Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 44. Stuttgart/Tübingen, 2. November 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

[Beginn Spaltensatz] Jünglings ab und ging mit gesenktem Haupte langsam
und schweigend hin und her. Manchmal warf er einen
Blick auf den Scheiterhaufen. dessen Gluth sich zu ver-
mehren begann. Die Papierrollen verzehrten sich zuerst,
indem sie anfänglich nur einen dicken Rauch entsandten,
dann aber, plötzlich aufplatzend, in heller Flamme auf-
schlugen und endlich in leichte schwarze Flocken aus-
einanderfielen. Die Pergamentstücke leisteten längeren,
allein gleichfalls vergeblichen Widerstand, sie krümmten
und bogen sich qualmend, ächzend und prasselnd in der
Hitze; der Rauch, den sie entsandten, war gelblich,
schwer und stinkend, und ein dicker Dampf hatte bald
den ganzen oberen Theil des Raums eingenommen und
lastete wie eine drohende Wolke über den Häuptern der
Anwesenden.

Toms Auge folgte immer noch starr dem Werke
des Feuers, allein mit wachsender Zerstörung seiner
Schätze nahm sein Gesicht einen unsäglich wilden, halb
drohenden, halb verzweiflungsvollen Ausdruck an; er
athmete schwer und zuckte mit jeder emporschlagenden
Flamme auf und nieder; endlich, als die Zerstörung
fast vollendet war, drängten sich aus seiner röchelnden
Brust gegen Herrn Weston die Worte hervor: " Bar-
bar! Henker! Ungeheuer!" dann sank er bewußtlos um
und in die Arme derer, die ihn zurückgehalten hatten.

Einige Augenblicke vergingen in allgemeinem tiefem
Schweigen, welches nur durch das Knistern der erster-
benden Flammen unterbrochen wurde. Da schlug es
zwölf Uhr. Der Geistliche wartete das Verglimmen der
letzten Funken ruhig ab, dann stieß er mit dem Fuß
gegen den schwarzen Aschenhaufen, dieser fiel aus ein-
ander und ließ in seiner Mitte nur einige zusammen-
gekrümmte, halb verkohlte Pergamentstreifen sehen. --
"Es ist gut so!" sagte er nun, ließ die übrigen Pa-
piere und Pergamente wieder in die Kiste legen, die-
selbe verschließen und wandte sich zum Weggehen mit
den Worten: "Samuel mag sich mit dem jungen Mann
hier des verblendeten, thörichten Jünglings annehmen,
damit er nicht zu Schaden und nach Hause kommt.
Gott befohlen!"

Damit entfernte er sich mit seinen Begleitern.
Rudhall und Samuel blieben bei dem Ohnmächtigen
zurück. Der Alte machte einen vergeblichen Versuch,
Tom zum Bewußtseyn zurückzurufen. -- "Wir müssen
ihn an die frische Luft bringen," sagte Rudhall, "in
diesem Dunst hier kann er nur schlechter werden." --
"Gut," sagte Samuel, "leuchten Sie nur voran!" und
während John die noch brennende Leuchte seines Freun-
des aufhob und voran ging, nahm der Alte den Be-
wußtlosen in seinen starken Armen leicht wie eine Puppe
[Spaltenumbruch] auf und folgte jenem auf den Gang, die Wendeltreppe
hinab und in die Straße vor der Kirche hinaus.

An einem nahen Brunnen hielt man stille, Tom
wurde auf einen Prellstein niedergelassen und Rudhall
begann die Kunst, welche er erlernte, an ihm auszu-
üben. Er befreite den Hals seines Freundes von der
Binde, öffnete dann auch das Hemd und benetzte Schlä-
fen und Lippen mit Wasser. Samuel bewies sich in
allen seinen Bewegungen sehr theilnehmend. -- "Es ist
ein Glück," sagte John zu ihm, als Tom sich zu regen
begann und tief Athem schöpfte, "daß wir so leichten
Kaufes davon gekommen sind. Herr Weston hat sich
doch recht menschenfreundlich gegen uns bewiesen." --
Der Alte antwortete nicht, ließ aber ein Gemurmel
vernehmen, welches eine Meinungsverschiedenheit anzei-
gen zu sollen schien. -- "Er hätte uns ja doch," fuhr
John fort, indem er seines Freundes Kopf an die
Brunneneinfassung stützte, "den Gerichten übergeben
können, und lieber Himmel, was wäre dann aus uns
geworden!"

