Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 47. Stuttgart/Tübingen, 23. November 1856.[Beginn Spaltensatz]
Gewalt sanfter Anziehung, das still genossene Glück un- Dieselbe Dichtung nun aber, die uns noch einmal Er weiß, daß das Schönste sich zwischen den Zeilen Zum Schlusse erwähnen wir der zwischen die No- W. H. [Beginn Spaltensatz]
Gewalt sanfter Anziehung, das still genossene Glück un- Dieselbe Dichtung nun aber, die uns noch einmal Er weiß, daß das Schönste sich zwischen den Zeilen Zum Schlusse erwähnen wir der zwischen die No- W. H. <TEI> <text> <body> <div type="jCulturalNews" n="1"> <p><pb facs="#f0018" n="1122"/><fw type="pageNum" place="top">1122</fw><cb type="start"/> Gewalt sanfter Anziehung, das still genossene Glück un-<lb/> getrübter Gemeinschaft mit dem eindringendsten Zauber<lb/> der Phantasie uns nahe zu bringen weiß, ist es doch fast<lb/> jedesmal etwas diesen Eindrücken Fremdes, was den Aus-<lb/> schlag gibt, eine gleichmüthige, höchstens leicht elegisch<lb/> durchhauchte Stimmung, die das letzte Wort behält. Das<lb/> sind „Abenteuer,“ bei denen die Herzen im Grunde un-<lb/> beschädigt bleiben, denn sie laufen darauf hinaus, daß am<lb/> Ende jeder der Betheiligten seinen Einsatz wieder aus dem<lb/> Spiele zieht. </p><lb/> <p>Dieselbe Dichtung nun aber, die uns noch einmal<lb/> Anlaß gegeben hat, eine Wunderlichkeit hervorzuheben,<lb/> deren charakteristischen Einfluß auf das ganze Schaffen<lb/> unseres jungen Autors wir nicht verschweigen durften,<lb/> bietet zugleich den vollsten Ueberblick der seltenen Vorzüge,<lb/> in welchen wir für Mangelndes reiche Entschädigung fin-<lb/> den. Unabhängig von dem in gewissem Sinne vereitelten<lb/> Jnteresse der eigentlichen Fabel wirkt im „ Landschafts-<lb/> maler “ vor allem der bedeutende Jnhalt einer vom tiefsten<lb/> Verständniß der Künstlerseele getragenen Naturanschaunng.<lb/> Auf dem dürftigen Hintergrunde märkischer Landschaft<lb/> entwickelt sich hier eine Fülle des reizendsten Details, das<lb/> immer nur im treuen Zusammenhange mit den geistigen<lb/> Momenten der Darstellung verwendet, jenes idealen Lichtes<lb/> theilhaftig wird, wodurch wir an die künstlerische Thä-<lb/> tigkeit der Hauptperson und deren Zwecke fortwährend<lb/> erinnert bleiben. Die Schärfung des Auges für die<lb/> kleinen Dinge der Natur und des Menschenlebens, welche<lb/> bei unsern neueren Novellisten einen so hohen Grad er-<lb/> reicht hat, führt oft zu einem liebäugelnden Kostbarthun<lb/> mit todten Einzelnheiten, einem affektirt wichtigen An-<lb/> häufen von Beschreibungsmaterial, das im geraden Wi-<lb/> derspruch gegen die Absicht des Erzählers dem reinen Ge-<lb/> fühl der Situation mehr hinderlich als förderlich ist.<lb/> Bei Grimm athmen wir völlig heimisch in <hi rendition="#g">einer</hi> At-<lb/> mosphäre mit seinen Gestalten, ohne jemals eines Be-<lb/> mühens, das unsere Aufmerksamkeit fesseln wollte, inne<lb/> zu werden. Durchaus gilt von seinen Schilderungen, was<lb/> er selbst von Goethes italienischer Reise sagt: „Die Far-<lb/> ben sind überall so milde aufgetragen, daß sie den Ge-<lb/> danken nicht erschöpfen und uns gestatten, die eigene<lb/> Stimmung auf das Freieste mit der des Dichters zu ver-<lb/> schmelzen.