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Reichspost. Nr. 6, Wien, 08.01.1895.

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Wien, Dienstag Reichspost. 8 Jänner 1895. 6

[Spaltenumbruch]
Soriale Rundschau.


"Nationale" Bergarbeiter.

In Essen wurde am Stephanitage der "Erste
nationale Bergarbeiter-Congreß Deutschlands" eröffnet,
auf welchem das Ruhr- und Wurm-Revier, Sachsen,
Schlesien und Brandenburg von zusammen 87 Abge-
sandten vertreten waren. Der Gewerkverein christlicher
Bergarbeiter, die katholischen und protestantischen
Knappenvereine betheiligten sich nicht daran. Wie der
Berginvalide Mühlenbeck (Essen) als Einberufer
in der Eröffnungsansprache darlegte, soll dieser Congreß
zur Erstarkung und Ausbreitung der Bergarbeiter-
Vereinigung gegen die Macht des Capitales beitragen.

Der Referent über den ersten Gegenstand der
Tagesordnung: Achtstundenschicht für alle
Arbeiter unter und über Tage einschließlich
der Ein- und Ausfahit, Verbot der Frauen- und
Kinderarbeit und Abschaffung der Accord-
arbeit,
führte aus: Die Schächte würden stets
tiefer, die Bewetterung der Gruben werde immer
schwerer, die Luft unreiner und der Ausenthalt in den
Gruben bei längerer Dauer immer gesundheitsschädlicher.
Auch das große Heer der Arbeitslosen lasse eine
Herabsetzung der Arbeitszeit wünschenswerth erscheinen.
Nach dem Ausstand von 1889 sei die Achtstundenschicht
im Bergbau vielfach gehandhabt worden; später aber,
als die Bergleute wieder uneinig geworden seien, habe
man sich auf Seiten der Grubenbesitzer an die Ab-
machungen nicht mehr gehalten und die Schicht um
eine Stunde verlängert. Nach einer von den Gruben-
verwaltungen ausgearbeiteten Statistik wurden im
Jahre 1892 an Frauen und Mädchen beschäftigt im
Oberbergamtsbezirk Breslau 7557, Halle 538, Klaus-
thal 16, Dortmund 23, Bonn 514. Der Hauptgrund
der Frauenarbeit liege in der Lohndrückerei, Kinder
über 14 bis 16 Jahre wurden beschäftigt 1884
15 958 und 1892 22.730. Würden Kinder so früh
zur unterirdischen Arbeit verwandt, so ruinire man
ihren Körper und drücke dadurch auch den Lohn der
Erwachsenen. Es sei deshalb eine gesetzliche
Einschränkung
der Kinderarbeit ebenso wie
der Frauenarbeit dringend erforderlich

Aus der an diesen Bericht sich schließenden De-
batte, welche sich trotz einiger Hetzworte des social-
demokratischen Abgeordneten Legien gegen den christ-
lichen Bergarbeiterverband nicht über die alltäglichen
zur Genüge bekannten Beschwerden erhob, seien die
Mittheilung eines Vertreters aus Sachsen, nach welcher
dort in besonders gefährlichen Betrieben nur sechs (!)
Stunden gearbeitet wird, und die Vertröstung des Ab-
geordneten Möller hervorgehoben, die Lohnfrage
werde erst im socialdemokratischen Zukunftsstaate ihre
richtige Lösung -- d. h. mit anderen Worten: nie --
finden.

Bei dem zweiten Ber[a]thungsgegenstande: Ein-
führung eines einheitlichen Berggesetzes
für alle Bergreviere Deutschlands, einheitliche Knapp-
schaftscasse und einheitliche Arbeitsordnung, sprach der
Referent den Wunsch aus, daß ein für das Deutsche
Reich und Oesterreich gemeinsames Berggesetz ge-
schaffen werde. -- Sehr interessant begründete Berg-
mann Schröder (Dortmund) den dritten Be-
[Spaltenumbruch] rathungspunkt: Unglücksverhütungen und Bewetterung
in den Gruben, Inspectionen und Controleure, von
Arbeitern frei gewählt und vom Staate
besoldet.
Derselbe beantragt, daß den Gruben-
besitzern gesetzlich die Pflicht auferlegt werde, sich aller
Mittel und Maschinen der modernen Technik zur Ver-
hütung der Unfälle und bessern Bewetterung der
Gruben zu bedienen. Auf höchstens 300 Berg-
leute müsse ein von Arbeitern gewählter, vom Staate
besoldeter Grubencontroleur kommen, dann werde es
um die Sicherheit des Betriebes besser gestellt sein,
als heute. Dieser aus dem Bergarbeiterstande zu
wählende Controleur müsse vollständig unabhängig
von der Grubenverwaltung und nur dem Ober-Bergamt
unterstellt sein.

Sodann wurde lange berathen über die Möglich-
keit und Ersprießlichkeit einer über ganz Deutschland
sich erstreckenden Vereinigung der Bergleute. Vielfach
wurde natürlich der "Christliche Bergarbeiterverband"
bedauert, weil er dieser Vereinigung im Wege steht.
Vor allem der Reichstagsabgeordnete Legien aus
Hamburg gefiel sich in ebenso gehässigen wie taktlosen
Ausfällen gegen den christlichen Verband; dieser hatte
auf seinem Congreß 424 Abgeordnete der Bergleute,
der "nationale", d. h. socialdemokratische nicht einmal
100 (!). Nachdem noch beschlossen, jedes Jahr einen
"nationalen" Bergarbeitertag abzuhalten, und die
Anträge auf Verstaatlichung der Gruben und Fest-
setzung eines Minimallohnes abgelehnt worden waren,
wurde der Congreß unter Absingung des Liedes:
"Glück auf, Kameraden, durch Nacht zum Licht"
geschlossen.

Bierverbrauch.

Nach dem neuesten Vierteljahrheste zur Statistik
des Deutschen Reiches betrug die Menge des
erzeugten Bieres: im Reichssteuergebiete (Steuer-
jahr 1893/94) 34,384 547 Hektoliter (1,213.436 Hekto-
liter mehr als im Vorjahre), im bayerischen Steuer-
gebiete (Kalenderjahr 1893) 15,025.443 Hektoliter
(78.248 Hektoliter weniger), in Württemberg (1893/94)
3,478.065 Hektoliter (271 407 Hektoliter weniger), in
Baden (Steuerjahr 1893) 1,700.172 Hektoliter (3366
Hektoliter weniger), in Elsaß-Lothringen (1893/94)
907.386 Hektoliter (4158 Hektoliter weniger).

Der Bier-Verbrauch ist auf den Kopf der
Bevölkerung berechnet im Reichssteuergebiete zu 91·11
(im Vorjahre 88 71), im bayerischen Steuergebiete zu
222 61 (227 31), in Württemberg zu 171·11 (184 21),
in Baden zu 102·11 (103·1) und in Elsaß-Lothringen
zu 70 51 (69 61). Sehr günstig für den Biergenuß
war die anhaltend warme Witterung im Sommer 1893;
auch haben nicht, wie im Jahre 1892 nach Ausbruch
der Cholera in Hamburg, ansteckende Krankheit oder
die Furcht davor den Verbrauch von Bier beeinträch-
tigt. Dagegen haben in den südlichen Theilen Deutsch-
lands die gute Weinernte und ganz besonders die
überaus reiche Obsternte des Jahres 1893, die eine
sehr starke Bereitung von Obstwein hervorrief, be-
schränkend auf den Biergenuß gewirkt.

