Reichspost. Nr. 143, Wien, 26.06.1900.Wien, Dienstag Reichspost 26. Juni 1900 143 [Spaltenumbruch] * Politische Linie -- wie haißt? Eduard "Wir geben unserem Collegen Eduard Pötzl heute an Wir haben nun kein Wort in dem Artikel ge- * Advocatendeputation beim Justizminister. Der Justizminister Freiherr v. Spens-Booden * Leichenbegängniß der Schauspielerin Krall. Unter colossaler Betheiligung des Publicums * Die "Ehrung Heine's" durch den Wiener Männergesangsverein. Der Vorstand des Wiener Ein wahres Glück nur, daß die Wiener Sänger Zur Probe g'rade brauchten etwas länger Und daß nicht Zeit genug sich mehr ergab Hinauszuwallen an des Dichters Grab. So ist das Grab vorläufig ungeschmückt, Die Sänger vorderhand dem Bann entrückt. Auch die Budapester Juden sind "Der Besuch des Friedhofs in Montmartre mußte ver- Jetzt auch noch den Spott der -- Juden heim- * Die Beduinen im Thiergarten sind schuld an einer tragikomischen Geschichte. Vorgestern wurde * So macht man's in -- Ungarn. Der * Soldat bis zum Tode. Ein rührendes * Der Wiener Pfahlbürger Dr. Friedrich Elbogen schreibt heute einen zwei Spalten * Die Sicherheit in Wien. Der Handlungs- * Ein gelungener Aufsitzer der "N. Fr. Presse". Die "N. Fr. Presse" steht im Rufe, für * Die "europäischen" Boxers. Jetzt wissen "Unsere Boxer läßt man still gewähren, ob- Das ist eine schneidige Apologetik! Die chinesischen * Unwetter. Am 22. d. M. haben ein großer * Wahrheit und Dichtung oder Wiens Be- * Die Gutenbergfeier in Mainz wurde am * Kurze auswärtige Nachrichten. Der seit Wien, Dienſtag Reichspoſt 26. Juni 1900 143 [Spaltenumbruch] * Politiſche Linie — wie haißt? Eduard „Wir geben unſerem Collegen Eduard Pötzl heute an Wir haben nun kein Wort in dem Artikel ge- * Advocatendeputation beim Juſtizminiſter. Der Juſtizminiſter Freiherr v. Spens-Booden * Leichenbegängniß der Schauſpielerin Krall. Unter coloſſaler Betheiligung des Publicums * Die „Ehrung Heine’s“ durch den Wiener Männergeſangsverein. Der Vorſtand des Wiener Ein wahres Glück nur, daß die Wiener Sänger Zur Probe g’rade brauchten etwas länger Und daß nicht Zeit genug ſich mehr ergab Hinauszuwallen an des Dichters Grab. So iſt das Grab vorläufig ungeſchmückt, Die Sänger vorderhand dem Bann entrückt. Auch die Budapeſter Juden ſind „Der Beſuch des Friedhofs in Montmartre mußte ver- Jetzt auch noch den Spott der — Juden heim- * Die Beduinen im Thiergarten ſind ſchuld an einer tragikomiſchen Geſchichte. Vorgeſtern wurde * So macht man’s in — Ungarn. Der * Soldat bis zum Tode. Ein rührendes * Der Wiener Pfahlbürger Dr. Friedrich Elbogen ſchreibt heute einen zwei Spalten * Die Sicherheit in Wien. Der Handlungs- * Ein gelungener Aufſitzer der „N. Fr. Preſſe“. Die „N. Fr. Preſſe“ ſteht im Rufe, für * Die „europäiſchen“ Boxers. Jetzt wiſſen „Unſere Boxer läßt man ſtill gewähren, ob- Das iſt eine ſchneidige Apologetik! Die chineſiſchen * Unwetter. Am 22. d. M. haben ein großer * Wahrheit und Dichtung oder Wiens Be- * Die Gutenbergfeier in Mainz wurde am * Kurze auswärtige Nachrichten. Der ſeit <TEI> <text> <body> <div type="jVarious" n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <pb facs="#f0004" n="4"/> <fw place="top" type="header"> <hi rendition="#b">Wien, Dienſtag Reichspoſt 26. Juni 1900 143</hi> </fw><lb/> <cb/> </div> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">* Politiſche Linie — wie haißt?