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Das Pfennig=Magazin der Gesellschaft zur Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse. Nr. 151. Leipzig (Sachsen), 20. Februar 18.

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Das Pfennig=Magazin.
[Beginn Spaltensatz] die Unglückliche als das Weib ihres Entführers aner-
kannt. Sie unterwirft sich ihrem Schicksale, und selten
verläßt sie ihren Mann und ihren neuen Stamm, um
zu einem andern zu fliehen. Dieser Weiberraub ist so
gewöhnlich, daß selbst Knaben ein Spiel daraus ma-
chen. Die Weiber werden sehr hart behandelt, und die
geringste Beleidigung gegen ihre Männer wird mit einem
Keulenschlage bestraft.

Auch diese Wilden sind jedoch nicht immer für zar-
tere Gefühle unempfänglich, und um das abstoßende
Bild, das wir gegeben haben, zu mildern, wollen wir
aus dem Berichte des Reisenden, dem wir folgen, einen
Zug mittheilen, dessen Wahrheit ein mit den Umstän-
den bekannter Beamter in der britischen Ansiedelung
ihm verbürgte. Ein junger Mann von 22 Jahren,
der zu einem in der Nähe von Sidney wohnenden
Stamme gehörte, hatte zwei Schwestern, eine 20, die
andere erst 14 Jahre alt. Eines Tags, als er von der
Jagd heimkehrte und die beiden Mädchen ihm nicht
wie gewöhnlich entgegenkamen, setzte er sich unter ei-
nen Baum nicht weit von der Hütte, um sie zu er-
warten. Die Sonne sank, die Nacht brach an, aber
seine Schwestern erschienen nicht, und unruhig ging er
in die Hütte. Wie groß war sein Schreck und sein
Schmerz, als er bei dem Scheine der Dämmerung
seine jüngere Schwester blutend auf dem Boden liegen
sah. Er kniete neben ihr nieder und rief ihren Na-
men; sie war ohne Besinnung. Er holte Wasser her-
bei, rieb ihr das Gesicht, und als sie endlich zu sich
gekommen war, rief sie aus: "O mein Bruder, unsere
Schwester ist geraubt. Der Bösewicht schlug sie mit
der Keule und faßte sie in seine Arme, um sie fortzu-
schleppen. Jch wollte ihn zurückhalten, aber er fiel
über mich her, schlug mich wüthend und streckte mit
einem Schlage seiner Keule mich nieder." Jhr Bruder
hörte mit finsterm Schweigen zu, nur einzelne Worte
entfuhren seiner bewegten Brust und verriethen seine
Rachegedanken. Sobald die Sonne aufgegangen war,
machte er sich mit seiner Schwester auf den Weg zu
dem Stamme des Entführers. Als sie angekommen
waren, sah der junge Wilde die Schwester des Man-
nes, der ihm die seinige geraubt hatte, in einiger Ent-
fernung von den Hütten mit Holzsammeln beschäftigt.
Die Gelegenheit zur Rache war günstig; er befahl sei-
ner Schwester, sich zu verbergen, lief auf das Mädchen
zu und schwang seine Keule, um sie niederzuschmettern.
Die Unglückliche zitterte vor dem starken Feinde, aber
sie nahm ihren ganzen Muth zusammen. Sie erhob
ihr Auge zu ihm, ihre Blicke begegneten sich, und der
junge Mann war von ihrer Schönheit so überrascht,
daß er unbeweglich sie ansah. Als das Mädchen diesen
Eindruck bemerkte, warf sie sich zu seinen Füßen, sein
Mitleid anzuflehen, aber eine zartere Regung war schnell
der Rachgier in seiner Brust gefolgt. Er warf seine
Keule weg, schloß das Mädchen in seine Arme und bat
sie, ihm zu seinem Stamme zu folgen. Als er sich
nach seiner Schwester erkundigte, sagte ihm seine Braut,
daß sie noch sehr leide, aber sich bald bessern werde, und
entschuldigte ihren Bruder, indem sie die herrschende
Sitte anführte. "Aber du", setzte sie hinzu, "hast ein
weißeres Herz, du wirst mich nicht schlagen. Jch liebe
dich, du liebst mich, ich liebe deine Schwestern und
sie sind mir gut, aber mein Bruder ist ein böser Mensch."
Das junge Paar lebte zu der Zeit, wo unser Gewährs-
mann in Sidney sich aufhielt, schon lange friedlich und
glücklich in einer Hütte, welche der britische Beamte ihm
hatte bauen lassen, der diese Geschichte erzählte.



