Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 44. Stuttgart/Tübingen, 2. November 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

[Beginn Spaltensatz] daß Jhnen aber, wenn Jhre Verstocktheit uns nöthigt,
Sie den Gerichten zu übergeben, das Schlimmste be-
vorsteht -- Jhnen wie dem jungen Mann hier, dessen
reuiges Benehmen mir zur Genüge andeutet, daß er
durch Sie zur Theilnahme an diesem Einbruch verleitet
worden ist."

"Ach Gott, ja!" rief, als Chatterton abermals
schwieg, Rudhall kläglich aus; "ich will ja auch alles
sagen, was man wissen will; meinen Namen -- ich heiße
John Rudhall -- und meinen Stand, welcher der eines
Gehülfen bei einem Arzt und Apotheker, Herrn Bolton
in der Steinstraße, ist. Und ich will auch sagen, was
wir hier gewollt haben, oder vielmehr, was Tom ge-
wollt hat, denn es ist nicht so schlimm, wie es aus-
sieht, weßhalb ich auch hoffe, daß Sie, hochwürdigster
Herr, durch die Finger sehen und uns laufen lassen
werden."

Der Geistliche lächelte ein Weniges über diese kläg-
liche Rede. -- "Das wird sich alles finden," sagte er
dann, "nur muß man offen die ganze Wahrheit sagen,
und da es Herrn Chatterton nicht beliebt, unsere Fra-
gen zu beantworten, so müssen wir uns mit Jhrer Aus-
kunft Herr -- Herr so und so, begnügen. Reden Sie!"

Mit den seiner Sprachweise eigenen Abschwei-
fungen und Weitläufigkeiten brachte nun John alles
vor, was er über Toms Absichten wußte, und erman-
gelte nicht, die Beziehungen des letzteren zu den Herrn
Walpole, Catcott und Barrett zu betonen. Allein ge-
rade dieß schien eher einen ungünstigen, als den ge-
wünschten Eindruck auf Herrn Weston zu machen, wel-
cher den Bericht aufmerksam, mit einigen Zwischenfragen
und Aeußerungen des Erstaunens anhörte. Als Rudhall
zu Ende gekommen war, wandte sich der Geistliche nach
den Papieren und Pergamenten, welche Tom ausge-
lesen hatte; allein deren gothische Schrift schien ihm
unverständlich, er kehrte sich in wenigen Augenblicken
wieder davon ab und sagte in mildem Tone zu Chat-
terton: "Was Sie uns hier zu entführen beabsichtigten,
erscheint werthlos, außerdem ist es beim bloßen Versuch
geblieben, und so dürften Jhre Schritte eher als eine
Jugendthorheit, denn als ein Verbrechen erscheinen und
sich nicht zur Kenntnißnahme der Gerichte eignen."

Tom machte eine Bewegung der freudigsten Ueber-
raschung und wollte reden, aber der Geistliche fuhr ab-
weisend fort: "Aber als Seelsorger habe ich die Pflicht,
Sie von der Verkehrtheit Jhrer jetzigen Bestrebungen
abzumahnen und selbst zurückzuhalten." -- "Jch verstehe
Jhre Worte nicht ganz, hochwürdiger Herr," sagte Tom,
dessen Zunge durch die Nachsichtigkeit Herrn Westons
endlich gelöst worden war. -- "Jch wollte Jhnen nur
bemerklich machen," entgegnete dieser, "daß Sie Jhre
[Spaltenumbruch] Zeit mit nutzlosen und selbst schädlichen Dingen ver-
geuden, statt den Erwartungen zu entsprechen, welche
Jhre Mutter und Jhr Principal sich von Jhnen ma-
chen. Lassen Sie diese alten Dinge liegen, wo sie
liegen, denken Sie nicht mehr daran, gehen Sie an
die Arbeiten, welche Jhnen zukommen, und die ganze
Sache ist vergessen!"

