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Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Zweiter Jahrgang, Nr. 86. Leipzig (Sachsen), 17. August.

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Die Löwin und der Hund.
[Abbildung]
[Beginn Spaltensatz]

Unter die merkwürdigen Beispiele von Zuneigung sehr
verschiedenartiger und einander feindlicher Thiere gehört
auch das folgende, welches vor längerer Zeit in der
königlichen Menagerie zu Paris beobachtet wurde.

Man verwahrte dort eine große und schöne Löwin
und täglich fanden sich Viele ein, um das prächtige
Thier zu bewundern. Der Verlust der Freiheit machte
aber, daß die Löwin zusehends magerer und mürri-
scher wurde und es schien, sie werde nicht mehr lange
leben, wenn keine Veränderung ihres Zustandes her-
beigeführt werden könne.

Nun befand sich eines Tages unter den schaulusti-
gen Besuchern auch ein Herr, welcher dem Wärter der
Löwin den Rath gab, derselben von Zeit zu Zeit le-
bendige Thiere preiszugeben, wodurch sie sich wieder
erholen werde. Zugleich bot er einen kleinen ziemlich
häßlichen Hund, den er bei sich hatte, zu diesem Zwecke
an, weil er ihn gern lossein wolle.

Der Wärter nahm also den Hund und brachte ihn
sogleich zu der Löwin in den Käfig, wo er sich beim
Anblick des gewaltigen Raubthiers, dem er sich so
nahe befand, zitternd und zagend in eine Ecke drückte
und flehentliche Blicke auf seinen Herrn richtete.

[Spaltenumbruch]

Langsam erhob sich nun die Löwin und näherte sich
mit dumpfem Brüllen dem kleinen Ankömmlinge, der
klägliche Töne von sich gab und immerfort nach seinem
Herrn blickte. Als hätte die Löwin die Blicke des
geängstigten Hundes verstanden, wendete sie den Kopf
um, gleichsam zu erspähen, nach wem das kleine Opfer
sich umsehe, und heftete ihre funkelnden Augen einige
Zeit auf dessen Herrn. Dann öffnete sie ihren gewal-
tigen Rachen, gähnte, dehnte sich, legte sich nieder
und schlief ein. Der Hund blieb regungslos in seinem
Winkel.

Als die Zeit der täglichen Fütterung der Löwin
kam, erhielt sie ihren Antheil Fleisch, das sie aber
nicht ganz verzehrte. Sie schien gleichsam für ihren
Gast etwas davon übrig zu lassen, denn sie näherte
sich ihm einige male mit aller möglichen Freundlich-
keit; die Furcht hielt aber den Hund nach wie vor in
den Winkel gebannt. Hier brachte er auch die Nacht
zu, am folgenden Tage aber hatte er sich schon mehr
an die gewaltige Bewohnerin des Käfigs gewöhnt und
er wagte, etwas von dem Fleische zu fressen, das sie
abermals übrigließ. Mit jedem Tage wuchs nun das
Vertrauen des Hundes; er verließ seinen Winkel, fraß
[Ende Spaltensatz]


Die Löwin und der Hund.
[Abbildung]
[Beginn Spaltensatz]

Unter die merkwürdigen Beispiele von Zuneigung sehr
verschiedenartiger und einander feindlicher Thiere gehört
auch das folgende, welches vor längerer Zeit in der
königlichen Menagerie zu Paris beobachtet wurde.

Man verwahrte dort eine große und schöne Löwin
und täglich fanden sich Viele ein, um das prächtige
Thier zu bewundern. Der Verlust der Freiheit machte
aber, daß die Löwin zusehends magerer und mürri-
scher wurde und es schien, sie werde nicht mehr lange
leben, wenn keine Veränderung ihres Zustandes her-
beigeführt werden könne.

Nun befand sich eines Tages unter den schaulusti-
gen Besuchern auch ein Herr, welcher dem Wärter der
Löwin den Rath gab, derselben von Zeit zu Zeit le-
bendige Thiere preiszugeben, wodurch sie sich wieder
erholen werde. Zugleich bot er einen kleinen ziemlich
häßlichen Hund, den er bei sich hatte, zu diesem Zwecke
an, weil er ihn gern lossein wolle.

Der Wärter nahm also den Hund und brachte ihn
sogleich zu der Löwin in den Käfig, wo er sich beim
Anblick des gewaltigen Raubthiers, dem er sich so
nahe befand, zitternd und zagend in eine Ecke drückte
und flehentliche Blicke auf seinen Herrn richtete.

[Spaltenumbruch]

Langsam erhob sich nun die Löwin und näherte sich
mit dumpfem Brüllen dem kleinen Ankömmlinge, der
klägliche Töne von sich gab und immerfort nach seinem
Herrn blickte. Als hätte die Löwin die Blicke des
geängstigten Hundes verstanden, wendete sie den Kopf
um, gleichsam zu erspähen, nach wem das kleine Opfer
sich umsehe, und heftete ihre funkelnden Augen einige
Zeit auf dessen Herrn. Dann öffnete sie ihren gewal-
tigen Rachen, gähnte, dehnte sich, legte sich nieder
und schlief ein. Der Hund blieb regungslos in seinem
Winkel.

Als die Zeit der täglichen Fütterung der Löwin
kam, erhielt sie ihren Antheil Fleisch, das sie aber
nicht ganz verzehrte. Sie schien gleichsam für ihren
Gast etwas davon übrig zu lassen, denn sie näherte
sich ihm einige male mit aller möglichen Freundlich-
keit; die Furcht hielt aber den Hund nach wie vor in
den Winkel gebannt. Hier brachte er auch die Nacht
zu, am folgenden Tage aber hatte er sich schon mehr
an die gewaltige Bewohnerin des Käfigs gewöhnt und
er wagte, etwas von dem Fleische zu fressen, das sie
abermals übrigließ. Mit jedem Tage wuchs nun das
Vertrauen des Hundes; er verließ seinen Winkel, fraß
[Ende Spaltensatz]

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[269/0005] 269 Die Löwin und der Hund. [Abbildung] Unter die merkwürdigen Beispiele von Zuneigung sehr verschiedenartiger und einander feindlicher Thiere gehört auch das folgende, welches vor längerer Zeit in der königlichen Menagerie zu Paris beobachtet wurde. Man verwahrte dort eine große und schöne Löwin und täglich fanden sich Viele ein, um das prächtige Thier zu bewundern. Der Verlust der Freiheit machte aber, daß die Löwin zusehends magerer und mürri- scher wurde und es schien, sie werde nicht mehr lange leben, wenn keine Veränderung ihres Zustandes her- beigeführt werden könne. Nun befand sich eines Tages unter den schaulusti- gen Besuchern auch ein Herr, welcher dem Wärter der Löwin den Rath gab, derselben von Zeit zu Zeit le- bendige Thiere preiszugeben, wodurch sie sich wieder erholen werde. Zugleich bot er einen kleinen ziemlich häßlichen Hund, den er bei sich hatte, zu diesem Zwecke an, weil er ihn gern lossein wolle. Der Wärter nahm also den Hund und brachte ihn sogleich zu der Löwin in den Käfig, wo er sich beim Anblick des gewaltigen Raubthiers, dem er sich so nahe befand, zitternd und zagend in eine Ecke drückte und flehentliche Blicke auf seinen Herrn richtete. Langsam erhob sich nun die Löwin und näherte sich mit dumpfem Brüllen dem kleinen Ankömmlinge, der klägliche Töne von sich gab und immerfort nach seinem Herrn blickte. Als hätte die Löwin die Blicke des geängstigten Hundes verstanden, wendete sie den Kopf um, gleichsam zu erspähen, nach wem das kleine Opfer sich umsehe, und heftete ihre funkelnden Augen einige Zeit auf dessen Herrn. Dann öffnete sie ihren gewal- tigen Rachen, gähnte, dehnte sich, legte sich nieder und schlief ein. Der Hund blieb regungslos in seinem Winkel. Als die Zeit der täglichen Fütterung der Löwin kam, erhielt sie ihren Antheil Fleisch, das sie aber nicht ganz verzehrte. Sie schien gleichsam für ihren Gast etwas davon übrig zu lassen, denn sie näherte sich ihm einige male mit aller möglichen Freundlich- keit; die Furcht hielt aber den Hund nach wie vor in den Winkel gebannt. Hier brachte er auch die Nacht zu, am folgenden Tage aber hatte er sich schon mehr an die gewaltige Bewohnerin des Käfigs gewöhnt und er wagte, etwas von dem Fleische zu fressen, das sie abermals übrigließ. Mit jedem Tage wuchs nun das Vertrauen des Hundes; er verließ seinen Winkel, fraß

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Zitationshilfe: Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Zweiter Jahrgang, Nr. 86. Leipzig (Sachsen), 17. August, S. 269. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_pfennig086_1854/5>, abgerufen am 21.11.2024.