſtnig
hat nun eine öffentliche deutſche Schule!

(Stürmiſcher Beifall.) Dieſe günſtige Löſung der
Hraſtniger Schulfrage hat neuerdings die dringende
Notwendigkeit der deutſchen Schule in Hraſtnig
bewieſen. Dr. Baum ſchloß ſeine Ausführungen
unter lebhaftem Beifall. Geraume Zeit noch ver-
weilten die Verſammelten beieinander, von der Freude
darüber erfüllt, daß die Hraſtniger deutſche Schul-
frage nun für immer gelöſt iſt!


(Windiſche Taktik.)

In der Vorwoche brannte
hier ein Strohſchober, der ganz offenbar angezündet
worden war, nieder. Dies iſt heuer der dritte Brand
in unſerem Markte. Der Strohſchober iſt beiläufig
50 Meter vom Wirtſchaftsgebäude des Herrn Bürger-
meiſter Gollob, aber gedeckt durch das Wirtſchafts-
gebäude des Herrn Johann Ferk, geſtanden. Dieſen
Umſtand benützte ein Berichterſtatter und ſandte an
das Grazer Tagblatt einen Artikel, in dem er ganz
unzweideutig zu erkennen gab, daß es ſich hier nur
um einen windiſchen Brandleger handelt, da der
Strohſchober nur zu dem Zwecke angezündet worden
wäre, damit auch die Gebäude des Bürgermeiſters
mit ein Raub der Flammen werden ſollen. Natürlich
kom auf dieſen Zeitungsbericht in alle ſloweniſchen
Zeitungen ein Artikel nach dem anderen. Daß es
hiebei an den gemeinſten Beſchimpfungen nicht fehlte,
iſt ganz ſelbſtverſtändlich. Nun aber kommt das
Schönſte. Es ſtellte ſich nämlich heraus, daß den
Artikel in das Grazer Tagblatt ein fanatiſcher
Wende einſandte. Aus welchem Grunde? Wahr-
ſcheinlich wird dieſer windiſche Herr ſeine Leute
beſſer kennen als wir und bei dieſer Kenntnis kann
er ſich dann ſo etwas ſchon erlauben. Oder aber
fehlte den Windiſchen ſchon der nötige Grund, um
gegen die Deutſchen ihre bekannten Verleumdungen




[Spaltenumbruch]

Straßen bewohnte und Frau Stennhold eröffnete,
daß er den Herrn Juſtizrat notwendig ſprechen
müßte, da lachte die gute Alte ihm ins Geſicht
und ſagte: „Ja mein liebes Herrchen, das ſagt
jeder, der ein Verbrechen oder ſonſt was auf dem
Herzen hat. Mein alter Herr praktiziert ſeit zehn
Jahren nicht mehr, namentlich nicht für Reiche.
Geben Sie ſich keine Mühe, er ſchmeißt Sie eben-
ſogut wie jeden anderen vor die Tür!“

„Das wird er nicht tun, denn ich bin ein
naher Verwandter von ihm und habe etwas drin-
gendes mit ihm zu beſprechen.“

„Ah, wohl der Herr Neffe, der Herr Garde-
leutnant in Zivil, der vor etwa ſieben Jahren
ſchon einmal ſo unliebenswürdig aufgenommen
wurde. — Ja, das tut mir aufrichtig leid, mein
Herr. Vielleicht verſuchen Sie, den Herrn Juſtizrat
draußen zu ſprechen. Er kommt jetzt von der Wart-
burg zurück. Wenn Sie ihm entgegengingen —“

„Danke, danke“, ſprach Siegfried und empfahl
ſich, um dieſen ihm ſehr einleuchtenden Rat gleich
zu befolgen.

Der ſonſt ſo belebte Weg nach der alten
Wartburg war heute bei der ſengenden Hitze wie
ausgeſtorben. Es war ſo ſtill und feierlich unter
den alten Buchen und die grauen, moosbedeckten
Felſen, ehrwürdige Zeugen einer bewegten Ver-
gangenheit, ſchauten Siegfried ſo traurig an, als
wollten ſie ſagen: „Armes Menſchenkind, hoffe
nichts von einem Herzen, das härter als wir!
— Da ſaß ein alter Mann neben einem Kühle
[Spaltenumbruch] ſpendenden, geheimnisvoll murmelnden Rinnſal,
das ſich durch hartes Geſtein ſeinen Weg gebahnt
und ſeit Jahrhunderten in immer gleichem Lauf
ſein ſilberglitzerndes Waſſer in die Tief ſchleuderte.
— Der Greis ſaß mit tiefgeſenktem Haupt auf
einem der mooſigen Steine und dachte an ver-
gangene Tage.

Wie ſchien ihm ſein liebeleeres Leben heute ſo
öde, ſo traurig. Da war niemand auf der Welt,
der ihm liebkoſend und zärtlich als einen geliebten
Vater, Großvater, Onkel uſw. begegnete. Wohl
ſegneten ihn viele und dankten ihm ihre Rettung
aus Schmach und Schande, aber was war trotzdem
ſein Alter? — Verdrießlichkeit über Verdrießlichkeit
vergällte ihm ſeines arbeitsreichen Lebens Feier-
abend. — Er tat einen tiefen Seufzer und richtete
ſein müdes Haupt langſam empor, mit der zitterigen
Greiſenhand das ſchneeweiße Haar aus der Stirn
ſtreichend.

Erſt in dieſem Augenblicke erkannte Siegfried,
der erwartungsvoll des Weges weiter gewandert
war, ſeinen Oheim. — Was hatten doch die ſieben
Jahre aus ihm gemacht! Grüßend trat er jetzt
dicht an ihn heran und ſagte in ſeiner ruhigen
Weiſe: „Onkel Karl, Du kennſt mich gewiß nicht
wieder. Ich bin Siegfried von Rouland.“

Der Greis ſetzte die goldene Brille, die er
neben ſich gelegt, auf die große, ſcharf gebogene
Naſe und ſah den Sprecher wie träumend an. —
„Du, Siegfried?“ ſprach er nach einigen Minuten
peinlichen Schweigens. — „Ah ſo, nun, ich kann
[Spaltenumbruch] es mir denken, habe das geleſen, Dem Vater, der
—, na, ſchon gut, Dein Vater machte Bankerott,
Du läufſt in Zivil herum. Die Not iſt groß!
— Da beſucht man den alten Erbonkel. — Ja,
täuſcht Euch nur nicht, Ihr Großmäuler! — der
alte Erbonkel hat ſein Teſtament lange gemacht!“

„Onkel, Du verkennſt mich“, fuhr Siegfried
mit der ihm eigenen Würde fort: „Ich ſehe in
Dir keinen Mann, deſſen Erbſchaft ich erhoffe,
[ſon]dern nur den Bruder meiner geliebten Mutter,
den einzigen Menſchen auf Erden, an den ich mich
in meinem Unglück noch wenden kann.“

„Ha, ich denke, Du biſt glücklicher, junger
Ehemann. — Meine Gratulation übrigens noch
nachträglich. — Der reiche Graf Rabenau iſt alſo
durch Dich noch mit mir verwandt geworden.“

Auf dieſe von ſarkaſtiſchem Lächeln begleiteten
Worte erwiderte Siegfried: „Meine Frau weilt in
der Irrenanſtalt. Glücklicher Gatte bin ich nie ge-
weſen. — Dank für Deine Gratulation.“

Der Juſtizrat hatte ſich erhoben und ſchaute
den Offizier mit gewaltſamen, aber keineswegs mit-
leidigen Blicken an.

„Ja, das kommt von der Eitelkeit. Ein Grafen-
kind! Nur ja immer hoch hinaus. Und dann iſt
das Elend groß. Doch was war der Grund deines
Beſuches, wohl wieder bloße Pietät wie damals
vor etwa ſieben Jahren?

„Nein, keineswegs, ich ſagte ſchon, die Not
hätte mich zu Dir getrieben.

(Fortſ. folgt.)