Auf den Kopf der Bevölkerung kamen an Bier-
Abgaben (abgesehen von den Gemeindesteuern):
im Reichssteuergebiete 0 81 Mark, in Bayern 5 57
Mark, in Württemberg 3 99 Mark, in Baden 3·35
Mark und in Elsaß Lothringen 1·74 Mark.


[Spaltenumbruch]
Polnische Socialdemokratie.

Der erste Parteitag der polnischen Socialdemo-
kratie, der zu Weihnachten in Breslau abgehalten
wurde, war nur von 27 Abgesandten beschickt und
zeigte schon durch diesen schwachen Besuch, daß es den
socialdemokratischen Bestrebungen bisher nicht geglückt
ist, unter den polnischen Arbeitern Boden zu ge-
winnen. Es wurde denn auch auf dem Parteitage
offen geklagt über die winzigen Cassenbestände, über
die klägliche Anzahl der Abonnenten des Parteiblattes
und über die Unmöglichkeit, unter dem Landvolke An-
hänger zu gewinnen. Deshalb wurde auch der nächste
Parteitag erst für 1896 angesetzt. Die polnischen
Socialdemokraten, zu denen natürlich auch die in
Galizien gehören, interessiren sich auch hauptsächlich für
die Wahlreform, in dem von Juden so arg durchsetzten
Galizien. Eines der drei socialdemokratischen Partei-
organe Galiziens erscheint sogar in jüdischem Dialect.
Der Vertreter Galiziens auf dem Breslauer Partei-
tage war natürlich auch ein Jude, über dessen Aus-
weisung aus Breslau die cohnnationalen Blätter
selbstverständlich in allen Parteilagern ein großes
Wehklagen erhoben.

Galizien ist in zwei Agitationsbezirke ein-
getheilt: Lemberg und Krakau, zu welch letzterem
auch die von polnischen Arbeitern bewohnten Bezirke
Schlesiens und Mährens (Ostrau) gehören. Die
Polen Rußlands haben in Industriebezirken auch
schon geheime Clubs und besondere Zeitungsschmuggler,
die natürlich meistens aus Galizien ihre "Waare"
beziehen. Je strenger derartige Bewegungen verboten
werden, je geheimer sie daher gepflegt werden, desto
stärker ist im Allgemeinen ihre Verbreitung Daher
kommt es, daß die polnische Socialdemokratie in den
russischen Gebietstheilen Polens scheinbar die größte
Ausdehnung gewinnt. Wir sagen scheinbar,
weil wir diesen Schluß ziehen aus den zahlreichen
und häufigen Arbeiterausständen in Lodz und War-
schau. In diese Gegenden fließt auch die meiste
Parteiunterstützung sowohl aus London wie aus
Zürich.

Der polnische Arbeiter ist im großen Ganzen
bescheiden und anspruchslos, religiös und national
gesinnt, bringt daher den politischen Bestrebungen der
religionsfeindlichen, internationalen Socialdemokratie
so gut wie gar kein Interesse entgegen. Das mußten
die agitirenden "Genossen" bald wahrnehmen, sie
fanden den richtigen Weg auch bald, sie interessirten
den Polen für die mehr neutrale Gewerkschafts-
bewegung. Daher kommt es, daß unter den polnischen
Arbeitern die Gewerkschafts-Presse weit mehr verbreitet
ist als die politische. Das ist ein Fingerzeig, wo
andere Parteien einsetzen müssen, um die polnischen
Arbeiter zu gewinnen.




Volkswirthschaftlicher Theil.



Einhebung einer Ausfertigungsgebühr bei Ge-
währung von Fahrbegünstigungen.

Die k. k. General-
direction der österreichischen Staatsbahnen hat die Ein-
hebung einer Ausfertigungsgebühr bei Gewährung von
Fahrbegünstigungen ab 1. Jänner 1895 beschlossen. Nach-
dem diese Gebühr einen Ersatz für die durch die Aus-




[Spaltenumbruch]
59 Nachdruck verboten.
Viola.

Für Klein-Lieschen waren es aber geradezu Tage
der Wonne; denn ihr Onkel war ihr Höchstes, wie sie
sagte, ausgenommen Mama und das Fräulein, fügte
sie beschwichtigend bei, wenn sie der Mama oder
dem Fräulein diese Versicherungen machte.

Von Hedwig war der Onkel ebenso entzückt, wie
die kleine Nichte und wie die Schwester.

Eines Abends war Mutter und Tochter ausge-
gangen, und während der Zeit kam der Graf. Nie-
mand war zu Hause als Hedwig, und sie leistete dem
alten Herrn gerne Gesellschaft.

"Es gefällt Ihnen, Fräulein, bei meiner
Schwester?"

"O ja, danke, ich fühle mich oft wie zu Hause."

"Und Sie entbehren Ihre Eltern nicht?"

"O ja, ich habe oft Heimweh nach ihnen."

"Und Ihre Schwester?"

"Sie wird sich jetzt sehr allein fühlen."

"Ich war, wie Sie vielleicht wissen, kürzlich in
Ihrer Heimath."

"Wirklich, Herr Graf?"

"Ja, und ich sah auch hie und da die Ihrigen."

"Sie kennen sie?"

"O ja, sehr gut. Ich wohnte vor einigen Jahren
dort, ich war schon früher in Ihrem Hause. Ich sah
auch Sie einmal, liebes Fräulein."

"Und das höre ich erst jetzt? Ich bin ganz
überrascht."

"Sie haben mich nicht wiedererkannt! Ich bin
offenbar alt geworden seither. Erinnern Sie sich nicht
mehr des Grafen Zitzewitz, der die Ihrigen einst"
-- er seufzte leise -- "zu einer Schlittenpartie ab-
geholt?"

"Graf Zitzewitz -- das wären Sie, Herr Graf!
O warum hat Frau Baronin mir nie Ihren Namen
genannt! Sie sprach immer nur von ihrem "Bruder",
oder vom "Onkel Lieschens" und auch ihren eigenen
[Spaltenumbruch] Familiennamen kannte ich merkwürdigerweise bis jetzt
nicht! O ich erinnere mich gut, sehr gut! Sie baten
mich um Entschuldigung, daß ich die Fahrt nicht mit-
machen konnte, und Mathilde ..."

"Bitte, sprechen Sie von Fräulein Mathilde,"
sagte weich der Graf. "Ich habe nur sie in diesen letzten
Monaten nie gesehen, doch gehört habe ich von ihrem
Unglück."

"Ja, ein schweres Unglück hat sie getroffen, und
das Unglücklichste ist, daß sie es nicht zu tragen
versteht."