Der Jüngling stand einen Augenblick sehr betroffen,
diese Lösung der Verwicklung schien ihm eben so uner-
wartet als unerwünscht zu kommen. "Jch darf vielleicht
bemerken," sagte er zögernd und nach einer Pause, "daß
mir der Besitz dieser Schätze eher eine sichere und eh-
renhafte Existenz bereiten wird, als die juristische
Laufbahn, und dann, daß der gewünschte Verzicht nicht
mehr von mir allein abhängt. Die Herren Catcott,
Barrett, Walpole erwarten --"

"Was diese Herrn erwarten," unterbrach ihn der
Geistliche in scharfem Ton, "ist uns ganz gleichgültig,
oder vielmehr wir haben als Protestanten und Englän-
der die Pflicht, ihr halb heidnisches, halb katholisches
Treiben nicht zu fördern. Was kann es uns helfen,
daß Herr Barrett beweisen will, unsere gute Stadt
Bristol sey vierhundert Jahre vor der Geburt des Herrn
durch blinde Heiden gegründet worden, da Stadt wie
Mensch nur da recht existirt, wo die Segnung des
Christenthums ausgebreitet ist? Und dieser Herr Wal-
pole war früher wohlbekannt als ein Jakobit und Feind
unseres Glaubens und hat immer lieber in Frankreich
gelebt unter Papisten und Gottesläugnern als bei den
Rechtgläubigen in Altengland. Was Sie so hoch schätzen,
junger Mann, dieser Haufen von alten Papieren,
stammt aus einer finstern Zeit, wo der Jrrthum häu-
figer war als die Wahrheit, aus der Zeit, wo wir noch
in den Banden des Antichrists in Rom lagen, und
kann, wenn der Jnhalt bekannt wird, nur schaden.
Man wird diese Dinge also wieder dahin thun, wo sie
hergekommen sind und sie besser als seither verwahren,
damit sie niemanden mehr in Versuchung führen. Sie
aber, Herr Chatterton, werden mir ein doppeltes Ver-
sprechen ablegen: einmal, Jhren rechtswidrigen Versuch
der Erlangung dieser Schriften nie zu wiederholen, und
dann, den gedachten Herrn keinerlei Angaben oder An-
deutungen darüber zu machen, welche uns mit densel-
ben in unangenehme Conflikte bringen könnten. Nur
dann kann ich Jhr Vergehen vergessen und Schritte
unterlassen, welche auf Sie und damit auf Jhre Fa-
milie das schwerste Unglück bringen müßten. Sie wer-
den mir dieses Versprechen unverzüglich leisten, die
Papiere werden wieder in die Kiste gebracht und wohl-
verschlossen, und damit ist die Sache abgemacht und
Gott befohlen, und jedermann kann zur Ruhe gehen."

[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] daß Jhnen aber, wenn Jhre Verstocktheit uns nöthigt,
Sie den Gerichten zu übergeben, das Schlimmste be-
vorsteht — Jhnen wie dem jungen Mann hier, dessen
reuiges Benehmen mir zur Genüge andeutet, daß er
durch Sie zur Theilnahme an diesem Einbruch verleitet
worden ist.“

„Ach Gott, ja!“ rief, als Chatterton abermals
schwieg, Rudhall kläglich aus; „ich will ja auch alles
sagen, was man wissen will; meinen Namen — ich heiße
John Rudhall — und meinen Stand, welcher der eines
Gehülfen bei einem Arzt und Apotheker, Herrn Bolton
in der Steinstraße, ist. Und ich will auch sagen, was
wir hier gewollt haben, oder vielmehr, was Tom ge-
wollt hat, denn es ist nicht so schlimm, wie es aus-
sieht, weßhalb ich auch hoffe, daß Sie, hochwürdigster
Herr, durch die Finger sehen und uns laufen lassen
werden.“

Der Geistliche lächelte ein Weniges über diese kläg-
liche Rede. — „Das wird sich alles finden,“ sagte er
dann, „nur muß man offen die ganze Wahrheit sagen,
und da es Herrn Chatterton nicht beliebt, unsere Fra-
gen zu beantworten, so müssen wir uns mit Jhrer Aus-
kunft Herr — Herr so und so, begnügen. Reden Sie!“

Mit den seiner Sprachweise eigenen Abschwei-
fungen und Weitläufigkeiten brachte nun John alles
vor, was er über Toms Absichten wußte, und erman-
gelte nicht, die Beziehungen des letzteren zu den Herrn
Walpole, Catcott und Barrett zu betonen. Allein ge-
rade dieß schien eher einen ungünstigen, als den ge-
wünschten Eindruck auf Herrn Weston zu machen, wel-
cher den Bericht aufmerksam, mit einigen Zwischenfragen
und Aeußerungen des Erstaunens anhörte. Als Rudhall
zu Ende gekommen war, wandte sich der Geistliche nach
den Papieren und Pergamenten, welche Tom ausge-
lesen hatte; allein deren gothische Schrift schien ihm
unverständlich, er kehrte sich in wenigen Augenblicken
wieder davon ab und sagte in mildem Tone zu Chat-
terton: „Was Sie uns hier zu entführen beabsichtigten,
erscheint werthlos, außerdem ist es beim bloßen Versuch
geblieben, und so dürften Jhre Schritte eher als eine
Jugendthorheit, denn als ein Verbrechen erscheinen und
sich nicht zur Kenntnißnahme der Gerichte eignen.“

Tom machte eine Bewegung der freudigsten Ueber-
raschung und wollte reden, aber der Geistliche fuhr ab-
weisend fort: „Aber als Seelsorger habe ich die Pflicht,
Sie von der Verkehrtheit Jhrer jetzigen Bestrebungen
abzumahnen und selbst zurückzuhalten.“ — „Jch verstehe
Jhre Worte nicht ganz, hochwürdiger Herr,“ sagte Tom,
dessen Zunge durch die Nachsichtigkeit Herrn Westons
endlich gelöst worden war. — „Jch wollte Jhnen nur
bemerklich machen,“ entgegnete dieser, „daß Sie Jhre
[Spaltenumbruch] Zeit mit nutzlosen und selbst schädlichen Dingen ver-
geuden, statt den Erwartungen zu entsprechen, welche
Jhre Mutter und Jhr Principal sich von Jhnen ma-
chen. Lassen Sie diese alten Dinge liegen, wo sie
liegen, denken Sie nicht mehr daran, gehen Sie an
die Arbeiten, welche Jhnen zukommen, und die ganze
Sache ist vergessen!“

Der Jüngling stand einen Augenblick sehr betroffen,
diese Lösung der Verwicklung schien ihm eben so uner-
wartet als unerwünscht zu kommen. „Jch darf vielleicht
bemerken,“ sagte er zögernd und nach einer Pause, „daß
mir der Besitz dieser Schätze eher eine sichere und eh-
renhafte Existenz bereiten wird, als die juristische
Laufbahn, und dann, daß der gewünschte Verzicht nicht
mehr von mir allein abhängt. Die Herren Catcott,
Barrett, Walpole erwarten —“

