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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 30. Stuttgart/Tübingen, 27. Juli 1856.

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[Beginn Spaltensatz] versuche. Charles geht sofort auf das Anerbieten ein; am
nächsten Morgen wird er abreisen. Ella, welche eifer-
süchtig besorgt, von jener Freundin könnte auf die Un-
treue des Gatten spekulirt werden, der überdieß der Auf-
enthalt bei den Schwiegereltern nicht behagt, wünscht
Charles zu begleiten; als ihr die Bitte abgeschlagen wird,
denkt sie, allein geblieben, in hastigen, leidenschaftlichen
Jdeenassociationen über die Gründe der Verweigerung nach.
Da hört sie Peitschengeknall und Hörnerton. Ein Fuhr-
mann meldet sich, den sie vorhin bestellt hat, damit er die
Kleider ihres verstorbenen Kindes für eine Freundin nach
London mitnehme. Statt des Kleiderbündels wirft sich
Ella selbst auf den Wagen -- fort nach der Hauptstadt!
Der erste Akt ist beendigt.

Den zweiten leitet ein Besuch des Schauspielers John
Kemble bei dem Dramendichter William Tailfourd ein.
Dem letzteren wird eröffnet, daß seine jüngste Tragödie
Dido nicht aufgeführt werden könne, weil für die Titel-
rolle keine geeignete Aktrice vorhanden sey. Die Darstel-
lerin der Dido müsse jung und morgenschön seyn, müsse
selbst einen tiefen Seelenschmerz erlebt haben, in ihrer
äußern Erscheinung sey ein angeborener poetischer Duft
nothwendig, dafür könne sie der theatralischen Routine
entbehren. Der Dichter erklärt, eine Mitbewohnerin des
Hauses, eben Ella Rose, besitze alle diese Eigenschaften.
Kemble zweifelt, überzeugt sich aber in einem Gespräch
mit Ella, daß sein Freund sich nicht täuscht. Durch eine
Deklamation, die mehr Rhetorik als Tiefe enthält, über-
redet der Schauspieler Ella, sich der Bühne zu widmen.
Ella erwidert die Deklamation mit einer nicht minder
exaltirten Auslassung; das dunkle Räthsel ihres Lebens
werde ihr klar, bereits als Kind habe ihr die Phantasie
gar oft eine Schlange mit goldener Krone auf dem Haupt
im grünen Grase spielend vorgezaubert, wundersame Me-
lodien haben durch ihre Seele getönt. Kurz vor diesem
Geständniß ist der Hauswirth, Jonathan Thornton, ein
Baumwollenmakler, in das Zimmer mit der Nachricht ge-
treten, daß Charles abermals falsch spekulirt habe, und
wegen einer Schuld von 200 Pfund gefangen gehalten
werde. Kemble deutet darauf hin, daß Ella die Summe
in einem Monat erwerben könnte, falls sie zur Bühne
gehe. Die Andeutung ist nicht vergebens gefallen; Ella
wird Schauspielerin, und Tailfourd, der, sobald er
gehört hat, daß Charles Rose mit zweihundert Pfund
aus seiner Haft befreit werden könne, mit seinem Ma-
nuscript zu einem Verleger geeilt ist und das Geld
seiner Hausgenossin überreichen will, hat den Gang ver-
gebens gemacht.

Zwischen diesem und dem nächsten Akt liegt ein Zeit-
raum von fünf Jahren. Ella hat als Dido debütirt und
glänzende Triumphe gefeiert. Englands Nobility um-
schwärmt die gefeierte Schönheit. Wir besuchen ihren
Salon; ihr Gesellschafter, William Tailfourd, weist sich
als der vorzüglichste Anbeter aus. Seine Herzensergießun-
gen werden jedoch mit Calembourgs abgelehnt. Eines
[Spaltenumbruch] Abends stürmt Charles Rose, im Reisekostüm und mit
Pistolen bewaffnet, in Ellas Haus; er ruft zornig nach
seiner Gattin, die im Empfangsaal, zu dem man ihm
den Zutritt verweigert, von den Earls und Lords um-
buhlt werde. Es kommt zwischen ihm und Tailfourd, den
der Lärm herbeigezogen, zu einem Rencontre. Der Dichter
wird mit der Kugel bedroht, Ella stürzt herbei. Der Lieb-
haber fragt die Schauspielerin, ob er bleiben dürfe, ob
er sich entfernen solle. Ein leises: Geh'! wird hingehaucht,
und der Vorhang fällt zum drittenmal.