"Sie hat einen sehr gefühlvollen Charakter und
bei ihrer Schönheit, ihrem Geiste hatte sie Ansprüche
an das Glück zu stellen," entschuldigte der Graf.

"Sie sind so gütig, Herr Graf. Wir sind seitdem
arm geworden, nicht so, daß wir Mangel litten, aber
doch so, daß wir uns aufs Aeußerste einschränken
müssen, um nur irgendwie unserem Stande und unserer
Bergangenheit entsprechend leben zu können. Auch
das fällt ihr schwer, am schwersten aber, daß sie keine
ihrem Wissen und ihren Fähigkeiten entsprechende
Stellung finden kann ... Es ruht ein eigenes Ver-
hängniß auf ihr."

"Vielleicht ist sie nicht dazu bestimmt. Vielleicht
hat die Vorsehung anderes mit ihr vor."

"Wer kann es wissen, Herr Graf? Ich weiß
nur, daß sie Den, der sie liebte, abwies und daß Der,
den sie liebte, ihr untreu war, und als er doch zur
Hochzeit schreiten wollte, unmittelbar vor derselben
dem Arme der Gerechtigkeit verfiel."

"Ich weiß, ich weiß es," unterbrach kurz der Graf.
"Und hat sie nun keine Hoffnung -- keine Aussicht?
Ich interessire mich um Ihre Schwester. Vielleicht
wissen Sie -- mein Fräulein -- warum!" sagte er
fast unhörbar. "Ich liebte sie ..."

"O ich weiß -- Herr Graf, ich weiß ..."

"Und möchte, obschon dieser mein Traum, dieser
mein thörichter Traum, längst dahin, sie gern glücklich
sehen. So beantworten Sie mir meine Frage. Hat
Ihre Schwester nicht doch, trotz Allem, irgendwelche
Aussicht?"


[Spaltenumbruch]

"Ich kann's nicht sagen, Herr Graf. Ich weiß
nur, daß sie es tief bereut, aus Liebe zu jenem Offi-
zier -- die wahre Liebe eines anderen jungen Mannes,
eines edlen -- guten Mannes verschmäht zu haben."

"Und dieser junge, edle Mann denkt noch an sie,
er liebt sie am Ende noch?"

"Wer kann es wissen. Sein Beruf -- er ist Arzt
-- brachte ihn nach des Vaters Erkrankung in unser
Haus. Er erschien, war sehr liebenswürdig gegen uns
Alle, er tröstete uns, aber öfter, als es die Pflicht
erheischte, trat er uns nicht mehr näher."

"Natürlich, das ist begreiflich. Und dürfte ich
den Namen dieses Doctors erfahren? Wollen Sie mir
dies Vertrauen schenken, Fräulein!"

"Ich weiß nicht, ob ich's darf."

"Sie dürfen es, Sie können, Sie sollen mir ver-
trauen," sagte der alte Herr, Hedwigs Hand er-
greifend und wie ein Vater ihr liebevoll ins Auge
blickend.

"Nun denn! Dr. Elven -- den Sie vielleicht
kennen!"

"O Dr. Elven! Ah! Das überrascht, das freut
mich! Das ist ein Mann, den ich achte und hoch-
schätze. Ein Edelmann! Wissen Sie, Fräulein, daß
ich einst glaubte, er würde einmal das kleine Fräulein
Hedwig zum Altare führen?" sagte der Graf lächelnd,
erschrack aber, als er das erst erblassende, dann jäh
von dunklem Roth übergossene Antlitz Hedwig's sah.

"Entschuldigen Sie, Fräulein. Ich bin indiscret
gewesen ... Kein Wort mehr darüber!"

"O nein, Sie erinnerten mich nur an Dinge, die
ich längst verschmerzt habe. Ich glaubte auch einst --
warum soll ich's Ihnen nicht sagen -- in meinem
jugendlichen Sinn, daß Dr. Elven mir sein Herz ge-
schenkt; allein, er liebte meine Schwester, und ich habe
längst entsagt. Ich wünsche nur das Eine, daß es
meiner Schwester noch vergönnt sein möge, ihn zu
besitzen. Sie sind einander Beide würdig."

(Fortsetzung folgt.)


Wien, Dienſtag Reichspoſt. 8 Jänner 1895. 6

[Spaltenumbruch]
Soriale Rundſchau.


„Nationale“ Bergarbeiter.

In Eſſen wurde am Stephanitage der „Erſte
nationale Bergarbeiter-Congreß Deutſchlands“ eröffnet,
auf welchem das Ruhr- und Wurm-Revier, Sachſen,
Schleſien und Brandenburg von zuſammen 87 Abge-
ſandten vertreten waren. Der Gewerkverein chriſtlicher
Bergarbeiter, die katholiſchen und proteſtantiſchen
Knappenvereine betheiligten ſich nicht daran. Wie der
Berginvalide Mühlenbeck (Eſſen) als Einberufer
in der Eröffnungsanſprache darlegte, ſoll dieſer Congreß
zur Erſtarkung und Ausbreitung der Bergarbeiter-
Vereinigung gegen die Macht des Capitales beitragen.

Der Referent über den erſten Gegenſtand der
Tagesordnung: Achtſtundenſchicht für alle
Arbeiter unter und über Tage einſchließlich
der Ein- und Ausfahit, Verbot der Frauen- und
Kinderarbeit und Abſchaffung der Accord-
arbeit,
führte aus: Die Schächte würden ſtets
tiefer, die Bewetterung der Gruben werde immer
ſchwerer, die Luft unreiner und der Auſenthalt in den
Gruben bei längerer Dauer immer geſundheitsſchädlicher.
Auch das große Heer der Arbeitsloſen laſſe eine
Herabſetzung der Arbeitszeit wünſchenswerth erſcheinen.
Nach dem Ausſtand von 1889 ſei die Achtſtundenſchicht
im Bergbau vielfach gehandhabt worden; ſpäter aber,
als die Bergleute wieder uneinig geworden ſeien, habe
man ſich auf Seiten der Grubenbeſitzer an die Ab-
machungen nicht mehr gehalten und die Schicht um
eine Stunde verlängert. Nach einer von den Gruben-
verwaltungen ausgearbeiteten Statiſtik wurden im
Jahre 1892 an Frauen und Mädchen beſchäftigt im
Oberbergamtsbezirk Breslau 7557, Halle 538, Klaus-
thal 16, Dortmund 23, Bonn 514. Der Hauptgrund
der Frauenarbeit liege in der Lohndrückerei, Kinder
über 14 bis 16 Jahre wurden beſchäftigt 1884
15 958 und 1892 22.730. Würden Kinder ſo früh
zur unterirdiſchen Arbeit verwandt, ſo ruinire man
ihren Körper und drücke dadurch auch den Lohn der
Erwachſenen. Es ſei deshalb eine geſetzliche
Einſchränkung
der Kinderarbeit ebenſo wie
der Frauenarbeit dringend erforderlich

Aus der an dieſen Bericht ſich ſchließenden De-
batte, welche ſich trotz einiger Hetzworte des ſocial-
demokratiſchen Abgeordneten Legien gegen den chriſt-
lichen Bergarbeiterverband nicht über die alltäglichen
zur Genüge bekannten Beſchwerden erhob, ſeien die
Mittheilung eines Vertreters aus Sachſen, nach welcher
dort in beſonders gefährlichen Betrieben nur ſechs (!)
Stunden gearbeitet wird, und die Vertröſtung des Ab-
geordneten Möller hervorgehoben, die Lohnfrage
werde erſt im ſocialdemokratiſchen Zukunftsſtaate ihre
richtige Löſung — d. h. mit anderen Worten: nie
finden.

