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Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Zweiter Jahrgang, Nr. 86. Leipzig (Sachsen), 17. August.

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[Beginn Spaltensatz] endlich mit der Löwin zu gleicher Zeit und von dem-
selben Stück Fleisch, ja unterstand sich sogar später,
nach Art vorlauter und neidischer Kläffer, der Löwin
den ruhigen Genuß ihres Futters so lange streitig zu
machen, bis er satt war. Sie ließ sich das auch ge-
fallen und wartete geduldig, bis der kleine Tyrann
fertig sein werde. Dauerte es ihr aber ja einmal zu
lange, so schob sie ihn behutsam mit ihren Tatzen zur
Seite und verbarg dabei sehr vorsichtig ihre gewaltigen
Klauen.

Als der Winter kam, fand es der Hund sehr be-
haglich, sich des Nachts unter die Löwin zu legen und
an ihr zu wärmen. Diese aber erhob sich niemals
eher, bis ihr Gesellschafter sein warmes Lager verlassen
hatte. Er spielte ferner mit ihrem Schwanze, biß und
zauste sie daran, sprang ihr nach den Ohren und trieb
mit ihr, was ihm eben einfiel, ohne daß sie ihm je
das Geringste zu Leide gethan hätte.

Nach einigen Jahren starb aber der Hund und die
Löwin grämte sich darüber so, daß sie mehre Tage
keine Nahrung zu sich nehmen wollte. Der Wärter
glaubte, ein neuer Gesellschafter werde ihr den verlore-
nen vergessen machen und brachte einen andern Hund
in ihren Käfig. Dieser aber sowie mehre andere, mit
denen man den Versuch wiederholte, wurden auf der
Stelle zerrissen. Endlich fand man einen, welcher
dem gestorbenen Schützling der Löwin sehr ähnlich war
und wirklich verschonte sie denselben, nachdem sie ihn
aufmerksam betrachtet hatte, mochte aber weiter nichts
mit ihm zu thun haben und starb einige Monate nach
dem Verluste ihres liebgewonnenen frühern Gesell-
schafters.



Die Seide. *)