"Junger Herr," erwiederte Samuel nach einer
Pause, "ich verstehe von diesen Dingen nicht viel, sie
gehen mich auch nichts an; allein der da dauert mich,
denn ich habe ihn gekannt, als er noch nicht höher war
als mein Knie, und ich glaube, daß ihm heute Unrecht
geschehen ist. Sie sind sein Freund, so sieht's wenig-
stens aus, und Sie sollen ihm wiedergeben, was ich
Jhnen jetzt sage, aber sonst niemanden, nicht wahr?" --
"Gewiß, das verspreche ich!" rief Rudhall erstaunt und
neugierig. -- "Es kostet mich mein Amt, wenn's her-
aus kommt," fuhr der Alte fort; "allein es kommt nicht
heraus, weil er, der Pfarrer, schweigen wird, und
Jhr nur redet, wenn er nicht schweigt." -- "Aber um's
Himmels Willen, was soll denn das Alles bedeuten?"
-- "Gar nicht viel, geht auch wenige Leute an. Jch
weiß es von des jungen Herrn Onkel, der mit mir
recht gut war. Er -- der heute das Papierwesen ver-
brannt hat -- war nicht immer so wie jetzt: er war ein-
mal der Liebhaber der langen Frau mit dem gelben
Tuch am Kopfe." -- "Warum nicht gar! der alten
Hexe!" rief Rudhall, zusammenschauernd bei der Er-
innerung an Sarahs schreckhafte Erscheinung.

"Sie war nicht immer eine alte Hexe," erwiederte
Samuel, "und hat ihrem Mann damit den Posten
verschafft, der eigentlich Tommys Vater gehörte. Das
hatte aber noch einen andern Haken, denn der fromme
Herr sah auch nach der Mutter des jungen Menschen
hier aus, welche aber nichts von ihm wollte, und wie
er einmal zu ungehöriger Zeit dorthin kam und Herr
Chatterton sich dazu fand, ließ ihn der die Treppe
hinunter rollen; denn kurz, dick und rund war er schon
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] Jünglings ab und ging mit gesenktem Haupte langsam
und schweigend hin und her. Manchmal warf er einen
Blick auf den Scheiterhaufen. dessen Gluth sich zu ver-
mehren begann. Die Papierrollen verzehrten sich zuerst,
indem sie anfänglich nur einen dicken Rauch entsandten,
dann aber, plötzlich aufplatzend, in heller Flamme auf-
schlugen und endlich in leichte schwarze Flocken aus-
einanderfielen. Die Pergamentstücke leisteten längeren,
allein gleichfalls vergeblichen Widerstand, sie krümmten
und bogen sich qualmend, ächzend und prasselnd in der
Hitze; der Rauch, den sie entsandten, war gelblich,
schwer und stinkend, und ein dicker Dampf hatte bald
den ganzen oberen Theil des Raums eingenommen und
lastete wie eine drohende Wolke über den Häuptern der
Anwesenden.

Toms Auge folgte immer noch starr dem Werke
des Feuers, allein mit wachsender Zerstörung seiner
Schätze nahm sein Gesicht einen unsäglich wilden, halb
drohenden, halb verzweiflungsvollen Ausdruck an; er
athmete schwer und zuckte mit jeder emporschlagenden
Flamme auf und nieder; endlich, als die Zerstörung
fast vollendet war, drängten sich aus seiner röchelnden
Brust gegen Herrn Weston die Worte hervor: „ Bar-
bar! Henker! Ungeheuer!“ dann sank er bewußtlos um
und in die Arme derer, die ihn zurückgehalten hatten.