Bei dem zweiten Ber[a]thungsgegenſtande: Ein-
führung eines einheitlichen Berggeſetzes
für alle Bergreviere Deutſchlands, einheitliche Knapp-
ſchaftscaſſe und einheitliche Arbeitsordnung, ſprach der
Referent den Wunſch aus, daß ein für das Deutſche
Reich und Oeſterreich gemeinſames Berggeſetz ge-
ſchaffen werde. — Sehr intereſſant begründete Berg-
mann Schröder (Dortmund) den dritten Be-
[Spaltenumbruch] rathungspunkt: Unglücksverhütungen und Bewetterung
in den Gruben, Inſpectionen und Controleure, von
Arbeitern frei gewählt und vom Staate
beſoldet.
Derſelbe beantragt, daß den Gruben-
beſitzern geſetzlich die Pflicht auferlegt werde, ſich aller
Mittel und Maſchinen der modernen Technik zur Ver-
hütung der Unfälle und beſſern Bewetterung der
Gruben zu bedienen. Auf höchſtens 300 Berg-
leute müſſe ein von Arbeitern gewählter, vom Staate
beſoldeter Grubencontroleur kommen, dann werde es
um die Sicherheit des Betriebes beſſer geſtellt ſein,
als heute. Dieſer aus dem Bergarbeiterſtande zu
wählende Controleur müſſe vollſtändig unabhängig
von der Grubenverwaltung und nur dem Ober-Bergamt
unterſtellt ſein.

Sodann wurde lange berathen über die Möglich-
keit und Erſprießlichkeit einer über ganz Deutſchland
ſich erſtreckenden Vereinigung der Bergleute. Vielfach
wurde natürlich der „Chriſtliche Bergarbeiterverband“
bedauert, weil er dieſer Vereinigung im Wege ſteht.
Vor allem der Reichstagsabgeordnete Legien aus
Hamburg gefiel ſich in ebenſo gehäſſigen wie taktloſen
Ausfällen gegen den chriſtlichen Verband; dieſer hatte
auf ſeinem Congreß 424 Abgeordnete der Bergleute,
der „nationale“, d. h. ſocialdemokratiſche nicht einmal
100 (!). Nachdem noch beſchloſſen, jedes Jahr einen
„nationalen“ Bergarbeitertag abzuhalten, und die
Anträge auf Verſtaatlichung der Gruben und Feſt-
ſetzung eines Minimallohnes abgelehnt worden waren,
wurde der Congreß unter Abſingung des Liedes:
„Glück auf, Kameraden, durch Nacht zum Licht“
geſchloſſen.

Bierverbrauch.

Nach dem neueſten Vierteljahrheſte zur Statiſtik
des Deutſchen Reiches betrug die Menge des
erzeugten Bieres: im Reichsſteuergebiete (Steuer-
jahr 1893/94) 34,384 547 Hektoliter (1,213.436 Hekto-
liter mehr als im Vorjahre), im bayeriſchen Steuer-
gebiete (Kalenderjahr 1893) 15,025.443 Hektoliter
(78.248 Hektoliter weniger), in Württemberg (1893/94)
3,478.065 Hektoliter (271 407 Hektoliter weniger), in
Baden (Steuerjahr 1893) 1,700.172 Hektoliter (3366
Hektoliter weniger), in Elſaß-Lothringen (1893/94)
907.386 Hektoliter (4158 Hektoliter weniger).

Der Bier-Verbrauch iſt auf den Kopf der
Bevölkerung berechnet im Reichsſteuergebiete zu 91·11
(im Vorjahre 88 71), im bayeriſchen Steuergebiete zu
222 61 (227 31), in Württemberg zu 171·11 (184 21),
in Baden zu 102·11 (103·1) und in Elſaß-Lothringen
zu 70 51 (69 61). Sehr günſtig für den Biergenuß
war die anhaltend warme Witterung im Sommer 1893;
auch haben nicht, wie im Jahre 1892 nach Ausbruch
der Cholera in Hamburg, anſteckende Krankheit oder
die Furcht davor den Verbrauch von Bier beeinträch-
tigt. Dagegen haben in den ſüdlichen Theilen Deutſch-
lands die gute Weinernte und ganz beſonders die
überaus reiche Obſternte des Jahres 1893, die eine
ſehr ſtarke Bereitung von Obſtwein hervorrief, be-
ſchränkend auf den Biergenuß gewirkt.

Auf den Kopf der Bevölkerung kamen an Bier-
Abgaben (abgeſehen von den Gemeindeſteuern):
im Reichsſteuergebiete 0 81 Mark, in Bayern 5 57
Mark, in Württemberg 3 99 Mark, in Baden 3·35
Mark und in Elſaß Lothringen 1·74 Mark.


[Spaltenumbruch]
Polniſche Socialdemokratie.

Der erſte Parteitag der polniſchen Socialdemo-
kratie, der zu Weihnachten in Breslau abgehalten
wurde, war nur von 27 Abgeſandten beſchickt und
zeigte ſchon durch dieſen ſchwachen Beſuch, daß es den
ſocialdemokratiſchen Beſtrebungen bisher nicht geglückt
iſt, unter den polniſchen Arbeitern Boden zu ge-
winnen. Es wurde denn auch auf dem Parteitage
offen geklagt über die winzigen Caſſenbeſtände, über
die klägliche Anzahl der Abonnenten des Parteiblattes
und über die Unmöglichkeit, unter dem Landvolke An-
hänger zu gewinnen. Deshalb wurde auch der nächſte
Parteitag erſt für 1896 angeſetzt. Die polniſchen
Socialdemokraten, zu denen natürlich auch die in
Galizien gehören, intereſſiren ſich auch hauptſächlich für
die Wahlreform, in dem von Juden ſo arg durchſetzten
Galizien. Eines der drei ſocialdemokratiſchen Partei-
organe Galiziens erſcheint ſogar in jüdiſchem Dialect.
Der Vertreter Galiziens auf dem Breslauer Partei-
tage war natürlich auch ein Jude, über deſſen Aus-
weiſung aus Breslau die cohnnationalen Blätter
ſelbſtverſtändlich in allen Parteilagern ein großes
Wehklagen erhoben.