</hi> </head> <p>Eduard<lb/> Pötzl — ein Renommirchriſt des jüdiſchen „Neuen<lb/> Wr. Tagblatt“ — hat einen Leitartikel als „Kranz für<lb/> Heine“ verbrochen, in welchem er uns umſtändlich aus-<lb/> einanderſetzt, daß Heine einige ſchöne Lieder, ja Volks-<lb/> lieder gedichtet hat. Daß das kein Grund iſt, den<lb/><hi rendition="#g">ganzen Heine</hi> anders zu beurtheilen, als wir<lb/><hi rendition="#g">deutſche</hi> Chriſten es thun, nur nebenbei! Uns<lb/> intereſſirt nur die Anmerkung der Redaction des<lb/> „N. Wr. Tagblatt“ zu dieſem Artikel:</p><lb/> <p>„Wir geben unſerem Collegen Eduard Pötzl heute an<lb/> dieſer Stelle das Wort, weil er nicht eine Epiſode, ſondern<lb/> ein ſociale Erſcheinung beſpricht. Manche ſeiner An-<lb/> ſchauungen tragen ein entſchiedenes ſubjectives Gepräge und<lb/> weichen zum Theil <hi rendition="#g">von der politiſchen Linie</hi><lb/> dieſes Blattes ab. Der Gegenſtand aber ſowie der Autor<lb/> der ihn behandelt, rechtfertigen den unveränderten Abdruck.</p><lb/> <p>Wir haben nun kein Wort in dem Artikel ge-<lb/> leſen, das von der <hi rendition="#g">politiſchen Linie</hi> des<lb/> „N. Wr. Tagblatt“ abweicht. Höchſtens hat Pötzl den<lb/><hi rendition="#g">Juden</hi> in Heine <hi rendition="#g">nicht genügend</hi> gewürdigt;<lb/> denn die politiſche Linie des Blattes iſt: „Im Anfang<lb/> war der — Jud und Ende Jud — Alles Jud!“<lb/> Oder iſt der <hi rendition="#g">Schlußſatz</hi> des Artikeln dem Chef-<lb/> redacteur <hi rendition="#g">Wilhelm Singer</hi> ſo auf die Leber<lb/> gefallen: „In Wien, der „Stadt der Lieder“, bewahrt<lb/> man ſich doch wohl noch die innere Freiheit, in einer<lb/> Huldigung für den Genius eines großen Dichters „keine<lb/> Reverenz vor dem Judenthum“ zu erblicken.“ Hätte<lb/> nicht auch Pötzl einen tieferen Bückling vor dem<lb/> Judenthum machen müſſen, um mit der „politiſchen<lb/> Linie“ Singer’s und ſeines Blattes congruirt zu ſein?</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">* Advocatendeputation beim Juſtizminiſter.</hi> </head><lb/> <p>Der Juſtizminiſter Freiherr v. <hi rendition="#g">Spens-Booden</hi><lb/> empfing Samſtag die Deputation des Delegirtentages<lb/> der öſterreichiſchen Advocatenkammer, beſtehend aus<lb/> dem Präſidenten Dr. Ritter v. Feiſtmantel und dem<lb/> Referenten Dr. Ruzicka, welche ihm d<supplied>i</supplied>e Beſchlüſſe des<lb/> letzten Delegirtentages überreichten. Der Miniſter<lb/> empfing die Herren ſehr wohlwollend, ſprach mit ihnen<lb/> über advocatiſche Angelegenheiten und erklärte, er<lb/> werde die Beſchlüſſe eingehend prüfen laſſen und zur<lb/> Ertheilung von Aufklärungen die Herren zu ſich bitten.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">* Leichenbegängniß der Schauſpielerin<lb/> Krall.