Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 44. Stuttgart/Tübingen, 2. November 1856.[Beginn Spaltensatz]
Aeußerungen des Erstaunens über diese milde Ent- "Wir sind nicht hier," unterbrach ihn der Geistliche Ein unbändiger Trotz blitzte bei diesen befehlenden Ein unbeschreiblicher Zorn hatte sich während dieser Mit diesen Worten nahm der Geistliche aus der "Gnade!" stöhnte er, gegen Herrn Weston gewen- Der Geistliche wandte sich vor dem Blick des [Beginn Spaltensatz]
Aeußerungen des Erstaunens über diese milde Ent- „Wir sind nicht hier,“ unterbrach ihn der Geistliche Ein unbändiger Trotz blitzte bei diesen befehlenden Ein unbeschreiblicher Zorn hatte sich während dieser Mit diesen Worten nahm der Geistliche aus der „Gnade!“ stöhnte er, gegen Herrn Weston gewen- Der Geistliche wandte sich vor dem Blick des <TEI> <text> <body> <div xml:id="Nov1" type="jArticle" n="1"> <pb facs="#f0006" n="1038"/> <fw type="pageNum" place="top">1038</fw> <cb type="start"/> <p>Aeußerungen des Erstaunens über diese milde Ent-<lb/> scheidung wurden von den Anwesenden laut, und Rud-<lb/> hall wandte sich, nach einer dankenden Bewegung gegen<lb/> Herrn Weston, zu seinem Freund mit einer Miene,<lb/> welche die sofortige Abgabe des verlangten Versprechens<lb/> erwartete. — „Jch erkenne Jhre Güte, hochwürdiger<lb/> Herr,“ sagte Chatterton, „und spreche meinen vollsten<lb/> Dank dafür aus. Allein, was mich auch bedrohen<lb/> möge, jenes Versprechen kann ich nicht leisten, kann<lb/> meine Absicht auf diese von Jhnen mißachteten, von<lb/> mir aber unendlich hoch geschätzten Dokumente, in deren<lb/> Veröffentlichung ich meinen höchsten Lebenszweck erblicke,<lb/> nicht aufgeben! Wie Sie auch über den Jnhalt dieser<lb/> Stücke und über die Bestrebungen jener Herrn denken<lb/> mögen, gestatten Sie mir, <hi rendition="#g">mit</hi> Jhrer Erlaubniß zu<lb/> thun, was jugendliche Unbedachtsamkeit <hi rendition="#g">ohne</hi> dieselbe<lb/> versucht hat! Das Verdienst, welches Sie sich dadurch<lb/> um unsere alte vaterländische Literatur erwerben wür-<lb/> den —“</p><lb/> <p>„Wir sind nicht hier,“ unterbrach ihn der Geistliche<lb/> heftig, indem er sich erhob, „um zu räsonniren oder<lb/> uns belehren zu lassen, wir befehlen und Sie gehorchen!<lb/> Ketzern und Papisten wird hier kein Vorschub geleistet!<lb/> Daß Sie Jhre Zunge wahren, dafür bürgt mir Jhr<lb/> Hals! Man verwahre das Geschreibsel sicher vor allen<lb/> Tollköpfen, welche sich nochmals um den alten Quark<lb/> bemühen wollen könnten!“</p><lb/> <p>Ein unbändiger Trotz blitzte bei diesen befehlenden<lb/> und geringschätzigen Worten in Blick und Haltung des-<lb/> selben Jünglings auf, welchen noch vor wenigen Au-<lb/> genblicken ein mildes Zureden so schmiegsam gemacht<lb/> hatte. „Jch habe gesagt,“ begann er, vor Herrn We-<lb/> ston hintretend, „daß die Veröffentlichung dieser Schrif-<lb/> ten mein Lebenszweck ist. Jch verspreche nichts, und<lb/> mein Hals bürgt für nichts; das aber sage ich vorher,<lb/> daß ich das meinige thun werde, mit Gewalt und List,<lb/> öffentlich und geheim, allein und mit fremder Hülfe,<lb/> um dieser kostbaren Manuscripte habhaft zu werden.