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Das wohlfeilste Panorama des Universums. Nr. 46. Prag, 1835.

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Panorama des Universums.
[Beginn Spaltensatz] auf diesem höchsten bewohnten Punkt Europas in
Erwärmung, Pflege und Nahrung die eigene Hei-
math, das eigene Haus, Freunde und Verwandte
nicht vermissen zu lassen. Die aber, von denen all
dieser Eifer, diese Sorgfalt und Liebe ausgeht, leben
sehr einfach und streng unter einander, und während
sie dem Fremden mit unendlicher Freundlichkeit an
Speise und Getränk das Beste und Ausgesuchteste
vorsetzen, begnügen sie sich selbst mit kärglicher fast
ärmlicher Nahrung; während sie dem Erstarrten
feine wollene Decken und Pelze zur Erwärmung
bringen, gehen sie Nachts bei furchtbarer Kälte im
einfachen Ordensgewand in die Schneewehen, Stür-
me und Lawinen hinaus, unerschrocken folgend dem
Gebell ihrer edlen Hunde, das sie dahin ruft, wo
ein Unglücklicher unter dem Schnee vergraben liegt.
Alles ist in dieser reinen Luft würdiger, ich möchte
sagen überirdisch geworden. Dieselben Hunde, die
unten in der Niederung entflohene Menschen verfol-
gen, fangen und niederreißen, suchen sie hier mit
eigener Lebensgefahr auf, kratzen sie nach ihrem
feinen Geruch aus dem tiefen Schnee, rufen Hilfe
herbei, und zerren indessen die Verunglückten an
ihren Kleidern immer mehr heraus. Wenige Aerzte
der Welt würden sich in diese wilde eisige und
stürmische Natur wagen, um Menschenleben zu ret-
ten, noch weniger ein bezahlter Krankenwärter, ein
Hospitaldiener. Die Männer des St. Bernhards
versehen dieses Geschäft unentgeldlich, mit immer
gleicher Freundlichkeit und Milde, es ist ihnen kein
Handwerk geworden, sondern Bruderdienst geblieben.
Zu dieser verleugnenden Hingebung kann nur die
Begeisterung, der Heldenmuth des Christenthums
führen.

Die weiten Klostergebäude stehen zwischen nack-
ten Felsen, auf denen nur hier und da in den Som-
mermonaten ein Bischen kümmerliches Moos zu
sehen ist. Nahe bei dem Kloster liegt der kleine
See, der wenigstens acht Monate im Jahre mit
zwei bis drei Fuß dickem Eis bedeckt ist. Zwischen
diesen furchtbaren Zacken und Wänden, diesen Bil-
dern der Verlassenheit, Unfruchtbarkeit und des
Todes scheint das Leben unmöglich. Und doch finden
auf dieser unwirthbaren Höhe jährlich mehr denn
14,000 Reisende Erhohlung, Stärkung und Pflege,
ja gar mancher kommt hier wieder zum Leben.
Dreißig Maulesel und Pferde müssen hier in den
vier Sommermonaten Holz und Lebensmittel auf
ihrem Rücken herauftragen. Dadurch kommen hier
alle diese Gegenstände sehr theuer zu stehen. Dessen
ungeachtet macht jetzt das Kloster nur noch jähr-
liche Sammlungen bei den bekannten und befreun-
deten Personen in Genf, Lausanne, Bern,
Wallis
und einigen andern Schweizerkantonen.

