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Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Zweiter Jahrgang, Nr. 86. Leipzig (Sachsen), 17. August.

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[Beginn Spaltensatz] denn noch in der neuesten Zeit haben sich nicht nur
neue Thalbevölkerungen des südlichen Abhangs der Al-
pen zur Cultur der Seide herbeigelassen, sondern auch
im Norden der Alpen, in Sachsen und Preußen, selbst
in England und Schweden hat man dem chinesischen
Wurm eine neue Heimat zu bereiten gestrebt. Nir-
gends in Europa wird jedoch die Seidencultur mit so
glänzendem Erfolge betrieben als in Frankreich. Selbst
die Chinesen, die ältesten Meister in dieser Kunst, ha-
ben gestehen müssen, daß die französischen, namentlich
die Lyoner Seidenwaaren, die ihrigen an Schönheit
überträfen, und das will etwas sagen, denn nicht leicht
lobt der Chinese das Fremde. Die ersten Maulbeer-
bäume kamen im Jahre 1440, nachdem in ganz Jta-
lien schon längst der Seidenbau betrieben wurde, nach
Frankreich, und zu Tours wurde unter Ludwig XI.
die erste Seidenfabrik angelegt, wozu man die Arbei-
ter aus Genua, Venedig, Florenz, ja selbst aus Grie-
chenland kommen ließ. Das meiste Verdienst um die
Seidencultur hat sich aber der treffliche König Hein-
rich IV. von Frankreich erworben, derselbe König, dem
es Ernst war, was er aussprach, daß nämlich jeder
Bauer seines Landes des Sonntags ein Huhn im Topfe
haben sollte. Er ließ nicht nur 15--20,000 Maul-
beerbäume in dem Garten der Tuilerien anpflanzen,
sondern ermunterte auch durch Prämien und erhob
Jeden, der 12 Jahre hindurch mit Erfolg den Sei-
denbau betrieben hatte, in den Adelsstand. Einer sei-
ner Nachfolger that zwar auch viel zur Verbreitung
der Seidencultur, aber ohne daß er es wollte. Dies
war Ludwig XIV., der den pariser Hof zum blenden-
den Mittelpunkte des ganzen Landes, ja zum Vorbilde
der Höfe von ganz Europa machte und gegen die Pro-
testanten so grausam verfuhr. Als er das von Hein-
rich IV. gegebene Edict von Nantes, welches den Pro-
testanten in Frankreich freie und ungestörte Religions-
übung zusicherte, wieder aufhob, so wanderten eine
Menge fleißiger Unterthanen aus und zerstreuten sich
in die protestantischen Länder Europas, wo sie meist
eine gute Aufnahme fanden. Unter diesen Auswande-
rern waren auch viele Seidenspinner, die nun die Sei-
dencultur über Frankreich hinaus weiter verbreiteten.
Nach England allein kamen gegen 50,000, auch nach
Preußen zogen viele. Man ließ Maulbeerbäume und
Raupeneier nachkommen, und schon im Jahre 1782
konnte man im preußischen Staate 3 Millionen Maul-
beerbäume zählen und 14,000 Pfund Seide gewinnen.
Jn Preußen hat sich besonders Friedrich der Einzige.
der nicht nur groß im Kriege, sondern auch im Frie-
den war, um den Seidenbau viel Verdienste erwor-
ben. Er setzte, wie Heinrich IV. von Frankreich, Prä-
mien für Diejenigen aus, welche die beste Seide lie-
ferten, und man kann zum Ruhme der preußischen
Seide sagen, daß sie nicht schlechter ist als die lom-
bardische, ja diese sogar an Dauerhaftigkeit übertrifft.
Auch in den übrigen deutschen Staaten wurde theils
durch Fürsten, theils durch Vereine für die Seiden-
cultur gewirkt, aber leider ist es mit derselben in
Deutschland nicht vorwärts, sondern rückwärts gegan-
gen. Sämmtliche Zollvereinsstaaten erzeugten in den
letzten Jahren nur noch gegen 10,000 Pfund Seide,
verbrauchten aber jährlich 20,000 Centner. Frankreich
liefert dagegen2 3 / 4 Millionen Pfund, die 17,820,000
Thaler an Werth betragen, und Oberitalien vermag
sogar 4,177,700 Pfund Rohseide zu gewinnen. Aller-
dings ist das Klima in Frankreich und Jtalien dem
Seidenbau viel günstiger als in Deutschland, aber
dennoch könnte auch bei uns mehr dafür gethan und
[Spaltenumbruch] mancher Thaler dem Lande erhalten werden. War
sonst ein seidener Strumpf eine königliche Tracht, so
sind jetzt seidene Taschen= und Halstücher, seidene
Schirme und Kleider etwas sehr Gewöhnliches, und
denkt man nun noch an die Nähseide, an die Jäck-
chen, Schürzen, Bänder und dergleichen, so kann
man dreist annehmen, daß durchschnittlich auf 16
Personen jährlich ein Pfund Seide zu rechnen ist,
das macht für die16 1 / 2 Millionen Einwohner, die
Preußen hat, das Pfund verarbeiteter Seide zu neun
Thaler gerechnet, jährlich eine Summe von mehr als
neun Millionen Thalern. Wir wollen die Liebhaberei
für seidene Stoffe nicht gerade tadeln. Die Seide ist
eine erfreuliche und heilsame Gabe. Jhr frischer Glanz,
ihr heiteres Licht erfreut Jeden. Weder die Wolle
noch die Leinwand können sich in dieser Hinsicht mit
ihr messen.

( Fortsetzung folgt. )




[Abbildung] Zweig des Orleanbaums.

Vergleiche Pfennig=Magazin, Jahrgang 1835, Nr. 143.



[Ende Spaltensatz]

[Beginn Spaltensatz] denn noch in der neuesten Zeit haben sich nicht nur
neue Thalbevölkerungen des südlichen Abhangs der Al-
pen zur Cultur der Seide herbeigelassen, sondern auch
im Norden der Alpen, in Sachsen und Preußen, selbst
in England und Schweden hat man dem chinesischen
Wurm eine neue Heimat zu bereiten gestrebt. Nir-
gends in Europa wird jedoch die Seidencultur mit so
glänzendem Erfolge betrieben als in Frankreich. Selbst
die Chinesen, die ältesten Meister in dieser Kunst, ha-
ben gestehen müssen, daß die französischen, namentlich
die Lyoner Seidenwaaren, die ihrigen an Schönheit
überträfen, und das will etwas sagen, denn nicht leicht
lobt der Chinese das Fremde. Die ersten Maulbeer-
bäume kamen im Jahre 1440, nachdem in ganz Jta-
lien schon längst der Seidenbau betrieben wurde, nach
Frankreich, und zu Tours wurde unter Ludwig XI.
die erste Seidenfabrik angelegt, wozu man die Arbei-
ter aus Genua, Venedig, Florenz, ja selbst aus Grie-
chenland kommen ließ. Das meiste Verdienst um die
Seidencultur hat sich aber der treffliche König Hein-
rich IV. von Frankreich erworben, derselbe König, dem
es Ernst war, was er aussprach, daß nämlich jeder
Bauer seines Landes des Sonntags ein Huhn im Topfe
haben sollte. Er ließ nicht nur 15—20,000 Maul-
beerbäume in dem Garten der Tuilerien anpflanzen,
sondern ermunterte auch durch Prämien und erhob
Jeden, der 12 Jahre hindurch mit Erfolg den Sei-
denbau betrieben hatte, in den Adelsstand. Einer sei-
ner Nachfolger that zwar auch viel zur Verbreitung
der Seidencultur, aber ohne daß er es wollte. Dies
war Ludwig XIV., der den pariser Hof zum blenden-
den Mittelpunkte des ganzen Landes, ja zum Vorbilde
der Höfe von ganz Europa machte und gegen die Pro-
testanten so grausam verfuhr. Als er das von Hein-
rich IV. gegebene Edict von Nantes, welches den Pro-
testanten in Frankreich freie und ungestörte Religions-
übung zusicherte, wieder aufhob, so wanderten eine
Menge fleißiger Unterthanen aus und zerstreuten sich
in die protestantischen Länder Europas, wo sie meist
eine gute Aufnahme fanden. Unter diesen Auswande-
rern waren auch viele Seidenspinner, die nun die Sei-
dencultur über Frankreich hinaus weiter verbreiteten.
Nach England allein kamen gegen 50,000, auch nach
Preußen zogen viele. Man ließ Maulbeerbäume und
Raupeneier nachkommen, und schon im Jahre 1782
konnte man im preußischen Staate 3 Millionen Maul-
beerbäume zählen und 14,000 Pfund Seide gewinnen.
Jn Preußen hat sich besonders Friedrich der Einzige.
der nicht nur groß im Kriege, sondern auch im Frie-
den war, um den Seidenbau viel Verdienste erwor-
ben. Er setzte, wie Heinrich IV. von Frankreich, Prä-
mien für Diejenigen aus, welche die beste Seide lie-
ferten, und man kann zum Ruhme der preußischen
Seide sagen, daß sie nicht schlechter ist als die lom-
bardische, ja diese sogar an Dauerhaftigkeit übertrifft.
Auch in den übrigen deutschen Staaten wurde theils
durch Fürsten, theils durch Vereine für die Seiden-
cultur gewirkt, aber leider ist es mit derselben in
Deutschland nicht vorwärts, sondern rückwärts gegan-
gen. Sämmtliche Zollvereinsstaaten erzeugten in den
letzten Jahren nur noch gegen 10,000 Pfund Seide,
verbrauchten aber jährlich 20,000 Centner. Frankreich
liefert dagegen2 3 / 4 Millionen Pfund, die 17,820,000
Thaler an Werth betragen, und Oberitalien vermag
sogar 4,177,700 Pfund Rohseide zu gewinnen. Aller-
dings ist das Klima in Frankreich und Jtalien dem
Seidenbau viel günstiger als in Deutschland, aber
dennoch könnte auch bei uns mehr dafür gethan und
[Spaltenumbruch] mancher Thaler dem Lande erhalten werden. War
sonst ein seidener Strumpf eine königliche Tracht, so
sind jetzt seidene Taschen= und Halstücher, seidene
Schirme und Kleider etwas sehr Gewöhnliches, und
denkt man nun noch an die Nähseide, an die Jäck-
chen, Schürzen, Bänder und dergleichen, so kann
man dreist annehmen, daß durchschnittlich auf 16
Personen jährlich ein Pfund Seide zu rechnen ist,
das macht für die16 1 / 2 Millionen Einwohner, die
Preußen hat, das Pfund verarbeiteter Seide zu neun
Thaler gerechnet, jährlich eine Summe von mehr als
neun Millionen Thalern. Wir wollen die Liebhaberei
für seidene Stoffe nicht gerade tadeln. Die Seide ist
eine erfreuliche und heilsame Gabe. Jhr frischer Glanz,
ihr heiteres Licht erfreut Jeden. Weder die Wolle
noch die Leinwand können sich in dieser Hinsicht mit
ihr messen.

( Fortsetzung folgt. )




[Abbildung] Zweig des Orleanbaums.

Vergleiche Pfennig=Magazin, Jahrgang 1835, Nr. 143.



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Zitationshilfe: Das Pfennig=Magazin für Belehrung und Unterhaltung. Dritte Folge, Zweiter Jahrgang, Nr. 86. Leipzig (Sachsen), 17. August, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_pfennig086_1854/7>, abgerufen am 18.10.2024.