„Was diese Herrn erwarten,“ unterbrach ihn der
Geistliche in scharfem Ton, „ist uns ganz gleichgültig,
oder vielmehr wir haben als Protestanten und Englän-
der die Pflicht, ihr halb heidnisches, halb katholisches
Treiben nicht zu fördern. Was kann es uns helfen,
daß Herr Barrett beweisen will, unsere gute Stadt
Bristol sey vierhundert Jahre vor der Geburt des Herrn
durch blinde Heiden gegründet worden, da Stadt wie
Mensch nur da recht existirt, wo die Segnung des
Christenthums ausgebreitet ist? Und dieser Herr Wal-
pole war früher wohlbekannt als ein Jakobit und Feind
unseres Glaubens und hat immer lieber in Frankreich
gelebt unter Papisten und Gottesläugnern als bei den
Rechtgläubigen in Altengland. Was Sie so hoch schätzen,
junger Mann, dieser Haufen von alten Papieren,
stammt aus einer finstern Zeit, wo der Jrrthum häu-
figer war als die Wahrheit, aus der Zeit, wo wir noch
in den Banden des Antichrists in Rom lagen, und
kann, wenn der Jnhalt bekannt wird, nur schaden.
Man wird diese Dinge also wieder dahin thun, wo sie
hergekommen sind und sie besser als seither verwahren,
damit sie niemanden mehr in Versuchung führen. Sie
aber, Herr Chatterton, werden mir ein doppeltes Ver-
sprechen ablegen: einmal, Jhren rechtswidrigen Versuch
der Erlangung dieser Schriften nie zu wiederholen, und
dann, den gedachten Herrn keinerlei Angaben oder An-
deutungen darüber zu machen, welche uns mit densel-
ben in unangenehme Conflikte bringen könnten. Nur
dann kann ich Jhr Vergehen vergessen und Schritte
unterlassen, welche auf Sie und damit auf Jhre Fa-
milie das schwerste Unglück bringen müßten. Sie wer-
den mir dieses Versprechen unverzüglich leisten, die
Papiere werden wieder in die Kiste gebracht und wohl-
verschlossen, und damit ist die Sache abgemacht und
Gott befohlen, und jedermann kann zur Ruhe gehen.“