Einige Augenblicke vergingen in allgemeinem tiefem
Schweigen, welches nur durch das Knistern der erster-
benden Flammen unterbrochen wurde. Da schlug es
zwölf Uhr. Der Geistliche wartete das Verglimmen der
letzten Funken ruhig ab, dann stieß er mit dem Fuß
gegen den schwarzen Aschenhaufen, dieser fiel aus ein-
ander und ließ in seiner Mitte nur einige zusammen-
gekrümmte, halb verkohlte Pergamentstreifen sehen. —
„Es ist gut so!“ sagte er nun, ließ die übrigen Pa-
piere und Pergamente wieder in die Kiste legen, die-
selbe verschließen und wandte sich zum Weggehen mit
den Worten: „Samuel mag sich mit dem jungen Mann
hier des verblendeten, thörichten Jünglings annehmen,
damit er nicht zu Schaden und nach Hause kommt.
Gott befohlen!“

Damit entfernte er sich mit seinen Begleitern.
Rudhall und Samuel blieben bei dem Ohnmächtigen
zurück. Der Alte machte einen vergeblichen Versuch,
Tom zum Bewußtseyn zurückzurufen. — „Wir müssen
ihn an die frische Luft bringen,“ sagte Rudhall, „in
diesem Dunst hier kann er nur schlechter werden.“ —
„Gut,“ sagte Samuel, „leuchten Sie nur voran!“ und
während John die noch brennende Leuchte seines Freun-
des aufhob und voran ging, nahm der Alte den Be-
wußtlosen in seinen starken Armen leicht wie eine Puppe
[Spaltenumbruch] auf und folgte jenem auf den Gang, die Wendeltreppe
hinab und in die Straße vor der Kirche hinaus.

An einem nahen Brunnen hielt man stille, Tom
wurde auf einen Prellstein niedergelassen und Rudhall
begann die Kunst, welche er erlernte, an ihm auszu-
üben. Er befreite den Hals seines Freundes von der
Binde, öffnete dann auch das Hemd und benetzte Schlä-
fen und Lippen mit Wasser. Samuel bewies sich in
allen seinen Bewegungen sehr theilnehmend. — „Es ist
ein Glück,“ sagte John zu ihm, als Tom sich zu regen
begann und tief Athem schöpfte, „daß wir so leichten
Kaufes davon gekommen sind. Herr Weston hat sich
doch recht menschenfreundlich gegen uns bewiesen.“ —
Der Alte antwortete nicht, ließ aber ein Gemurmel
vernehmen, welches eine Meinungsverschiedenheit anzei-
gen zu sollen schien. — „Er hätte uns ja doch,“ fuhr
John fort, indem er seines Freundes Kopf an die
Brunneneinfassung stützte, „den Gerichten übergeben
können, und lieber Himmel, was wäre dann aus uns
geworden!“

„Junger Herr,“ erwiederte Samuel nach einer
Pause, „ich verstehe von diesen Dingen nicht viel, sie
gehen mich auch nichts an; allein der da dauert mich,
denn ich habe ihn gekannt, als er noch nicht höher war
als mein Knie, und ich glaube, daß ihm heute Unrecht
geschehen ist. Sie sind sein Freund, so sieht's wenig-
stens aus, und Sie sollen ihm wiedergeben, was ich
Jhnen jetzt sage, aber sonst niemanden, nicht wahr?“ —
„Gewiß, das verspreche ich!“ rief Rudhall erstaunt und
neugierig. — „Es kostet mich mein Amt, wenn's her-
aus kommt,“ fuhr der Alte fort; „allein es kommt nicht
heraus, weil er, der Pfarrer, schweigen wird, und
Jhr nur redet, wenn er nicht schweigt.“ — „Aber um's
Himmels Willen, was soll denn das Alles bedeuten?“
— „Gar nicht viel, geht auch wenige Leute an. Jch
weiß es von des jungen Herrn Onkel, der mit mir
recht gut war. Er — der heute das Papierwesen ver-
brannt hat — war nicht immer so wie jetzt: er war ein-
mal der Liebhaber der langen Frau mit dem gelben
Tuch am Kopfe.“ — „Warum nicht gar! der alten
Hexe!“ rief Rudhall, zusammenschauernd bei der Er-
innerung an Sarahs schreckhafte Erscheinung.