Man erwartet, es werde zwischen den Gatten eine
Erklärung stattfinden, aber statt dessen spricht sich Charles
Rose gegen einen Freund über seine edeln Gefühle und
die Undankbarkeit der Gattin aus. Er habe während
des Lustrums nur deßhalb nichts von sich hören lassen,
weil sein männlicher Stolz ihm verboten, als Bettler vor
die Gattin zu treten; er habe gearbeitet, viel und schwer,
bis es ihm gelungen, Reichthümer anzuhäufen. Statt
diesen Adel der Gesinnung anzuerkennen, verletze ihn sein
Weib, das jetzt allerdings dem Theater entsagt und in
sein Haus gekommen, durch abstoßende Kälte. Die Er-
örterung wird durch Kemble gestört: Ella möge noch
ein letztes mal auftreten, und zwar in der Rolle der Dido.
Einige Veränderungen seyen vom Autor mit dem Stücke
vorgenommen, und Tailfourd bitte, sich hinfichtlich dieser
Veränderungen mit Ella in einer Unterredung verständigen
zu dürfen, welcher der Gatte beiwohnen möge. Der Haus-
freund widerräth entschieden, Charles Rose, im vorigen
Akt so eifer = und tobsüchtig, gewährt die Unterredung, und
zwar ohne Zeugen. Eine brillante Scene vollzieht sich.
Die Primadonna, leidend und vom herbsten Schmerz zer-
rissen, empfängt den Dichter, der bleich und ganz in
Schwarz gekleidet, den umdüsterten Blick matt zur Erde
geschlagen, aus der rothen Mappe mit unsicherer, die in-
nere Aufregung verrathender Stimme volltönende Jamben
vorliest, in denen Didos Unglück ergreifend geschildert
wird, wie Aeneas von Afrikas Küste scheidet und der
Späher auf der Felskuppe meldet, daß auf entgegenge-
setzter Seite ein Segel in Sicht sey, welches König
Hiempsal nach Karthago führt, dem Dido vor des Tro-
janers Ankunft sich verlobt hat. Die Königin ersticht sich.
Was soll ihr das Leben an der Seite dessen, an den sie
die Pflicht bindet, nachdem der entflohen, dem ihre Liebe
gehört? Nach der Vorlesung, die wegen der intimen Be-
ziehungen auf die eigene Situation für Tailfourd wie
Ella höchst peinigend ist -- sie erinnert unwillkürlich an
Werther, wie er Ossians Gesänge Lotten vorliest, -- er-
klärt Tailfourd, er gehe nach Jtalien und sage Lebewohl.
Uebermannt von ihren Gefühlen, ruft Ella den Schei-
denden zurück. Heiß und innig habe sie den Dichter wäh-
rend jener fünf Jahre geliebt, und das nämliche verzeh-
rende Feuer lodere noch heute in ihr. Nun habe der
Gatte seine Ansprüche erhoben, wie sey sie so elend! Ge-
brochen sinkt die Leidende in die Kissen des Sophas,
Tailfourd eilt auf sie zu, beugt sich über sie, um Hülfe
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] versuche. Charles geht sofort auf das Anerbieten ein; am
nächsten Morgen wird er abreisen. Ella, welche eifer-
süchtig besorgt, von jener Freundin könnte auf die Un-
treue des Gatten spekulirt werden, der überdieß der Auf-
enthalt bei den Schwiegereltern nicht behagt, wünscht
Charles zu begleiten; als ihr die Bitte abgeschlagen wird,
denkt sie, allein geblieben, in hastigen, leidenschaftlichen
Jdeenassociationen über die Gründe der Verweigerung nach.
Da hört sie Peitschengeknall und Hörnerton. Ein Fuhr-
mann meldet sich, den sie vorhin bestellt hat, damit er die
Kleider ihres verstorbenen Kindes für eine Freundin nach
London mitnehme. Statt des Kleiderbündels wirft sich
Ella selbst auf den Wagen — fort nach der Hauptstadt!
Der erste Akt ist beendigt.

