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Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Neue Folge, Erster Jahrgang, Nr. 10. Leipzig (Sachsen), 11. März 1843.

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[Beginn Spaltensatz] befreite 327 Sipoys aus der Gefangenschaft. General
Pollock zog ihm auf demselben Wege entgegen, auf
dem im Januar und März zwei Armeen so furchtbar
geendigt hatten. Der Anblick der Tausende von abge-
nagten Gerippen, welche für die an ihnen verübte Treu-
losigkeit Rache verlangten, war nicht geeignet, milde Ge-
sinnungen in dem von Gandamak abziehenden Heere
zu erzeugen und Kabul mußte die Frevelthat der Afgha-
nen hart büßen. Die Stadt, die vorher 60,000 Ein-
wohner zählte und einen Bazar von 2000 Läden be-
saß, ist nichts mehr als ein Haufen Ruinen. Kabuls
Schicksal theilte auch die benachbarte Stadt Jstaliff, wo
das Schwert und das Feuer zwei Tage lang ununter-
brochen fortwütheten.

Nach diesem Rachezuge verließen die Engländer das
Land, das nun einer neuen politischen Gestaltung ent-
gegensieht.

Zur Zeit der Gründung des Afghanenreichs durch
Achmed Khan umfaßte dasselbe außer dem eigentlichen
Afghanistan und Beludschistan mit Sind auch den gan-
zen westlichen Theil des jetzigen Sikhs=Staates, na-
mentlich Multan und Kaschmir, sowie im Norden des
Hindukusch und Paropamisus das alte Baktrien oder
jetzige Balkh. Allein der Sikhsfürst Rundschit=Singh
benutzte die seit 1803 das Afghanenreich verwirrende
Anarchie und entriß demselben ganz Kaschmir, Multan
und mehre andere Provinzen, während auf der Nord-
seite Afghanistans die Bucharen die Provinz Balkh weg-
nahmen und die Amirs von Sind sich der Abhängig-
keit von Afghanistan entzogen.

Die Afghanen sind ein Glied der indogermanischen
Völkerkette, die von den Ufern des Ganges bis zu den
britischen Jnseln reicht, und jedenfalls medischen Ur-
sprungs. Sie sind starke, derbe Gestalten von gewalti-
gem Knochenbaue, aber mager; in dem langen Gesichte
steht die Nase hoch und die Backenknochen ragen nach
oben auf. Ein grobes schwarzes Haar, das in der Mitte
des Kopfes abgeschoren, ringsum aber kurz oder in lan-
gen Locken getragen wird, ein langer und weicher dun-
keler Bart, eine dunkle Hautfarbe geben dem Afghanen
ein Ansehen von Kraft und Muth, das durch die ihm
eigenen klugen Züge noch bedeutend gewinnt. Der Af-
ghane ist kühn, ohne übermüthig, frei, ohne frech, ge-
winnsüchtig, ohne lügnerisch zu sein. Gastfreiheit herrscht
im weitesten Sinne auch gegen Feinde. Selbst die Räu-
berstämme sind nicht grausam. Die Nahrung des Af-
ghanen ist Schöpsenfleisch, Reissuppe, Scherbet. Rau-
chen ist für Viele, Schnupfen für Alle unentbehrlich.
Gewöhnlich trägt der Afghane weite Beinkleider, ein
großes Hemde mit weiten Ärmeln wie einen Fuhrmanns-
rock darüber, eine Uhlanenmütze von Goldbrocat oder
anderm bunten Zeuge, unten mit Seide besetzt, braune
Lederhalbstiefeln und über alles dieses einen Mantel von
Schaffell oder von grauem Filz. Die Frauen gehen
fast ebenso, nur ist ihr Hemde bunt, länger und fei-
ner. Sie scheiteln das Haar und haben zwei aufge-
wundene Zöpfe, die sie mit Gold= und Silberketten
schmücken. Auf dem Scheitel sitzt ein ganz kleines
Mützchen von bunter Seide, mit Gold gestickt; darum
werfen sie ein Tuch, das sie, sobald ein Fremder naht,
über das Gesicht ziehen. Jn den Städten schließt man
die Ehen durch bloßen Vertrag, auf dem Lande, wo
die Mädchen unverschleiert sind, mehr durch Neigung.
Die Form ist immer der Kauf. Die Weiber der Vor-
nehmen leben, wie überall im Morgenlande, eingesperrt;
die der niedern Stände haben mehr Freiheit. Unwissen-
heit wird für einen Vorzug gehalten, daher gereicht es
einer Frau zur Schande, wenn sie schreiben kann. Über-
[Spaltenumbruch] haupt ist das Lernen noch nicht eingeführt bei den Af-
ghanen. Die eigene Sprache, das Puschtu, eine Mi-
schung aus persischen, syrischen, arabischen und chaldäi-
schen Wörtern, die mit persischen Zeichen geschrieben
wird, ist ihnen nur im Reden geläufig.

Sie haben eine Musik von Flöten, Geigen, Lauten
und Trompeten, besonders zu ihrem Nationaltanz, den
jeder Afghane tanzen kann und tanzt, so oft er wo ge-
tanzt wird. Sie lieben die Jagd, Pferderennen, Wet-
ten, Spiele, Gastmähler, wobei Minstrels mit Erzäh-
lungen und Balladen auftreten.

Die Städte bestehen aus hohen oben flachen Häu-
sern von Holz oder Backsteinen, die enge krumme Gas-
sen bilden, aber meist Gärten und Springbrunnen ha-
ben, und wären ohne die Moscheen, Minarets und ge-
wölbten Bazars ohne alles Ansehen; die Dörfer haben
Häuser mit einem oder höchstens zwei Zimmern, die oft
in die mit Obstgärten besetzten Bergseiten hineingebaut
sind und Sophas an den Wänden haben. Häufig ver-
treten Zelte aus schwarzem Filz die Stelle der Häuser
und diese haben statt der Sophas meist nur ein ledernes
Ruhebett oder einen Filzteppich.

Die meisten Afghanen sind Moslems und zwar vor
der Sunna, der rechtgläubigen Confession Omars; nur
die Eimaks, Hazarer und Turier sind der Schiya, der
Sekte Ali's, zugethan.

Die Afghanen zerfallen in viele Stämme: östlich
wohnen vom Norden nach dem Süden herunter die
Berdurahner, welche 1 ) die 12 Ulusse der Jussofei, ei-
nes viele Bundesrepubliken bildenden stolzen Kriegervolks
von 900,000 Köpfen, 2 ) die 3 Stämme der räuberi-
schen Kheiber, 3 ) die 4 Stämme der ebenfalls raublie-
benden Khattaks, 4 ) die muthigen und unabhängigen
Bangasch umfassen. Jm Süden wohnen die Lohani,
am östlichen Fuße der Salomonskette die Esau=Khail,
die fast beständig miteinander im Kriege liegen, und noch
eine Menge Stämme am Jndus hinab bis Hindustan.
Die Salomonskette selbst wird von einer Unzahl von
Stämmen bewohnt, die einander an Bildung und Sitte
sehr ungleich sind.

Die westlichen Stämme führen den gemeinschaftli-
chen Namen Durahner, sonst Abdallah genannt. Sie
waren bisher das herrschende Volk und theilen sich in
2 Hauptäste, die Siraks, aus 4, die Pantschpah, aus
5 Zweigen bestehend. Jeder Zweig theilt sich wieder
in Ulusse. Der Schah gebot über Alle, der Sirdar
über den Zweig, der Khan über den Uluß, die Malliks
und Maschirs über die einzelnen Ortschaften.

Die Verfassung ist eine aristokratische Monarchie,
erblich im Stamme Saddosei der Durahner. Der Nach-
folger des zu Kabul in der Derri Kaneh ( Pforte ) resi-
direnden Fürsten oder Schahs wird aus dessen im Bala-
hissar stets eingeschlossener Familie oder aus den als
Statthalter ausgeschickten Prinzen von der Aristokratie
der Sirdars gewählt. Er ist souverain auch in der
Kirche, aber die uralten Observanzen und festen For-
men, die Rechte der Aristokratie und der Stämme, die
zum Theil eigene Gerichtsbarkeit und einen festen Steuer-
satz haben, beschränken seine Macht. Es ist steter Zweck
des Schahs, die Sirdars durch Begünstigung ihnen
fremder Völker, z. B. der Berdurahner, Tadschiks, in
Furcht und die Durahner durch ihre Erhebung sich er-
geben zu erhalten. Die Stammverfassung hat bis jetzt
dem Jslam getrotzt und steht bis zur entschiedenen Demo-
kratie der Despotie entgegen.

Die Tadschiks stehen als Ureinwohner zu den ein-
gewanderten Afghanen in demselben Verhältnisse, wie
die Gallier und Jtalier zu den eingewanderten germani-
[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] befreite 327 Sipoys aus der Gefangenschaft. General
Pollock zog ihm auf demselben Wege entgegen, auf
dem im Januar und März zwei Armeen so furchtbar
geendigt hatten. Der Anblick der Tausende von abge-
nagten Gerippen, welche für die an ihnen verübte Treu-
losigkeit Rache verlangten, war nicht geeignet, milde Ge-
sinnungen in dem von Gandamak abziehenden Heere
zu erzeugen und Kabul mußte die Frevelthat der Afgha-
nen hart büßen. Die Stadt, die vorher 60,000 Ein-
wohner zählte und einen Bazar von 2000 Läden be-
saß, ist nichts mehr als ein Haufen Ruinen. Kabuls
Schicksal theilte auch die benachbarte Stadt Jstaliff, wo
das Schwert und das Feuer zwei Tage lang ununter-
brochen fortwütheten.

Nach diesem Rachezuge verließen die Engländer das
Land, das nun einer neuen politischen Gestaltung ent-
gegensieht.

Zur Zeit der Gründung des Afghanenreichs durch
Achmed Khan umfaßte dasselbe außer dem eigentlichen
Afghanistan und Beludschistan mit Sind auch den gan-
zen westlichen Theil des jetzigen Sikhs=Staates, na-
mentlich Multan und Kaschmir, sowie im Norden des
Hindukusch und Paropamisus das alte Baktrien oder
jetzige Balkh. Allein der Sikhsfürst Rundschit=Singh
benutzte die seit 1803 das Afghanenreich verwirrende
Anarchie und entriß demselben ganz Kaschmir, Multan
und mehre andere Provinzen, während auf der Nord-
seite Afghanistans die Bucharen die Provinz Balkh weg-
nahmen und die Amirs von Sind sich der Abhängig-
keit von Afghanistan entzogen.

Die Afghanen sind ein Glied der indogermanischen
Völkerkette, die von den Ufern des Ganges bis zu den
britischen Jnseln reicht, und jedenfalls medischen Ur-
sprungs. Sie sind starke, derbe Gestalten von gewalti-
gem Knochenbaue, aber mager; in dem langen Gesichte
steht die Nase hoch und die Backenknochen ragen nach
oben auf. Ein grobes schwarzes Haar, das in der Mitte
des Kopfes abgeschoren, ringsum aber kurz oder in lan-
gen Locken getragen wird, ein langer und weicher dun-
keler Bart, eine dunkle Hautfarbe geben dem Afghanen
ein Ansehen von Kraft und Muth, das durch die ihm
eigenen klugen Züge noch bedeutend gewinnt. Der Af-
ghane ist kühn, ohne übermüthig, frei, ohne frech, ge-
winnsüchtig, ohne lügnerisch zu sein. Gastfreiheit herrscht
im weitesten Sinne auch gegen Feinde. Selbst die Räu-
berstämme sind nicht grausam. Die Nahrung des Af-
ghanen ist Schöpsenfleisch, Reissuppe, Scherbet. Rau-
chen ist für Viele, Schnupfen für Alle unentbehrlich.
Gewöhnlich trägt der Afghane weite Beinkleider, ein
großes Hemde mit weiten Ärmeln wie einen Fuhrmanns-
rock darüber, eine Uhlanenmütze von Goldbrocat oder
anderm bunten Zeuge, unten mit Seide besetzt, braune
Lederhalbstiefeln und über alles dieses einen Mantel von
Schaffell oder von grauem Filz. Die Frauen gehen
fast ebenso, nur ist ihr Hemde bunt, länger und fei-
ner. Sie scheiteln das Haar und haben zwei aufge-
wundene Zöpfe, die sie mit Gold= und Silberketten
schmücken. Auf dem Scheitel sitzt ein ganz kleines
Mützchen von bunter Seide, mit Gold gestickt; darum
werfen sie ein Tuch, das sie, sobald ein Fremder naht,
über das Gesicht ziehen. Jn den Städten schließt man
die Ehen durch bloßen Vertrag, auf dem Lande, wo
die Mädchen unverschleiert sind, mehr durch Neigung.
Die Form ist immer der Kauf. Die Weiber der Vor-
nehmen leben, wie überall im Morgenlande, eingesperrt;
die der niedern Stände haben mehr Freiheit. Unwissen-
heit wird für einen Vorzug gehalten, daher gereicht es
einer Frau zur Schande, wenn sie schreiben kann. Über-
[Spaltenumbruch] haupt ist das Lernen noch nicht eingeführt bei den Af-
ghanen. Die eigene Sprache, das Puschtu, eine Mi-
schung aus persischen, syrischen, arabischen und chaldäi-
schen Wörtern, die mit persischen Zeichen geschrieben
wird, ist ihnen nur im Reden geläufig.

Sie haben eine Musik von Flöten, Geigen, Lauten
und Trompeten, besonders zu ihrem Nationaltanz, den
jeder Afghane tanzen kann und tanzt, so oft er wo ge-
tanzt wird. Sie lieben die Jagd, Pferderennen, Wet-
ten, Spiele, Gastmähler, wobei Minstrels mit Erzäh-
lungen und Balladen auftreten.

Die Städte bestehen aus hohen oben flachen Häu-
sern von Holz oder Backsteinen, die enge krumme Gas-
sen bilden, aber meist Gärten und Springbrunnen ha-
ben, und wären ohne die Moscheen, Minarets und ge-
wölbten Bazars ohne alles Ansehen; die Dörfer haben
Häuser mit einem oder höchstens zwei Zimmern, die oft
in die mit Obstgärten besetzten Bergseiten hineingebaut
sind und Sophas an den Wänden haben. Häufig ver-
treten Zelte aus schwarzem Filz die Stelle der Häuser
und diese haben statt der Sophas meist nur ein ledernes
Ruhebett oder einen Filzteppich.

Die meisten Afghanen sind Moslems und zwar vor
der Sunna, der rechtgläubigen Confession Omars; nur
die Eimaks, Hazarer und Turier sind der Schiya, der
Sekte Ali's, zugethan.

Die Afghanen zerfallen in viele Stämme: östlich
wohnen vom Norden nach dem Süden herunter die
Berdurahner, welche 1 ) die 12 Ulusse der Jussofei, ei-
nes viele Bundesrepubliken bildenden stolzen Kriegervolks
von 900,000 Köpfen, 2 ) die 3 Stämme der räuberi-
schen Kheiber, 3 ) die 4 Stämme der ebenfalls raublie-
benden Khattaks, 4 ) die muthigen und unabhängigen
Bangasch umfassen. Jm Süden wohnen die Lohani,
am östlichen Fuße der Salomonskette die Esau=Khail,
die fast beständig miteinander im Kriege liegen, und noch
eine Menge Stämme am Jndus hinab bis Hindustan.
Die Salomonskette selbst wird von einer Unzahl von
Stämmen bewohnt, die einander an Bildung und Sitte
sehr ungleich sind.

Die westlichen Stämme führen den gemeinschaftli-
chen Namen Durahner, sonst Abdallah genannt. Sie
waren bisher das herrschende Volk und theilen sich in
2 Hauptäste, die Siraks, aus 4, die Pantschpah, aus
5 Zweigen bestehend. Jeder Zweig theilt sich wieder
in Ulusse. Der Schah gebot über Alle, der Sirdar
über den Zweig, der Khan über den Uluß, die Malliks
und Maschirs über die einzelnen Ortschaften.

