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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 44. Stuttgart/Tübingen, 2. November 1856.

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[Beginn Spaltensatz] daß Jhnen aber, wenn Jhre Verstocktheit uns nöthigt,
Sie den Gerichten zu übergeben, das Schlimmste be-
vorsteht -- Jhnen wie dem jungen Mann hier, dessen
reuiges Benehmen mir zur Genüge andeutet, daß er
durch Sie zur Theilnahme an diesem Einbruch verleitet
worden ist."

"Ach Gott, ja!" rief, als Chatterton abermals
schwieg, Rudhall kläglich aus; "ich will ja auch alles
sagen, was man wissen will; meinen Namen -- ich heiße
John Rudhall -- und meinen Stand, welcher der eines
Gehülfen bei einem Arzt und Apotheker, Herrn Bolton
in der Steinstraße, ist. Und ich will auch sagen, was
wir hier gewollt haben, oder vielmehr, was Tom ge-
wollt hat, denn es ist nicht so schlimm, wie es aus-
sieht, weßhalb ich auch hoffe, daß Sie, hochwürdigster
Herr, durch die Finger sehen und uns laufen lassen
werden."

Der Geistliche lächelte ein Weniges über diese kläg-
liche Rede. -- "Das wird sich alles finden," sagte er
dann, "nur muß man offen die ganze Wahrheit sagen,
und da es Herrn Chatterton nicht beliebt, unsere Fra-
gen zu beantworten, so müssen wir uns mit Jhrer Aus-
kunft Herr -- Herr so und so, begnügen. Reden Sie!"

Mit den seiner Sprachweise eigenen Abschwei-
fungen und Weitläufigkeiten brachte nun John alles
vor, was er über Toms Absichten wußte, und erman-
gelte nicht, die Beziehungen des letzteren zu den Herrn
Walpole, Catcott und Barrett zu betonen. Allein ge-
rade dieß schien eher einen ungünstigen, als den ge-
wünschten Eindruck auf Herrn Weston zu machen, wel-
cher den Bericht aufmerksam, mit einigen Zwischenfragen
und Aeußerungen des Erstaunens anhörte. Als Rudhall
zu Ende gekommen war, wandte sich der Geistliche nach
den Papieren und Pergamenten, welche Tom ausge-
lesen hatte; allein deren gothische Schrift schien ihm
unverständlich, er kehrte sich in wenigen Augenblicken
wieder davon ab und sagte in mildem Tone zu Chat-
terton: "Was Sie uns hier zu entführen beabsichtigten,
erscheint werthlos, außerdem ist es beim bloßen Versuch
geblieben, und so dürften Jhre Schritte eher als eine
Jugendthorheit, denn als ein Verbrechen erscheinen und
sich nicht zur Kenntnißnahme der Gerichte eignen."

Tom machte eine Bewegung der freudigsten Ueber-
raschung und wollte reden, aber der Geistliche fuhr ab-
weisend fort: "Aber als Seelsorger habe ich die Pflicht,
Sie von der Verkehrtheit Jhrer jetzigen Bestrebungen
abzumahnen und selbst zurückzuhalten." -- "Jch verstehe
Jhre Worte nicht ganz, hochwürdiger Herr," sagte Tom,
dessen Zunge durch die Nachsichtigkeit Herrn Westons
endlich gelöst worden war. -- "Jch wollte Jhnen nur
bemerklich machen," entgegnete dieser, "daß Sie Jhre
[Spaltenumbruch] Zeit mit nutzlosen und selbst schädlichen Dingen ver-
geuden, statt den Erwartungen zu entsprechen, welche
Jhre Mutter und Jhr Principal sich von Jhnen ma-
chen. Lassen Sie diese alten Dinge liegen, wo sie
liegen, denken Sie nicht mehr daran, gehen Sie an
die Arbeiten, welche Jhnen zukommen, und die ganze
Sache ist vergessen!"

Der Jüngling stand einen Augenblick sehr betroffen,
diese Lösung der Verwicklung schien ihm eben so uner-
wartet als unerwünscht zu kommen. "Jch darf vielleicht
bemerken," sagte er zögernd und nach einer Pause, "daß
mir der Besitz dieser Schätze eher eine sichere und eh-
renhafte Existenz bereiten wird, als die juristische
Laufbahn, und dann, daß der gewünschte Verzicht nicht
mehr von mir allein abhängt. Die Herren Catcott,
Barrett, Walpole erwarten --"