Den zweiten leitet ein Besuch des Schauspielers John
Kemble bei dem Dramendichter William Tailfourd ein.
Dem letzteren wird eröffnet, daß seine jüngste Tragödie
Dido nicht aufgeführt werden könne, weil für die Titel-
rolle keine geeignete Aktrice vorhanden sey. Die Darstel-
lerin der Dido müsse jung und morgenschön seyn, müsse
selbst einen tiefen Seelenschmerz erlebt haben, in ihrer
äußern Erscheinung sey ein angeborener poetischer Duft
nothwendig, dafür könne sie der theatralischen Routine
entbehren. Der Dichter erklärt, eine Mitbewohnerin des
Hauses, eben Ella Rose, besitze alle diese Eigenschaften.
Kemble zweifelt, überzeugt sich aber in einem Gespräch
mit Ella, daß sein Freund sich nicht täuscht. Durch eine
Deklamation, die mehr Rhetorik als Tiefe enthält, über-
redet der Schauspieler Ella, sich der Bühne zu widmen.
Ella erwidert die Deklamation mit einer nicht minder
exaltirten Auslassung; das dunkle Räthsel ihres Lebens
werde ihr klar, bereits als Kind habe ihr die Phantasie
gar oft eine Schlange mit goldener Krone auf dem Haupt
im grünen Grase spielend vorgezaubert, wundersame Me-
lodien haben durch ihre Seele getönt. Kurz vor diesem
Geständniß ist der Hauswirth, Jonathan Thornton, ein
Baumwollenmakler, in das Zimmer mit der Nachricht ge-
treten, daß Charles abermals falsch spekulirt habe, und
wegen einer Schuld von 200 Pfund gefangen gehalten
werde. Kemble deutet darauf hin, daß Ella die Summe
in einem Monat erwerben könnte, falls sie zur Bühne
gehe. Die Andeutung ist nicht vergebens gefallen; Ella
wird Schauspielerin, und Tailfourd, der, sobald er
gehört hat, daß Charles Rose mit zweihundert Pfund
aus seiner Haft befreit werden könne, mit seinem Ma-
nuscript zu einem Verleger geeilt ist und das Geld
seiner Hausgenossin überreichen will, hat den Gang ver-
gebens gemacht.

Zwischen diesem und dem nächsten Akt liegt ein Zeit-
raum von fünf Jahren. Ella hat als Dido debütirt und
glänzende Triumphe gefeiert. Englands Nobility um-
schwärmt die gefeierte Schönheit. Wir besuchen ihren
Salon; ihr Gesellschafter, William Tailfourd, weist sich
als der vorzüglichste Anbeter aus. Seine Herzensergießun-
gen werden jedoch mit Calembourgs abgelehnt. Eines
[Spaltenumbruch] Abends stürmt Charles Rose, im Reisekostüm und mit
Pistolen bewaffnet, in Ellas Haus; er ruft zornig nach
seiner Gattin, die im Empfangsaal, zu dem man ihm
den Zutritt verweigert, von den Earls und Lords um-
buhlt werde. Es kommt zwischen ihm und Tailfourd, den
der Lärm herbeigezogen, zu einem Rencontre. Der Dichter
wird mit der Kugel bedroht, Ella stürzt herbei. Der Lieb-
haber fragt die Schauspielerin, ob er bleiben dürfe, ob
er sich entfernen solle. Ein leises: Geh'! wird hingehaucht,
und der Vorhang fällt zum drittenmal.

Man erwartet, es werde zwischen den Gatten eine
Erklärung stattfinden, aber statt dessen spricht sich Charles
Rose gegen einen Freund über seine edeln Gefühle und
die Undankbarkeit der Gattin aus. Er habe während
des Lustrums nur deßhalb nichts von sich hören lassen,
weil sein männlicher Stolz ihm verboten, als Bettler vor
die Gattin zu treten; er habe gearbeitet, viel und schwer,
bis es ihm gelungen, Reichthümer anzuhäufen. Statt
diesen Adel der Gesinnung anzuerkennen, verletze ihn sein
Weib, das jetzt allerdings dem Theater entsagt und in
sein Haus gekommen, durch abstoßende Kälte. Die Er-
örterung wird durch Kemble gestört: Ella möge noch
ein letztes mal auftreten, und zwar in der Rolle der Dido.
Einige Veränderungen seyen vom Autor mit dem Stücke
vorgenommen, und Tailfourd bitte, sich hinfichtlich dieser
Veränderungen mit Ella in einer Unterredung verständigen
zu dürfen, welcher der Gatte beiwohnen möge. Der Haus-
freund widerräth entschieden, Charles Rose, im vorigen
Akt so eifer = und tobsüchtig, gewährt die Unterredung, und
zwar ohne Zeugen. Eine brillante Scene vollzieht sich.
Die Primadonna, leidend und vom herbsten Schmerz zer-
rissen, empfängt den Dichter, der bleich und ganz in
Schwarz gekleidet, den umdüsterten Blick matt zur Erde
geschlagen, aus der rothen Mappe mit unsicherer, die in-
nere Aufregung verrathender Stimme volltönende Jamben
vorliest, in denen Didos Unglück ergreifend geschildert
wird, wie Aeneas von Afrikas Küste scheidet und der
Späher auf der Felskuppe meldet, daß auf entgegenge-
setzter Seite ein Segel in Sicht sey, welches König
Hiempsal nach Karthago führt, dem Dido vor des Tro-
janers Ankunft sich verlobt hat. Die Königin ersticht sich.
Was soll ihr das Leben an der Seite dessen, an den sie
die Pflicht bindet, nachdem der entflohen, dem ihre Liebe
gehört? Nach der Vorlesung, die wegen der intimen Be-
ziehungen auf die eigene Situation für Tailfourd wie
Ella höchst peinigend ist — sie erinnert unwillkürlich an
Werther, wie er Ossians Gesänge Lotten vorliest, — er-
klärt Tailfourd, er gehe nach Jtalien und sage Lebewohl.
Uebermannt von ihren Gefühlen, ruft Ella den Schei-
denden zurück. Heiß und innig habe sie den Dichter wäh-
rend jener fünf Jahre geliebt, und das nämliche verzeh-
rende Feuer lodere noch heute in ihr. Nun habe der
Gatte seine Ansprüche erhoben, wie sey sie so elend! Ge-
brochen sinkt die Leidende in die Kissen des Sophas,
Tailfourd eilt auf sie zu, beugt sich über sie, um Hülfe
[Ende Spaltensatz]