<lb/> Daran soll mich keine Furcht hindern und keine Rück-<lb/> sicht, und vor allen Dingen wird pfäffische Unwissenheit<lb/> und Jntoleranz sich mir umsonst in den Weg stellen!<lb/> Und mit dieser Aussicht sage auch ich: Gott befohlen<lb/> und zur Ruhe!“</p><lb/> <p>Ein unbeschreiblicher Zorn hatte sich während dieser<lb/> trotzigen Rede in den Zügen des Geistlichen gemalt,<lb/> er stand einige Sekunden sprachlos, dann aber faßte er<lb/> sich und sagte mit erkünstelter Ruhe: „Jst das Jhr letz-<lb/> tes Wort, mein junger Herr?“ — „Mein letztes! Und<lb/> Sie können so sicher darauf bauen als auf eines des<lb/> Evangeliums, welches Sie hier verkünden!“ — „Und<lb/> eben so sicher,“ versetzte Herr Weston mit einem höh-<lb/><cb n="2"/> nischen Lächeln, „können <hi rendition="#g">Sie</hi> darauf gehen, daß Sie<lb/> Jhr Ziel nie erreichen werden, und wenn Sie ihm<lb/> auch noch mehr opferten als das, wozu Sie schon be-<lb/> reit sind! Wir werden diese Werke des finstern Aber-<lb/> glaubens, glücklicherweise das Eigenthum der Redcliff-<lb/> kirche, vor allen Nachstellungen, offenen wie geheimen,<lb/> vor Gewalt und List, vor Jhnen wie vor Jhren Freun-<lb/> den, in noch bessere Verwahrung zu bringen wissen,<lb/> als sie es in dieser sechsfach verschlossenen Kiste seyn<lb/> würden — wir werden sie — <hi rendition="#g">vernichten!</hi> Und dann,<lb/> Gott befohlen! Dann wird Jhr jugendlicher Hals nicht<lb/> die Gefahr laufen, in welche Sie ihn so leichtsinnig<lb/> stürzen wollen, Sie werden zu Jhrer Mutter, zu Jhrem<lb/> Principal, zu Jhren Arbeiten zurückkehren, wir werden<lb/> Ruhe haben vor nächtlichen Einbrüchen unreifer, un-<lb/> berufener Gelehrter und allenfallsigen Chikanen hirnver-<lb/> brannter Alterthumskrämer, und der papistische Schrei-<lb/> ber da wird in verdienter Vergessenheit verbleiben. —<lb/> Samuel! die Fackel!“</p><lb/> <p>Mit diesen Worten nahm der Geistliche aus der<lb/> Hand des Alten dessen Leuchte und näherte ihr Feuer<lb/> den Manuscripten zu seinen Füßen. Allein mit einer<lb/> blitzgleichen Bewegung machte sich Chatterton vom Griff<lb/> des Wächters los, stürzte sich auf Weston, entriß ihm<lb/> die fatale Flamme und schleuderte sie gewaltig in die<lb/> entfernte Ecke des Raumes, wo sie erlosch. Doch nur<lb/> einen Augenblick sollte diese Nothwehr der Verzweiflung<lb/> währen, denn während sich Samuel langsam und ver-<lb/> dutzt nach seiner Fackel umkehrte und Weston erschrocken<lb/> zurücksprang, warfen sich der jüngere Wächter und das<lb/> Ehepaar auf den Jüngling, dessen Widerstand schnell<lb/> gebrochen war. An beiden Armen mit überlegener Kraft<lb/> zurückgehalten, sah er, wie Weston die andere Fackel<lb/> ergriff, sich nach der Kiste umwandte und den vor ihr<lb/> befindlichen Haufen von Papieren und Pergamenten<lb/> in Brand steckte. Noch