“</p><lb/> <p>Er weiß, daß das Schönste sich zwischen den Zeilen<lb/> versteckt, und daß, um dem Leser ein klares Bild zu über-<lb/> liefern, der wohlgezeichnete Umriß, den die Phantasie,<lb/> durch die rechten Mittel angeregt, von selber ausfüllt,<lb/> das Beste thun muß. So trägt sein Styl überhaupt das<lb/> Gepräge derjenigen Sparsamkeit, welche das untrüglichste<lb/> Zeichen eines gut verwalteten Reichthums ist. Niemals<lb/> haben wir die goldene Lehre: ehe du ein schönes Wort<lb/> gebrauchst, mußt du ihm einen Platz bereiten, besser be-<lb/><cb n="2"/> griffen und geschickter befolgt gesehen. Und das „schöne<lb/> Wort“ macht sich hier nicht mit einer literarisch ange-<lb/> erbten Würde geltend, vielmehr ist es die sorgloseste Ent-<lb/> fernung von der sogenannten „poetischen Sprache,“ was<lb/> uns die geistige Macht des Dichters am stärksten em-<lb/> pfinden läßt. Alle Wirkung, die er übt, geht von dem<lb/> sichern Bewußtseyn aus, in die schlichteste Form die Un-<lb/> endlichkeit des poetischen Gefühls und die Grazie edler<lb/> Auffassung hineinzulegen. Neben der tiefsten lyrischen<lb/> Offenbarung des Wortes, die uns geheimnißvoll über-<lb/> schauert, finden wir aus der geselligen Conversation stam-<lb/> mende Elemente aufgenommen, welche gleichmäßig vom<lb/> Geiste des Dichters geadelt immer dem Gesetze der An-<lb/> muth und Schönheit sich dienstbar zeigen. Das sind die<lb/> „vertraulichen Worte,“ von denen Joubert so wahr be-<lb/> merkt: „Sie erwecken gegen <hi rendition="#g">den</hi> Vertrauen, der sie ge-<lb/> braucht, um seine Gedanken fühlbarer zu machen; denn<lb/> an solcher Anwendung der gewöhnlichen Sprache erkennt<lb/> man den Menschen, welcher des Lebens und der Verhält-<lb/> nisse kundig ist und sich ihnen nahe hält.“ Man sieht,<lb/> daß der Dichter den großen Vortheil genießt, in den<lb/> elegantesten Umgangsformen der guten Gesellschaft voll-<lb/> kommen zu Hause zu seyn; dabei aber unterscheidet ihn<lb/> von den andern aus dieser Sphäre der Weltbildung her-<lb/> kommenden Schriftstellern, an denen es uns im Genre<lb/> des Romans und der Novelle nicht gefehlt hat, sowohl<lb/> die tadellose Noblesse der Gesinnung, gepaart mit einer<lb/> wahrhaft vornehmen Bescheidenheit des Ausdrucks, als —<lb/> ganz besonders — eben die Jnnigkeit der poetischen Em-<lb/> pfindung und der ästhetische Tact ( » <hi rendition="#aq">la conscience du<lb/> beau, sur laquelle repose la production</hi> « ) , wodurch<lb/> jene Züge in die harmonisch ideale Wirkung des Ganzen<lb/> mit aufgelöst werden. </p><lb/> <p>Zum Schlusse erwähnen wir der zwischen die No-<lb/> vellen eingeschobenen Gedichte ( „Assly und Kyarem“ und<lb/> „die Schlange“, nach armenischen Sagen, die Haxthausen<lb/> in