Jm 6. Jahrhundert nach Christo ward es an dem
Hofe zu Konstantinopel Sitte, bei feierlichen Festen
vor dem Kaiser in Seide zu erscheinen. Nur Wenige
gab es indeß, die diese rauschende Hoftracht anlegen
konnten, denn wer nicht Gold im Überfluß hatte, war
nicht im Stande, sich ein seidenes Gewand anzu-
schaffen. Einige Jahrhunderte früher ward es noch
einem Kaiser in Rom für eine ungeheure Verschwen-
dung ausgelegt, daß er ein seidenes Gewand trug.
Ganz Rom tadelte ihn nnd rühmte dagegen seinen
Vorgänger, dessen Gemahlin trotz alles Bittens und
Flehens von ihm nicht erlangen konnte, daß er ihr ein
seidenes Kleid zum Geschenk mache. Lange Zeit wußte
man von dem Ursprunge der Seide so wenig, daß
man glaubte, sie wachse auf Bäumen. Persische Kauf-
leute brachten sie tief aus Asien. Eine solche Kara-
vane gebrauchte oft zwei Jahre zu einem Transporte,
und als unter dem Kaiser Justinian der Hof von Kon-
stantinopel mit den Persern im Kriege lag, gerieth der
Handel mit Seide ganz ins Stocken. Das Bedürf-
niß nach ihr war aber schon so groß, daß Justinian
Schiffe ausrüsten ließ, die das Rothe Meer hinunter
nach Jndien fahren sollten, um Seide zu holen. Da
erschienen zwei Mönche vor dem Kaiser, die auf ihren
Bekehrungsreisen auch China besucht und Gespinnste
von der Seidenraupe mitgebracht hatten. Sie erzähl-
ten zugleich, wie die Seidenwürmer genährt und ge-
pflegt würden und meinten, der Seidenbau ließe sich
[Spaltenumbruch] auch in Griechenland einführen, wenn man nur Sei-
denwürmer hätte. Diese zu bekommen, hielt aber
schwer. Die Chinesen hatten Todesstrafe über Den
verhängt, welcher die Eier der Seidenwürmer über die
Grenzen des Reichs hinaustrüge. Auf das Zureden
des Kaisers unternahmen die muthigen Glaubensboten
eine zweite Reise nach China. Jm Jahre 555 kamen
sie wieder zurück und brachten heimlich in ihren hoh-
len Wanderstäben Eierchen von der Seidenraupe mit.
Während ihrer Abwesenheit waren inzwischen Maul-
beerbäume angepflanzt worden, wozu sie schon früher
den Samen mitgebracht hatten. Als sich nun in dem
folgenden Frühjahre Blätter an den Maulbeerbäumen
zeigten, ließ man die Eier ausbrüten, setzte die jun-
gen Raupen auf die Bäume und gleich im ersten
Jahre gewann man den kostbaren Stoff. Europa
hatte auf diese Weise mit List die Seidencultur Asien
entrissen, aber bis ins 12. Jahrhundert blieb allein
Griechenland im Besitz dieser neuen Erwerbsquelle und
noch lange nahm man zu der Vorstellung der Seide
seine Zuflucht, wenn man etwas recht Kostbares be-
zeichnen wollte. "Seide spinnen" hieß ungefähr soviel
als Geld und Schätze gewinnen, in "Sammet und
Seide" sich kleiden, das galt nur von den Vornehm-
sten und Höchsten. Jetzt, wo man allenthalben Seide
spinnt, wo es nur Wenige gibt, die nicht eine seidene
Garnitur an ihrer Wiege hatten oder denen die Sei-
denwürmer nicht einmal wenigstens ein Bändchen zur
Haube spannen, jetzt haben jene Sprüchwörter viel an
ihrer Wirkung und Bedeutsamkeit verloren. Noch im
16. Jahrhundert waren die Seidenzeuche so theuer,
daß der prachtliebende Heinrich VIII., König von Eng-
land, nur an Festtagen seidene Strümpfe anzog, und
Karl V. bei einer Musterung, als es zu regnen an-
fing, seinen kleinen, mit Sammet überzogenen Hut
abnahm, damit er nicht durch die Nässe verdorben
würde. Ein Rath des Markgrafen Johann von Bran-
denburg erhielt von diesem im Jahre 1596 einen Ver-
weis, weil er an einem Wochentage in seidenen Strüm-
pfen zu ihm gekommen war. "Ei, ei", sagte der
Markgraf, "ich habe auch seidene Strümpfe, aber ich
trage sie nur Sonntags und Festtags!" Jetzt ist
kaum ein armes Tagelöhnerweib, nicht einmal eine Zi-
geunerin zu finden, die ihre Finger nicht an Seide
gelegt hätte, und viele von ihnen besitzen fast mehr
Seide in ibren Kisten und Kasten, als einst die ge-
priesene Königin Bertha von Klein=Burgund. Die
spinnenden Seidenwürmer haben sich aber auch im
Laufe der Zeit über die meisten Länder Europas ver-
breitet, und die Märkte und Messen sind seit einigen
Jahren mit einer solchen Fülle von weichen und glän-
zenden Seidengeweben versehen, daß diese um ein Drit-
tel, ja um die Hälfte im Preise gefallen sind.

Anfangs verbreiteten sich die Colonien der spinnen-
den Würmlein und die sie begleitenden Maulbeerbänme
nur langsam weiter. Nach Sicilien kamen sie von
Griechenland aus durch die Kreuzfahrer, und Spanien
erhielt sie durch die Araber, welche während ihrer sie-
benhundertjährigen Herrschaft die pyrenäische Halbinsel
zu einem blühenden Garten umgestalteten und unter
anderm auch in der Papier= und Lederbereitung Aus-
gezeichnetes leisteten. Von dem Süden Europas dran-
gen die Seidenraupen immer weiter nach Norden vor,
in immer mehr Thäler, in immer neue Landstriche,
und manche Gebirgsgegend, welche öde und verlassen
dagelegen hatte, schmückte sich mit grünenden Maul-
beerbäumen, spinnenden Seidenraupen und webenden
Menschen. Dieser Fortschritt geht bis auf unsere Tage;
[Ende Spaltensatz]

*) Fragment aus dem dritten Jahrgange der " Unterhal-
tungen und Studien" von Gude und Grube ( Magdeb. 1854 )

[Beginn Spaltensatz] endlich mit der Löwin zu gleicher Zeit und von dem-
selben Stück Fleisch, ja unterstand sich sogar später,
nach Art vorlauter und neidischer Kläffer, der Löwin
den ruhigen Genuß ihres Futters so lange streitig zu
machen, bis er satt war. Sie ließ sich das auch ge-
fallen und wartete geduldig, bis der kleine Tyrann
fertig sein werde. Dauerte es ihr aber ja einmal zu
lange, so schob sie ihn behutsam mit ihren Tatzen zur
Seite und verbarg dabei sehr vorsichtig ihre gewaltigen
Klauen.