Die Verfassung ist eine aristokratische Monarchie,
erblich im Stamme Saddosei der Durahner. Der Nach-
folger des zu Kabul in der Derri Kaneh ( Pforte ) resi-
direnden Fürsten oder Schahs wird aus dessen im Bala-
hissar stets eingeschlossener Familie oder aus den als
Statthalter ausgeschickten Prinzen von der Aristokratie
der Sirdars gewählt. Er ist souverain auch in der
Kirche, aber die uralten Observanzen und festen For-
men, die Rechte der Aristokratie und der Stämme, die
zum Theil eigene Gerichtsbarkeit und einen festen Steuer-
satz haben, beschränken seine Macht. Es ist steter Zweck
des Schahs, die Sirdars durch Begünstigung ihnen
fremder Völker, z. B. der Berdurahner, Tadschiks, in
Furcht und die Durahner durch ihre Erhebung sich er-
geben zu erhalten. Die Stammverfassung hat bis jetzt
dem Jslam getrotzt und steht bis zur entschiedenen Demo-
kratie der Despotie entgegen.

Die Tadschiks stehen als Ureinwohner zu den ein-
gewanderten Afghanen in demselben Verhältnisse, wie
die Gallier und Jtalier zu den eingewanderten germani-
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Zur Zeit der Gründung des Afghanenreichs durch Achmed Khan umfaßte dasselbe außer dem eigentlichen Afghanistan und Beludschistan mit Sind auch den gan- zen westlichen Theil des jetzigen Sikhs=Staates, na- mentlich Multan und Kaschmir, sowie im Norden des Hindukusch und Paropamisus das alte Baktrien oder jetzige Balkh. Allein der Sikhsfürst Rundschit=Singh benutzte die seit 1803 das Afghanenreich verwirrende Anarchie und entriß demselben ganz Kaschmir, Multan und mehre andere Provinzen, während auf der Nord- seite Afghanistans die Bucharen die Provinz Balkh weg- nahmen und die Amirs von Sind sich der Abhängig- keit von Afghanistan entzogen. Die Afghanen sind ein Glied der indogermanischen Völkerkette, die von den Ufern des Ganges bis zu den britischen Jnseln reicht, und jedenfalls medischen Ur- sprungs. Sie sind starke, derbe Gestalten von gewalti- gem Knochenbaue, aber mager; in dem langen Gesichte steht die Nase hoch und die Backenknochen ragen nach oben auf. Ein grobes schwarzes Haar, das in der Mitte des Kopfes abgeschoren, ringsum aber kurz oder in lan- gen Locken getragen wird, ein langer und weicher dun- keler Bart, eine dunkle Hautfarbe geben dem Afghanen ein Ansehen von Kraft und Muth, das durch die ihm eigenen klugen Züge noch bedeutend gewinnt. Der Af- ghane ist kühn, ohne übermüthig, frei, ohne frech, ge- winnsüchtig, ohne lügnerisch zu sein. Gastfreiheit herrscht im weitesten Sinne auch gegen Feinde. Selbst die Räu- berstämme sind nicht grausam. Die Nahrung des Af- ghanen ist Schöpsenfleisch, Reissuppe, Scherbet. Rau- chen ist für Viele, Schnupfen für Alle unentbehrlich. Gewöhnlich trägt der Afghane weite Beinkleider, ein großes Hemde mit weiten Ärmeln wie einen Fuhrmanns- rock darüber, eine Uhlanenmütze von Goldbrocat oder anderm bunten Zeuge, unten mit Seide besetzt, braune Lederhalbstiefeln und über alles dieses einen Mantel von Schaffell oder von grauem Filz. Die Frauen gehen fast ebenso, nur ist ihr Hemde bunt, länger und fei- ner. Sie scheiteln das Haar und haben zwei aufge- wundene Zöpfe, die sie mit Gold= und Silberketten schmücken. Auf dem Scheitel sitzt ein ganz kleines Mützchen von bunter Seide, mit Gold gestickt; darum werfen sie ein Tuch, das sie, sobald ein Fremder naht, über das Gesicht ziehen. Jn den Städten schließt man die Ehen durch bloßen Vertrag, auf dem Lande, wo die Mädchen unverschleiert sind, mehr durch Neigung. Die Form ist immer der Kauf. Die Weiber der Vor- nehmen leben, wie überall im Morgenlande, eingesperrt; die der niedern Stände haben mehr Freiheit. Unwissen- heit wird für einen Vorzug gehalten, daher gereicht es einer Frau zur Schande, wenn