ein krampfhafter, vergeblicher<lb/> Versuch sich loszureißen durchbebte Toms ganzen<lb/> Körper, dann entrang sich ein dumpfer Schrei seiner<lb/> Brust, mit starrem, weit vorgetretenem Auge betrachtete<lb/> er einige Sekunden lang den Rauch und die kleinen<lb/> Flammen, welche, von der Gluth der Fackel genährt,<lb/> an den zum Theil schwer verbrennlichen Stoffen em-<lb/> porstiegen; dann stürzte er, mit dem Ausdruck bewäl-<lb/> tigten Stolzes und flehender Bitte in seinen Zügen,<lb/> auf die Kniee.</p><lb/> <p>„Gnade!“ stöhnte er, gegen Herrn Weston gewen-<lb/> det, „Gnade für ihn! für den Mönch! für Rowley!<lb/> für den Dichter! Gnade! Macht mit mir, was ihr<lb/> wollt! Tödtet mich auf der Stelle! Bringt mich an den<lb/> Galgen! Aber Gnade für ihn! Gnade!“</p><lb/> <p>Der Geistliche wandte sich vor dem Blick des<lb/><cb type="end"/> </p> </div> </body> </text> </TEI> [1038/0006]
1038
Aeußerungen des Erstaunens über diese milde Ent-
scheidung wurden von den Anwesenden laut, und Rud-
hall wandte sich, nach einer dankenden Bewegung gegen
Herrn Weston, zu seinem Freund mit einer Miene,
welche die sofortige Abgabe des verlangten Versprechens
erwartete. — „Jch erkenne Jhre Güte, hochwürdiger
Herr,“ sagte Chatterton, „und spreche meinen vollsten
Dank dafür aus. Allein, was mich auch bedrohen
möge, jenes Versprechen kann ich nicht leisten, kann
meine Absicht auf diese von Jhnen mißachteten, von
mir aber unendlich hoch geschätzten Dokumente, in deren
Veröffentlichung ich meinen höchsten Lebenszweck erblicke,
nicht aufgeben! Wie Sie auch über den Jnhalt dieser
Stücke und über die Bestrebungen jener Herrn denken
mögen, gestatten Sie mir, mit Jhrer Erlaubniß zu
thun, was jugendliche Unbedachtsamkeit ohne dieselbe
versucht hat! Das Verdienst, welches Sie sich dadurch
um unsere alte vaterländische Literatur erwerben wür-
den —“
„Wir sind nicht hier,“ unterbrach ihn der Geistliche
heftig, indem er sich erhob, „um zu räsonniren oder
uns belehren zu lassen, wir befehlen und Sie gehorchen!
Ketzern und Papisten wird hier kein Vorschub geleistet!
Daß Sie Jhre Zunge wahren, dafür bürgt mir Jhr
Hals! Man verwahre das Geschreibsel sicher vor allen
Tollköpfen, welche sich nochmals um den alten Quark
bemühen wollen könnten!“
Ein unbändiger Trotz blitzte bei diesen befehlenden
und geringschätzigen Worten in Blick und Haltung des-
selben Jünglings auf, welchen noch vor wenigen Au-
genblicken ein mildes Zureden so schmiegsam gemacht
hatte. „Jch habe gesagt,“ begann er, vor Herrn We-
ston hintretend, „daß die Veröffentlichung dieser Schrif-
ten mein Lebenszweck ist. Jch verspreche nichts, und
mein Hals bürgt für nichts; das aber sage ich vorher,
daß ich das meinige thun werde, mit Gewalt und List,
öffentlich und geheim, allein und mit fremder Hülfe,
um dieser kostbaren Manuscripte habhaft zu werden.
Daran soll mich keine Furcht hindern und keine Rück-
sicht, und vor allen Dingen wird pfäffische Unwissenheit
und Jntoleranz sich mir umsonst in den Weg stellen!
Und mit dieser Aussicht sage auch ich: Gott befohlen
und zur Ruhe!“
Ein unbeschreiblicher Zorn hatte sich während dieser
trotzigen Rede in den Zügen des Geistlichen gemalt,
er stand einige Sekunden sprachlos, dann aber faßte er
sich und sagte mit erkünstelter Ruhe: „Jst das Jhr letz-
tes Wort, mein junger Herr?“ — „Mein letztes! Und
Sie können so sicher darauf bauen als auf eines des
Evangeliums, welches Sie hier verkünden!“ — „Und
eben so sicher,“ versetzte Herr Weston mit einem höh-
nischen Lächeln, „können Sie darauf gehen, daß Sie
Jhr Ziel nie erreichen werden, und wenn Sie ihm
auch noch mehr opferten als das, wozu Sie schon be-
reit sind! Wir werden diese Werke des finstern Aber-
glaubens, glücklicherweise das Eigenthum der Redcliff-
kirche, vor allen Nachstellungen, offenen wie geheimen,
vor Gewalt und List, vor Jhnen wie vor Jhren Freun-
den, in noch bessere Verwahrung zu bringen wissen,
als sie es in dieser sechsfach verschlossenen Kiste seyn
würden — wir werden sie — vernichten! Und dann,
Gott befohlen! Dann wird Jhr jugendlicher Hals nicht
die Gefahr laufen, in welche Sie ihn so leichtsinnig
stürzen wollen, Sie werden zu Jhrer Mutter, zu Jhrem
Principal, zu Jhren Arbeiten zurückkehren, wir werden
Ruhe haben vor nächtlichen Einbrüchen unreifer, un-
berufener Gelehrter und allenfallsigen Chikanen hirnver-
brannter Alterthumskrämer, und der papistische Schrei-
ber da wird in verdienter Vergessenheit verbleiben. —
Samuel! die Fackel!“
Mit diesen Worten nahm der Geistliche aus der
Hand des Alten dessen Leuchte und näherte ihr Feuer
den Manuscripten zu seinen Füßen. Allein mit einer
blitzgleichen Bewegung machte sich Chatterton vom Griff
des Wächters los, stürzte sich auf Weston, entriß ihm
die fatale Flamme und schleuderte sie gewaltig in die
entfernte Ecke des Raumes, wo sie erlosch. Doch nur
einen Augenblick sollte diese Nothwehr der Verzweiflung
währen, denn während sich Samuel langsam und ver-
dutzt nach seiner Fackel umkehrte und Weston erschrocken
zurücksprang, warfen sich der jüngere Wächter und das
Ehepaar auf den Jüngling, dessen Widerstand schnell
gebrochen war. An beiden Armen mit überlegener Kraft
zurückgehalten, sah er, wie Weston die andere Fackel
ergriff, sich nach der Kiste umwandte und den vor ihr
befindlichen Haufen von Papieren und Pergamenten
in Brand steckte. Noch ein krampfhafter, vergeblicher
Versuch sich loszureißen durchbebte Toms ganzen
Körper, dann entrang sich ein dumpfer Schrei seiner
Brust, mit starrem, weit vorgetretenem Auge betrachtete
er einige Sekunden lang den Rauch und die kleinen
Flammen, welche, von der Gluth der Fackel genährt,
an den zum Theil schwer verbrennlichen Stoffen em-
porstiegen; dann stürzte er, mit dem Ausdruck bewäl-
tigten Stolzes und flehender Bitte in seinen Zügen,
auf die Kniee.
„Gnade!“ stöhnte er, gegen Herrn Weston gewen-
det, „Gnade für ihn! für den Mönch! für Rowley!
für den Dichter! Gnade! Macht mit mir, was ihr
wollt! Tödtet mich auf der Stelle! Bringt mich an den
Galgen! Aber Gnade für ihn! Gnade!“
Der Geistliche wandte sich vor dem Blick des
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung
Weitere Informationen:Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |