[N. N.]: Von der Ode. In: Vermischte Beyträge zur Philosophie und den schönen Wissenschaften, 2,1 (1763), S. 152–177.Fällen kann entweder der Gegenstand selbst schon, oder die Verbindung, in welcher er steht, unerwartet seyn. Der unerwartete Gegenstand kann entweder eine eigne Empfindung oder eine mitgetheilte seyn. In dem ersten Falle wird der erste Eindruck davon, uns wider unsern Willen einnehmen; in dem andern aber nur alsdann, wenn er betrachtungswürdig ist. Der erste Eindruck kann weniger reizende Merkmale haben, als der mitgetheilte. Es muß demnach jede mitgetheilte Empfindung von der Beschaffenheit seyn, daß sie unsre Aufmerksamkeit zu reizen vermögend ist. Dieses aber wird geschehen, wenn sie in unsre Sphäre gehöret. In der Ode müssen folglich nur solche Empfindungen seyn, die einen Reiz bey sich führen. Das Unerwartete ist größer, nachdem wir weniger Empfindungen gehabt, die mit dem Gegenstande eine Aehnlichkeit hatten, und je größer diese Aehnlichkeit ist. Je unerwarteter der Gegenstand, je unvermutheter die Verbindung, in welche derselbe eingeflochten ist, desto unerwarteter ist die Empfindung. Das Unerwartete kann seinen Ursprung von der Zeit, Veranlassung, Gegend, Nation, dem Charakter, den Sitten, der Religion haben. Auch nach diesen kann man die Beschaffenheit untersuchen, und die Größe des Unerwarteten messen. Wenn alle diese Quellen in einem besondern Grade vereinigt sind, so entsteht daraus das Unerwartete von vorzüglicher Art. Jedes Erhabne, jedes Wunderbare ist unerwartet. Die Beschaffenheit dieser Schönheiten kann also daraus noch weiter bestimmt, und die Größe derselben nach dem vorher angezeigten Maaßstabe abgemessen werden. Das Ueberraschende ist ein hoher Grad des Unerwarteten. Diese Schönheit haben sich die Neuern, besonders in den Oden, eigen gemacht, und dadurch einen Vorzug vor den Alten erreicht. In der Sammlung vermischter Schriften findet man verschiedene vortreffliche Stücke von der Art. Hier sind einige Stellen: Fällen kann entweder der Gegenstand selbst schon, oder die Verbindung, in welcher er steht, unerwartet seyn. Der unerwartete Gegenstand kann entweder eine eigne Empfindung oder eine mitgetheilte seyn. In dem ersten Falle wird der erste Eindruck davon, uns wider unsern Willen einnehmen; in dem andern aber nur alsdann, wenn er betrachtungswürdig ist. Der erste Eindruck kann weniger reizende Merkmale haben, als der mitgetheilte. Es muß demnach jede mitgetheilte Empfindung von der Beschaffenheit seyn, daß sie unsre Aufmerksamkeit zu reizen vermögend ist. Dieses aber wird geschehen, wenn sie in unsre Sphäre gehöret. In der Ode müssen folglich nur solche Empfindungen seyn, die einen Reiz bey sich führen. Das Unerwartete ist größer, nachdem wir weniger Empfindungen gehabt, die mit dem Gegenstande eine Aehnlichkeit hatten, und je größer diese Aehnlichkeit ist. Je unerwarteter der Gegenstand, je unvermutheter die Verbindung, in welche derselbe eingeflochten ist, desto unerwarteter ist die Empfindung. Das Unerwartete kann seinen Ursprung von der Zeit, Veranlassung, Gegend, Nation, dem Charakter, den Sitten, der Religion haben. Auch nach diesen kann man die Beschaffenheit untersuchen, und die Größe des Unerwarteten messen. Wenn alle diese Quellen in einem besondern Grade vereinigt sind, so entsteht daraus das Unerwartete von vorzüglicher Art. Jedes Erhabne, jedes Wunderbare ist unerwartet. Die Beschaffenheit dieser Schönheiten kann also daraus noch weiter bestimmt, und die Größe derselben nach dem vorher angezeigten Maaßstabe abgemessen werden. Das Ueberraschende ist ein hoher Grad des Unerwarteten. Diese Schönheit haben sich die Neuern, besonders in den Oden, eigen gemacht, und dadurch einen Vorzug vor den Alten erreicht. In der Sammlung vermischter Schriften findet man verschiedene vortreffliche Stücke von der Art. Hier sind einige Stellen: <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0020" n="170"/> Fällen kann entweder der Gegenstand selbst schon, oder die Verbindung, in welcher er steht, unerwartet seyn. Der unerwartete Gegenstand kann entweder eine eigne Empfindung oder eine mitgetheilte seyn. In dem ersten Falle wird der erste Eindruck davon, uns wider unsern Willen einnehmen; in dem andern aber nur alsdann, wenn er betrachtungswürdig ist. Der erste Eindruck kann weniger reizende Merkmale haben, als der mitgetheilte. Es muß demnach jede mitgetheilte Empfindung von der Beschaffenheit seyn, daß sie unsre Aufmerksamkeit zu reizen vermögend ist. Dieses aber wird geschehen, wenn sie in unsre Sphäre gehöret. In der Ode müssen folglich nur solche Empfindungen seyn, die einen Reiz bey sich führen. </p> <p> Das Unerwartete ist größer, nachdem wir weniger Empfindungen gehabt, die mit dem Gegenstande eine Aehnlichkeit hatten, und je größer diese Aehnlichkeit ist. Je unerwarteter der Gegenstand, je unvermutheter die Verbindung, in welche derselbe eingeflochten ist, desto unerwarteter ist die Empfindung. Das Unerwartete kann seinen Ursprung von der Zeit, Veranlassung, Gegend, Nation, dem Charakter, den Sitten, der Religion haben. Auch nach diesen kann man die Beschaffenheit untersuchen, und die Größe des Unerwarteten messen. Wenn alle diese Quellen in einem besondern Grade vereinigt sind, so entsteht daraus das Unerwartete von vorzüglicher Art. Jedes Erhabne, jedes Wunderbare ist unerwartet. Die Beschaffenheit dieser Schönheiten kann also daraus noch weiter bestimmt, und die Größe derselben nach dem vorher angezeigten Maaßstabe abgemessen werden. Das Ueberraschende ist ein hoher Grad des Unerwarteten. Diese Schönheit haben sich die Neuern, besonders in den Oden, eigen gemacht, und dadurch einen Vorzug vor den Alten erreicht. In der Sammlung vermischter Schriften findet man verschiedene vortreffliche Stücke von der Art. Hier sind einige Stellen: </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [170/0020]
Fällen kann entweder der Gegenstand selbst schon, oder die Verbindung, in welcher er steht, unerwartet seyn. Der unerwartete Gegenstand kann entweder eine eigne Empfindung oder eine mitgetheilte seyn. In dem ersten Falle wird der erste Eindruck davon, uns wider unsern Willen einnehmen; in dem andern aber nur alsdann, wenn er betrachtungswürdig ist. Der erste Eindruck kann weniger reizende Merkmale haben, als der mitgetheilte. Es muß demnach jede mitgetheilte Empfindung von der Beschaffenheit seyn, daß sie unsre Aufmerksamkeit zu reizen vermögend ist. Dieses aber wird geschehen, wenn sie in unsre Sphäre gehöret. In der Ode müssen folglich nur solche Empfindungen seyn, die einen Reiz bey sich führen.
Das Unerwartete ist größer, nachdem wir weniger Empfindungen gehabt, die mit dem Gegenstande eine Aehnlichkeit hatten, und je größer diese Aehnlichkeit ist. Je unerwarteter der Gegenstand, je unvermutheter die Verbindung, in welche derselbe eingeflochten ist, desto unerwarteter ist die Empfindung. Das Unerwartete kann seinen Ursprung von der Zeit, Veranlassung, Gegend, Nation, dem Charakter, den Sitten, der Religion haben. Auch nach diesen kann man die Beschaffenheit untersuchen, und die Größe des Unerwarteten messen. Wenn alle diese Quellen in einem besondern Grade vereinigt sind, so entsteht daraus das Unerwartete von vorzüglicher Art. Jedes Erhabne, jedes Wunderbare ist unerwartet. Die Beschaffenheit dieser Schönheiten kann also daraus noch weiter bestimmt, und die Größe derselben nach dem vorher angezeigten Maaßstabe abgemessen werden. Das Ueberraschende ist ein hoher Grad des Unerwarteten. Diese Schönheit haben sich die Neuern, besonders in den Oden, eigen gemacht, und dadurch einen Vorzug vor den Alten erreicht. In der Sammlung vermischter Schriften findet man verschiedene vortreffliche Stücke von der Art. Hier sind einige Stellen:
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Universität Duisburg-Essen, Projekt Lyriktheorie (Dr. Rudolf Brandmeyer): Bereitstellung der Texttranskription.
(2018-07-16T15:00:00Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Rahel Gajaneh Hartz: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2018-07-16T15:00:00Z)
Weitere Informationen:Die Transkription erfolgte nach den unter https://www.uni-due.de/lyriktheorie/beiwerk/projekt.html#edition formulierten Richtlinien. Bogensignaturen: nicht übernommen; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): gekennzeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: nicht übernommen; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: keine Angabe; Zeilenumbrüche markiert: keine Angabe;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |