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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 31. Stuttgart/Tübingen, 3. August 1856.

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[Beginn Spaltensatz] andererseits, welche auf eine Zeitlang die vorzugsweise
von der Philosophie erörterten Fragen über die Ver-
hältnisse zwischen Gott und Welt, zwischen Leib und
Seele, zwischen Kraft und Stoff u. s. w. entweder als
abstrus und unersprießlich, oder als irreligiös und de-
structiv bei Seite geschoben und die Aufmerksamkeit von
dem Allgemeinen auf das Einzelne und Besondere, von
dem der Kritik zu Unterwerfenden auf das positiv Ge-
gebene hingelenkt hatten; und so sind es neuerdings
wieder dieselben Naturwissenschaften, dieselben exclusiv-
dogmatischen Richtungen gewesen, welche eben dieselben
Streitfragen auf's neue angefacht und sie zu Gegen-
ständen so heißer und leidenschaftlicher Kämpfe gemacht
haben, als es kaum zu irgend einer Zeit der Fall ge-
wesen ist.

Es ist in den jüngsten Tagen über diese neu an-
geregten Probleme schon Vieles und Tüchtiges ge-
schrieben worden, aber, wie es inmitten eines eben
entbrannten Kampfes kaum anders seyn kann, meist
vom einseitigen Parteistandpunkte, entweder entschieden
für, oder entschieden gegen den Materialismus. Den
verhältnißmäßig freiesten Standpunkt hat den beiden
Extremen gegenüber bisher unstreitig die Philosophie
eingenommen, weil sie sich, durch den Mißcredit, in
den sie zufolge der aus ihrem Schooß hervorgegangenen
Extravaganzen gerathen war, gewitzigt, zu einer ruhi-
geren und reiferen Weltanschauung als der noch jüngst
in ihr herrschenden gesammelt hatte. Aber gegenüber
den Anmaßungen und Verhöhnungen, welche sich der
Materialismus gerade gegen sie erlaubt hatte, konnte
doch auch sie einer einseitigen, vorwiegend polemischen
Behandlung der Sache sich nicht wohl entschlagen, und
es fehlt daher noch immer an einer schlechthin unbe-
fangenen Erwägung der streitigen Punkte, namentlich
an einer solchen, der es nicht bloß darauf ankommt,
die Ansichten des Materialismus zu bestreiten oder zu
vertheidigen, sondern die es als ihre Aufgabe betrachtet,
nach den bisher gewonnenen Resultaten der exacten, wie
der philosophischen Forschungen das zwischen dem Geist
und der Materie bestehende Verhältniß so vorurtheils-
frei als möglich auszumitteln und so befriedigend als
möglich zu bestimmen.

Die vorliegende Arbeit will hiezu nicht sowohl ein
Versuch, als vielmehr nur eine Anregung seyn, indem
sie sich begnügt, eine Reihe von Jdeen zusammenzu-
stellen, die vielleicht der Wissenschaft bei ihren umfang-
reicheren und mehr ins Einzelne gehenden Untersuchun-
gen über diese Fragen behülflich seyn können, in der
Bestimmung des fraglichen Verhältnisses mehr als bis-
her einer jeden der beiden auseinandergehenden Rich-
tungen gerecht zu werden.

[Spaltenumbruch]