dem Werke „Transcaucasia“ mittheilt, gearbeitet, „Trost<lb/> in Einsamkeit,“ mehr lyrischen Charakters, „Eva,“ phan-<lb/> tasievolle Erweiterung eines biblischen Motivs ) trotz ihrer<lb/> hohen Schönheit nur, um offen auszusprechen, daß sie<lb/> uns hier nicht am rechten Platze zu stehen scheinen. Sie<lb/> stören durch ihr fremdartiges Colorit die innere Einheit<lb/> der Sammlung, aus welcher bei einer neuen Auflage,<lb/> die wir dem feinen Buche gewiß nicht vergebens von gan-<lb/> zem Herzen wünschen, sie auszuscheiden der Dichter sich<lb/> möge rathen lassen. Passend würde nur vielleicht als An-<lb/> hang „die Schlange“ beigefügt, ein merkwürdiges Gedicht,<lb/> worin wir die frappantesten symbolischen Beziehungen auf<lb/> die Grund = und Lieblingsfabel der Grimm'schen Novellistik<lb/> zu erblicken uns nicht enthalten können. </p><lb/> <p><space dim="horizontal"/> W. H.<lb/><space dim="horizontal"/> <hi rendition="#g">München</hi>. </p> </div><lb/> <cb type="end"/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </body> </text> </TEI> [1122/0018]
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Gewalt sanfter Anziehung, das still genossene Glück un-
getrübter Gemeinschaft mit dem eindringendsten Zauber
der Phantasie uns nahe zu bringen weiß, ist es doch fast
jedesmal etwas diesen Eindrücken Fremdes, was den Aus-
schlag gibt, eine gleichmüthige, höchstens leicht elegisch
durchhauchte Stimmung, die das letzte Wort behält. Das
sind „Abenteuer,“ bei denen die Herzen im Grunde un-
beschädigt bleiben, denn sie laufen darauf hinaus, daß am
Ende jeder der Betheiligten seinen Einsatz wieder aus dem
Spiele zieht.
Dieselbe Dichtung nun aber, die uns noch einmal
Anlaß gegeben hat, eine Wunderlichkeit hervorzuheben,
deren charakteristischen Einfluß auf das ganze Schaffen
unseres jungen Autors wir nicht verschweigen durften,
bietet zugleich den vollsten Ueberblick der seltenen Vorzüge,
in welchen wir für Mangelndes reiche Entschädigung fin-
den. Unabhängig von dem in gewissem Sinne vereitelten
Jnteresse der eigentlichen Fabel wirkt im „ Landschafts-
maler “ vor allem der bedeutende Jnhalt einer vom tiefsten
Verständniß der Künstlerseele getragenen Naturanschaunng.
Auf dem dürftigen Hintergrunde märkischer Landschaft
entwickelt sich hier eine Fülle des reizendsten Details, das
immer nur im treuen Zusammenhange mit den geistigen
Momenten der Darstellung verwendet, jenes idealen Lichtes
theilhaftig wird, wodurch wir an die künstlerische Thä-
tigkeit der Hauptperson und deren Zwecke fortwährend
erinnert bleiben. Die Schärfung des Auges für die
kleinen Dinge der Natur und des Menschenlebens, welche
bei unsern neueren Novellisten einen so hohen Grad er-
reicht hat, führt oft zu einem liebäugelnden Kostbarthun
mit todten Einzelnheiten, einem affektirt wichtigen An-
häufen von Beschreibungsmaterial, das im geraden Wi-
derspruch gegen die Absicht des Erzählers dem reinen Ge-
fühl der Situation mehr hinderlich als förderlich ist.
Bei Grimm athmen wir völlig heimisch in einer At-
mosphäre mit seinen Gestalten, ohne jemals eines Be-
mühens, das unsere Aufmerksamkeit fesseln wollte, inne
zu werden. Durchaus gilt von seinen Schilderungen, was
er selbst von Goethes italienischer Reise sagt: „Die Far-
ben sind überall so milde aufgetragen, daß sie den Ge-
danken nicht erschöpfen und uns gestatten, die eigene
Stimmung auf das Freieste mit der des Dichters zu ver-
schmelzen.“
Er weiß, daß das Schönste sich zwischen den Zeilen
versteckt, und daß, um dem Leser ein klares Bild zu über-
liefern, der wohlgezeichnete Umriß, den die Phantasie,
durch die rechten Mittel angeregt, von selber ausfüllt,
das Beste thun muß. So trägt sein Styl überhaupt das
Gepräge derjenigen Sparsamkeit, welche das untrüglichste
Zeichen eines gut verwalteten Reichthums ist. Niemals
haben wir die goldene Lehre: ehe du ein schönes Wort
gebrauchst, mußt du ihm einen Platz bereiten, besser be-
griffen und geschickter befolgt gesehen. Und das „schöne
Wort“ macht sich hier nicht mit einer literarisch ange-
erbten Würde geltend, vielmehr ist es die sorgloseste Ent-
fernung von der sogenannten „poetischen Sprache,“ was
uns die geistige Macht des Dichters am stärksten em-
pfinden läßt. Alle Wirkung, die er übt, geht von dem
sichern Bewußtseyn aus, in die schlichteste Form die Un-
endlichkeit des poetischen Gefühls und die Grazie edler
Auffassung hineinzulegen. Neben der tiefsten lyrischen
Offenbarung des Wortes, die uns geheimnißvoll über-
schauert, finden wir aus der geselligen Conversation stam-
mende Elemente aufgenommen, welche gleichmäßig vom
Geiste des Dichters geadelt immer dem Gesetze der An-
muth und Schönheit sich dienstbar zeigen. Das sind die
„vertraulichen Worte,“ von denen Joubert so wahr be-
merkt: „Sie erwecken gegen den Vertrauen, der sie ge-
braucht, um seine Gedanken fühlbarer zu machen; denn
an solcher Anwendung der gewöhnlichen Sprache erkennt
man den Menschen, welcher des Lebens und der Verhält-
nisse kundig ist und sich ihnen nahe hält.“ Man sieht,
daß der Dichter den großen Vortheil genießt, in den
elegantesten Umgangsformen der guten Gesellschaft voll-
kommen zu Hause zu seyn; dabei aber unterscheidet ihn
von den andern aus dieser Sphäre der Weltbildung her-
kommenden Schriftstellern, an denen es uns im Genre
des Romans und der Novelle nicht gefehlt hat, sowohl
die tadellose Noblesse der Gesinnung, gepaart mit einer
wahrhaft vornehmen Bescheidenheit des Ausdrucks, als —
ganz besonders — eben die Jnnigkeit der poetischen Em-
pfindung und der ästhetische Tact ( » la conscience du
beau, sur laquelle repose la production « ) , wodurch
jene Züge in die harmonisch ideale Wirkung des Ganzen
mit aufgelöst werden.
Zum Schlusse erwähnen wir der zwischen die No-
vellen eingeschobenen Gedichte ( „Assly und Kyarem“ und
„die Schlange“, nach armenischen Sagen, die Haxthausen
in dem Werke „Transcaucasia“ mittheilt, gearbeitet, „Trost
in Einsamkeit,“ mehr lyrischen Charakters, „Eva,“ phan-
tasievolle Erweiterung eines biblischen Motivs ) trotz ihrer
hohen Schönheit nur, um offen auszusprechen, daß sie
uns hier nicht am rechten Platze zu stehen scheinen. Sie
stören durch ihr fremdartiges Colorit die innere Einheit
der Sammlung, aus welcher bei einer neuen Auflage,
die wir dem feinen Buche gewiß nicht vergebens von gan-
zem Herzen wünschen, sie auszuscheiden der Dichter sich
möge rathen lassen. Passend würde nur vielleicht als An-
hang „die Schlange“ beigefügt, ein merkwürdiges Gedicht,
worin wir die frappantesten symbolischen Beziehungen auf
die Grund = und Lieblingsfabel der Grimm'schen Novellistik
zu erblicken uns nicht enthalten können.
W. H.
München.
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Weitere Informationen:Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.
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