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[2/0002] Marburger Zeitung Nr. 121. 10. Oktober 1911 Politiſche Umſchau. Zum Grazer Mandatskampf. Der Vollzugsausſchuß des Grazer deutſch- freiheitlichen Wahlausſchuſſes ſtimmte dem von anderer Seite angeregten Wunſche des Doktor Weidenhoffer zu, ſeinen Rücktritt von der Kandidatur zugunſten des Juſtizminiſters Doktor v. Hochenburger zu genehmigen. — Die Revolverſchüſſe im Parlamente haben alſo Herrn Dr. Weidenhoffer das Mandat aus der Hand ge- ſchoſſen und der Juſtizminiſter erhält das frei- gewordene Grazer Reichsratsmandat. Der Rücktritt des Dr. Gargitter von ſeiner ausſichtsloſen Sonder- kandidatur iſt unter dieſen Umſtänden ebenfalls zu erwarten. Das ſind gewiß ſeltſame Folgen von Revolverſchüſſen! Die Lehrerſchaft Steiermarks und der Deutſche Nationalverband. Die Leitung des Verbandes der deutſchen Lehrer und Lehrerinnen in Steiermark hat an den Deutſchen Notionalverband folgende Drahtung ge- richtet: „Die Lehrerſchaft Steiermarks ſieht ſich durch die Nichtarbeitsfähigkeit des Landtages auf unbeſtimmte Zeit in ihrer letzten Hoffnung getäuſcht und angeſichts der furchtbaren Teuerung geradezu der Vernichtung preisgegeben. Ein ſolcher Zuſtand iſt umſo unerträglicher, als im Gegenſatze zu anderen Ständen gerade die ſeit jeher zu geringen Bezüge der Lehrerſchaft von jeder nennenswerten Erhöhung ausgeſchloſſen blieben. Außerſtande, dieſen un- würdigen Znſtand noch länger zu ertragen, erwartet die Lehrerſchaft Steiermarks vom verehrlichen Deutſchen Nationalverbande, daß er ungeſäumt veranlaſſe, durch die eheſte Verwirklichung des Antrages Pacher in Geſetzesform eine ſichere Bürgſchaft dafür zu ſchaffen, daß die den Ländern zu überweiſenden Staatszulagen ſofort nach Sanktion des Geſetzes ausſchließlich zur Ausbezahlung an die Lehrer ver- wendet werden. Gleichzeitig erwartet die Lehrerſchaft, daß der Deutſche Nationalverband gegen jede die Regelung der Lehrergehalte betreffende einſchränkende Beeinfluſſung der Landesverwaltungen durch das Unterrichtsminiſterium, wie ſie jüngſt in Böhmen erfolgte, energiſch Stellung nehme.“ Das Ende einer Partei. Aus Wien wird berichtet: Die „Allgemeine Korreſpondenz“ gibt eine Äußerung Dr. Pattais wieder, der wörtlich geſagt haben ſoll: Die chriſt- lichſoziale Partei iſt nur noch ein Kadaver. Es hilft ihr nichts mehr, ſie wird ſich niemals erholen und bei den nächſten Wahlen kehrt ſie nur noch als eine kleine Partei weniger bäuerlicher Ab- geordneter ins Abgeordnetenhaus zurück. Die Zeit der chriſtlichſozialen Ära iſt für immer vorbei. Reichsratswahl in Wien. Bei der Reichsratswahl in Ottakring, die durch die Doppelwahl Schuhmeiers notwendig wurde, ward der Sozialdemokrat Sever mit 9883 Stimmen gewählt; der Chriſtlichſoziale erhielt 2132 Stimmen. Am 13. Juni hatte der ſozialdemokratiſche Wahl- werber 9567, der chriſtlichſoziale 2999 Stimmen er- halten. Die Fleiſchnot. Die ungariſche Regierung hat die Einfuhr von 15.000 geſchlachteten Schweinen aus Serbien über das lange ſchon erſchöpfte Kontingent endlich in Gnaden erlaubt. Nun aber — verbot die ſer- biſche Regierung die Ausfuhr. Serbiſchen Blättern zufolge iſt das Verbot darauf zurückzuführen, daß die ſerbiſche Regierung nicht einmal einer Antwort gewürdigt wurde, als ſie nach Erſchöpfung des Kontingentes erſuchte, Vieh nach dem autonomen Zolltarif einführen zu dürfen! Die portugieſiſche Königsrevolution. Nach den heute vorliegenden Nachrichten iſt die monarchiſche Verſchwörung gegen die portugieſiſche Republik vollkommen geſcheitert. Die königlichen Truppen wurden von den republikaniſchen geſchlagen und flüchteten ſich auf ſpaniſches Gebiet. Wie be- richtet wird, iſt eine neue Erhebung ausgeſchloſſen, weil nicht mehr ſoviel Mittel aufgebracht werden können. Eigenberichte. Die Schule in Hraftnig. Eine Entſcheidung des Verwaltungs- gerichtshofes. — Ehrung des ſteiriſchen Schulvereinsreferenten. Hraſtnig, 8. Oktober. Kürzlich hat der Deutſche Schulverein in Hraſtnig ein Gebäude gekauft, um für die Lehrer- wohnungen und den Kindergarten, die im Schul- gebäude infolge des ſtarken Anwachſens der Schul- kinderanzahl (gegenwärtig rund 230) keinen Platz mehr hatten, neuen Raum zu ſchaffen. Zu dieſem Zwecke wird das vom Deutſchen Schulvereine an- gekaufte Gebäude adaptiert werden und wird dann zwei Säle für den Kindergarten, die Wohnung des Oberlehrers und der Kindergärtnerin und den Kinder- garten enthalten. Samstag den 7. Oktober kam der ſteiriſche Referent des Deutſchen Schulvereines, Herr Dr. Baum, nach Hraſtnig, um die neuerworbene Realität und die deutſche Schule zu beſichtigen. Dieſe Gelegenheit wurde vom deutſchen Ortsſchulrate benützt, Herrn Dr. Baum die Ehrenurkunde über die in der letzten Vollverſammlung des deutſchen Ortsſchulvereines für Hraſtnig und Umgebung er- folgte Ernennung zum Ehrenbürger zu über- reichen. Zu dieſem Zwecke verſammelte ſich der Vereinsausſchuß und die Mitglieder des Lehrkörpers in der Werksreſtauration, wo eine erhebende Feier ſtattfand. Der Obmann des Ortsſchulrates für Hraſtnig und Umgebung, Herr Fabriksdirektor Wiltſchnigg, hielt an Herrn Dr. Baum eine Anſprache, in welcher er die Verdienſte des Ge- feierten um das deutſche Schulweſen im ſteiriſchen Unterlande im allgemeinen und hinſichtlich der deutſchen Schule in Hraſtnig im beſonderen rühmend hervor- hob; zum Schluſſe überreichte der Redner Herrn Dr. Baum die Ehrenmitgliedsurkunde. Dr. Baum dankte mit herzlichen Worten für die ihm berei tete Auszeichnung und beſprach ſodann die nationalen Verhältniſſe im Unterlande und die Schwierigkeiten, die beſonders in Hraſtnig dem deutſchen Schulweſen bereitet wurden. Dr. Baum pries ſodann jene Männer, die ohne Hilfe von auswärts, nur im Vertrauen auf ihre eigenen Kräfte, im Jahre 1907 darangingen, mutvoll an den Bau einer deutſchen Schule in Hraſtnig zu ſchreiten. Dieſes Vorhaben hätte aber nie erfüllt werden können, wenn nicht der Deutſche Schulverein mit einer ausgiebigen Bauſubvention den deutſchen Schulbau gefördert und durch ſeine tatkräftige Mithilfe den Bau der Schule geſichert hätte. Außerdem trägt der Deutſche Schulverein die Koſten der Erhaltung der vier- klaſſigen Schule als deutſche Schulvereinsſchule. Die ſchon lange Zeit währende Aktion zur Über- tragung der Schule in die öffentliche Verwaltung iſt, wie der Redner mitteilte, mit dem an dieſem Tage erfloſſenen Urteile des k. k. Verwaltungs- gerichtshofes günſtig abgeſchloſſen worden; der Ver- waltungsgerichtshof hat den Rekurs der