Galizien iſt in zwei Agitationsbezirke ein-
getheilt: Lemberg und Krakau, zu welch letzterem
auch die von polniſchen Arbeitern bewohnten Bezirke
Schleſiens und Mährens (Oſtrau) gehören. Die
Polen Rußlands haben in Induſtriebezirken auch
ſchon geheime Clubs und beſondere Zeitungsſchmuggler,
die natürlich meiſtens aus Galizien ihre „Waare“
beziehen. Je ſtrenger derartige Bewegungen verboten
werden, je geheimer ſie daher gepflegt werden, deſto
ſtärker iſt im Allgemeinen ihre Verbreitung Daher
kommt es, daß die polniſche Socialdemokratie in den
ruſſiſchen Gebietstheilen Polens ſcheinbar die größte
Ausdehnung gewinnt. Wir ſagen ſcheinbar,
weil wir dieſen Schluß ziehen aus den zahlreichen
und häufigen Arbeiterausſtänden in Lodz und War-
ſchau. In dieſe Gegenden fließt auch die meiſte
Parteiunterſtützung ſowohl aus London wie aus
Zürich.

Der polniſche Arbeiter iſt im großen Ganzen
beſcheiden und anſpruchslos, religiös und national
geſinnt, bringt daher den politiſchen Beſtrebungen der
religionsfeindlichen, internationalen Socialdemokratie
ſo gut wie gar kein Intereſſe entgegen. Das mußten
die agitirenden „Genoſſen“ bald wahrnehmen, ſie
fanden den richtigen Weg auch bald, ſie intereſſirten
den Polen für die mehr neutrale Gewerkſchafts-
bewegung. Daher kommt es, daß unter den polniſchen
Arbeitern die Gewerkſchafts-Preſſe weit mehr verbreitet
iſt als die politiſche. Das iſt ein Fingerzeig, wo
andere Parteien einſetzen müſſen, um die polniſchen
Arbeiter zu gewinnen.




Volkswirthſchaftlicher Theil.



Einhebung einer Ausfertigungsgebühr bei Ge-
währung von Fahrbegünſtigungen.

Die k. k. General-
direction der öſterreichiſchen Staatsbahnen hat die Ein-
hebung einer Ausfertigungsgebühr bei Gewährung von
Fahrbegünſtigungen ab 1. Jänner 1895 beſchloſſen. Nach-
dem dieſe Gebühr einen Erſatz für die durch die Aus-




[Spaltenumbruch]
59 Nachdruck verboten.
Viola.

Für Klein-Lieschen waren es aber geradezu Tage
der Wonne; denn ihr Onkel war ihr Höchſtes, wie ſie
ſagte, ausgenommen Mama und das Fräulein, fügte
ſie beſchwichtigend bei, wenn ſie der Mama oder
dem Fräulein dieſe Verſicherungen machte.

Von Hedwig war der Onkel ebenſo entzückt, wie
die kleine Nichte und wie die Schweſter.

Eines Abends war Mutter und Tochter ausge-
gangen, und während der Zeit kam der Graf. Nie-
mand war zu Hauſe als Hedwig, und ſie leiſtete dem
alten Herrn gerne Geſellſchaft.

„Es gefällt Ihnen, Fräulein, bei meiner
Schweſter?“

„O ja, danke, ich fühle mich oft wie zu Hauſe.“

„Und Sie entbehren Ihre Eltern nicht?“

„O ja, ich habe oft Heimweh nach ihnen.“

„Und Ihre Schweſter?“

„Sie wird ſich jetzt ſehr allein fühlen.“

„Ich war, wie Sie vielleicht wiſſen, kürzlich in
Ihrer Heimath.“

„Wirklich, Herr Graf?“

„Ja, und ich ſah auch hie und da die Ihrigen.“

„Sie kennen ſie?“

„O ja, ſehr gut. Ich wohnte vor einigen Jahren
dort, ich war ſchon früher in Ihrem Hauſe. Ich ſah
auch Sie einmal, liebes Fräulein.“

„Und das höre ich erſt jetzt? Ich bin ganz
überraſcht.“

„Sie haben mich nicht wiedererkannt! Ich bin
offenbar alt geworden ſeither. Erinnern Sie ſich nicht
mehr des Grafen Zitzewitz, der die Ihrigen einſt“
— er ſeufzte leiſe — „zu einer Schlittenpartie ab-
geholt?“

„Graf Zitzewitz — das wären Sie, Herr Graf!
O warum hat Frau Baronin mir nie Ihren Namen
genannt! Sie ſprach immer nur von ihrem „Bruder“,
oder vom „Onkel Lieschens“ und auch ihren eigenen
[Spaltenumbruch] Familiennamen kannte ich merkwürdigerweiſe bis jetzt
nicht! O ich erinnere mich gut, ſehr gut! Sie baten
mich um Entſchuldigung, daß ich die Fahrt nicht mit-
machen konnte, und Mathilde ...“

„Bitte, ſprechen Sie von Fräulein Mathilde,“
ſagte weich der Graf. „Ich habe nur ſie in dieſen letzten
Monaten nie geſehen, doch gehört habe ich von ihrem
Unglück.“

„Ja, ein ſchweres Unglück hat ſie getroffen, und
das Unglücklichſte iſt, daß ſie es nicht zu tragen
verſteht.“

„Sie hat einen ſehr gefühlvollen Charakter und
bei ihrer Schönheit, ihrem Geiſte hatte ſie Anſprüche
an das Glück zu ſtellen,“ entſchuldigte der Graf.

„Sie ſind ſo gütig, Herr Graf. Wir ſind ſeitdem
arm geworden, nicht ſo, daß wir Mangel litten, aber
doch ſo, daß wir uns aufs Aeußerſte einſchränken
müſſen, um nur irgendwie unſerem Stande und unſerer
Bergangenheit entſprechend leben zu können. Auch
das fällt ihr ſchwer, am ſchwerſten aber, daß ſie keine
ihrem Wiſſen und ihren Fähigkeiten entſprechende
Stellung finden kann ... Es ruht ein eigenes Ver-
hängniß auf ihr.“

„Vielleicht iſt ſie nicht dazu beſtimmt. Vielleicht
hat die Vorſehung anderes mit ihr vor.“

„Wer kann es wiſſen, Herr Graf? Ich weiß
nur, daß ſie Den, der ſie liebte, abwies und daß Der,
den ſie liebte, ihr untreu war, und als er doch zur
Hochzeit ſchreiten wollte, unmittelbar vor derſelben
dem Arme der Gerechtigkeit verfiel.“

„Ich weiß, ich weiß es,“ unterbrach kurz der Graf.
„Und hat ſie nun keine Hoffnung — keine Ausſicht?
Ich intereſſire mich um Ihre Schweſter. Vielleicht
wiſſen Sie — mein Fräulein — warum!“ ſagte er
faſt unhörbar. „Ich liebte ſie ...“

„O ich weiß — Herr Graf, ich weiß ...“

„Und möchte, obſchon dieſer mein Traum, dieſer
mein thörichter Traum, längſt dahin, ſie gern glücklich
ſehen. So beantworten Sie mir meine Frage. Hat
Ihre Schweſter nicht doch, trotz Allem, irgendwelche
Ausſicht?“


[Spaltenumbruch]