„Sie war nicht immer eine alte Hexe,“ erwiederte
Samuel, „und hat ihrem Mann damit den Posten
verschafft, der eigentlich Tommys Vater gehörte. Das
hatte aber noch einen andern Haken, denn der fromme
Herr sah auch nach der Mutter des jungen Menschen
hier aus, welche aber nichts von ihm wollte, und wie
er einmal zu ungehöriger Zeit dorthin kam und Herr
Chatterton sich dazu fand, ließ ihn der die Treppe
hinunter rollen; denn kurz, dick und rund war er schon
[Ende Spaltensatz]

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div xml:id="Nov1" type="jArticle" n="1">
        <p><pb facs="#f0007" n="1039"/><fw type="pageNum" place="top">1039</fw><cb type="start"/>
Jünglings ab und ging mit gesenktem Haupte langsam<lb/>
und schweigend hin und her. Manchmal warf er einen<lb/>
Blick auf den Scheiterhaufen. dessen Gluth sich zu ver-<lb/>
mehren begann. Die Papierrollen verzehrten sich zuerst,<lb/>
indem sie anfänglich nur einen dicken Rauch entsandten,<lb/>
dann aber, plötzlich aufplatzend, in heller Flamme auf-<lb/>
schlugen und endlich in leichte schwarze Flocken aus-<lb/>
einanderfielen. Die Pergamentstücke leisteten längeren,<lb/>
allein gleichfalls vergeblichen Widerstand, sie krümmten<lb/>
und bogen sich qualmend, ächzend und prasselnd in der<lb/>
Hitze; der Rauch, den sie entsandten, war gelblich,<lb/>
schwer und stinkend, und ein dicker Dampf hatte bald<lb/>
den ganzen oberen Theil des Raums eingenommen und<lb/>
lastete wie eine drohende Wolke über den Häuptern der<lb/>
Anwesenden.</p><lb/>
        <p>Toms Auge folgte immer noch starr dem Werke<lb/>
des Feuers, allein mit wachsender Zerstörung seiner<lb/>
Schätze nahm sein Gesicht einen unsäglich wilden, halb<lb/>
drohenden, halb verzweiflungsvollen Ausdruck an; er<lb/>
athmete schwer und zuckte mit jeder emporschlagenden<lb/>
Flamme auf und nieder; endlich, als die Zerstörung<lb/>
fast vollendet war, drängten sich aus seiner röchelnden<lb/>
Brust gegen Herrn Weston die Worte hervor: &#x201E; Bar-<lb/>
bar! Henker! Ungeheuer!&#x201C; dann sank er bewußtlos um<lb/>
und in die Arme derer, die ihn zurückgehalten hatten.</p><lb/>
        <p>Einige Augenblicke vergingen in allgemeinem tiefem<lb/>
Schweigen, welches nur durch das Knistern der erster-<lb/>
benden Flammen unterbrochen wurde. Da schlug es<lb/>
zwölf Uhr. Der Geistliche wartete das Verglimmen der<lb/>
letzten Funken ruhig ab, dann stieß er mit dem Fuß<lb/>
gegen den schwarzen Aschenhaufen, dieser fiel aus ein-<lb/>
ander und ließ in seiner Mitte nur einige zusammen-<lb/>
gekrümmte, halb verkohlte Pergamentstreifen sehen. &#x2014;<lb/>
&#x201E;Es ist gut so!&#x201C; sagte er nun, ließ die übrigen Pa-<lb/>
piere und Pergamente wieder in die Kiste legen, die-<lb/>
selbe verschließen und wandte sich zum Weggehen mit<lb/>
den Worten: &#x201E;Samuel mag sich mit dem jungen Mann<lb/>
hier des verblendeten, thörichten Jünglings annehmen,<lb/>
damit er nicht zu Schaden und nach Hause kommt.<lb/>
Gott befohlen!&#x201C;</p><lb/>
        <p>Damit entfernte er sich mit seinen Begleitern.<lb/>
Rudhall und Samuel blieben bei dem Ohnmächtigen<lb/>