"Was diese Herrn erwarten," unterbrach ihn der
Geistliche in scharfem Ton, "ist uns ganz gleichgültig,
oder vielmehr wir haben als Protestanten und Englän-
der die Pflicht, ihr halb heidnisches, halb katholisches
Treiben nicht zu fördern. Was kann es uns helfen,
daß Herr Barrett beweisen will, unsere gute Stadt
Bristol sey vierhundert Jahre vor der Geburt des Herrn
durch blinde Heiden gegründet worden, da Stadt wie
Mensch nur da recht existirt, wo die Segnung des
Christenthums ausgebreitet ist? Und dieser Herr Wal-
pole war früher wohlbekannt als ein Jakobit und Feind
unseres Glaubens und hat immer lieber in Frankreich
gelebt unter Papisten und Gottesläugnern als bei den
Rechtgläubigen in Altengland. Was Sie so hoch schätzen,
junger Mann, dieser Haufen von alten Papieren,
stammt aus einer finstern Zeit, wo der Jrrthum häu-
figer war als die Wahrheit, aus der Zeit, wo wir noch
in den Banden des Antichrists in Rom lagen, und
kann, wenn der Jnhalt bekannt wird, nur schaden.
Man wird diese Dinge also wieder dahin thun, wo sie
hergekommen sind und sie besser als seither verwahren,
damit sie niemanden mehr in Versuchung führen. Sie
aber, Herr Chatterton, werden mir ein doppeltes Ver-
sprechen ablegen: einmal, Jhren rechtswidrigen Versuch
der Erlangung dieser Schriften nie zu wiederholen, und
dann, den gedachten Herrn keinerlei Angaben oder An-
deutungen darüber zu machen, welche uns mit densel-
ben in unangenehme Conflikte bringen könnten. Nur
dann kann ich Jhr Vergehen vergessen und Schritte
unterlassen, welche auf Sie und damit auf Jhre Fa-
milie das schwerste Unglück bringen müßten. Sie wer-
den mir dieses Versprechen unverzüglich leisten, die
Papiere werden wieder in die Kiste gebracht und wohl-
verschlossen, und damit ist die Sache abgemacht und
Gott befohlen, und jedermann kann zur Ruhe gehen."

[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] daß Jhnen aber, wenn Jhre Verstocktheit uns nöthigt,
Sie den Gerichten zu übergeben, das Schlimmste be-
vorsteht — Jhnen wie dem jungen Mann hier, dessen
reuiges Benehmen mir zur Genüge andeutet, daß er
durch Sie zur Theilnahme an diesem Einbruch verleitet
worden ist.“

„Ach Gott, ja!“ rief, als Chatterton abermals
schwieg, Rudhall kläglich aus; „ich will ja auch alles
sagen, was man wissen will; meinen Namen — ich heiße
John Rudhall — und meinen Stand, welcher der eines
Gehülfen bei einem Arzt und Apotheker, Herrn Bolton
in der Steinstraße, ist. Und ich will auch sagen, was
wir hier gewollt haben, oder vielmehr, was Tom ge-
wollt hat, denn es ist nicht so schlimm, wie es aus-
sieht, weßhalb ich auch hoffe, daß Sie, hochwürdigster
Herr, durch die Finger sehen und uns laufen lassen
werden.“

Der Geistliche lächelte ein Weniges über diese kläg-
liche Rede. — „Das wird sich alles finden,“ sagte er
dann, „nur muß man offen die ganze Wahrheit sagen,
und da es Herrn Chatterton nicht beliebt, unsere Fra-
gen zu beantworten, so müssen wir uns mit Jhrer Aus-
kunft Herr — Herr so und so, begnügen. Reden Sie!“

Mit den seiner Sprachweise eigenen Abschwei-
fungen und Weitläufigkeiten brachte nun John alles
vor, was er über Toms Absichten wußte, und erman-
gelte nicht, die Beziehungen des letzteren zu den Herrn
Walpole, Catcott und Barrett zu betonen. Allein ge-
rade dieß schien eher einen ungünstigen, als den ge-
wünschten Eindruck auf Herrn Weston zu machen, wel-
cher den Bericht aufmerksam, mit einigen Zwischenfragen
und Aeußerungen des Erstaunens anhörte. Als Rudhall
zu Ende gekommen war, wandte sich der Geistliche nach
den Papieren und Pergamenten, welche Tom ausge-
lesen hatte; allein deren gothische Schrift schien ihm
unverständlich, er kehrte sich in wenigen Augenblicken
wieder davon ab und sagte in mildem Tone zu Chat-
terton: „Was Sie uns hier zu entführen beabsichtigten,
erscheint werthlos, außerdem ist es beim bloßen Versuch
geblieben, und so dürften Jhre Schritte eher als eine
Jugendthorheit, denn als ein Verbrechen erscheinen und
sich nicht zur Kenntnißnahme der Gerichte eignen.“

Tom machte eine Bewegung der freudigsten Ueber-
raschung und wollte reden, aber der Geistliche fuhr ab-
weisend fort: „Aber als Seelsorger habe ich die Pflicht,
Sie von der Verkehrtheit Jhrer jetzigen Bestrebungen
abzumahnen und selbst zurückzuhalten.“ — „Jch verstehe
Jhre Worte nicht ganz, hochwürdiger Herr,“ sagte Tom,
dessen Zunge durch die Nachsichtigkeit Herrn Westons
endlich gelöst worden war. — „Jch wollte Jhnen nur
bemerklich machen,“ entgegnete dieser, „daß Sie Jhre
[Spaltenumbruch] Zeit mit nutzlosen und selbst schädlichen Dingen ver-
geuden, statt den Erwartungen zu entsprechen, welche
Jhre Mutter und Jhr Principal sich von Jhnen ma-
chen. Lassen Sie diese alten Dinge liegen, wo sie
liegen, denken Sie nicht mehr daran, gehen Sie an
die Arbeiten, welche Jhnen zukommen, und die ganze
Sache ist vergessen!“

Der Jüngling stand einen Augenblick sehr betroffen,
diese Lösung der Verwicklung schien ihm eben so uner-
wartet als unerwünscht zu kommen. „Jch darf vielleicht
bemerken,“ sagte er zögernd und nach einer Pause, „daß
mir der Besitz dieser Schätze eher eine sichere und eh-
renhafte Existenz bereiten wird, als die juristische
Laufbahn, und dann, daß der gewünschte Verzicht nicht
mehr von mir allein abhängt. Die Herren Catcott,
Barrett, Walpole erwarten —“

„Was diese Herrn erwarten,“ unterbrach ihn der
Geistliche in scharfem Ton, „ist uns ganz gleichgültig,
oder vielmehr wir haben als Protestanten und Englän-
der die Pflicht, ihr halb heidnisches, halb katholisches
Treiben nicht zu fördern. Was kann es uns helfen,
daß Herr Barrett beweisen will, unsere gute Stadt
Bristol sey vierhundert Jahre vor der Geburt des Herrn
durch blinde Heiden gegründet worden, da Stadt wie
Mensch nur da recht existirt, wo die Segnung des
Christenthums ausgebreitet ist? Und dieser Herr Wal-
pole war früher wohlbekannt als ein Jakobit und Feind
unseres Glaubens und hat immer lieber in Frankreich
gelebt unter Papisten und Gottesläugnern als bei den
Rechtgläubigen in Altengland. Was Sie so hoch schätzen,
junger Mann, dieser Haufen von alten Papieren,
stammt aus einer finstern Zeit, wo der Jrrthum häu-
figer war als die Wahrheit, aus der Zeit, wo wir noch
in den Banden des Antichrists in Rom lagen, und
kann, wenn der Jnhalt bekannt wird, nur schaden.
Man wird diese Dinge also wieder dahin thun, wo sie
hergekommen sind und sie besser als seither verwahren,
damit sie niemanden mehr in Versuchung führen. Sie
aber, Herr Chatterton, werden mir ein doppeltes Ver-
sprechen ablegen: einmal, Jhren rechtswidrigen Versuch
der Erlangung dieser Schriften nie zu wiederholen, und
dann, den gedachten Herrn keinerlei Angaben oder An-
deutungen darüber zu machen, welche uns mit densel-
ben in unangenehme Conflikte bringen könnten. Nur
dann kann ich Jhr Vergehen vergessen und Schritte
unterlassen, welche auf Sie und damit auf Jhre Fa-
milie das schwerste Unglück bringen müßten. Sie wer-
den mir dieses Versprechen unverzüglich leisten, die
Papiere werden wieder in die Kiste gebracht und wohl-
verschlossen, und damit ist die Sache abgemacht und
Gott befohlen, und jedermann kann zur Ruhe gehen.“

[Ende Spaltensatz]
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[1037/0005] 1037 daß Jhnen aber, wenn Jhre Verstocktheit uns nöthigt, Sie den Gerichten zu übergeben, das Schlimmste be- vorsteht — Jhnen wie dem jungen Mann hier, dessen reuiges Benehmen mir zur Genüge andeutet, daß er durch Sie zur Theilnahme an diesem Einbruch verleitet worden ist.“ „Ach Gott, ja!“ rief, als Chatterton abermals schwieg, Rudhall kläglich aus; „ich will ja auch alles sagen, was man wissen will; meinen Namen — ich heiße John Rudhall — und meinen Stand, welcher der eines Gehülfen bei einem Arzt und Apotheker, Herrn Bolton in der Steinstraße, ist. 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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 44. Stuttgart/Tübingen, 2. November 1856, S. 1037. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt44_1856/5>, abgerufen am 21.11.2024.