„Ich kann’s nicht ſagen, Herr Graf. Ich weiß
nur, daß ſie es tief bereut, aus Liebe zu jenem Offi-
zier — die wahre Liebe eines anderen jungen Mannes,
eines edlen — guten Mannes verſchmäht zu haben.“

„Und dieſer junge, edle Mann denkt noch an ſie,
er liebt ſie am Ende noch?“

„Wer kann es wiſſen. Sein Beruf — er iſt Arzt
— brachte ihn nach des Vaters Erkrankung in unſer
Haus. Er erſchien, war ſehr liebenswürdig gegen uns
Alle, er tröſtete uns, aber öfter, als es die Pflicht
erheiſchte, trat er uns nicht mehr näher.“

„Natürlich, das iſt begreiflich. Und dürfte ich
den Namen dieſes Doctors erfahren? Wollen Sie mir
dies Vertrauen ſchenken, Fräulein!“

„Ich weiß nicht, ob ich’s darf.“

„Sie dürfen es, Sie können, Sie ſollen mir ver-
trauen,“ ſagte der alte Herr, Hedwigs Hand er-
greifend und wie ein Vater ihr liebevoll ins Auge
blickend.

„Nun denn! Dr. Elven — den Sie vielleicht
kennen!“

„O Dr. Elven! Ah! Das überraſcht, das freut
mich! Das iſt ein Mann, den ich achte und hoch-
ſchätze. Ein Edelmann! Wiſſen Sie, Fräulein, daß
ich einſt glaubte, er würde einmal das kleine Fräulein
Hedwig zum Altare führen?“ ſagte der Graf lächelnd,
erſchrack aber, als er das erſt erblaſſende, dann jäh
von dunklem Roth übergoſſene Antlitz Hedwig’s ſah.

„Entſchuldigen Sie, Fräulein. Ich bin indiscret
geweſen ... Kein Wort mehr darüber!“

„O nein, Sie erinnerten mich nur an Dinge, die
ich längſt verſchmerzt habe. Ich glaubte auch einſt —
warum ſoll ich’s Ihnen nicht ſagen — in meinem
jugendlichen Sinn, daß Dr. Elven mir ſein Herz ge-
ſchenkt; allein, er liebte meine Schweſter, und ich habe
längſt entſagt. Ich wünſche nur das Eine, daß es
meiner Schweſter noch vergönnt ſein möge, ihn zu
beſitzen. Sie ſind einander Beide würdig.“

(Fortſetzung folgt.)