zurück. Der Alte machte einen vergeblichen Versuch,<lb/>
Tom zum Bewußtseyn zurückzurufen. &#x2014; &#x201E;Wir müssen<lb/>
ihn an die frische Luft bringen,&#x201C; sagte Rudhall, &#x201E;in<lb/>
diesem Dunst hier kann er nur schlechter werden.&#x201C; &#x2014;<lb/>
&#x201E;Gut,&#x201C; sagte Samuel, &#x201E;leuchten Sie nur voran!&#x201C; und<lb/>
während John die noch brennende Leuchte seines Freun-<lb/>
des aufhob und voran ging, nahm der Alte den Be-<lb/>
wußtlosen in seinen starken Armen leicht wie eine Puppe<lb/><cb n="2"/>
auf und folgte jenem auf den Gang, die Wendeltreppe<lb/>
hinab und in die Straße vor der Kirche hinaus.</p><lb/>
        <p>An einem nahen Brunnen hielt man stille, Tom<lb/>
wurde auf einen Prellstein niedergelassen und Rudhall<lb/>
begann die Kunst, welche er erlernte, an ihm auszu-<lb/>
üben. Er befreite den Hals seines Freundes von der<lb/>
Binde, öffnete dann auch das Hemd und benetzte Schlä-<lb/>
fen und Lippen mit Wasser. Samuel bewies sich in<lb/>
allen seinen Bewegungen sehr theilnehmend. &#x2014; &#x201E;Es ist<lb/>
ein Glück,&#x201C; sagte John zu ihm, als Tom sich zu regen<lb/>
begann und tief Athem schöpfte, &#x201E;daß wir so leichten<lb/>
Kaufes davon gekommen sind. Herr Weston hat sich<lb/>
doch recht menschenfreundlich gegen uns bewiesen.&#x201C; &#x2014;<lb/>
Der Alte antwortete nicht, ließ aber ein Gemurmel<lb/>
vernehmen, welches eine Meinungsverschiedenheit anzei-<lb/>
gen zu sollen schien. &#x2014; &#x201E;Er hätte uns ja doch,&#x201C; fuhr<lb/>
John fort, indem er seines Freundes Kopf an die<lb/>
Brunneneinfassung stützte, &#x201E;den Gerichten übergeben<lb/>
können, und lieber Himmel, was wäre dann aus uns<lb/>
geworden!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Junger Herr,&#x201C; erwiederte Samuel nach einer<lb/>
Pause, &#x201E;ich verstehe von diesen Dingen nicht viel, sie<lb/>
gehen mich auch nichts an; allein der da dauert mich,<lb/>
denn ich habe ihn gekannt, als er noch nicht höher war<lb/>
als mein Knie, und ich glaube, daß ihm heute Unrecht<lb/>
geschehen ist. Sie sind sein Freund, so sieht's wenig-<lb/>
stens aus, und Sie sollen ihm wiedergeben, was ich<lb/>
Jhnen jetzt sage, aber sonst niemanden, nicht wahr?&#x201C; &#x2014;<lb/>
&#x201E;Gewiß, das verspreche ich!&#x201C; rief Rudhall erstaunt und<lb/>
neugierig. &#x2014; &#x201E;Es kostet mich mein Amt, wenn's her-<lb/>
aus kommt,&#x201C; fuhr der Alte fort; &#x201E;allein es kommt nicht<lb/>
heraus, weil er, der Pfarrer, schweigen wird, und<lb/>
Jhr nur redet, wenn er nicht schweigt.&#x201C; &#x2014; &#x201E;Aber um's<lb/>
Himmels Willen, was soll denn das Alles bedeuten?&#x201C;<lb/>
&#x2014; &#x201E;Gar nicht viel, geht auch wenige Leute an. Jch<lb/>
weiß es von des jungen Herrn Onkel, der mit mir<lb/>
recht gut war. Er &#x2014; der heute das Papierwesen ver-<lb/>
brannt hat &#x2014; war nicht immer so wie jetzt: er war ein-<lb/>
mal der Liebhaber der langen Frau mit dem gelben<lb/>
Tuch am Kopfe.&#x201C; &#x2014; &#x201E;Warum nicht gar! der alten<lb/>