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[714/0018] 714 versuche. Charles geht sofort auf das Anerbieten ein; am nächsten Morgen wird er abreisen. Ella, welche eifer- süchtig besorgt, von jener Freundin könnte auf die Un- treue des Gatten spekulirt werden, der überdieß der Auf- enthalt bei den Schwiegereltern nicht behagt, wünscht Charles zu begleiten; als ihr die Bitte abgeschlagen wird, denkt sie, allein geblieben, in hastigen, leidenschaftlichen Jdeenassociationen über die Gründe der Verweigerung nach. Da hört sie Peitschengeknall und Hörnerton. Ein Fuhr- mann meldet sich, den sie vorhin bestellt hat, damit er die Kleider ihres verstorbenen Kindes für eine Freundin nach London mitnehme. Statt des Kleiderbündels wirft sich Ella selbst auf den Wagen — fort nach der Hauptstadt! Der erste Akt ist beendigt. Den zweiten leitet ein Besuch des Schauspielers John Kemble bei dem Dramendichter William Tailfourd ein. 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Man erwartet, es werde zwischen den Gatten eine Erklärung stattfinden, aber statt dessen spricht sich Charles Rose gegen einen Freund über seine edeln Gefühle und die Undankbarkeit der Gattin aus. Er habe während des Lustrums nur deßhalb nichts von sich hören lassen, weil sein männlicher Stolz ihm verboten, als Bettler vor die Gattin zu treten; er habe gearbeitet, viel und schwer, bis es ihm gelungen, Reichthümer anzuhäufen. Statt diesen Adel der Gesinnung anzuerkennen, verletze ihn sein Weib, das jetzt allerdings dem Theater entsagt und in sein Haus gekommen, durch abstoßende Kälte. Die Er- örterung wird durch Kemble gestört: Ella möge noch ein letztes mal auftreten, und zwar in der Rolle der Dido. Einige Veränderungen seyen vom Autor mit dem Stücke vorgenommen, und Tailfourd bitte, sich hinfichtlich dieser Veränderungen mit Ella in einer Unterredung verständigen zu dürfen, welcher der Gatte beiwohnen möge. Der Haus- freund widerräth entschieden, Charles Rose, im vorigen Akt so eifer = und tobsüchtig, gewährt die Unterredung, und zwar ohne Zeugen. Eine brillante Scene vollzieht sich. Die Primadonna, leidend und vom herbsten Schmerz zer- rissen, empfängt den Dichter, der bleich und ganz in Schwarz gekleidet, den umdüsterten Blick matt zur Erde geschlagen, aus der rothen Mappe mit unsicherer, die in- nere Aufregung verrathender Stimme volltönende Jamben vorliest, in denen Didos Unglück ergreifend geschildert wird, wie Aeneas von Afrikas Küste scheidet und der Späher auf der Felskuppe meldet, daß auf entgegenge- setzter Seite ein Segel in Sicht sey, welches König Hiempsal nach Karthago führt, dem Dido vor des Tro- janers Ankunft sich verlobt hat. Die Königin ersticht sich. Was soll ihr das Leben an der Seite dessen, an den sie die Pflicht bindet, nachdem der entflohen, dem ihre Liebe gehört? Nach der Vorlesung, die wegen der intimen Be- ziehungen auf die eigene Situation für Tailfourd wie Ella höchst peinigend ist — sie erinnert unwillkürlich an Werther, wie er Ossians Gesänge Lotten vorliest, — er- klärt Tailfourd, er gehe nach Jtalien und sage Lebewohl. Uebermannt von ihren Gefühlen, ruft Ella den Schei- denden zurück. Heiß und innig habe sie den Dichter wäh- rend jener fünf Jahre geliebt, und das nämliche verzeh- rende Feuer lodere noch heute in ihr. Nun habe der Gatte seine Ansprüche erhoben, wie sey sie so elend! Ge- brochen sinkt die Leidende in die Kissen des Sophas, Tailfourd eilt auf sie zu, beugt sich über sie, um Hülfe

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 30. Stuttgart/Tübingen, 27. Juli 1856, S. 714. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt30_1856/18>, abgerufen am 21.11.2024.