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[4/0004] Wien, Dienſtag Reichspoſt. 8 Jänner 1895. 6 Soriale Rundſchau. Wien, 7. Jänner. „Nationale“ Bergarbeiter. In Eſſen wurde am Stephanitage der „Erſte nationale Bergarbeiter-Congreß Deutſchlands“ eröffnet, auf welchem das Ruhr- und Wurm-Revier, Sachſen, Schleſien und Brandenburg von zuſammen 87 Abge- ſandten vertreten waren. Der Gewerkverein chriſtlicher Bergarbeiter, die katholiſchen und proteſtantiſchen Knappenvereine betheiligten ſich nicht daran. Wie der Berginvalide Mühlenbeck (Eſſen) als Einberufer in der Eröffnungsanſprache darlegte, ſoll dieſer Congreß zur Erſtarkung und Ausbreitung der Bergarbeiter- Vereinigung gegen die Macht des Capitales beitragen. Der Referent über den erſten Gegenſtand der Tagesordnung: Achtſtundenſchicht für alle Arbeiter unter und über Tage einſchließlich der Ein- und Ausfahit, Verbot der Frauen- und Kinderarbeit und Abſchaffung der Accord- arbeit, führte aus: Die Schächte würden ſtets tiefer, die Bewetterung der Gruben werde immer ſchwerer, die Luft unreiner und der Auſenthalt in den Gruben bei längerer Dauer immer geſundheitsſchädlicher. Auch das große Heer der Arbeitsloſen laſſe eine Herabſetzung der Arbeitszeit wünſchenswerth erſcheinen. Nach dem Ausſtand von 1889 ſei die Achtſtundenſchicht im Bergbau vielfach gehandhabt worden; ſpäter aber, als die Bergleute wieder uneinig geworden ſeien, habe man ſich auf Seiten der Grubenbeſitzer an die Ab- machungen nicht mehr gehalten und die Schicht um eine Stunde verlängert. Nach einer von den Gruben- verwaltungen ausgearbeiteten Statiſtik wurden im Jahre 1892 an Frauen und Mädchen beſchäftigt im Oberbergamtsbezirk Breslau 7557, Halle 538, Klaus- thal 16, Dortmund 23, Bonn 514. Der Hauptgrund der Frauenarbeit liege in der Lohndrückerei, Kinder über 14 bis 16 Jahre wurden beſchäftigt 1884 15 958 und 1892 22.730. Würden Kinder ſo früh zur unterirdiſchen Arbeit verwandt, ſo ruinire man ihren Körper und drücke dadurch auch den Lohn der Erwachſenen. Es ſei deshalb eine geſetzliche Einſchränkung der Kinderarbeit ebenſo wie der Frauenarbeit dringend erforderlich Aus der an dieſen Bericht ſich ſchließenden De- batte, welche ſich trotz einiger Hetzworte des ſocial- demokratiſchen Abgeordneten Legien gegen den chriſt- lichen Bergarbeiterverband nicht über die alltäglichen zur Genüge bekannten Beſchwerden erhob, ſeien die Mittheilung eines Vertreters aus Sachſen, nach welcher dort in beſonders gefährlichen Betrieben nur ſechs (!) Stunden gearbeitet wird, und die Vertröſtung des Ab- geordneten Möller hervorgehoben, die Lohnfrage werde erſt im ſocialdemokratiſchen Zukunftsſtaate ihre richtige Löſung — d. h. mit anderen Worten: nie — finden. Bei dem zweiten Berathungsgegenſtande: Ein- führung eines einheitlichen Berggeſetzes für alle Bergreviere Deutſchlands, einheitliche Knapp- ſchaftscaſſe und einheitliche Arbeitsordnung, ſprach der Referent den Wunſch aus, daß ein für das Deutſche Reich und Oeſterreich gemeinſames Berggeſetz ge- ſchaffen werde. — Sehr intereſſant begründete Berg- mann Schröder (Dortmund) den dritten Be- rathungspunkt: Unglücksverhütungen und Bewetterung in den Gruben, Inſpectionen und Controleure, von Arbeitern frei gewählt und vom Staate beſoldet. Derſelbe beantragt, daß den Gruben- beſitzern geſetzlich die Pflicht auferlegt werde, ſich aller Mittel und Maſchinen der modernen Technik zur Ver- hütung der Unfälle und beſſern Bewetterung der Gruben zu bedienen. Auf höchſtens 300 Berg- leute müſſe ein von Arbeitern gewählter, vom Staate beſoldeter Grubencontroleur kommen, dann werde es um die Sicherheit des Betriebes beſſer geſtellt ſein, als heute. Dieſer aus dem Bergarbeiterſtande zu wählende Controleur müſſe vollſtändig unabhängig von der Grubenverwaltung und nur dem Ober-Bergamt unterſtellt ſein. Sodann wurde lange berathen über die Möglich- keit und Erſprießlichkeit einer über ganz Deutſchland ſich erſtreckenden Vereinigung der Bergleute. Vielfach wurde natürlich der „Chriſtliche Bergarbeiterverband“ bedauert, weil er dieſer Vereinigung im Wege ſteht. Vor allem der Reichstagsabgeordnete Legien aus Hamburg gefiel ſich in ebenſo gehäſſigen wie taktloſen Ausfällen gegen den chriſtlichen Verband; dieſer hatte auf ſeinem Congreß 424 Abgeordnete der Bergleute, der „nationale“, d. h. ſocialdemokratiſche nicht einmal 100 (!). Nachdem noch beſchloſſen, jedes Jahr einen „nationalen“ Bergarbeitertag abzuhalten, und die Anträge auf Verſtaatlichung der Gruben und Feſt- ſetzung eines Minimallohnes abgelehnt worden waren, wurde der Congreß unter Abſingung des Liedes: „Glück auf, Kameraden, durch Nacht zum Licht“ geſchloſſen. Bierverbrauch. Nach dem neueſten Vierteljahrheſte zur Statiſtik des Deutſchen Reiches betrug die Menge des erzeugten Bieres: im Reichsſteuergebiete (Steuer- jahr 1893/94) 34,384 547 Hektoliter (1,213.436 Hekto- liter mehr als im Vorjahre), im bayeriſchen Steuer- gebiete (Kalenderjahr 1893) 15,025.443 Hektoliter (78.248 Hektoliter weniger), in Württemberg (1893/94) 3,478.065 Hektoliter (271 407 Hektoliter weniger), in Baden (Steuerjahr 1893) 1,700.172 Hektoliter (3366 Hektoliter weniger), in Elſaß-Lothringen (1893/94) 907.386 Hektoliter (4158 Hektoliter weniger). Der Bier-Verbrauch iſt auf den Kopf der Bevölkerung berechnet im Reichsſteuergebiete zu 91·11 (im Vorjahre 88 71), im bayeriſchen Steuergebiete zu 222 61 (227 31), in Württemberg zu 171·11 (184 21), in Baden zu 102·11 (103·1) und in Elſaß-Lothringen zu 70 51 (69 61). Sehr günſtig für den Biergenuß war die anhaltend warme Witterung im Sommer 1893; auch haben nicht, wie im Jahre 1892 nach Ausbruch der Cholera in Hamburg, anſteckende Krankheit oder die Furcht davor den Verbrauch von Bier beeinträch- tigt. Dagegen haben in den ſüdlichen Theilen Deutſch- lands die gute Weinernte und ganz beſonders die überaus reiche Obſternte des Jahres 1893, die eine ſehr ſtarke Bereitung von Obſtwein hervorrief, be- ſchränkend auf den Biergenuß gewirkt. Auf den Kopf der Bevölkerung kamen an Bier- Abgaben (abgeſehen von den Gemeindeſteuern): im Reichsſteuergebiete 0 81 Mark, in Bayern 5 57 Mark, in Württemberg 3 99 Mark, in Baden 3·35 Mark und in Elſaß Lothringen 1·74 Mark. Polniſche Socialdemokratie. Der erſte Parteitag der polniſchen Socialdemo- kratie, der zu Weihnachten in Breslau abgehalten wurde, war nur von 27 Abgeſandten beſchickt und zeigte ſchon durch dieſen ſchwachen Beſuch, daß es den ſocialdemokratiſchen Beſtrebungen bisher nicht geglückt iſt, unter den polniſchen Arbeitern Boden zu ge- winnen. Es wurde denn auch auf dem Parteitage offen geklagt über die winzigen Caſſenbeſtände, über die klägliche Anzahl der Abonnenten des Parteiblattes und über die Unmöglichkeit, unter dem Landvolke An- hänger zu gewinnen. Deshalb wurde auch der nächſte Parteitag erſt für 1896 angeſetzt. Die polniſchen Socialdemokraten, zu denen natürlich auch die in Galizien gehören, intereſſiren ſich auch hauptſächlich für die Wahlreform, in dem von Juden ſo arg durchſetzten Galizien. Eines der drei ſocialdemokratiſchen Partei- organe Galiziens erſcheint ſogar in jüdiſchem Dialect. Der Vertreter Galiziens auf dem Breslauer Partei- tage war natürlich auch ein Jude, über deſſen Aus- weiſung aus Breslau die cohnnationalen Blätter ſelbſtverſtändlich