ſloweniſchen Gemeindevertretung, welcher ſich gegen die deutſche Schule kehrte, endgiltig abgewieſen. Hraſtnig hat nun eine öffentliche deutſche Schule! (Stürmiſcher Beifall.) Dieſe günſtige Löſung der Hraſtniger Schulfrage hat neuerdings die dringende Notwendigkeit der deutſchen Schule in Hraſtnig bewieſen. Dr. Baum ſchloß ſeine Ausführungen unter lebhaftem Beifall. Geraume Zeit noch ver- weilten die Verſammelten beieinander, von der Freude darüber erfüllt, daß die Hraſtniger deutſche Schul- frage nun für immer gelöſt iſt! Hl. Dreifaltigkeit W.-B., 8. Oktober. (Windiſche Taktik.) In der Vorwoche brannte hier ein Strohſchober, der ganz offenbar angezündet worden war, nieder. Dies iſt heuer der dritte Brand in unſerem Markte. Der Strohſchober iſt beiläufig 50 Meter vom Wirtſchaftsgebäude des Herrn Bürger- meiſter Gollob, aber gedeckt durch das Wirtſchafts- gebäude des Herrn Johann Ferk, geſtanden. Dieſen Umſtand benützte ein Berichterſtatter und ſandte an das Grazer Tagblatt einen Artikel, in dem er ganz unzweideutig zu erkennen gab, daß es ſich hier nur um einen windiſchen Brandleger handelt, da der Strohſchober nur zu dem Zwecke angezündet worden wäre, damit auch die Gebäude des Bürgermeiſters mit ein Raub der Flammen werden ſollen. Natürlich kom auf dieſen Zeitungsbericht in alle ſloweniſchen Zeitungen ein Artikel nach dem anderen. Daß es hiebei an den gemeinſten Beſchimpfungen nicht fehlte, iſt ganz ſelbſtverſtändlich. Nun aber kommt das Schönſte. Es ſtellte ſich nämlich heraus, daß den Artikel in das Grazer Tagblatt ein fanatiſcher Wende einſandte. Aus welchem Grunde? Wahr- ſcheinlich wird dieſer windiſche Herr ſeine Leute beſſer kennen als wir und bei dieſer Kenntnis kann er ſich dann ſo etwas ſchon erlauben. Oder aber fehlte den Windiſchen ſchon der nötige Grund, um gegen die Deutſchen ihre bekannten Verleumdungen Straßen bewohnte und Frau Stennhold eröffnete, daß er den Herrn Juſtizrat notwendig ſprechen müßte, da lachte die gute Alte ihm ins Geſicht und ſagte: „Ja mein liebes Herrchen, das ſagt jeder, der ein Verbrechen oder ſonſt was auf dem Herzen hat. Mein alter Herr praktiziert ſeit zehn Jahren nicht mehr, namentlich nicht für Reiche. Geben Sie ſich keine Mühe, er ſchmeißt Sie eben- ſogut wie jeden anderen vor die Tür!“ „Das wird er nicht tun, denn ich bin ein naher Verwandter von ihm und habe etwas drin- gendes mit ihm zu beſprechen.“ „Ah, wohl der Herr Neffe, der Herr Garde- leutnant in Zivil, der vor etwa ſieben Jahren ſchon einmal ſo unliebenswürdig aufgenommen wurde. — Ja, das tut mir aufrichtig leid, mein Herr. Vielleicht verſuchen Sie, den Herrn Juſtizrat draußen zu ſprechen. Er kommt jetzt von der Wart- burg zurück. Wenn Sie ihm entgegengingen —“ „Danke, danke“, ſprach Siegfried und empfahl ſich, um dieſen ihm ſehr einleuchtenden Rat gleich zu befolgen. Der ſonſt ſo belebte Weg nach der alten Wartburg war heute bei der ſengenden Hitze wie ausgeſtorben. Es war ſo ſtill und feierlich unter den alten Buchen und die grauen, moosbedeckten Felſen, ehrwürdige Zeugen einer bewegten Ver- gangenheit, ſchauten Siegfried ſo traurig an, als wollten ſie ſagen: „Armes Menſchenkind, hoffe nichts von einem Herzen, das härter als wir! — Da ſaß ein alter Mann neben einem Kühle