</hi> </head> <p>Unter coloſſaler Betheiligung des Publicums<lb/> wurde Samſtag Nachmittags die Leiche der unglück-<lb/> lichen Schauſpielerin Emilie <hi rendition="#g">Krall</hi> zu Grabe ge-<lb/> tragen. Der Sarg wurde von der Todtencapelle des<lb/> Allgemeinen Krankenhauſes zum Wohnhauſe der Ver-<lb/> blichenen, Mariahilf, Mittelgaſſe 6, gebracht und dort<lb/> unter dem Hausthore niedergeſtellt. Das ganze Per-<lb/> ſonal des Raimund-Theaters hatte ſich unter Führung<lb/> des Directors <hi rendition="#g">Gettke</hi> vor dem Trauerhauſe ein-<lb/> gefunden. Um 3 Uhr erſchien die Geiſtlichkeit und nahm<lb/> unter dem Hausthore die Einſegnung der Leiche vor.<lb/> Dann ſetzte ſich der Zug zur Gumpendorfer Kirche in<lb/> Bewegung. Nach der Einſegnung ſtimmte der Chor des<lb/> Raimund-Theaters Marſchner’s „Du bleicher Tod“<lb/> an. Der Zug nahm ſodann den Weg zum Raimund-<lb/> Theater. Die Loggia des Theaters war ſchwarz ver-<lb/> hängt. Vor dem Theater hielt der Wagen an und<lb/> während ein Poſaunencorps vom Balcon herab die<lb/> ernſten Klänge eines Trauerliedes erſchallen ließ,<lb/> wurden auf den Sarg Kränze des Ausſchuſſes und<lb/> der Direction des Raimund-Theaters niedergelegt. Auf<lb/> dem Heiligenſtädter Friedhofe widmete am offenen<lb/> Grabe Oberregiſſeur <hi rendition="#g">Räder</hi> der unglücklichen<lb/> Collegin einen ergreifenden Nachruf.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">* Die „Ehrung Heine’s“ durch den Wiener<lb/> Männergeſangsverein.</hi> </head> <p>Der Vorſtand des Wiener<lb/> Männergeſangsvereins richtete von <hi rendition="#g">Paris</hi> aus ein<lb/> Telegramm an Dr. <hi rendition="#g">Lueger,</hi> worin er erklärt, daß<lb/> weder der Verein noch Jemand in deſſen Namen einen<lb/> Kranz auf <hi rendition="#g">Heine</hi>’s Grab niederlegte und es der<lb/><hi rendition="#g">Liebenswürdigkeit</hi> des Bürgermeiſters<lb/> überläßt, daß die vom Gemeinderath gefaßte Reſolution<lb/> zurückgenommen werde. Das Friſchauer’ſche Tagblatt<lb/> welches die alſo, wie man ſieht, unwahre Nachricht<lb/> von der „Ehrung Heine’s“ gebracht hat, motivirt das<lb/> Unterbleiben derſelben im folgendem poetiſchen Erguß:</p><lb/> <lg type="poem"> <l>Ein wahres Glück nur, daß die Wiener Sänger</l><lb/> <l>Zur Probe g’rade brauchten etwas länger</l><lb/> <l>Und daß nicht Zeit genug ſich mehr ergab</l><lb/> <l>Hinauszuwallen an des Dichters Grab.</l><lb/> <l>So iſt das Grab vorläufig ungeſchmückt,</l><lb/> <l>Die Sänger vorderhand dem Bann entrückt.</l> </lg><lb/> <p><hi rendition="#g">Auch die Budapeſter Juden</hi> ſind<lb/> ganz unglücklich, daß Heine keinen Kranz bekommen<lb/> hat. Das „Budapeſter Tagblatt“ ſchreibt:</p><lb/> <p>„Der Beſuch des Friedhofs in Montmartre mußte ver-<lb/> hindert werden und der Wiener Stadtrath war auch nicht<lb/> faul, eine nachdrückliche Preſſion in die Ferne zu üben und<lb/> die braven Sänger, die ſich noch einen Reſt von Freiſinn be-<lb/> wahrt haben mochten, tüchtig einzuſchüchtern. Und dieſe<lb/><hi rendition="#g">Sängerfan den auch nicht den Muth,</hi> das<lb/> Grab zu bekränzen; ſie fanden nur den Muth zu allen<lb/> möglichen <hi rendition="#g">Ausreden.</hi> An dem einen Tage gebrach es<lb/><cb/> ihnen an der nöthigen Zeit, da der Tag für ſie nicht genug<lb/> Stunden hatte, damit ſie ſich fetiren laſſen können. Dann<lb/> wieder war der Kranz nicht fertig. Er dürfte es wahr-<lb/> ſcheinlich auch nicht werden. In Paris, der Stadt der<lb/> Blumen, wo die geringſte Arbeiterin ihr Sträußchen auf-<lb/> ſteckt, iſt es ja ſo ſchwer, duftiges Grün aufzutreiben<lb/> Heinrich Heine wird nicht viel verlieren, wenn er auf den<lb/> Kranz des Wiener Männergeſangverein verzichten muß.