Hexe!&#x201C; rief Rudhall, zusammenschauernd bei der Er-<lb/>
innerung an Sarahs schreckhafte Erscheinung.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sie war nicht immer eine alte Hexe,&#x201C; erwiederte<lb/>
Samuel, &#x201E;und hat ihrem Mann damit den Posten<lb/>
verschafft, der eigentlich Tommys Vater gehörte. Das<lb/>
hatte aber noch einen andern Haken, denn der fromme<lb/>
Herr sah auch nach der Mutter des jungen Menschen<lb/>
hier aus, welche aber nichts von ihm wollte, und wie<lb/>
er einmal zu ungehöriger Zeit dorthin kam und Herr<lb/>
Chatterton sich dazu fand, ließ ihn der die Treppe<lb/>
hinunter rollen; denn kurz, dick und rund war er schon<lb/><cb type="end"/>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1039/0007] 1039 Jünglings ab und ging mit gesenktem Haupte langsam und schweigend hin und her. Manchmal warf er einen Blick auf den Scheiterhaufen. dessen Gluth sich zu ver- mehren begann. Die Papierrollen verzehrten sich zuerst, indem sie anfänglich nur einen dicken Rauch entsandten, dann aber, plötzlich aufplatzend, in heller Flamme auf- schlugen und endlich in leichte schwarze Flocken aus- einanderfielen. Die Pergamentstücke leisteten längeren, allein gleichfalls vergeblichen Widerstand, sie krümmten und bogen sich qualmend, ächzend und prasselnd in der Hitze; der Rauch, den sie entsandten, war gelblich, schwer und stinkend, und ein dicker Dampf hatte bald den ganzen oberen Theil des Raums eingenommen und lastete wie eine drohende Wolke über den Häuptern der Anwesenden. Toms Auge folgte immer noch starr dem Werke des Feuers, allein mit wachsender Zerstörung seiner Schätze nahm sein Gesicht einen unsäglich wilden, halb drohenden, halb verzweiflungsvollen Ausdruck an; er athmete schwer und zuckte mit jeder emporschlagenden Flamme auf und nieder; endlich, als die Zerstörung fast vollendet war, drängten sich aus seiner röchelnden Brust gegen Herrn Weston die Worte hervor: „ Bar- bar! Henker! Ungeheuer!“ dann sank er bewußtlos um und in die Arme derer, die ihn zurückgehalten hatten. Einige Augenblicke vergingen in allgemeinem tiefem Schweigen, welches nur durch das Knistern der erster- benden Flammen unterbrochen wurde. Da schlug es zwölf Uhr. Der Geistliche wartete das Verglimmen der letzten Funken ruhig ab, dann stieß er mit dem Fuß gegen den schwarzen Aschenhaufen, dieser fiel aus ein- ander und ließ in seiner Mitte nur einige zusammen- gekrümmte, halb verkohlte Pergamentstreifen sehen. — „Es ist gut so!“ sagte er nun, ließ die übrigen Pa- piere und Pergamente wieder in die Kiste legen, die- selbe verschließen und wandte sich zum Weggehen mit den Worten: „Samuel mag sich mit dem jungen Mann hier des verblendeten, thörichten Jünglings annehmen, damit er nicht zu Schaden und nach Hause kommt. Gott befohlen!“ Damit entfernte er sich mit seinen Begleitern. Rudhall und Samuel blieben bei dem Ohnmächtigen zurück. Der Alte machte einen vergeblichen Versuch, Tom zum Bewußtseyn zurückzurufen. — „Wir müssen ihn an die frische Luft bringen,“ sagte Rudhall, „in diesem Dunst hier kann er nur schlechter werden.“ — „Gut,“ sagte Samuel, „leuchten Sie nur voran!