ſpendenden, geheimnisvoll murmelnden Rinnſal, das ſich durch hartes Geſtein ſeinen Weg gebahnt und ſeit Jahrhunderten in immer gleichem Lauf ſein ſilberglitzerndes Waſſer in die Tief ſchleuderte. — Der Greis ſaß mit tiefgeſenktem Haupt auf einem der mooſigen Steine und dachte an ver- gangene Tage. Wie ſchien ihm ſein liebeleeres Leben heute ſo öde, ſo traurig. Da war niemand auf der Welt, der ihm liebkoſend und zärtlich als einen geliebten Vater, Großvater, Onkel uſw. begegnete. Wohl ſegneten ihn viele und dankten ihm ihre Rettung aus Schmach und Schande, aber was war trotzdem ſein Alter? — Verdrießlichkeit über Verdrießlichkeit vergällte ihm ſeines arbeitsreichen Lebens Feier- abend. — Er tat einen tiefen Seufzer und richtete ſein müdes Haupt langſam empor, mit der zitterigen Greiſenhand das ſchneeweiße Haar aus der Stirn ſtreichend. Erſt in dieſem Augenblicke erkannte Siegfried, der erwartungsvoll des Weges weiter gewandert war, ſeinen Oheim. — Was hatten doch die ſieben Jahre aus ihm gemacht! Grüßend trat er jetzt dicht an ihn heran und ſagte in ſeiner ruhigen Weiſe: „Onkel Karl, Du kennſt mich gewiß nicht wieder. Ich bin Siegfried von Rouland.“ Der Greis ſetzte die goldene Brille, die er neben ſich gelegt, auf die große, ſcharf gebogene Naſe und ſah den Sprecher wie träumend an. — „Du, Siegfried?“ ſprach er nach einigen Minuten peinlichen Schweigens. — „Ah ſo, nun, ich kann es mir denken, habe das geleſen, Dem Vater, der —, na, ſchon gut, Dein Vater machte Bankerott, Du läufſt in Zivil herum. Die Not iſt groß! — Da beſucht man den alten Erbonkel. — Ja, täuſcht Euch nur nicht, Ihr Großmäuler! — der alte Erbonkel hat ſein Teſtament lange gemacht!“ „Onkel, Du verkennſt mich“, fuhr Siegfried mit der ihm eigenen Würde fort: „Ich ſehe in Dir keinen Mann, deſſen Erbſchaft ich erhoffe, ſondern nur den Bruder meiner geliebten Mutter, den einzigen Menſchen auf Erden, an den ich mich in meinem Unglück noch wenden kann.“ „Ha, ich denke, Du biſt glücklicher, junger Ehemann. — Meine Gratulation übrigens noch nachträglich. — Der reiche Graf Rabenau iſt alſo durch Dich noch mit mir verwandt geworden.“ Auf dieſe von ſarkaſtiſchem Lächeln begleiteten Worte erwiderte Siegfried: „Meine Frau weilt in der Irrenanſtalt. Glücklicher Gatte bin ich nie ge- weſen. — Dank für Deine Gratulation.“ Der Juſtizrat hatte ſich erhoben und ſchaute den Offizier mit gewaltſamen, aber keineswegs mit- leidigen Blicken an. „Ja, das kommt von der Eitelkeit. Ein Grafen- kind! Nur ja immer hoch hinaus. Und dann iſt das Elend groß. Doch was war der Grund deines Beſuches, wohl wieder bloße Pietät wie damals vor etwa ſieben Jahren? „Nein, keineswegs, ich ſagte ſchon, die Not hätte mich zu Dir getrieben. (Fortſ. folgt.)

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grepect GmbH: Bereitstellung der Texttranskription und Textauszeichnung. (2018-01-26T13:38:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Amelie Meister: Vorbereitung der Texttranskription und Textauszeichnung. (2018-01-26T13:38:42Z)

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Zitationshilfe: Marburger Zeitung. Nr. 121, Marburg, 10.10.1911, S. 2. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_marburger121_1911/2>, abgerufen am 21.11.2024.