[Ende Spaltensatz]
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div xml:id="Nov1" type="jArticle" n="1">
        <p><pb facs="#f0005" n="1037"/><fw type="pageNum" place="top">1037</fw><cb type="start"/>
daß Jhnen aber, wenn Jhre Verstocktheit uns nöthigt,<lb/>
Sie den Gerichten zu übergeben, das Schlimmste be-<lb/>
vorsteht &#x2014; Jhnen wie dem jungen Mann hier, dessen<lb/>
reuiges Benehmen mir zur Genüge andeutet, daß er<lb/>
durch Sie zur Theilnahme an diesem Einbruch verleitet<lb/>
worden ist.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ach Gott, ja!&#x201C; rief, als Chatterton abermals<lb/>
schwieg, Rudhall kläglich aus; &#x201E;ich will ja auch alles<lb/>
sagen, was man wissen will; meinen Namen &#x2014; ich heiße<lb/>
John Rudhall &#x2014; und meinen Stand, welcher der eines<lb/>
Gehülfen bei einem Arzt und Apotheker, Herrn Bolton<lb/>
in der Steinstraße, ist. Und ich will auch sagen, was<lb/>
wir hier gewollt haben, oder vielmehr, was Tom ge-<lb/>
wollt hat, denn es ist nicht so schlimm, wie es aus-<lb/>
sieht, weßhalb ich auch hoffe, daß Sie, hochwürdigster<lb/>
Herr, durch die Finger sehen und uns laufen lassen<lb/>
werden.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Der Geistliche lächelte ein Weniges über diese kläg-<lb/>
liche Rede. &#x2014; &#x201E;Das wird sich alles finden,&#x201C; sagte er<lb/>
dann, &#x201E;nur muß man offen die ganze Wahrheit sagen,<lb/>
und da es Herrn Chatterton nicht beliebt, unsere Fra-<lb/>
gen zu beantworten, so müssen wir uns mit Jhrer Aus-<lb/>
kunft Herr &#x2014; Herr so und so, begnügen. Reden Sie!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Mit den seiner Sprachweise eigenen Abschwei-<lb/>
fungen und Weitläufigkeiten brachte nun John alles<lb/>
vor, was er über Toms Absichten wußte, und erman-<lb/>
gelte nicht, die Beziehungen des letzteren zu den Herrn<lb/>
Walpole, Catcott und Barrett zu betonen. Allein ge-<lb/>
rade dieß schien eher einen ungünstigen, als den ge-<lb/>
wünschten Eindruck auf Herrn Weston zu machen, wel-<lb/>
cher den Bericht aufmerksam, mit einigen Zwischenfragen<lb/>
und Aeußerungen des Erstaunens anhörte. Als Rudhall<lb/>
zu Ende gekommen war, wandte sich der Geistliche nach<lb/>
den Papieren und Pergamenten, welche Tom ausge-<lb/>
lesen hatte; allein deren gothische Schrift schien ihm<lb/>
unverständlich, er kehrte sich in wenigen Augenblicken<lb/>
wieder davon ab und sagte in mildem Tone zu Chat-<lb/>
terton: &#x201E;Was Sie uns hier zu entführen beabsichtigten,<lb/>
erscheint werthlos, außerdem ist es beim bloßen Versuch<lb/>
geblieben, und so dürften Jhre Schritte eher als eine<lb/>
Jugendthorheit, denn als ein Verbrechen erscheinen und<lb/>
sich nicht zur Kenntnißnahme der Gerichte eignen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Tom machte eine Bewegung der freudigsten Ueber-<lb/>
raschung und wollte reden, aber der Geistliche fuhr ab-<lb/>
weisend fort: &#x201E;Aber als Seelsorger habe ich die Pflicht,<lb/>
Sie von der Verkehrtheit Jhrer jetzigen Bestrebungen<lb/>
abzumahnen und selbst zurückzuhalten.&#x201C; &#x2014; &#x201E;Jch verstehe<lb/>
Jhre Worte nicht ganz, hochwürdiger Herr,&#x201C; sagte Tom,<lb/>
dessen Zunge durch die Nachsichtigkeit Herrn Westons<lb/>
endlich gelöst worden war. &#x2014; &#x201E;Jch wollte Jhnen nur<lb/>
bemerklich machen,&#x201C; entgegnete dieser, &#x201E;daß Sie Jhre<lb/><cb n="2"/>
Zeit mit nutzlosen und selbst schädlichen Dingen ver-<lb/>
geuden, statt den Erwartungen zu entsprechen, welche<lb/>
Jhre Mutter und Jhr Principal sich von Jhnen ma-<lb/>
chen. Lassen Sie diese alten Dinge liegen, wo sie<lb/>
liegen, denken Sie nicht mehr daran, gehen Sie an<lb/>
die Arbeiten, welche Jhnen zukommen, und die ganze<lb/>
Sache ist vergessen!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Der Jüngling stand einen Augenblick sehr betroffen,<lb/>
diese Lösung der Verwicklung schien ihm eben so uner-<lb/>
wartet als unerwünscht zu kommen. &#x201E;Jch darf vielleicht<lb/>