“</p><lb/> <p>Jetzt auch noch den Spott der — <hi rendition="#g">Juden</hi> heim-<lb/> zutragen, das iſt bitter für den Männergeſangverein.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">* Die Beduinen im Thiergarten ſind ſchuld</hi> </head><lb/> <p>an einer tragikomiſchen Geſchichte. Vorgeſtern wurde<lb/> in der Innern Stadt der 16jährige Handelsſchüler<lb/> Karl S., der Sohn eines Hausbeſitzers, wegen Bedenk-<lb/> lichkeit angehalten weil er Schmuckſachen verkaufen<lb/> wollte. Beim Stadtcommiſſariate ſtellte es ſich heraus,<lb/> daß der Angehaltene ein Opfer der ſich im Thiergarten<lb/> producirenden Beduinen iſt. Er und drei ſeiner Mit-<lb/> ſchüler, der 17jährige Rudolf D., der 15jährige Hans<lb/> W. und der 16jährige Arthur K. hatten kürzlich den<lb/> Productionen der Beduinentruppe beigewohnt und<lb/> waren durch dieſelben ſo begeiſtert worden, daß ſie be-<lb/> ſchloſſen nach Egypten zu entfliehen und ſich dort einem<lb/> Beduinenſtamm anzuſchließen. Zu dieſem Zwecke kauften<lb/> ſie mit Zuhilfenahme ihrer kärglichen Taſchengelder<lb/> eine Flinte, zwei Revolver einen Dolch und Munition.<lb/> Dieſe Waffen wurden verſteckt und für die Reiſe vor-<lb/> bereitet. Um die Mittel zu derſelben zu erhalten, nahm<lb/> Karl S. im elterlichen Hauſe die Schmuckgegenſtände,<lb/> die ſeine Anhaltung veranlaßt hatten, zu ſich. Die drei<lb/> Kameraden warteten bereits auf dem Staatsbahnhofe<lb/> auf ihren Freund. Statt ſeiner erſchienen Agenten der<lb/> telegraphiſch verſtändigten Bahnhofinſpection, welche die<lb/> Ausreißer feſtnahmen. Das „Reiſeabenteuer“ endete<lb/> damit, daß die vier reiſeluſtigen Jungen ihren Eltern<lb/> übergeben wurden.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">* So macht man’s in — Ungarn.</hi> </head> <p>Der<lb/> ungariſche Miniſter für Cultus und Unterricht hat<lb/> den Hörer der Rechte an der Klauſenburger Univerſität<lb/> Georg <hi rendition="#g">Novakovici</hi> (!) auf Grund der Disciplinar-<lb/> unterſuchung, die gegen ihn wegen ſeiner politiſchen<lb/> Umtriebe, welche er gegen den ungariſchen Staat<lb/> mittelſt nationaliſtiſcher Agitation geführt, begangen<lb/> hat, von ſämmtlichen ungarländiſchen Hochſchulen ein-<lb/> für allemal mit dem Beifügen ausgeſchloſſen, daß, wenn<lb/> der genannte Rechtshörer außerhalb Ungarns, an<lb/> welcher höheren Lehranſtalt immer, ein Abgangszeugniß<lb/> oder Diplom erlangen würde, dieſes in Ungarn gar<lb/><hi rendition="#g">keine Giltigkeit beſitzen</hi> würde. Welcher<lb/> Lärm würde im Heilo-Lager erdröhnen, wenn den<lb/> ſchönerianiſchen Studenten, die nach bekannten vater-<lb/> landsverrätheriſchen Muſtern in Oeſterreich wühlen,<lb/> in unſerer Reichshälfte ähnlich mitgeſpielt würde!</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">* Soldat bis zum Tode.</hi> </head> <p>Ein rührendes<lb/> Stückchen ſoldatiſcher Strammheit wird aus Mürz-<lb/> zuſchlag berichtet: Am 21. d. ſtarb in Mürzzuſchlag im<lb/> Alter von 82 Jahren der Veteran F. Zwangsleitner.