Um das Verhältniß zweier einander entgegesetzter
Erscheinungen und ihrer Begriffe richtig zu bestimmen,
muß man durchaus von einer höheren, allgemeineren
Erscheinung, von einem sie beide umfassenden Begriffe
ausgehen. Man begreift die charakteristischen Unter-
schiede zweier Einzeldinge nur, wenn man ihre Art
kennt, an der sie beide gemeinsam Theil haben; eben
so erkennt man die unterscheidenden Merkmale zweier
Arten nur von dem Begriff ihrer Gattung aus u. s. w.
Der Grund hievon liegt einfach darin, daß sich das
Wesen eines Dings überhaupt erst dann erkennen läßt,
wenn es uns von seiner ersten Entstehung, seinem Ur-
sprung an bekannt ist. Es entsteht aber das Allgemeine
nicht aus dem Einzelnen, sondern das Einzelne aus
dem Allgemeinen, eben so wie das Einzelne nicht als
ein Einzelnes verharrt, sondern entweder in das All-
gemeine zurückkehrt oder sich selbst zum Allgemeinen er-
weitert. Das Einzelne geht aber nicht bloß aus dem
Allgemeinen hervor, kehrt nicht bloß in dasselbe zurück,
sondern es trägt in seinen ersten und letzten Daseyns-
formen auch selbst mehr oder minder den Charakter des
Allgemeinen. Wenn wir die endlichen Erscheinungen
so weit als möglich rückwärts oder vorwärts verfolgen,
so zeigen sie uns im Anfang und am Ende ihrer
Entwicklung sämmtlich Formen, die mehr oder minder
einander gleich sind, in denen sich wenigstens von
unterscheidbaren Merkmalen nur sehr geringe Spuren
zeigen; dagegen in der Mitte und namentlich auf dem
Culminationspunkte der Entwicklung bemerken wir
an ihnen unverkennbare charakteristische und eigen-
thümliche
Formen, verbunden mit dem Triebe, das
ihnen eigenthümliche, besondere Wesen durch Aneignung
oder Beseitigung des ihnen Fremdartigen so viel als
möglich zum Allgemeinen zu machen.

Belege hiefür gibt die Wissenschaft und Erfahrung
in Masse; ich will hier nur an einige erinnern. --
Nach allem, was die geologischen Untersuchungen bis
jetzt herausgestellt haben, ist anzunehmen, daß der Erd-
ball sammt seiner Atmosphäre ursprünglich nur eine
glühende Gasmasse gewesen ist, worin alle die später-
hin zur Erscheinung gelangenden verschiedenen Bestand-
theile der Erde noch unterschiedslos, wenigstens unun-
terscheidbar enthalten waren, Die Resultate der wissen-
schaftlichen Forschung stehen also in dieser Beziehung
mit den in Mythen und Traditionen sich aussprechen-
den populären Vorstellungen, welche die verschiedenen
Stoffe und Formen der Welt aus einem Chaos sich
entwickeln lassen, der Hauptsache nach im Einklange.
Und so ist wahrscheinlich, daß auch ein dermaleinstiges
Ende der Erde mit den Ahnungen, die wir darüber
hegen, mehr oder minder übereinstimmen, d. h. in einem
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] andererseits, welche auf eine Zeitlang die vorzugsweise
von der Philosophie erörterten Fragen über die Ver-
hältnisse zwischen Gott und Welt, zwischen Leib und
Seele, zwischen Kraft und Stoff u. s. w. entweder als
abstrus und unersprießlich, oder als irreligiös und de-
structiv bei Seite geschoben und die Aufmerksamkeit von
dem Allgemeinen auf das Einzelne und Besondere, von
dem der Kritik zu Unterwerfenden auf das positiv Ge-
gebene hingelenkt hatten; und so sind es neuerdings
wieder dieselben Naturwissenschaften, dieselben exclusiv-
dogmatischen Richtungen gewesen, welche eben dieselben
Streitfragen auf's neue angefacht und sie zu Gegen-
ständen so heißer und leidenschaftlicher Kämpfe gemacht
haben, als es kaum zu irgend einer Zeit der Fall ge-
wesen ist.