sie schreiben kann. Über- haupt ist das Lernen noch nicht eingeführt bei den Af- ghanen. Die eigene Sprache, das Puschtu, eine Mi- schung aus persischen, syrischen, arabischen und chaldäi- schen Wörtern, die mit persischen Zeichen geschrieben wird, ist ihnen nur im Reden geläufig. Sie haben eine Musik von Flöten, Geigen, Lauten und Trompeten, besonders zu ihrem Nationaltanz, den jeder Afghane tanzen kann und tanzt, so oft er wo ge- tanzt wird. Sie lieben die Jagd, Pferderennen, Wet- ten, Spiele, Gastmähler, wobei Minstrels mit Erzäh- lungen und Balladen auftreten. Die Städte bestehen aus hohen oben flachen Häu- sern von Holz oder Backsteinen, die enge krumme Gas- sen bilden, aber meist Gärten und Springbrunnen ha- ben, und wären ohne die Moscheen, Minarets und ge- wölbten Bazars ohne alles Ansehen; die Dörfer haben Häuser mit einem oder höchstens zwei Zimmern, die oft in die mit Obstgärten besetzten Bergseiten hineingebaut sind und Sophas an den Wänden haben. Häufig ver- treten Zelte aus schwarzem Filz die Stelle der Häuser und diese haben statt der Sophas meist nur ein ledernes Ruhebett oder einen Filzteppich. Die meisten Afghanen sind Moslems und zwar vor der Sunna, der rechtgläubigen Confession Omars; nur die Eimaks, Hazarer und Turier sind der Schiya, der Sekte Ali's, zugethan. Die Afghanen zerfallen in viele Stämme: östlich wohnen vom Norden nach dem Süden herunter die Berdurahner, welche 1 ) die 12 Ulusse der Jussofei, ei- nes viele Bundesrepubliken bildenden stolzen Kriegervolks von 900,000 Köpfen, 2 ) die 3 Stämme der räuberi- schen Kheiber, 3 ) die 4 Stämme der ebenfalls raublie- benden Khattaks, 4 ) die muthigen und unabhängigen Bangasch umfassen. Jm Süden wohnen die Lohani, am östlichen Fuße der Salomonskette die Esau=Khail, die fast beständig miteinander im Kriege liegen, und noch eine Menge Stämme am Jndus hinab bis Hindustan. Die Salomonskette selbst wird von einer Unzahl von Stämmen bewohnt, die einander an Bildung und Sitte sehr ungleich sind. Die westlichen Stämme führen den gemeinschaftli- chen Namen Durahner, sonst Abdallah genannt. Sie waren bisher das herrschende Volk und theilen sich in 2 Hauptäste, die Siraks, aus 4, die Pantschpah, aus 5 Zweigen bestehend. Jeder Zweig theilt sich wieder in Ulusse. Der Schah gebot über Alle, der Sirdar über den Zweig, der Khan über den Uluß, die Malliks und Maschirs über die einzelnen Ortschaften. Die Verfassung ist eine aristokratische Monarchie, erblich im Stamme Saddosei der Durahner. Der Nach- folger des zu Kabul in der Derri Kaneh ( Pforte ) resi- direnden Fürsten oder Schahs wird aus dessen im Bala- hissar stets eingeschlossener Familie oder aus den als Statthalter ausgeschickten Prinzen von der Aristokratie der Sirdars gewählt. Er ist souverain auch in der Kirche, aber die uralten Observanzen und festen For- men, die Rechte der Aristokratie und der Stämme, die zum Theil eigene Gerichtsbarkeit und einen festen Steuer- satz haben, beschränken seine Macht. Es ist steter Zweck des Schahs, die Sirdars durch Begünstigung ihnen fremder Völker, z. B. der Berdurahner, Tadschiks, in Furcht und die Durahner durch ihre Erhebung sich er- geben zu erhalten. Die Stammverfassung hat bis jetzt dem Jslam getrotzt und steht bis zur entschiedenen Demo- kratie der Despotie entgegen. Die Tadschiks stehen als Ureinwohner zu den ein- gewanderten Afghanen in demselben Verhältnisse, wie die Gallier und Jtalier zu den eingewanderten germani-

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Zitationshilfe: Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Neue Folge, Erster Jahrgang, Nr. 10. Leipzig (Sachsen), 11. März 1843, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_pfennig010_1843/7>, abgerufen am 21.11.2024.