[Spaltenumbruch]
Französischer Seidenhandel.

Die ungemeine Schnelligkeit, welche die Franzosen in
der Erfindung neuer Muster zeigen, ist die wahre Quelle
ihrer Überlegenheit im Seidenhandel, sagt Dr. Bowring
in seinem Berichte über die Handelsverhältnisse zwischen
Frankreich und Großbritannien. Man rechnet, daß nicht
mehr als 25 Stücke im Durchschnitt nach demselben
Muster verfertigt werden, und sehr viele Muster werden
nur zu Proben verfertigt, welche, wenn sie nicht Beifall
finden, nicht auf Stücke übertragen werden. Der Han-
del von Lyon beruht meist auf Bestellungen, und die
Muster werden dem Käufer gesendet, ehe die Manu-
factur arbeitet. Daher gibt es wenig Vorräthe, und
bei dem geringen Wagniß des Seidenwebers ist der
Gewinn im Durchschnitt nicht groß. Es versteht sich,
daß in diesem Gebiete der Mode auffallende Ausnah-
men in jener Beziehung stattfinden, und für besonders
schöne Waaren oft hohe Preise bezahlt werden. Die
Capitale aber, die in Frankreich dem Seidenhandel ge-
widmet werden, sind im Ganzen mäßig. Das Factorei-
system oder die Vermittelung durch Verleger hat man
bis jetzt nur im Kleinen versucht. Fast jeder Zweig des
Verkehrs ist unabhängig von dem andern. Der Maul-
beerbaumpflanzer, der Seidenwurmzüchter, der Spinner,
der Haspler, der Färber, der Musterzeichner, der Weber,
der Kaufmann, alle stehen vereinzelt, und es findet keine
Oberaufsicht über die Verfertigung eines Stücks Waare
statt. Die Zunahme des diesem Verkehr bestimmten Capi-
tals und der Drang fremder Mitbewerbung, meint Bow-
ring, würden zu manchen wohlthätigen Veränderungen
führen. Einzelne Versuche sind schon gemacht worden.
Jn Saint Vallier wird die Seide in demselben Fabrik-
gebäude gehaspelt und gewebt.



Naturhistorische Unterhaltungen.

Jn den Wildnissen von Turkasien wächst eine Akazien-
art, der Banbatbaum, der bei den Alten, wegen des
Gummis, was er ausschwitzt, sehr geschätzt war. Die
Zweige sind mit scharfen weißen Dornen besetzt und
mit Büscheln duftender Blüten geziert, aus welchen die
Chinesen eine schöne gelbe Farbe bereiten. Dieser Baum
zeigt uns ein merkwürdiges Beispiel von dem thierischen
Scharfsinne bei einer Raupenart, deren Nester zu tau-
senden an den Zweigen des Banbatbaumes hangen.
Jm Vorgefühl seiner Verwandlung sucht das Jnsekt
Sicherheit in dem hülflosen Puppenzustande und ver-
schafft sich eine geschirmte Wohnung. Jm Raupen-
stande mit sehr scharfen Zähnen ausgestattet, sägt es
mehre Dornen von dem Banbatbaume, die kürzesten,
etwa einen Zoll lang, klebt sie in kegelförmiger Gestalt
aneinander, die Spitzen alle nach einer Richtung, und läßt
die längsten und schärfsten am Ende hervorstehen. Das
Nest ist mit Seidengespinnst ausgefüttert und hängt an
Fäden von demselben Stoffe an dem Baume. Jn
diese Zuflucht begibt sich die Raupe zu ihrer langen
Ruhe, und durch jene furchtbare Befestigung geschützt,
trotzt sie ihren Feinden, den Vögeln. Kommt die Zeit
der Befreiung, so nimmt die Puppe die neue Gestalt
eines leichten Schmetterlings an und flattert mit tau-
send aus gleicher Gefangenschaft erlösten Gefährten um-
her, die Freuden eines kurzen Daseins zu genießen.



[Ende Spaltensatz]

Das Pfennig=Magazin.
[Beginn Spaltensatz] die Unglückliche als das Weib ihres Entführers aner-
kannt. Sie unterwirft sich ihrem Schicksale, und selten
verläßt sie ihren Mann und ihren neuen Stamm, um
zu einem andern zu fliehen. Dieser Weiberraub ist so
gewöhnlich, daß selbst Knaben ein Spiel daraus ma-
chen. Die Weiber werden sehr hart behandelt, und die
geringste Beleidigung gegen ihre Männer wird mit einem
Keulenschlage bestraft.

Auch diese Wilden sind jedoch nicht immer für zar-
tere Gefühle unempfänglich, und um das abstoßende
Bild, das wir gegeben haben, zu mildern, wollen wir
aus dem Berichte des Reisenden, dem wir folgen, einen
Zug mittheilen, dessen Wahrheit ein mit den Umstän-
den bekannter Beamter in der britischen Ansiedelung
ihm verbürgte. Ein junger Mann von 22 Jahren,
der zu einem in der Nähe von Sidney wohnenden
Stamme gehörte, hatte zwei Schwestern, eine 20, die
andere erst 14 Jahre alt. Eines Tags, als er von der
Jagd heimkehrte und die beiden Mädchen ihm nicht
wie gewöhnlich entgegenkamen, setzte er sich unter ei-
nen Baum nicht weit von der Hütte, um sie zu er-
warten. Die Sonne sank, die Nacht brach an, aber
seine Schwestern erschienen nicht, und unruhig ging er
in die Hütte. Wie groß war sein Schreck und sein
Schmerz, als er bei dem Scheine der Dämmerung
seine jüngere Schwester blutend auf dem Boden liegen
sah. Er kniete neben ihr nieder und rief ihren Na-
men; sie war ohne Besinnung. Er holte Wasser her-
bei, rieb ihr das Gesicht, und als sie endlich zu sich
gekommen war, rief sie aus: „O mein Bruder, unsere
Schwester ist geraubt. Der Bösewicht schlug sie mit
der Keule und faßte sie in seine Arme, um sie fortzu-
schleppen. Jch wollte ihn zurückhalten, aber er fiel
über mich her, schlug mich wüthend und streckte mit
einem Schlage seiner Keule mich nieder.“ Jhr Bruder
hörte mit finsterm Schweigen zu, nur einzelne Worte
entfuhren seiner bewegten Brust und verriethen seine
Rachegedanken. Sobald die Sonne aufgegangen war,
machte er sich mit seiner Schwester auf den Weg zu
dem Stamme des Entführers. Als sie angekommen
waren, sah der junge Wilde die Schwester des Man-
nes, der ihm die seinige geraubt hatte, in einiger Ent-
fernung von den Hütten mit Holzsammeln beschäftigt.
Die Gelegenheit zur Rache war günstig; er befahl sei-
ner Schwester, sich zu verbergen, lief auf das Mädchen
zu und schwang seine Keule, um sie niederzuschmettern.
Die Unglückliche zitterte vor dem starken Feinde, aber
sie nahm ihren ganzen Muth zusammen. Sie erhob
ihr Auge zu ihm, ihre Blicke begegneten sich, und der
junge Mann war von ihrer Schönheit so überrascht,
daß er unbeweglich sie ansah. Als das Mädchen diesen
Eindruck bemerkte, warf sie sich zu seinen Füßen, sein
Mitleid anzuflehen, aber eine zartere Regung war schnell
der Rachgier in seiner Brust gefolgt. Er warf seine
Keule weg, schloß das Mädchen in seine Arme und bat
sie, ihm zu seinem Stamme zu folgen. Als er sich
nach seiner Schwester erkundigte, sagte ihm seine Braut,
daß sie noch sehr leide, aber sich bald bessern werde, und
entschuldigte ihren Bruder, indem sie die herrschende
Sitte anführte. „Aber du“, setzte sie hinzu, „hast ein
weißeres Herz, du wirst mich nicht schlagen. Jch liebe
dich, du liebst mich, ich liebe deine Schwestern und
sie sind mir gut, aber mein Bruder ist ein böser Mensch.“
Das junge Paar lebte zu der Zeit, wo unser Gewährs-
mann in Sidney sich aufhielt, schon lange friedlich und
glücklich in einer Hütte, welche der britische Beamte ihm
hatte bauen lassen, der diese Geschichte erzählte.



[Spaltenumbruch]
Französischer Seidenhandel.