in allen Parteilagern ein großes Wehklagen erhoben. Galizien iſt in zwei Agitationsbezirke ein- getheilt: Lemberg und Krakau, zu welch letzterem auch die von polniſchen Arbeitern bewohnten Bezirke Schleſiens und Mährens (Oſtrau) gehören. Die Polen Rußlands haben in Induſtriebezirken auch ſchon geheime Clubs und beſondere Zeitungsſchmuggler, die natürlich meiſtens aus Galizien ihre „Waare“ beziehen. Je ſtrenger derartige Bewegungen verboten werden, je geheimer ſie daher gepflegt werden, deſto ſtärker iſt im Allgemeinen ihre Verbreitung Daher kommt es, daß die polniſche Socialdemokratie in den ruſſiſchen Gebietstheilen Polens ſcheinbar die größte Ausdehnung gewinnt. Wir ſagen ſcheinbar, weil wir dieſen Schluß ziehen aus den zahlreichen und häufigen Arbeiterausſtänden in Lodz und War- ſchau. In dieſe Gegenden fließt auch die meiſte Parteiunterſtützung ſowohl aus London wie aus Zürich. Der polniſche Arbeiter iſt im großen Ganzen beſcheiden und anſpruchslos, religiös und national geſinnt, bringt daher den politiſchen Beſtrebungen der religionsfeindlichen, internationalen Socialdemokratie ſo gut wie gar kein Intereſſe entgegen. Das mußten die agitirenden „Genoſſen“ bald wahrnehmen, ſie fanden den richtigen Weg auch bald, ſie intereſſirten den Polen für die mehr neutrale Gewerkſchafts- bewegung. Daher kommt es, daß unter den polniſchen Arbeitern die Gewerkſchafts-Preſſe weit mehr verbreitet iſt als die politiſche. Das iſt ein Fingerzeig, wo andere Parteien einſetzen müſſen, um die polniſchen Arbeiter zu gewinnen. Volkswirthſchaftlicher Theil. Einhebung einer Ausfertigungsgebühr bei Ge- währung von Fahrbegünſtigungen. Die k. k. General- direction der öſterreichiſchen Staatsbahnen hat die Ein- hebung einer Ausfertigungsgebühr bei Gewährung von Fahrbegünſtigungen ab 1. Jänner 1895 beſchloſſen. Nach- dem dieſe Gebühr einen Erſatz für die durch die Aus- 59 Nachdruck verboten. Viola. Erzählung aus dem Leben von C. S. Für Klein-Lieschen waren es aber geradezu Tage der Wonne; denn ihr Onkel war ihr Höchſtes, wie ſie ſagte, ausgenommen Mama und das Fräulein, fügte ſie beſchwichtigend bei, wenn ſie der Mama oder dem Fräulein dieſe Verſicherungen machte. Von Hedwig war der Onkel ebenſo entzückt, wie die kleine Nichte und wie die Schweſter. Eines Abends war Mutter und Tochter ausge- gangen, und während der Zeit kam der Graf. Nie- mand war zu Hauſe als Hedwig, und ſie leiſtete dem alten Herrn gerne Geſellſchaft. „Es gefällt Ihnen, Fräulein, bei meiner Schweſter?“ „O ja, danke, ich fühle mich oft wie zu Hauſe.“ „Und Sie entbehren Ihre Eltern nicht?“ „O ja, ich habe oft Heimweh nach ihnen.“ „Und Ihre Schweſter?“ „Sie wird ſich jetzt ſehr allein fühlen.“ „Ich war, wie Sie vielleicht wiſſen, kürzlich in Ihrer Heimath.“ „Wirklich, Herr Graf?“ „Ja, und ich ſah auch hie und da die Ihrigen.“ „Sie kennen ſie?“ „O ja, ſehr gut. Ich wohnte vor einigen Jahren dort, ich war ſchon früher in Ihrem Hauſe. Ich ſah auch Sie einmal, liebes Fräulein.“ „Und das höre ich erſt jetzt? Ich bin ganz überraſcht.“ „Sie haben mich nicht wiedererkannt! Ich bin offenbar alt geworden ſeither. Erinnern Sie ſich nicht mehr des Grafen Zitzewitz, der die Ihrigen einſt“ — er ſeufzte leiſe — „zu einer Schlittenpartie ab- geholt?“ „Graf Zitzewitz — das wären Sie, Herr Graf! O warum hat Frau Baronin mir nie Ihren Namen genannt! Sie ſprach immer nur von ihrem „Bruder“, oder vom „Onkel Lieschens“ und auch ihren eigenen Familiennamen kannte ich merkwürdigerweiſe bis jetzt nicht! O ich erinnere mich gut, ſehr gut! Sie baten mich um Entſchuldigung, daß ich die Fahrt nicht mit- machen konnte, und Mathilde ...“ „Bitte, ſprechen Sie von Fräulein Mathilde,“ ſagte weich der Graf. „Ich habe nur ſie in dieſen letzten Monaten nie geſehen, doch gehört habe ich von ihrem Unglück.“ „Ja, ein ſchweres Unglück hat ſie getroffen, und das Unglücklichſte iſt, daß ſie es nicht zu tragen verſteht.“ „Sie hat einen ſehr gefühlvollen Charakter und bei ihrer Schönheit, ihrem Geiſte hatte ſie Anſprüche an das Glück zu ſtellen,“ entſchuldigte der Graf. „Sie ſind ſo gütig, Herr Graf. Wir ſind ſeitdem arm geworden, nicht ſo, daß wir Mangel litten, aber doch ſo, daß wir uns aufs Aeußerſte einſchränken müſſen, um nur irgendwie unſerem Stande und unſerer Bergangenheit entſprechend leben zu können. Auch das fällt ihr ſchwer, am ſchwerſten aber, daß ſie keine ihrem Wiſſen und ihren Fähigkeiten entſprechende Stellung finden kann ... Es ruht ein eigenes Ver- hängniß auf ihr.“ „Vielleicht iſt ſie nicht dazu beſtimmt. Vielleicht hat die Vorſehung anderes mit ihr vor.“ „Wer kann es wiſſen, Herr Graf? Ich weiß nur, daß ſie Den, der ſie liebte, abwies und daß Der, den ſie liebte, ihr untreu war, und als er doch zur Hochzeit ſchreiten wollte, unmittelbar vor derſelben dem Arme der Gerechtigkeit verfiel.“ „Ich weiß, ich weiß es,“ unterbrach kurz der Graf. „Und hat ſie nun keine Hoffnung — keine Ausſicht? Ich intereſſire mich um Ihre Schweſter. Vielleicht wiſſen Sie — mein Fräulein — warum!“ ſagte er faſt unhörbar. „Ich liebte ſie ...“ „O ich weiß — Herr Graf, ich weiß ...“ „Und möchte, obſchon dieſer mein Traum, dieſer mein thörichter Traum, längſt dahin, ſie gern glücklich ſehen. So beantworten Sie mir meine Frage. Hat Ihre Schweſter nicht doch, trotz Allem, irgendwelche Ausſicht?“ „Ich kann’s nicht ſagen, Herr Graf. Ich weiß nur, daß ſie es tief bereut, aus Liebe zu jenem Offi- zier — die wahre Liebe eines anderen jungen Mannes, eines edlen — guten Mannes verſchmäht zu haben.“ „Und dieſer junge, edle Mann denkt noch an ſie, er liebt ſie am Ende noch?“ „Wer kann es wiſſen. Sein Beruf — er iſt Arzt — brachte ihn nach des Vaters Erkrankung in unſer Haus. Er erſchien, war ſehr liebenswürdig gegen uns Alle, er tröſtete uns, aber öfter, als es die Pflicht erheiſchte, trat er uns nicht mehr näher.“ „Natürlich, das iſt begreiflich. Und dürfte ich den Namen dieſes Doctors erfahren? Wollen Sie mir dies Vertrauen ſchenken, Fräulein!“ „Ich weiß nicht, ob ich’s darf.“ „Sie dürfen es, Sie können, Sie ſollen mir ver- trauen,“ ſagte der alte Herr, Hedwigs Hand er- greifend und wie ein Vater ihr liebevoll ins Auge blickend. „Nun denn! Dr. Elven — den Sie vielleicht kennen!“ „O Dr. Elven! Ah! Das überraſcht, das freut mich! Das iſt ein Mann, den ich achte und hoch- ſchätze. Ein Edelmann! Wiſſen Sie, Fräulein, daß ich einſt glaubte, er würde einmal das kleine Fräulein Hedwig zum Altare führen?“ ſagte der Graf lächelnd, erſchrack aber, als er das erſt erblaſſende, dann jäh von dunklem Roth übergoſſene Antlitz Hedwig’s ſah. „Entſchuldigen Sie, Fräulein. Ich bin indiscret geweſen ... Kein Wort mehr darüber!“ „O nein, Sie erinnerten mich nur an Dinge, die ich längſt verſchmerzt habe. Ich glaubte auch einſt — warum ſoll ich’s Ihnen nicht ſagen — in meinem jugendlichen Sinn, daß Dr. Elven mir ſein Herz ge- ſchenkt; allein, er liebte meine Schweſter, und ich habe längſt entſagt. Ich wünſche nur das Eine, daß es meiner Schweſter noch vergönnt ſein möge, ihn zu beſitzen. Sie ſind einander Beide würdig.“ (Fortſetzung folgt.)

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Zitationshilfe: Reichspost. Nr. 6, Wien, 08.01.1895, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_reichspost006_1895/4>, abgerufen am 21.11.2024.