bemerken,&#x201C; sagte er zögernd und nach einer Pause, &#x201E;daß<lb/>
mir der Besitz dieser Schätze eher eine sichere und eh-<lb/>
renhafte Existenz bereiten wird, als die juristische<lb/>
Laufbahn, und dann, daß der gewünschte Verzicht nicht<lb/>
mehr von mir allein abhängt. Die Herren Catcott,<lb/>
Barrett, Walpole erwarten &#x2014;&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Was diese Herrn erwarten,&#x201C; unterbrach ihn der<lb/>
Geistliche in scharfem Ton, &#x201E;ist uns ganz gleichgültig,<lb/>
oder vielmehr wir haben als Protestanten und Englän-<lb/>
der die Pflicht, ihr halb heidnisches, halb katholisches<lb/>
Treiben nicht zu fördern. Was kann es uns helfen,<lb/>
daß Herr Barrett beweisen will, unsere gute Stadt<lb/>
Bristol sey vierhundert Jahre vor der Geburt des Herrn<lb/>
durch blinde Heiden gegründet worden, da Stadt wie<lb/>
Mensch nur da recht existirt, wo die Segnung des<lb/>
Christenthums ausgebreitet ist? Und dieser Herr Wal-<lb/>
pole war früher wohlbekannt als ein Jakobit und Feind<lb/>
unseres Glaubens und hat immer lieber in Frankreich<lb/>
gelebt unter Papisten und Gottesläugnern als bei den<lb/>
Rechtgläubigen in Altengland. Was Sie so hoch schätzen,<lb/>
junger Mann, dieser Haufen von alten Papieren,<lb/>
stammt aus einer finstern Zeit, wo der Jrrthum häu-<lb/>
figer war als die Wahrheit, aus der Zeit, wo wir noch<lb/>
in den Banden des Antichrists in Rom lagen, und<lb/>
kann, wenn der Jnhalt bekannt wird, nur schaden.<lb/>
Man wird diese Dinge also wieder dahin thun, wo sie<lb/>
hergekommen sind und sie besser als seither verwahren,<lb/>
damit sie niemanden mehr in Versuchung führen. Sie<lb/>
aber, Herr Chatterton, werden mir ein doppeltes Ver-<lb/>
sprechen ablegen: einmal, Jhren rechtswidrigen Versuch<lb/>
der Erlangung dieser Schriften nie zu wiederholen, und<lb/>
dann, den gedachten Herrn keinerlei Angaben oder An-<lb/>
deutungen darüber zu machen, welche uns mit densel-<lb/>
ben in unangenehme Conflikte bringen könnten. Nur<lb/>
dann kann ich Jhr Vergehen vergessen und Schritte<lb/>
unterlassen, welche auf Sie und damit auf Jhre Fa-<lb/>
milie das schwerste Unglück bringen müßten. Sie wer-<lb/>
den mir dieses Versprechen unverzüglich leisten, die<lb/>
Papiere werden wieder in die Kiste gebracht und wohl-<lb/>
verschlossen, und damit ist die Sache abgemacht und<lb/>
Gott befohlen, und jedermann kann zur Ruhe gehen.&#x201C;</p><lb/>
        <cb type="end"/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1037/0005] 1037 daß Jhnen aber, wenn Jhre Verstocktheit uns nöthigt, Sie den Gerichten zu übergeben, das Schlimmste be- vorsteht — Jhnen wie dem jungen Mann hier, dessen reuiges Benehmen mir zur Genüge andeutet, daß er durch Sie zur Theilnahme an diesem Einbruch verleitet worden ist.“ „Ach Gott, ja!“ rief, als Chatterton abermals schwieg, Rudhall kläglich aus; „ich will ja auch alles sagen, was man wissen will; meinen Namen — ich heiße John Rudhall — und meinen Stand, welcher der eines Gehülfen bei einem Arzt und Apotheker, Herrn Bolton in der Steinstraße, ist. Und ich will auch sagen, was wir hier gewollt haben, oder vielmehr, was Tom ge- wollt hat, denn es ist nicht so schlimm, wie es aus- sieht, weßhalb ich auch hoffe, daß Sie, hochwürdigster Herr, durch die Finger sehen und uns laufen lassen werden.“ Der Geistliche lächelte ein Weniges über diese kläg- liche Rede. — „Das wird sich alles finden,“ sagte er dann, „nur muß man offen die ganze Wahrheit sagen, und da es Herrn Chatterton nicht beliebt, unsere Fra- gen zu beantworten, so müssen wir uns mit Jhrer Aus- kunft Herr — Herr so und so, begnügen. Reden Sie!“ Mit den seiner Sprachweise eigenen Abschwei- fungen und Weitläufigkeiten brachte nun John alles vor, was er über Toms Absichten wußte, und erman- gelte nicht, die Beziehungen des letzteren zu den Herrn Walpole, Catcott und Barrett zu betonen. Allein ge- rade dieß schien eher einen ungünstigen, als den ge- wünschten Eindruck auf Herrn Weston zu machen, wel- cher den Bericht aufmerksam, mit einigen Zwischenfragen und Aeußerungen des Erstaunens anhörte. Als Rudhall zu Ende gekommen war, wandte sich der Geistliche nach den Papieren und Pergamenten, welche Tom ausge- lesen hatte; allein deren gothische Schrift schien ihm unverständlich, er kehrte sich in wenigen Augenblicken wieder davon ab und sagte in mildem Tone zu Chat- terton: „Was Sie uns hier zu entführen beabsichtigten, erscheint werthlos, außerdem ist es beim bloßen Versuch geblieben, und so dürften Jhre Schritte eher als eine Jugendthorheit, denn als ein Verbrechen erscheinen und sich nicht zur Kenntnißnahme der Gerichte eignen.“ Tom machte eine Bewegung der freudigsten Ueber- raschung und wollte reden, aber der Geistliche fuhr ab- weisend fort: „Aber als Seelsorger habe ich die Pflicht, Sie von der Verkehrtheit Jhrer jetzigen Bestrebungen abzumahnen und selbst zurückzuhalten.“ — „Jch verstehe Jhre Worte nicht ganz, hochwürdiger Herr,“ sagte Tom, dessen Zunge durch die Nachsichtigkeit Herrn Westons endlich gelöst worden war. — „Jch wollte Jhnen nur bemerklich machen,“ entgegnete dieser, „daß Sie Jhre Zeit mit nutzlosen und selbst schädlichen Dingen ver- geuden, statt den Erwartungen zu entsprechen, welche Jhre Mutter und Jhr Principal sich von Jhnen ma- chen. Lassen Sie diese alten Dinge liegen, wo sie liegen, denken Sie nicht mehr daran, gehen Sie an die Arbeiten, welche Jhnen zukommen, und die ganze Sache ist vergessen!“ Der Jüngling stand einen Augenblick sehr betroffen, diese Lösung der Verwicklung schien ihm eben so uner- wartet als unerwünscht zu kommen. „Jch darf vielleicht bemerken,“ sagte er zögernd und nach einer Pause, „daß mir der Besitz dieser Schätze eher eine sichere und eh- renhafte Existenz bereiten wird, als die juristische Laufbahn, und dann, daß der gewünschte Verzicht nicht mehr von mir allein abhängt. Die Herren Catcott, Barrett, Walpole erwarten —“ „Was diese Herrn erwarten,“ unterbrach ihn der Geistliche in scharfem Ton, „ist uns ganz gleichgültig, oder vielmehr wir haben als Protestanten und Englän- der die Pflicht, ihr halb heidnisches, halb katholisches Treiben nicht zu fördern. Was kann es uns helfen, daß Herr Barrett beweisen will, unsere gute Stadt Bristol sey vierhundert Jahre vor der Geburt des Herrn durch blinde Heiden gegründet worden, da Stadt wie Mensch nur da recht existirt, wo die Segnung des Christenthums ausgebreitet ist? Und dieser Herr Wal- pole war früher wohlbekannt als ein Jakobit und Feind unseres Glaubens und hat immer lieber in Frankreich gelebt unter Papisten und Gottesläugnern als bei den Rechtgläubigen in Altengland. Was Sie so hoch schätzen, junger Mann, dieser Haufen von alten Papieren, stammt aus einer finstern Zeit, wo der Jrrthum häu- figer war als die Wahrheit, aus der Zeit, wo wir noch in den Banden des Antichrists in Rom lagen, und kann, wenn der Jnhalt bekannt wird, nur schaden. Man wird diese Dinge also wieder dahin thun, wo sie hergekommen sind und sie besser als seither verwahren, damit sie niemanden mehr in Versuchung führen. Sie aber, Herr Chatterton, werden mir ein doppeltes Ver- sprechen ablegen: einmal, Jhren rechtswidrigen Versuch der Erlangung dieser Schriften nie zu wiederholen, und dann, den gedachten Herrn keinerlei Angaben oder An- deutungen darüber zu machen, welche uns mit densel- ben in unangenehme Conflikte bringen könnten. Nur dann kann ich Jhr Vergehen vergessen und Schritte unterlassen, welche auf Sie und damit auf Jhre Fa- milie das schwerste Unglück bringen müßten. Sie wer- den mir dieses Versprechen unverzüglich leisten, die Papiere werden wieder in die Kiste gebracht und wohl- verschlossen, und damit ist die Sache abgemacht und Gott befohlen, und jedermann kann zur Ruhe gehen.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt44_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt44_1856/5
Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 44. Stuttgart/Tübingen, 2. November 1856, S. 1037. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt44_1856/5>, abgerufen am 29.05.2024.