Es ist in den jüngsten Tagen über diese neu an-
geregten Probleme schon Vieles und Tüchtiges ge-
schrieben worden, aber, wie es inmitten eines eben
entbrannten Kampfes kaum anders seyn kann, meist
vom einseitigen Parteistandpunkte, entweder entschieden
für, oder entschieden gegen den Materialismus. Den
verhältnißmäßig freiesten Standpunkt hat den beiden
Extremen gegenüber bisher unstreitig die Philosophie
eingenommen, weil sie sich, durch den Mißcredit, in
den sie zufolge der aus ihrem Schooß hervorgegangenen
Extravaganzen gerathen war, gewitzigt, zu einer ruhi-
geren und reiferen Weltanschauung als der noch jüngst
in ihr herrschenden gesammelt hatte. Aber gegenüber
den Anmaßungen und Verhöhnungen, welche sich der
Materialismus gerade gegen sie erlaubt hatte, konnte
doch auch sie einer einseitigen, vorwiegend polemischen
Behandlung der Sache sich nicht wohl entschlagen, und
es fehlt daher noch immer an einer schlechthin unbe-
fangenen Erwägung der streitigen Punkte, namentlich
an einer solchen, der es nicht bloß darauf ankommt,
die Ansichten des Materialismus zu bestreiten oder zu
vertheidigen, sondern die es als ihre Aufgabe betrachtet,
nach den bisher gewonnenen Resultaten der exacten, wie
der philosophischen Forschungen das zwischen dem Geist
und der Materie bestehende Verhältniß so vorurtheils-
frei als möglich auszumitteln und so befriedigend als
möglich zu bestimmen.

Die vorliegende Arbeit will hiezu nicht sowohl ein
Versuch, als vielmehr nur eine Anregung seyn, indem
sie sich begnügt, eine Reihe von Jdeen zusammenzu-
stellen, die vielleicht der Wissenschaft bei ihren umfang-
reicheren und mehr ins Einzelne gehenden Untersuchun-
gen über diese Fragen behülflich seyn können, in der
Bestimmung des fraglichen Verhältnisses mehr als bis-
her einer jeden der beiden auseinandergehenden Rich-
tungen gerecht zu werden.

[Spaltenumbruch]

Um das Verhältniß zweier einander entgegesetzter
Erscheinungen und ihrer Begriffe richtig zu bestimmen,
muß man durchaus von einer höheren, allgemeineren
Erscheinung, von einem sie beide umfassenden Begriffe
ausgehen. Man begreift die charakteristischen Unter-
schiede zweier Einzeldinge nur, wenn man ihre Art
kennt, an der sie beide gemeinsam Theil haben; eben
so erkennt man die unterscheidenden Merkmale zweier
Arten nur von dem Begriff ihrer Gattung aus u. s. w.
Der Grund hievon liegt einfach darin, daß sich das
Wesen eines Dings überhaupt erst dann erkennen läßt,
wenn es uns von seiner ersten Entstehung, seinem Ur-
sprung an bekannt ist. Es entsteht aber das Allgemeine
nicht aus dem Einzelnen, sondern das Einzelne aus
dem Allgemeinen, eben so wie das Einzelne nicht als
ein Einzelnes verharrt, sondern entweder in das All-
gemeine zurückkehrt oder sich selbst zum Allgemeinen er-
weitert. Das Einzelne geht aber nicht bloß aus dem
Allgemeinen hervor, kehrt nicht bloß in dasselbe zurück,
sondern es trägt in seinen ersten und letzten Daseyns-
formen auch selbst mehr oder minder den Charakter des
Allgemeinen. Wenn wir die endlichen Erscheinungen
so weit als möglich rückwärts oder vorwärts verfolgen,
so zeigen sie uns im Anfang und am Ende ihrer
Entwicklung sämmtlich Formen, die mehr oder minder
einander gleich sind, in denen sich wenigstens von
unterscheidbaren Merkmalen nur sehr geringe Spuren
zeigen; dagegen in der Mitte und namentlich auf dem
Culminationspunkte der Entwicklung bemerken wir
an ihnen unverkennbare charakteristische und eigen-
thümliche
Formen, verbunden mit dem Triebe, das
ihnen eigenthümliche, besondere Wesen durch Aneignung
oder Beseitigung des ihnen Fremdartigen so viel als
möglich zum Allgemeinen zu machen.