Die ungemeine Schnelligkeit, welche die Franzosen in
der Erfindung neuer Muster zeigen, ist die wahre Quelle
ihrer Überlegenheit im Seidenhandel, sagt Dr. Bowring
in seinem Berichte über die Handelsverhältnisse zwischen
Frankreich und Großbritannien. Man rechnet, daß nicht
mehr als 25 Stücke im Durchschnitt nach demselben
Muster verfertigt werden, und sehr viele Muster werden
nur zu Proben verfertigt, welche, wenn sie nicht Beifall
finden, nicht auf Stücke übertragen werden. Der Han-
del von Lyon beruht meist auf Bestellungen, und die
Muster werden dem Käufer gesendet, ehe die Manu-
factur arbeitet. Daher gibt es wenig Vorräthe, und
bei dem geringen Wagniß des Seidenwebers ist der
Gewinn im Durchschnitt nicht groß. Es versteht sich,
daß in diesem Gebiete der Mode auffallende Ausnah-
men in jener Beziehung stattfinden, und für besonders
schöne Waaren oft hohe Preise bezahlt werden. Die
Capitale aber, die in Frankreich dem Seidenhandel ge-
widmet werden, sind im Ganzen mäßig. Das Factorei-
system oder die Vermittelung durch Verleger hat man
bis jetzt nur im Kleinen versucht. Fast jeder Zweig des
Verkehrs ist unabhängig von dem andern. Der Maul-
beerbaumpflanzer, der Seidenwurmzüchter, der Spinner,
der Haspler, der Färber, der Musterzeichner, der Weber,
der Kaufmann, alle stehen vereinzelt, und es findet keine
Oberaufsicht über die Verfertigung eines Stücks Waare
statt. Die Zunahme des diesem Verkehr bestimmten Capi-
tals und der Drang fremder Mitbewerbung, meint Bow-
ring, würden zu manchen wohlthätigen Veränderungen
führen. Einzelne Versuche sind schon gemacht worden.
Jn Saint Vallier wird die Seide in demselben Fabrik-
gebäude gehaspelt und gewebt.



Naturhistorische Unterhaltungen.

Jn den Wildnissen von Turkasien wächst eine Akazien-
art, der Banbatbaum, der bei den Alten, wegen des
Gummis, was er ausschwitzt, sehr geschätzt war. Die
Zweige sind mit scharfen weißen Dornen besetzt und
mit Büscheln duftender Blüten geziert, aus welchen die
Chinesen eine schöne gelbe Farbe bereiten. Dieser Baum
zeigt uns ein merkwürdiges Beispiel von dem thierischen
Scharfsinne bei einer Raupenart, deren Nester zu tau-
senden an den Zweigen des Banbatbaumes hangen.
Jm Vorgefühl seiner Verwandlung sucht das Jnsekt
Sicherheit in dem hülflosen Puppenzustande und ver-
schafft sich eine geschirmte Wohnung. Jm Raupen-
stande mit sehr scharfen Zähnen ausgestattet, sägt es
mehre Dornen von dem Banbatbaume, die kürzesten,
etwa einen Zoll lang, klebt sie in kegelförmiger Gestalt
aneinander, die Spitzen alle nach einer Richtung, und läßt
die längsten und schärfsten am Ende hervorstehen. Das
Nest ist mit Seidengespinnst ausgefüttert und hängt an
Fäden von demselben Stoffe an dem Baume. Jn
diese Zuflucht begibt sich die Raupe zu ihrer langen
Ruhe, und durch jene furchtbare Befestigung geschützt,
trotzt sie ihren Feinden, den Vögeln. Kommt die Zeit
der Befreiung, so nimmt die Puppe die neue Gestalt
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send aus gleicher Gefangenschaft erlösten Gefährten um-
her, die Freuden eines kurzen Daseins zu genießen.