“ und während John die noch brennende Leuchte seines Freun- des aufhob und voran ging, nahm der Alte den Be- wußtlosen in seinen starken Armen leicht wie eine Puppe auf und folgte jenem auf den Gang, die Wendeltreppe hinab und in die Straße vor der Kirche hinaus. An einem nahen Brunnen hielt man stille, Tom wurde auf einen Prellstein niedergelassen und Rudhall begann die Kunst, welche er erlernte, an ihm auszu- üben. Er befreite den Hals seines Freundes von der Binde, öffnete dann auch das Hemd und benetzte Schlä- fen und Lippen mit Wasser. Samuel bewies sich in allen seinen Bewegungen sehr theilnehmend. — „Es ist ein Glück,“ sagte John zu ihm, als Tom sich zu regen begann und tief Athem schöpfte, „daß wir so leichten Kaufes davon gekommen sind. Herr Weston hat sich doch recht menschenfreundlich gegen uns bewiesen.“ — Der Alte antwortete nicht, ließ aber ein Gemurmel vernehmen, welches eine Meinungsverschiedenheit anzei- gen zu sollen schien. — „Er hätte uns ja doch,“ fuhr John fort, indem er seines Freundes Kopf an die Brunneneinfassung stützte, „den Gerichten übergeben können, und lieber Himmel, was wäre dann aus uns geworden!“ „Junger Herr,“ erwiederte Samuel nach einer Pause, „ich verstehe von diesen Dingen nicht viel, sie gehen mich auch nichts an; allein der da dauert mich, denn ich habe ihn gekannt, als er noch nicht höher war als mein Knie, und ich glaube, daß ihm heute Unrecht geschehen ist. Sie sind sein Freund, so sieht's wenig- stens aus, und Sie sollen ihm wiedergeben, was ich Jhnen jetzt sage, aber sonst niemanden, nicht wahr?“ — „Gewiß, das verspreche ich!“ rief Rudhall erstaunt und neugierig. — „Es kostet mich mein Amt, wenn's her- aus kommt,“ fuhr der Alte fort; „allein es kommt nicht heraus, weil er, der Pfarrer, schweigen wird, und Jhr nur redet, wenn er nicht schweigt.“ — „Aber um's Himmels Willen, was soll denn das Alles bedeuten?“ — „Gar nicht viel, geht auch wenige Leute an. Jch weiß es von des jungen Herrn Onkel, der mit mir recht gut war. Er — der heute das Papierwesen ver- brannt hat — war nicht immer so wie jetzt: er war ein- mal der Liebhaber der langen Frau mit dem gelben Tuch am Kopfe.“ — „Warum nicht gar! der alten Hexe!“ rief Rudhall, zusammenschauernd bei der Er- innerung an Sarahs schreckhafte Erscheinung. „Sie war nicht immer eine alte Hexe,“ erwiederte Samuel, „und hat ihrem Mann damit den Posten verschafft, der eigentlich Tommys Vater gehörte. Das hatte aber noch einen andern Haken, denn der fromme Herr sah auch nach der Mutter des jungen Menschen hier aus, welche aber nichts von ihm wollte, und wie er einmal zu ungehöriger Zeit dorthin kam und Herr Chatterton sich dazu fand, ließ ihn der die Treppe hinunter rollen; denn kurz, dick und rund war er schon

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt44_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt44_1856/7
Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 44. Stuttgart/Tübingen, 2. November 1856, S. 1039. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt44_1856/7>, abgerufen am 21.11.2024.