Jm Winter wird der Muth und die Kräfte
dieser Religiosen auf die härteste Probe gestellt,
denn acht Monate lang ist er hart und ununter-
brochen. Aber auch ihr Frühling und Sommer
würde uns in der Niederung fast Winter scheinen,
denn in der Nacht friert es da immer, und manch-
mal ist sogar am Morgen der See mit dünnem
Eis bedeckt. Jn jenen acht Wintermonaten sausen
unablässig die furchtbarsten Stürme um das Kloster,
und scheinen es, trotz seiner mächtige Mauern und
Strebepfeiler, umreißen oder unter dem Schnee
begraben zu wollen. Je furchtbarer es stürmt, desto
nöthiger ist dem Reisenden Hilfe und schnelle Ret-
tung, also hinaus, wie zum fröhlichen Jagen! nicht
[Spaltenumbruch] zu dem, wo Tod, sondern wo Leben gegeben wird.
An den Religiosen springen lustig und feurig die
großen Hunde hinauf, und bellen wie ausgelassen.
Aber kaum sind sie aus dem Klosterhof, so werden
sie still und in den Augenblicken wo es nicht allzu-
sehr stürmt, richten sie die verständigen Köpfe auf,
dem Wind entgegen, oder sie nähern sie dem Boden,
immer prüfend und spürend. Die Mönche und ihre
Gehilfen mit langen Stöcken versehen, vertheilen sich
nach verschiedenen Seiten, besonders nach den
Schneewehen und in die Tiefen des Weges; durch
unablässiges Rufen bleiben sie nicht nur selbst in
fortwährender Verbindung mit einander, sondern sie
verkündigen auch dadurch den erstarrten, vom Weg
abgekommenen, im Schnee verschütteten Reisenden
ihr Nahen. Gern möchten auch diese den Hilfe-
bringenden rufen, aber sie sind zu tief unter dem
Schnee vergraben, oder die erstarrende Kälte hat
ihnen alle Kraft zum Rufen genommen. Schon
fürchten sie, man werde sie nicht bemerken, die nahe
Hilfe werde an ihnen vorbeigehen, schon entfernen
sich die Stimmen wieder, und Entsetzen ergreift sie.
Aber horch! da stürmt schnaubend etwas herbei,
selbst weiß wie der Schnee, den es in Staubwolken
um sich herwirft, während es sich kräftig einen
Weg in die Tiefe scharrt; dann stürzt es sich mit
Eifer, Liebe und Freude neben den Verunglückten.
Wer ist's ein Verwandter, ein alter Freund? O
nein, hieher dringt kein Verwandter, kein Freund:
ein Hund ist's, der nun sein Bellen ertönen läßt,
um Hilfe herbeizurufen, dabei aber selbst schon
Hilfe leistet. Er leckt dem Erstarrten Hände und
Gesicht, reibt ihn mit seinen langen Haaren, kneipt
ihn mit seinen Zähnen, um das eingeschlafene Leben
in ihm aufzuregen und zu erwecken. Der Verun-
glückte fühlt sich schon besser und freier, immer
aber voll Hoffnung und Vertrauen, denn er weiß,
was dieser Hund sagen will, wem er angehört, und
wen er unablässig durch sein Bellen ruft. Dankbar
hebt er eine Hand nach dem lieben Thiere auf;
nun aber dreht und wendet sich der Hund so lange,
bis der Erstarrte sein großes Halsband, und an
diesem eine kleine Flasche bemerkt. Mit Mühe er-
greift und öffnet er sie und bringt sie an den
Mund; bald fühlt er sich neu belebt durch den
Trank, er sucht sich empor zu raffen und aus dem
Schnee zu arbeiten; der Hund hilft ihm immer
bellend durch Wegkratzen des Schnees und durch
Zerren an den Kleidern, indessen kommen die Reli-
giosen mit ihren Gehilfen herbei, und der Sterbende
ist gerettet.

Die Anstrengungen und das ganze Leben der
Religiosen unter diesem rauhen, eisigen Himmel
brechen früh ihre Gesundheit und Stärke, so daß
sie bald altern. Manche glauben, daß die reine
Luft auf dem großen St. Bernhard, und die daraus
hervorgehende Eßlust ein Beweis für die Gesund-
heit des Klima's seyen. Aber die Erfahrung zeigt
das Gegentheil, denn aus ihr geht unwiderleglich
hervor, wie viele Opfer seine Rauhheit fordert.
Reisende, die zum erstenmale hierher kommen, glau-
ben, bejahrte Mönche mit schneeweißen Haaren zu
finden, und wundern sich nicht wenig über die jun-
gen Männer zwischen zwanzig und dreißig Jahren.
Die Ursache davon ist lediglich in der Rauhheit und
Ungesundheit des Klima's zu suchen. Nur junge
kräftige Männer können ihm einige Jahre trotzen,
aber auch sie empfinden bald dessen nachtheiligen
[Ende Spaltensatz]

Panorama des Universums.
[Beginn Spaltensatz] auf diesem höchsten bewohnten Punkt Europas in
Erwärmung, Pflege und Nahrung die eigene Hei-
math, das eigene Haus, Freunde und Verwandte
nicht vermissen zu lassen. Die aber, von denen all
dieser Eifer, diese Sorgfalt und Liebe ausgeht, leben
sehr einfach und streng unter einander, und während
sie dem Fremden mit unendlicher Freundlichkeit an
Speise und Getränk das Beste und Ausgesuchteste
vorsetzen, begnügen sie sich selbst mit kärglicher fast
ärmlicher Nahrung; während sie dem Erstarrten
feine wollene Decken und Pelze zur Erwärmung
bringen, gehen sie Nachts bei furchtbarer Kälte im
einfachen Ordensgewand in die Schneewehen, Stür-
me und Lawinen hinaus, unerschrocken folgend dem
Gebell ihrer edlen Hunde, das sie dahin ruft, wo
ein Unglücklicher unter dem Schnee vergraben liegt.
Alles ist in dieser reinen Luft würdiger, ich möchte
sagen überirdisch geworden. Dieselben Hunde, die
unten in der Niederung entflohene Menschen verfol-
gen, fangen und niederreißen, suchen sie hier mit
eigener Lebensgefahr auf, kratzen sie nach ihrem
feinen Geruch aus dem tiefen Schnee, rufen Hilfe
herbei, und zerren indessen die Verunglückten an
ihren Kleidern immer mehr heraus. Wenige Aerzte
der Welt würden sich in diese wilde eisige und
stürmische Natur wagen, um Menschenleben zu ret-
ten, noch weniger ein bezahlter Krankenwärter, ein
Hospitaldiener. Die Männer des St. Bernhards
versehen dieses Geschäft unentgeldlich, mit immer
gleicher Freundlichkeit und Milde, es ist ihnen kein
Handwerk geworden, sondern Bruderdienst geblieben.
Zu dieser verleugnenden Hingebung kann nur die
Begeisterung, der Heldenmuth des Christenthums
führen.

Die weiten Klostergebäude stehen zwischen nack-
ten Felsen, auf denen nur hier und da in den Som-
mermonaten ein Bischen kümmerliches Moos zu
sehen ist. Nahe bei dem Kloster liegt der kleine
See, der wenigstens acht Monate im Jahre mit
zwei bis drei Fuß dickem Eis bedeckt ist. Zwischen
diesen furchtbaren Zacken und Wänden, diesen Bil-
dern der Verlassenheit, Unfruchtbarkeit und des
Todes scheint das Leben unmöglich. Und doch finden
auf dieser unwirthbaren Höhe jährlich mehr denn
14,000 Reisende Erhohlung, Stärkung und Pflege,
ja gar mancher kommt hier wieder zum Leben.
Dreißig Maulesel und Pferde müssen hier in den
vier Sommermonaten Holz und Lebensmittel auf
ihrem Rücken herauftragen. Dadurch kommen hier
alle diese Gegenstände sehr theuer zu stehen. Dessen
ungeachtet macht jetzt das Kloster nur noch jähr-
liche Sammlungen bei den bekannten und befreun-
deten Personen in Genf, Lausanne, Bern,
Wallis
und einigen andern Schweizerkantonen.

Jm Winter wird der Muth und die Kräfte
dieser Religiosen auf die härteste Probe gestellt,
denn acht Monate lang ist er hart und ununter-
brochen. Aber auch ihr Frühling und Sommer
würde uns in der Niederung fast Winter scheinen,
denn in der Nacht friert es da immer, und manch-
mal ist sogar am Morgen der See mit dünnem
Eis bedeckt. Jn jenen acht Wintermonaten sausen
unablässig die furchtbarsten Stürme um das Kloster,
und scheinen es, trotz seiner mächtige Mauern und
Strebepfeiler, umreißen oder unter dem Schnee
begraben zu wollen. Je furchtbarer es stürmt, desto
nöthiger ist dem Reisenden Hilfe und schnelle Ret-
tung, also hinaus, wie zum fröhlichen Jagen! nicht
[Spaltenumbruch] zu dem, wo Tod, sondern wo Leben gegeben wird.
An den Religiosen springen lustig und feurig die
großen Hunde hinauf, und bellen wie ausgelassen.
Aber kaum sind sie aus dem Klosterhof, so werden
sie still und in den Augenblicken wo es nicht allzu-
sehr stürmt, richten sie die verständigen Köpfe auf,
dem Wind entgegen, oder sie nähern sie dem Boden,
immer prüfend und spürend. Die Mönche und ihre
Gehilfen mit langen Stöcken versehen, vertheilen sich
nach verschiedenen Seiten, besonders nach den
Schneewehen und in die Tiefen des Weges; durch
unablässiges Rufen bleiben sie nicht nur selbst in
fortwährender Verbindung mit einander, sondern sie
verkündigen auch dadurch den erstarrten, vom Weg
abgekommenen, im Schnee verschütteten Reisenden
ihr Nahen. Gern möchten auch diese den Hilfe-
bringenden rufen, aber sie sind zu tief unter dem
Schnee vergraben, oder die erstarrende Kälte hat
ihnen alle Kraft zum Rufen genommen. Schon
fürchten sie, man werde sie nicht bemerken, die nahe
Hilfe werde an ihnen vorbeigehen, schon entfernen
sich die Stimmen wieder, und Entsetzen ergreift sie.
Aber horch! da stürmt schnaubend etwas herbei,
selbst weiß wie der Schnee, den es in Staubwolken
um sich herwirft, während es sich kräftig einen
Weg in die Tiefe scharrt; dann stürzt es sich mit
Eifer, Liebe und Freude neben den Verunglückten.
Wer ist's ein Verwandter, ein alter Freund? O
nein, hieher dringt kein Verwandter, kein Freund:
ein Hund ist's, der nun sein Bellen ertönen läßt,
um Hilfe herbeizurufen, dabei aber selbst schon
Hilfe leistet. Er leckt dem Erstarrten Hände und
Gesicht, reibt ihn mit seinen langen Haaren, kneipt
ihn mit seinen Zähnen, um das eingeschlafene Leben
in ihm aufzuregen und zu erwecken. Der Verun-
glückte fühlt sich schon besser und freier, immer
aber voll Hoffnung und Vertrauen, denn er weiß,
was dieser Hund sagen will, wem er angehört, und
wen er unablässig durch sein Bellen ruft. Dankbar
hebt er eine Hand nach dem lieben Thiere auf;
nun aber dreht und wendet sich der Hund so lange,
bis der Erstarrte sein großes Halsband, und an
diesem eine kleine Flasche bemerkt. Mit Mühe er-
greift und öffnet er sie und bringt sie an den
Mund; bald fühlt er sich neu belebt durch den
Trank, er sucht sich empor zu raffen und aus dem
Schnee zu arbeiten; der Hund hilft ihm immer
bellend durch Wegkratzen des Schnees und durch
Zerren an den Kleidern, indessen kommen die Reli-
giosen mit ihren Gehilfen herbei, und der Sterbende
ist gerettet.

Die Anstrengungen und das ganze Leben der
Religiosen unter diesem rauhen, eisigen Himmel
brechen früh ihre Gesundheit und Stärke, so daß
sie bald altern. Manche glauben, daß die reine
Luft auf dem großen St. Bernhard, und die daraus
hervorgehende Eßlust ein Beweis für die Gesund-
heit des Klima's seyen. Aber die Erfahrung zeigt
das Gegentheil, denn aus ihr geht unwiderleglich
hervor, wie viele Opfer seine Rauhheit fordert.
Reisende, die zum erstenmale hierher kommen, glau-
ben, bejahrte Mönche mit schneeweißen Haaren zu
finden, und wundern sich nicht wenig über die jun-
gen Männer zwischen zwanzig und dreißig Jahren.
Die Ursache davon ist lediglich in der Rauhheit und
Ungesundheit des Klima's zu suchen. Nur junge
kräftige Männer können ihm einige Jahre trotzen,
aber auch sie empfinden bald dessen nachtheiligen
[Ende Spaltensatz]

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[366/0006] Panorama des Universums. auf diesem höchsten bewohnten Punkt Europas in Erwärmung, Pflege und Nahrung die eigene Hei- math, das eigene Haus, Freunde und Verwandte nicht vermissen zu lassen. Die aber, von denen all dieser Eifer, diese Sorgfalt und Liebe ausgeht, leben sehr einfach und streng unter einander, und während sie dem Fremden mit unendlicher Freundlichkeit an Speise und Getränk das Beste und Ausgesuchteste vorsetzen, begnügen sie sich selbst mit kärglicher fast ärmlicher Nahrung; während sie dem Erstarrten feine wollene Decken und Pelze zur Erwärmung bringen, gehen sie Nachts bei furchtbarer Kälte im einfachen Ordensgewand in die Schneewehen, Stür- me und Lawinen hinaus, unerschrocken folgend dem Gebell ihrer edlen Hunde, das sie dahin ruft, wo ein Unglücklicher unter dem Schnee vergraben liegt. Alles ist in dieser reinen Luft würdiger, ich möchte sagen überirdisch geworden. 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Nahe bei dem Kloster liegt der kleine See, der wenigstens acht Monate im Jahre mit zwei bis drei Fuß dickem Eis bedeckt ist. Zwischen diesen furchtbaren Zacken und Wänden, diesen Bil- dern der Verlassenheit, Unfruchtbarkeit und des Todes scheint das Leben unmöglich. Und doch finden auf dieser unwirthbaren Höhe jährlich mehr denn 14,000 Reisende Erhohlung, Stärkung und Pflege, ja gar mancher kommt hier wieder zum Leben. Dreißig Maulesel und Pferde müssen hier in den vier Sommermonaten Holz und Lebensmittel auf ihrem Rücken herauftragen. Dadurch kommen hier alle diese Gegenstände sehr theuer zu stehen. Dessen ungeachtet macht jetzt das Kloster nur noch jähr- liche Sammlungen bei den bekannten und befreun- deten Personen in Genf, Lausanne, Bern, Wallis und einigen andern Schweizerkantonen. Jm Winter wird der Muth und die Kräfte dieser Religiosen auf die härteste Probe gestellt, denn acht Monate lang ist er hart und ununter- brochen. Aber auch ihr Frühling und Sommer würde uns in der Niederung fast Winter scheinen, denn in der Nacht friert es da immer, und manch- mal ist sogar am Morgen der See mit dünnem Eis bedeckt. Jn jenen acht Wintermonaten sausen unablässig die furchtbarsten Stürme um das Kloster, und scheinen es, trotz seiner mächtige Mauern und Strebepfeiler, umreißen oder unter dem Schnee begraben zu wollen. Je furchtbarer es stürmt, desto nöthiger ist dem Reisenden Hilfe und schnelle Ret- tung, also hinaus, wie zum fröhlichen Jagen! nicht zu dem, wo Tod, sondern wo Leben gegeben wird. An den Religiosen springen lustig und feurig die großen Hunde hinauf, und bellen wie ausgelassen. Aber kaum sind sie aus dem Klosterhof, so werden sie still und in den Augenblicken wo es nicht allzu- sehr stürmt, richten sie die verständigen Köpfe auf, dem Wind entgegen, oder sie nähern sie dem Boden, immer prüfend und spürend. 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O nein, hieher dringt kein Verwandter, kein Freund: ein Hund ist's, der nun sein Bellen ertönen läßt, um Hilfe herbeizurufen, dabei aber selbst schon Hilfe leistet. Er leckt dem Erstarrten Hände und Gesicht, reibt ihn mit seinen langen Haaren, kneipt ihn mit seinen Zähnen, um das eingeschlafene Leben in ihm aufzuregen und zu erwecken. Der Verun- glückte fühlt sich schon besser und freier, immer aber voll Hoffnung und Vertrauen, denn er weiß, was dieser Hund sagen will, wem er angehört, und wen er unablässig durch sein Bellen ruft. Dankbar hebt er eine Hand nach dem lieben Thiere auf; nun aber dreht und wendet sich der Hund so lange, bis der Erstarrte sein großes Halsband, und an diesem eine kleine Flasche bemerkt. Mit Mühe er- greift und öffnet er sie und bringt sie an den Mund; bald fühlt er sich neu belebt durch den Trank, er sucht sich empor zu raffen und aus dem Schnee zu arbeiten; der Hund hilft ihm immer bellend durch Wegkratzen des Schnees und durch Zerren an den Kleidern, indessen kommen die Reli- giosen mit ihren Gehilfen herbei, und der Sterbende ist gerettet. Die Anstrengungen und das ganze Leben der Religiosen unter diesem rauhen, eisigen Himmel brechen früh ihre Gesundheit und Stärke, so daß sie bald altern. Manche glauben, daß die reine Luft auf dem großen St. Bernhard, und die daraus hervorgehende Eßlust ein Beweis für die Gesund- heit des Klima's seyen. Aber die Erfahrung zeigt das Gegentheil, denn aus ihr geht unwiderleglich hervor, wie viele Opfer seine Rauhheit fordert. Reisende, die zum erstenmale hierher kommen, glau- ben, bejahrte Mönche mit schneeweißen Haaren zu finden, und wundern sich nicht wenig über die jun- gen Männer zwischen zwanzig und dreißig Jahren. Die Ursache davon ist lediglich in der Rauhheit und Ungesundheit des Klima's zu suchen. Nur junge kräftige Männer können ihm einige Jahre trotzen, aber auch sie empfinden bald dessen nachtheiligen

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Zitationshilfe: Das wohlfeilste Panorama des Universums. Nr. 46. Prag, 1835, S. 366. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_panorama46_1835/6>, abgerufen am 21.11.2024.