Belege hiefür gibt die Wissenschaft und Erfahrung
in Masse; ich will hier nur an einige erinnern. —
Nach allem, was die geologischen Untersuchungen bis
jetzt herausgestellt haben, ist anzunehmen, daß der Erd-
ball sammt seiner Atmosphäre ursprünglich nur eine
glühende Gasmasse gewesen ist, worin alle die später-
hin zur Erscheinung gelangenden verschiedenen Bestand-
theile der Erde noch unterschiedslos, wenigstens unun-
terscheidbar enthalten waren, Die Resultate der wissen-
schaftlichen Forschung stehen also in dieser Beziehung
mit den in Mythen und Traditionen sich aussprechen-
den populären Vorstellungen, welche die verschiedenen
Stoffe und Formen der Welt aus einem Chaos sich
entwickeln lassen, der Hauptsache nach im Einklange.
Und so ist wahrscheinlich, daß auch ein dermaleinstiges
Ende der Erde mit den Ahnungen, die wir darüber
hegen, mehr oder minder übereinstimmen, d. h. in einem
[Ende Spaltensatz]

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Aber gegenüber den Anmaßungen und Verhöhnungen, welche sich der Materialismus gerade gegen sie erlaubt hatte, konnte doch auch sie einer einseitigen, vorwiegend polemischen Behandlung der Sache sich nicht wohl entschlagen, und es fehlt daher noch immer an einer schlechthin unbe- fangenen Erwägung der streitigen Punkte, namentlich an einer solchen, der es nicht bloß darauf ankommt, die Ansichten des Materialismus zu bestreiten oder zu vertheidigen, sondern die es als ihre Aufgabe betrachtet, nach den bisher gewonnenen Resultaten der exacten, wie der philosophischen Forschungen das zwischen dem Geist und der Materie bestehende Verhältniß so vorurtheils- frei als möglich auszumitteln und so befriedigend als möglich zu bestimmen. Die vorliegende Arbeit will hiezu nicht sowohl ein Versuch, als vielmehr nur eine Anregung seyn, indem sie sich begnügt, eine Reihe von Jdeen zusammenzu- stellen, die vielleicht der Wissenschaft bei ihren umfang- reicheren und mehr ins Einzelne gehenden Untersuchun- gen über diese Fragen behülflich seyn können, in der Bestimmung des fraglichen Verhältnisses mehr als bis- her einer jeden der beiden auseinandergehenden Rich- tungen gerecht zu werden. Um das Verhältniß zweier einander entgegesetzter Erscheinungen und ihrer Begriffe richtig zu bestimmen, muß man durchaus von einer höheren, allgemeineren Erscheinung, von einem sie beide umfassenden Begriffe ausgehen. Man begreift die charakteristischen Unter- schiede zweier Einzeldinge nur, wenn man ihre Art kennt, an der sie beide gemeinsam Theil haben; eben so erkennt man die unterscheidenden Merkmale zweier Arten nur von dem Begriff ihrer Gattung aus u. s. w. Der Grund hievon liegt einfach darin, daß sich das Wesen eines Dings überhaupt erst dann erkennen läßt, wenn es uns von seiner ersten Entstehung, seinem Ur- sprung an bekannt ist. Es entsteht aber das Allgemeine nicht aus dem Einzelnen, sondern das Einzelne aus dem Allgemeinen, eben so wie das Einzelne nicht als ein Einzelnes verharrt, sondern entweder in das All- gemeine zurückkehrt oder sich selbst zum Allgemeinen er- weitert. Das Einzelne geht aber nicht bloß aus dem Allgemeinen hervor, kehrt nicht bloß in dasselbe zurück, sondern es trägt in seinen ersten und letzten Daseyns- formen auch selbst mehr oder minder den Charakter des Allgemeinen. Wenn wir die endlichen Erscheinungen so weit als möglich rückwärts oder vorwärts verfolgen, so zeigen sie uns im Anfang und am Ende ihrer Entwicklung sämmtlich Formen, die mehr oder minder einander gleich sind, in denen sich wenigstens von unterscheidbaren Merkmalen nur sehr geringe Spuren zeigen; dagegen in der Mitte und namentlich auf dem Culminationspunkte der Entwicklung bemerken wir an ihnen unverkennbare charakteristische und eigen- thümliche Formen, verbunden mit dem Triebe, das ihnen eigenthümliche, besondere Wesen durch Aneignung oder Beseitigung des ihnen Fremdartigen so viel als möglich zum Allgemeinen zu machen. 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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 31. Stuttgart/Tübingen, 3. August 1856, S. 722. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt31_1856/2>, abgerufen am 29.05.2024.