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Eines Tags, als er von der Jagd heimkehrte und die beiden Mädchen ihm nicht wie gewöhnlich entgegenkamen, setzte er sich unter ei- nen Baum nicht weit von der Hütte, um sie zu er- warten. Die Sonne sank, die Nacht brach an, aber seine Schwestern erschienen nicht, und unruhig ging er in die Hütte. Wie groß war sein Schreck und sein Schmerz, als er bei dem Scheine der Dämmerung seine jüngere Schwester blutend auf dem Boden liegen sah. Er kniete neben ihr nieder und rief ihren Na- men; sie war ohne Besinnung. Er holte Wasser her- bei, rieb ihr das Gesicht, und als sie endlich zu sich gekommen war, rief sie aus: „O mein Bruder, unsere Schwester ist geraubt. Der Bösewicht schlug sie mit der Keule und faßte sie in seine Arme, um sie fortzu- schleppen. Jch wollte ihn zurückhalten, aber er fiel über mich her, schlug mich wüthend und streckte mit einem Schlage seiner Keule mich nieder.“ Jhr Bruder hörte mit finsterm Schweigen zu, nur einzelne Worte entfuhren seiner bewegten Brust und verriethen seine Rachegedanken. Sobald die Sonne aufgegangen war, machte er sich mit seiner Schwester auf den Weg zu dem Stamme des Entführers. Als sie angekommen waren, sah der junge Wilde die Schwester des Man- nes, der ihm die seinige geraubt hatte, in einiger Ent- fernung von den Hütten mit Holzsammeln beschäftigt. Die Gelegenheit zur Rache war günstig; er befahl sei- ner Schwester, sich zu verbergen, lief auf das Mädchen zu und schwang seine Keule, um sie niederzuschmettern. Die Unglückliche zitterte vor dem starken Feinde, aber sie nahm ihren ganzen Muth zusammen. Sie erhob ihr Auge zu ihm, ihre Blicke begegneten sich, und der junge Mann war von ihrer Schönheit so überrascht, daß er unbeweglich sie ansah. 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Das Factorei- system oder die Vermittelung durch Verleger hat man bis jetzt nur im Kleinen versucht. Fast jeder Zweig des Verkehrs ist unabhängig von dem andern. Der Maul- beerbaumpflanzer, der Seidenwurmzüchter, der Spinner, der Haspler, der Färber, der Musterzeichner, der Weber, der Kaufmann, alle stehen vereinzelt, und es findet keine Oberaufsicht über die Verfertigung eines Stücks Waare statt. Die Zunahme des diesem Verkehr bestimmten Capi- tals und der Drang fremder Mitbewerbung, meint Bow- ring, würden zu manchen wohlthätigen Veränderungen führen. Einzelne Versuche sind schon gemacht worden. Jn Saint Vallier wird die Seide in demselben Fabrik- gebäude gehaspelt und gewebt. Naturhistorische Unterhaltungen. Jn den Wildnissen von Turkasien wächst eine Akazien- art, der Banbatbaum, der bei den Alten, wegen des Gummis, was er ausschwitzt, sehr geschätzt war. Die Zweige sind mit scharfen weißen Dornen besetzt und mit Büscheln duftender Blüten geziert, aus welchen die Chinesen eine schöne gelbe Farbe bereiten. Dieser Baum zeigt uns ein merkwürdiges Beispiel von dem thierischen Scharfsinne bei einer Raupenart, deren Nester zu tau- senden an den Zweigen des Banbatbaumes hangen. Jm Vorgefühl seiner Verwandlung sucht das Jnsekt Sicherheit in dem hülflosen Puppenzustande und ver- schafft sich eine geschirmte Wohnung. Jm Raupen- stande mit sehr scharfen Zähnen ausgestattet, sägt es mehre Dornen von dem Banbatbaume, die kürzesten, etwa einen Zoll lang, klebt sie in kegelförmiger Gestalt aneinander, die Spitzen alle nach einer Richtung, und läßt die längsten und schärfsten am Ende hervorstehen. Das Nest ist mit Seidengespinnst ausgefüttert und hängt an Fäden von demselben Stoffe an dem Baume. Jn diese Zuflucht begibt sich die Raupe zu ihrer langen Ruhe, und durch jene furchtbare Befestigung geschützt, trotzt sie ihren Feinden, den Vögeln. Kommt die Zeit der Befreiung, so nimmt die Puppe die neue Gestalt eines leichten Schmetterlings an und flattert mit tau- send aus gleicher Gefangenschaft erlösten Gefährten um- her, die Freuden eines kurzen Daseins zu genießen.

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Peter Fankhauser: Transformation von TUSTEP nach TEI P5. Transformation von TEI P5 in das DTA TEI P5 Format.

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Zitationshilfe: Das Pfennig=Magazin der Gesellschaft zur Verbreitung gemeinnütziger Kenntnisse. Nr. 151. Leipzig (Sachsen), 20. Februar 18, S. 63. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_pfennig151_1836/7>, abgerufen am 01.06.2024.