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Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 47. Stuttgart/Tübingen, 23. November 1856.

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Aber allerdings liegt die Gefahr nahe, daß eine
dem Reiz huldigende Kunst gegen die Gesetze des Schö-
nen verstößt, indem sie den sittlichen Adel des Geistes
vergißt und eine Dienerin der Ueppigkeit wird. Nicht
bloß frivole, lüsterne Gemälde kommen hier in Betracht,
indem sie wohl das Auge ergötzen und die Sinnlichkeit
erregen können, aber das moralische Gefühl beleidigen
und damit der harmonischen Wirkung des Schönen ver-
lustig gehen; auch das ist eine Gefahr für den Künstler,
daß er glänzenden Farbeneffekten den Jnhalt der Dar-
stellung opfert und statt die Jdee der Sache und den
Charakter der Persönlichkeiten gründlich zu erfassen und
zu durchdringen, sich damit befriedigt, seine Gestalten
zu Trägern schimmernder Lichtspiele zu machen und durch
kokette Süßlichkeit dem Auge der Menge zu schmeicheln.
Das Vorwalten des Materialismus, des sinnlichen Reizes
gibt sich als Verfall der Künste kund. Sehr richtig
bemerkt auch Schnaase: "Wenn die Malerei in dem
Gebrauche des Reichthums vielfältiger Beziehungen, der
ihr vergönnt ist, so weit geht, daß sie auch das Klein-
liche, Spielende und Unwürdige der Natur aufnimmt,
ohne es durch künstlerische Kraft zu adeln, dann sinkt
sie in jene trübe Mischung der Elemente, welcher die
Kunst entfloh, zurück; sie theilt das Geschick des Wirk-
lichen. Sie steht dadurch in einem umgekehrten Ver-
hältniß zur Wirklichkeit wie die Baukunst. Diese an
das tägliche Leben sich anlehnend und daraus hervor-
gehend, riß sich durch Strenge und Reinheit von dem-
selben los, um sich in den reinen Aether der Kunst zu
erheben; jene, vom Schein ausgehend, senkt sich wieder
in die Wirklichkeit zurück, um ein Scheinbild derselben
zu werden."

Darum sehen wir die Malerei in ihrem Ursprung
bei den Griechen wie in der christlichen Welt an die
Architektur sich anschmiegen, und in dem Schmuck großer
Räume die Erfordernisse räumlicher Schönheit, symme-
trischer Gliederung, strenger Bezeichnung des Wesentli-
chen beobachten. Als sie aus dem Verfall sich rettete,
waren es besonders die monumentalen Werke, durch
welche ihre Wiedergeburt zur Herstellung ihres ursprüng-
lichen Adels den Sieg feierte. Carstens, Wächter, Schick
blieben dem Volke fremd und ohne großen Einfluß auf
den Zeitgeschmack; die Casa Bartholdi in Rom ward
die Wiege der neuen Malerei, als ihr Besitzer sie durch
Cornelius, Veit, Overbeck und Schadow mit der Ge-
schichte Josephs verzieren ließ. Jn der Glyptothek, in
der Ludwigskirche zu München konnte Cornelius durch
große monumentale Werke zeigen, was Styl ist, und in
der Ausgestaltung der vom Volksgemüth der alten und
neuen Welt getragenen Stoffe das Ewige und Allge-
meingültige großartig und mächtig ausprägen. Das
[Spaltenumbruch] vielfach Zerfahrene in der Berliner Malerei liegt an
dem Mangel monumentaler Malerwerke; das romantisch
Schwächliche oder in Bezug auf Geschichte das Genre-
mäßige so vieler Düsseldorfer ist sicherlich dadurch mit
verschuldet, daß die dortige Akademie nicht auch der
Baukunst und der Plastik ihre Pflege angedeihen läßt.

Jndeß um der Gefahr der Verirrung willen brau-
chen wir unser Auge nicht zu verschließen, wenn Cor-
reggios Jo im Helldunkel des Waldes, von der Um-
armung des Gottes selig entzückt, die leuchtenden Glie-
der unverschleiert enthüllt; denn hier entzieht sich der
Triumph der sinnlichen Lust dem Geiste nicht, noch
kämpft er gegen die Sittlichkeit an, sondern in bräut-
licher Reinheit gibt sich zugleich die Seele einem Hö-
heren liebevoll hin, wie Goethes Ganymed, vom Adler
emporgetragen, selber die Arme nach dem Busen des
allliebenden Vaters ausstreckt. Eben so wenig brau-
chen wir zu vergessen, daß auch das Detail der Wirk-
lichkeit ein Recht auf künstlerische Wiedergeburt hat,
oder daß die Farbenpracht der Venetianer kein eitler
Pomp ist, sondern der Ausdruck der innern Lebens-
kraft und Lebensfreude. Wie schon in der Skulptur
eine doppelte Darstellungsweise sich ankündigte, je nach-
dem der Meister vom historisch Gegebenen oder vom
geistig Angeschauten ausging, so treten in der Malerei
die Gegensätze eines idealistischen und realistischen Styls
in der Entwicklung der Jahrhunderte bald gleichzeitig,
bald abwechselnd hervor, und der letztere wird an sich
naturalistischer als in der Plastik, weil die Malerei
die Wärme des Ledens und die Bestimmtheit des Be-
sondern und Jndividuellen mittelst der Farbe viel kräf-
tiger und erkennbarer wiedergibt. Goethe hat dieß
letztere in den Anmerkungen zu Diderots Versuch über
die Malerei auf seine Weise folgendermaßen erörtert.
Der Franzose sagt: "Nichts in einem Bilde spricht uns
mehr an als die wahre Farbe, sie ist dem Unwissenden
wie dem Unterrichteten verständlich." Der Deutsche
setzt hinzu: "Bei allem, was nicht menschlicher Körper
ist, bedeutet die Farbe fast mehr als die Gestalt, und
die Farbe ist es also, wodurch wir viele Gegenstände
eigentlich erkennen oder wodurch sie uns interessiren.
Der einfarbige, der unfarbige Stein will nichts sagen,
das Holz wird nur durch die Mannigfaltigkeit seiner
Farbe bedeutend, die Gestalt des Vogels ist uns durch
ein Gewand verhüllt, das uns durch einen regelmäßigen
Farbenwechsel vorzüglich anlockt. Alle Körper haben
gewissermaßen eine individuelle Farbe, wenigstens eine
Farbe der Geschlechter und Arten; selbst die Farben
künstlicher Stoffe sind nach Verschiedenheit derselben
verschieden. Anders erscheint Cochenille auf Leinwand,
anders auf Wolle, anders auf Seide. Tafft, Atlas,
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Aber allerdings liegt die Gefahr nahe, daß eine
dem Reiz huldigende Kunst gegen die Gesetze des Schö-
nen verstößt, indem sie den sittlichen Adel des Geistes
vergißt und eine Dienerin der Ueppigkeit wird. Nicht
bloß frivole, lüsterne Gemälde kommen hier in Betracht,
indem sie wohl das Auge ergötzen und die Sinnlichkeit
erregen können, aber das moralische Gefühl beleidigen
und damit der harmonischen Wirkung des Schönen ver-
lustig gehen; auch das ist eine Gefahr für den Künstler,
daß er glänzenden Farbeneffekten den Jnhalt der Dar-
stellung opfert und statt die Jdee der Sache und den
Charakter der Persönlichkeiten gründlich zu erfassen und
zu durchdringen, sich damit befriedigt, seine Gestalten
zu Trägern schimmernder Lichtspiele zu machen und durch
kokette Süßlichkeit dem Auge der Menge zu schmeicheln.
Das Vorwalten des Materialismus, des sinnlichen Reizes
gibt sich als Verfall der Künste kund. Sehr richtig
bemerkt auch Schnaase: „Wenn die Malerei in dem
Gebrauche des Reichthums vielfältiger Beziehungen, der
ihr vergönnt ist, so weit geht, daß sie auch das Klein-
liche, Spielende und Unwürdige der Natur aufnimmt,
ohne es durch künstlerische Kraft zu adeln, dann sinkt
sie in jene trübe Mischung der Elemente, welcher die
Kunst entfloh, zurück; sie theilt das Geschick des Wirk-
lichen. Sie steht dadurch in einem umgekehrten Ver-
hältniß zur Wirklichkeit wie die Baukunst. Diese an
das tägliche Leben sich anlehnend und daraus hervor-
gehend, riß sich durch Strenge und Reinheit von dem-
selben los, um sich in den reinen Aether der Kunst zu
erheben; jene, vom Schein ausgehend, senkt sich wieder
in die Wirklichkeit zurück, um ein Scheinbild derselben
zu werden.“

Darum sehen wir die Malerei in ihrem Ursprung
bei den Griechen wie in der christlichen Welt an die
Architektur sich anschmiegen, und in dem Schmuck großer
Räume die Erfordernisse räumlicher Schönheit, symme-
trischer Gliederung, strenger Bezeichnung des Wesentli-
chen beobachten. Als sie aus dem Verfall sich rettete,
waren es besonders die monumentalen Werke, durch
welche ihre Wiedergeburt zur Herstellung ihres ursprüng-
lichen Adels den Sieg feierte. Carstens, Wächter, Schick
blieben dem Volke fremd und ohne großen Einfluß auf
den Zeitgeschmack; die Casa Bartholdi in Rom ward
die Wiege der neuen Malerei, als ihr Besitzer sie durch
Cornelius, Veit, Overbeck und Schadow mit der Ge-
schichte Josephs verzieren ließ. Jn der Glyptothek, in
der Ludwigskirche zu München konnte Cornelius durch
große monumentale Werke zeigen, was Styl ist, und in
der Ausgestaltung der vom Volksgemüth der alten und
neuen Welt getragenen Stoffe das Ewige und Allge-
meingültige großartig und mächtig ausprägen. Das
[Spaltenumbruch] vielfach Zerfahrene in der Berliner Malerei liegt an
dem Mangel monumentaler Malerwerke; das romantisch
Schwächliche oder in Bezug auf Geschichte das Genre-
mäßige so vieler Düsseldorfer ist sicherlich dadurch mit
verschuldet, daß die dortige Akademie nicht auch der
Baukunst und der Plastik ihre Pflege angedeihen läßt.

Jndeß um der Gefahr der Verirrung willen brau-
chen wir unser Auge nicht zu verschließen, wenn Cor-
reggios Jo im Helldunkel des Waldes, von der Um-
armung des Gottes selig entzückt, die leuchtenden Glie-
der unverschleiert enthüllt; denn hier entzieht sich der
Triumph der sinnlichen Lust dem Geiste nicht, noch
kämpft er gegen die Sittlichkeit an, sondern in bräut-
licher Reinheit gibt sich zugleich die Seele einem Hö-
heren liebevoll hin, wie Goethes Ganymed, vom Adler
emporgetragen, selber die Arme nach dem Busen des
allliebenden Vaters ausstreckt. Eben so wenig brau-
chen wir zu vergessen, daß auch das Detail der Wirk-
lichkeit ein Recht auf künstlerische Wiedergeburt hat,
oder daß die Farbenpracht der Venetianer kein eitler
Pomp ist, sondern der Ausdruck der innern Lebens-
kraft und Lebensfreude. Wie schon in der Skulptur
eine doppelte Darstellungsweise sich ankündigte, je nach-
dem der Meister vom historisch Gegebenen oder vom
geistig Angeschauten ausging, so treten in der Malerei
die Gegensätze eines idealistischen und realistischen Styls
in der Entwicklung der Jahrhunderte bald gleichzeitig,
bald abwechselnd hervor, und der letztere wird an sich
naturalistischer als in der Plastik, weil die Malerei
die Wärme des Ledens und die Bestimmtheit des Be-
sondern und Jndividuellen mittelst der Farbe viel kräf-
tiger und erkennbarer wiedergibt. Goethe hat dieß
letztere in den Anmerkungen zu Diderots Versuch über
die Malerei auf seine Weise folgendermaßen erörtert.
Der Franzose sagt: „Nichts in einem Bilde spricht uns
mehr an als die wahre Farbe, sie ist dem Unwissenden
wie dem Unterrichteten verständlich.“ Der Deutsche
setzt hinzu: „Bei allem, was nicht menschlicher Körper
ist, bedeutet die Farbe fast mehr als die Gestalt, und
die Farbe ist es also, wodurch wir viele Gegenstände
eigentlich erkennen oder wodurch sie uns interessiren.
Der einfarbige, der unfarbige Stein will nichts sagen,
das Holz wird nur durch die Mannigfaltigkeit seiner
Farbe bedeutend, die Gestalt des Vogels ist uns durch
ein Gewand verhüllt, das uns durch einen regelmäßigen
Farbenwechsel vorzüglich anlockt. Alle Körper haben
gewissermaßen eine individuelle Farbe, wenigstens eine
Farbe der Geschlechter und Arten; selbst die Farben
künstlicher Stoffe sind nach Verschiedenheit derselben
verschieden. Anders erscheint Cochenille auf Leinwand,
anders auf Wolle, anders auf Seide. Tafft, Atlas,
[Ende Spaltensatz]

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Zitationshilfe: Morgenblatt für gebildete Leser. Nr. 47. Stuttgart/Tübingen, 23. November 1856, S. 1107. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_morgenblatt47_1856/3>, abgerufen am 01.06.2024.