Als der Winter kam, fand es der Hund sehr be-
haglich, sich des Nachts unter die Löwin zu legen und
an ihr zu wärmen. Diese aber erhob sich niemals
eher, bis ihr Gesellschafter sein warmes Lager verlassen
hatte. Er spielte ferner mit ihrem Schwanze, biß und
zauste sie daran, sprang ihr nach den Ohren und trieb
mit ihr, was ihm eben einfiel, ohne daß sie ihm je
das Geringste zu Leide gethan hätte.

Nach einigen Jahren starb aber der Hund und die
Löwin grämte sich darüber so, daß sie mehre Tage
keine Nahrung zu sich nehmen wollte. Der Wärter
glaubte, ein neuer Gesellschafter werde ihr den verlore-
nen vergessen machen und brachte einen andern Hund
in ihren Käfig. Dieser aber sowie mehre andere, mit
denen man den Versuch wiederholte, wurden auf der
Stelle zerrissen. Endlich fand man einen, welcher
dem gestorbenen Schützling der Löwin sehr ähnlich war
und wirklich verschonte sie denselben, nachdem sie ihn
aufmerksam betrachtet hatte, mochte aber weiter nichts
mit ihm zu thun haben und starb einige Monate nach
dem Verluste ihres liebgewonnenen frühern Gesell-
schafters.



Die Seide. *)

Jm 6. Jahrhundert nach Christo ward es an dem
Hofe zu Konstantinopel Sitte, bei feierlichen Festen
vor dem Kaiser in Seide zu erscheinen. Nur Wenige
gab es indeß, die diese rauschende Hoftracht anlegen
konnten, denn wer nicht Gold im Überfluß hatte, war
nicht im Stande, sich ein seidenes Gewand anzu-
schaffen. Einige Jahrhunderte früher ward es noch
einem Kaiser in Rom für eine ungeheure Verschwen-
dung ausgelegt, daß er ein seidenes Gewand trug.
Ganz Rom tadelte ihn nnd rühmte dagegen seinen
Vorgänger, dessen Gemahlin trotz alles Bittens und
Flehens von ihm nicht erlangen konnte, daß er ihr ein
seidenes Kleid zum Geschenk mache. Lange Zeit wußte
man von dem Ursprunge der Seide so wenig, daß
man glaubte, sie wachse auf Bäumen. Persische Kauf-
leute brachten sie tief aus Asien. Eine solche Kara-
vane gebrauchte oft zwei Jahre zu einem Transporte,
und als unter dem Kaiser Justinian der Hof von Kon-
stantinopel mit den Persern im Kriege lag, gerieth der
Handel mit Seide ganz ins Stocken. Das Bedürf-
niß nach ihr war aber schon so groß, daß Justinian
Schiffe ausrüsten ließ, die das Rothe Meer hinunter
nach Jndien fahren sollten, um Seide zu holen. Da
erschienen zwei Mönche vor dem Kaiser, die auf ihren
Bekehrungsreisen auch China besucht und Gespinnste
von der Seidenraupe mitgebracht hatten. Sie erzähl-
ten zugleich, wie die Seidenwürmer genährt und ge-
pflegt würden und meinten, der Seidenbau ließe sich
[Spaltenumbruch] auch in Griechenland einführen, wenn man nur Sei-
denwürmer hätte. Diese zu bekommen, hielt aber
schwer. Die Chinesen hatten Todesstrafe über Den
verhängt, welcher die Eier der Seidenwürmer über die
Grenzen des Reichs hinaustrüge. Auf das Zureden
des Kaisers unternahmen die muthigen Glaubensboten
eine zweite Reise nach China. Jm Jahre 555 kamen
sie wieder zurück und brachten heimlich in ihren hoh-
len Wanderstäben Eierchen von der Seidenraupe mit.
Während ihrer Abwesenheit waren inzwischen Maul-
beerbäume angepflanzt worden, wozu sie schon früher
den Samen mitgebracht hatten. Als sich nun in dem
folgenden Frühjahre Blätter an den Maulbeerbäumen
zeigten, ließ man die Eier ausbrüten, setzte die jun-
gen Raupen auf die Bäume und gleich im ersten
Jahre gewann man den kostbaren Stoff. Europa
hatte auf diese Weise mit List die Seidencultur Asien
entrissen, aber bis ins 12. Jahrhundert blieb allein
Griechenland im Besitz dieser neuen Erwerbsquelle und
noch lange nahm man zu der Vorstellung der Seide
seine Zuflucht, wenn man etwas recht Kostbares be-
zeichnen wollte. „Seide spinnen“ hieß ungefähr soviel
als Geld und Schätze gewinnen, in „Sammet und
Seide“ sich kleiden, das galt nur von den Vornehm-
sten und Höchsten. Jetzt, wo man allenthalben Seide
spinnt, wo es nur Wenige gibt, die nicht eine seidene
Garnitur an ihrer Wiege hatten oder denen die Sei-
denwürmer nicht einmal wenigstens ein Bändchen zur
Haube spannen, jetzt haben jene Sprüchwörter viel an
ihrer Wirkung und Bedeutsamkeit verloren. Noch im
16. Jahrhundert waren die Seidenzeuche so theuer,
daß der prachtliebende Heinrich VIII., König von Eng-
land, nur an Festtagen seidene Strümpfe anzog, und
Karl V. bei einer Musterung, als es zu regnen an-
fing, seinen kleinen, mit Sammet überzogenen Hut
abnahm, damit er nicht durch die Nässe verdorben
würde. Ein Rath des Markgrafen Johann von Bran-
denburg erhielt von diesem im Jahre 1596 einen Ver-
weis, weil er an einem Wochentage in seidenen Strüm-
pfen zu ihm gekommen war. „Ei, ei“, sagte der
Markgraf, „ich habe auch seidene Strümpfe, aber ich
trage sie nur Sonntags und Festtags!“ Jetzt ist
kaum ein armes Tagelöhnerweib, nicht einmal eine Zi-
geunerin zu finden, die ihre Finger nicht an Seide
gelegt hätte, und viele von ihnen besitzen fast mehr
Seide in ibren Kisten und Kasten, als einst die ge-
priesene Königin Bertha von Klein=Burgund. Die
spinnenden Seidenwürmer haben sich aber auch im
Laufe der Zeit über die meisten Länder Europas ver-
breitet, und die Märkte und Messen sind seit einigen
Jahren mit einer solchen Fülle von weichen und glän-
zenden Seidengeweben versehen, daß diese um ein Drit-
tel, ja um die Hälfte im Preise gefallen sind.

Anfangs verbreiteten sich die Colonien der spinnen-
den Würmlein und die sie begleitenden Maulbeerbänme
nur langsam weiter. Nach Sicilien kamen sie von
Griechenland aus durch die Kreuzfahrer, und Spanien
erhielt sie durch die Araber, welche während ihrer sie-
benhundertjährigen Herrschaft die pyrenäische Halbinsel
zu einem blühenden Garten umgestalteten und unter
anderm auch in der Papier= und Lederbereitung Aus-
gezeichnetes leisteten. Von dem Süden Europas dran-
gen die Seidenraupen immer weiter nach Norden vor,
in immer mehr Thäler, in immer neue Landstriche,
und manche Gebirgsgegend, welche öde und verlassen
dagelegen hatte, schmückte sich mit grünenden Maul-
beerbäumen, spinnenden Seidenraupen und webenden
Menschen. Dieser Fortschritt geht bis auf unsere Tage;
[Ende Spaltensatz]

*) Fragment aus dem dritten Jahrgange der „ Unterhal-
tungen und Studien“ von Gude und Grube ( Magdeb. 1854 )
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[270/0006] 270 endlich mit der Löwin zu gleicher Zeit und von dem- selben Stück Fleisch, ja unterstand sich sogar später, nach Art vorlauter und neidischer Kläffer, der Löwin den ruhigen Genuß ihres Futters so lange streitig zu machen, bis er satt war. Sie ließ sich das auch ge- fallen und wartete geduldig, bis der kleine Tyrann fertig sein werde. Dauerte es ihr aber ja einmal zu lange, so schob sie ihn behutsam mit ihren Tatzen zur Seite und verbarg dabei sehr vorsichtig ihre gewaltigen Klauen. Als der Winter kam, fand es der Hund sehr be- haglich, sich des Nachts unter die Löwin zu legen und an ihr zu wärmen. Diese aber erhob sich niemals eher, bis ihr Gesellschafter sein warmes Lager verlassen hatte. Er spielte ferner mit ihrem Schwanze, biß und zauste sie daran, sprang ihr nach den Ohren und trieb mit ihr, was ihm eben einfiel, ohne daß sie ihm je das Geringste zu Leide gethan hätte. Nach einigen Jahren starb aber der Hund und die Löwin grämte sich darüber so, daß sie mehre Tage keine Nahrung zu sich nehmen wollte. Der Wärter glaubte, ein neuer Gesellschafter werde ihr den verlore- nen vergessen machen und brachte einen andern Hund in ihren Käfig. Dieser aber sowie mehre andere, mit denen man den Versuch wiederholte, wurden auf der Stelle zerrissen. Endlich fand man einen, welcher dem gestorbenen Schützling der Löwin sehr ähnlich war und wirklich verschonte sie denselben, nachdem sie ihn aufmerksam betrachtet hatte, mochte aber weiter nichts mit ihm zu thun haben und starb einige Monate nach dem Verluste ihres liebgewonnenen frühern Gesell- schafters. Die Seide. *) Jm 6. Jahrhundert nach Christo ward es an dem Hofe zu Konstantinopel Sitte, bei feierlichen Festen vor dem Kaiser in Seide zu erscheinen. Nur Wenige gab es indeß, die diese rauschende Hoftracht anlegen konnten, denn wer nicht Gold im Überfluß hatte, war nicht im Stande, sich ein seidenes Gewand anzu- schaffen. Einige Jahrhunderte früher ward es noch einem Kaiser in Rom für eine ungeheure Verschwen- dung ausgelegt, daß er ein seidenes Gewand trug. Ganz Rom tadelte ihn nnd rühmte dagegen seinen Vorgänger, dessen Gemahlin trotz alles Bittens und Flehens von ihm nicht erlangen konnte, daß er ihr ein seidenes Kleid zum Geschenk mache. Lange Zeit wußte man von dem Ursprunge der Seide so wenig, daß man glaubte, sie wachse auf Bäumen. Persische Kauf- leute brachten sie tief aus Asien. Eine solche Kara- vane gebrauchte oft zwei Jahre zu einem Transporte, und als unter dem Kaiser Justinian der Hof von Kon- stantinopel mit den Persern im Kriege lag, gerieth der Handel mit Seide ganz ins Stocken. 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Jetzt, wo man allenthalben Seide spinnt, wo es nur Wenige gibt, die nicht eine seidene Garnitur an ihrer Wiege hatten oder denen die Sei- denwürmer nicht einmal wenigstens ein Bändchen zur Haube spannen, jetzt haben jene Sprüchwörter viel an ihrer Wirkung und Bedeutsamkeit verloren. Noch im 16. Jahrhundert waren die Seidenzeuche so theuer, daß der prachtliebende Heinrich VIII., König von Eng- land, nur an Festtagen seidene Strümpfe anzog, und Karl V. bei einer Musterung, als es zu regnen an- fing, seinen kleinen, mit Sammet überzogenen Hut abnahm, damit er nicht durch die Nässe verdorben würde. Ein Rath des Markgrafen Johann von Bran- denburg erhielt von diesem im Jahre 1596 einen Ver- weis, weil er an einem Wochentage in seidenen Strüm- pfen zu ihm gekommen war. „Ei, ei“, sagte der Markgraf, „ich habe auch seidene Strümpfe, aber ich trage sie nur Sonntags und Festtags!“ Jetzt ist kaum ein armes Tagelöhnerweib, nicht einmal eine Zi- geunerin zu finden, die ihre Finger nicht an Seide gelegt hätte, und viele von ihnen besitzen fast mehr Seide in ibren Kisten und Kasten, als einst die ge- priesene Königin Bertha von Klein=Burgund. Die spinnenden Seidenwürmer haben sich aber auch im Laufe der Zeit über die meisten Länder Europas ver- breitet, und die Märkte und Messen sind seit einigen Jahren mit einer solchen Fülle von weichen und glän- zenden Seidengeweben versehen, daß diese um ein Drit- tel, ja um die Hälfte im Preise gefallen sind. Anfangs verbreiteten sich die Colonien der spinnen- den Würmlein und die sie begleitenden Maulbeerbänme nur langsam weiter. Nach Sicilien kamen sie von Griechenland aus durch die Kreuzfahrer, und Spanien erhielt sie durch die Araber, welche während ihrer sie- benhundertjährigen Herrschaft die pyrenäische Halbinsel zu einem blühenden Garten umgestalteten und unter anderm auch in der Papier= und Lederbereitung Aus- gezeichnetes leisteten. Von dem Süden Europas dran- gen die Seidenraupen immer weiter nach Norden vor, in immer mehr Thäler, in immer neue Landstriche, und manche Gebirgsgegend, welche öde und verlassen dagelegen hatte, schmückte sich mit grünenden Maul- beerbäumen, spinnenden Seidenraupen und webenden Menschen. Dieser Fortschritt geht bis auf unsere Tage; *) Fragment aus dem dritten Jahrgange der „ Unterhal- tungen und Studien“ von Gude und Grube ( Magdeb. 1854 )

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Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und TEI Transkription
Peter Fankhauser: Transformation von TUSTEP nach TEI P5. Transformation von TEI P5 in das DTA TEI P5 Format.

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Zitationshilfe: Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Zweiter Jahrgang, Nr. 86. Leipzig (Sachsen), 17. August, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_pfennig086_1854/6>, abgerufen am 23.11.2024.