<lb/> Bei einer Ausrückung des Vereines im letzten Herbſte<lb/> ſagte er zum Veteranen-Hauptmanne, daß er nicht mehr<lb/> lange leben werde. Der Hauptmann tröſtete ihn und<lb/> meinte ſcherzweiſe, er müſſe ſich vierzehn Tage vor<lb/> ſeinem Tode beim Hauptmann melden, daß er ſterbe.<lb/> Am Pfingſtmontag d. J. erſchien Zwangsleitner im<lb/> Hauſe des Hauptmannes, ſalutirte und meldete, daß er<lb/> in vierzehn Tagen ſterben werde. Er wurde bald dar-<lb/> auf bettlägerig und ſtarb am 21. d.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">* Der Wiener Pfahlbürger Dr. Friedrich<lb/> Elbogen</hi> </head> <p>ſchreibt heute einen <hi rendition="#g">zwei Spalten</hi><lb/> langen Artikel darüber, daß man bei der Dummheit<lb/> der Wiener Pfahlbürger den Proteſt des Stadtrathes<lb/> gegen die Kranzniederlegung an Heine’s Grab <hi rendition="#g">nicht<lb/> ernſt</hi> nehmen ſollte. Zwei Spalten über etwas, was<lb/> man nicht ernſt nimmt! Wir glauben, man wird<lb/><hi rendition="#g">den</hi> nicht ernſt nehmen, der zwei Spalten verbrochen<lb/> hat. Aber <hi rendition="#g">ein</hi> Satz davon iſt wenigſtens wahr:<lb/> „Die Dummheit iſt grenzenlos ſelbſtbewußt, voll<lb/> protzenhafter Aufgeblaſenheit!“</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">* Die Sicherheit in Wien.</hi> </head> <p>Der Handlungs-<lb/> praktikant Adolf <hi rendition="#g">Wagner</hi> wurde vorgeſtern Abends<lb/> um 9½ Uhr, als er ſich in Geſellſchaft eines<lb/> Freundes auf dem Wege in ſeine Wohnung befand,<lb/> in der Laxenburgerſtraße von dem 19jährigen Hilfs-<lb/> arbeiter Joſef <hi rendition="#g">Bilek</hi> am Halſe gepackt, gewürgt<lb/> und zu Boden geworfen. Bilek wollte dann dem<lb/> Wagner die goldene Uhr und Kette entreißen, ergriff<lb/> aber auf die Hilferufe des Praktikanten die Flucht<lb/> Ein Sicherheitswachmann nahm ihn feſt und brachte<lb/> ihn zum Polizeicommiſſariate. Bileck wurde wegen<lb/> Verbrechens des Raubes dem k. k. Landesgerichte ein-<lb/> geliefert.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">* Ein gelungener Aufſitzer der „N. Fr.<lb/> Preſſe“.</hi> </head> <p>Die „N. Fr. Preſſe“ ſteht im Rufe, für<lb/> pikante Feuilletons gute Honorare zu zahlen. Es iſt<lb/> aber nicht ſo leicht, ein ſolches Feuilleton, namentlich<lb/> Sonntags, unterzubringen. Denn nicht jeder kann <hi rendition="#g">ſo</hi><lb/> pikant ſchreiben, wie es die „N. Fr. Pr.“ liebt. Aber<lb/> chließlich gelang es einem Schriftſteller — er nennt<lb/> ſich wenigſtens ſo — doch eine Sonntags-Plauderei in<lb/> der „N. Fr. Preſſe“ hineinzu—ſchmuggeln. Er ſchrieb<lb/> einfach ein Feuilleton zu Gunſten der — <hi rendition="#g">Hauſierer’.</hi><lb/><cb/> Da hatte er es gewonnen, zumal da er ſich <hi rendition="#g">Karl-<lb/> weiß</hi> unterzeichnete. Denn Niemand in Wien wird<lb/> glauben, daß wirklich Karlweiß das geſtern in der „N. Fr.<lb/> Preſſe“ erſchienene literariſch unter allem Schund<lb/> rangierende Feuilleton: „Jugendſtreiche“ ſelbſt ge-<lb/> ſchrieben hat.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">* Die „europäiſchen“ Boxers.</hi> </head> <p>Jetzt wiſſen<lb/> wir’s: Nicht nur in China gibt es blutrünſtige<lb/> Boxers, die die Haut aller Fremdlinge haben wollen,<lb/><hi rendition="#g">ſondern auch in Europa.</hi> Wir haben dies<lb/> aus einer ſicheren Quelle, nämlich aus Herrn Ale-<lb/> xander Scharf’s „Sonn- und Montagszeitung“, die<lb/> diesbezüglich, wie in allen rituellen Fragen, competent<lb/> iſt. Das genannte Blatt hat herausgefunden, daß die<lb/> Antiſemiten nicht um ein Haar von den chineſiſchen<lb/> Boxers verſchieden ſind und läßt in zarten An-<lb/> ſpielungen durchblicken, daß <hi rendition="#g">Li-Lieu-Chin,</hi> der<lb/> Chef der Eunuchen, die Seele der chineſiſchen<lb/> Fremdenhetze, um kein Bischen etwas Anderes als der<lb/> Wiener Bürgermeiſter Dr. <hi rendition="#g">Lueger</hi> ſei. Nach<lb/> dieſen geiſtvollen Erörterungen ergibt ſich wortwört-<lb/> lich folgender Schluß:</p><lb/> <p>„<hi rendition="#g">Unſere</hi> Boxer läßt man ſtill gewähren, ob-<lb/> wohl unſere ſogenannten „Fremdlinge“ gute Staats-<lb/> bürger ſind, die nichts Beſſeres verlangen, wie als<lb/> gleichwerthig anerkannt zu werden, da ſie gleich ihren<lb/> Mitbürgern dieſelben Pflichten erfüllen und dieſelben<lb/> Laſten tragen. Den <hi rendition="#g">chineſiſchen Boxers<lb/> hingegen</hi> rückt man an den Leib, weil ſie es<lb/> wagen, gegen eine <hi rendition="#g">von langer Hand vor-<lb/> bereitete Gewaltinvaſion ihres<lb/> Vaterlandes</hi> Stellung zu nehmen. Wo liegt<lb/> da die Logik? Was dem Einen recht iſt, <hi rendition="#g">muß<lb/> dem Anderen billig ſein.</hi> Entweder iſt<lb/> das <hi rendition="#g">geſammte</hi> Boxerthum aus der Welt zu<lb/> ſchaffen oder das Eine verdient dieſelbe Sanction von<lb/> oben wie das Andere.“</p><lb/> <p>Das iſt eine ſchneidige Apologetik! Die chineſiſchen<lb/> Boxer würden Thränen der Rührung weinen, wenn<lb/> ſie erfahren könnten, wie Herr Alexander Scharf das<lb/> Patriotiſche ihres Kampfes gegen die „Gewaltinvaſion<lb/> ſo ſchön verſtanden hat. Sie würden ihn dann ſicher<lb/> taxfrei zum <hi rendition="#g">chineſiſchen „Ehrenboxer“</hi><lb/> ernennen, er hätte es ja ſchon ſo lange verdient, wenn<lb/> er die Chriſten bisher auch nur <hi rendition="#aq">in effigie</hi> hängen,<lb/> erſchlagen und viertheilen ließ. — Zugleich nehmen<lb/> wir zur Kenntniß, daß Herr Alexander Scharf auf<lb/> die europäiſchen Großmächte übel zu ſprechen iſt, weil<lb/> ſie nicht gegen die Antiſemiten ebenſo wie gegen die<lb/> chineſiſchen Boxers mit Corvetten und Kanonen aus-<lb/> gerückt ſind. Das iſt freilich Grund genug, um ver-<lb/> ſchnupft zu ſein.</p> </div> </div><lb/> <div type="jWeatherReports" n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">* Unwetter.</hi> </head> <p>Am 22. d. M. haben ein großer<lb/> Sturm, Wolkenbruch und Hagel in mehreren Gegenden<lb/> Ungarns großen Schaden an den Feldfrüchten an-<lb/> gerichtet. Diesbezügliche Nachrichten liegen vor aus<lb/> Erſekujvar, Gran, Györer Comitat, Barcs, Komaron-<lb/> Ujvaros und Tacſa: — Aus dem Bezirke <hi rendition="#g">Mödling</hi><lb/> wird über ein großes Hagelwetter, das viel Schaden<lb/> anrichtete, berichtet.</p> </div> </div><lb/> <div type="jVarious" n="1"> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">* Wahrheit und Dichtung</hi> </head> <p>oder Wiens Be-<lb/> lagerung und Entſatz. Volksſchauſpiel in fünf Auf-<lb/> zügen von Kogl. Im Selbſtverlage des Verfaſſers,<lb/> Stift Schlägel, Oberöſterreich, Mühlkreis.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">* Die Gutenbergfeier in Mainz</hi> </head> <p>wurde am<lb/> 23. Juni durch den Großherzog von Heſſen mit der<lb/> Eröffnung der typographiſchen Ausſtellung eingeleitet.<lb/> Sie bietet im kurfürſtlichen Schloſſe ein Bild der Ent-<lb/> wickelung der Buchdruckerkunſt. Die Pariſer Welt-<lb/> ausſtellung hat der Mainzer Ausſtellung namentlich<lb/> nach der Richtung der modernen Druckmaſchinen-Induſtrie<lb/> hin Abbruch gethan; aber dennoch bietet namentlich die<lb/> hiſtoriſche Ausſtellung mit ihren uralten Erſtabdrücken<lb/> ein anregendes Bild. Die Ausſtellung zerfällt in drei<lb/> Gruppen: 1. Maſchinen, 2. Erzeugniſſe des Buchdrucks<lb/> und Buchſchmucks, der graphiſchen und Druckkunſt,<lb/> der Schriftgießerei und Farbenfabriken, der Buch-<lb/> binderei und 3. die hiſtoriſche Abtheilung. Ausgeſtellt<lb/> haben unter Anderen die Akademie der Wiſſenſchaften<lb/> in Petersburg, die Wiener Staatsdruckerei, die Berliner<lb/> Königliche Bibliothek, die Reichsdruckerei, die Kunſt-<lb/> gewerbe-Ausſtellung und das Muſeum in Berlin, die<lb/> Darmſtädter Hofbibliothek, die deutſche Druckerei und<lb/> Verlagsanſtalt in Shanghai, der Figaro in Paris, die<lb/> Georgiſche Geſellſchaft für Verbreitung der Volks-<lb/> aufklärung in Tiflis, die <hi rendition="#aq">Imprimerie des beaux arts</hi><lb/> zu Paris, die <hi rendition="#aq">Imprimerie Nationale</hi> ebendort, die<lb/> Staatsdruckereien von Liſſabon, Petersburg, Monte-<lb/> negro u. ſ. w. Die Stadt iſt feſtlich geſchmückt. Der<lb/> Fremdenzufluß iſt ein bedeutender.</p> </div><lb/> <div type="jArticle" n="2"> <head> <hi rendition="#b">* Kurze auswärtige Nachrichten.</hi> </head> <p>Der ſeit<lb/> acht Tagen vermißte Kaufmann Heinrich <hi rendition="#g">Patzer</hi><lb/> in <hi rendition="#g">Aſch</hi> wurde als Leiche in der Elſter nächſt<lb/> Oesowitz mit einer Schußwunde im Hinterhaupte und<lb/> zwei Schnittwunden am Halſe aufgefunden. Ein von<lb/><hi rendition="#g">frem der</hi> Hand geſchriebener Brief in der Taſche<lb/> des Todten ſoll den Anſchein erwecken, daß derſelbe<lb/> ſich mit Selbſtmordabſichten getragen habe. In ſeinem<lb/> Schlafzimmer fand man Blutſpuren, einen abgeſchoſſenen<lb/> Revolver und eine aufgeſprengte leere Geldcaſſette; es<lb/> liegt alſo zweifellos ein Raubmord vor, nach welchem<lb/> die Leiche in den Fluß gebracht wurde. — Zum<lb/> Rector der <hi rendition="#g">Lemberger</hi> Univerſität für das<lb/> Studienjahr 1900/1901 wurde der Profeſſor der<lb/> Theologie Dr. Joſef <hi rendition="#g">Bilczewski</hi> gewählt. —<lb/> Der Köhler der Baron Mayr’ſchen Köhlerei, Gio-<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [4/0004]
Wien, Dienſtag Reichspoſt 26. Juni 1900 143
* Politiſche Linie — wie haißt? Eduard
Pötzl — ein Renommirchriſt des jüdiſchen „Neuen
Wr. Tagblatt“ — hat einen Leitartikel als „Kranz für
Heine“ verbrochen, in welchem er uns umſtändlich aus-
einanderſetzt, daß Heine einige ſchöne Lieder, ja Volks-
lieder gedichtet hat. Daß das kein Grund iſt, den
ganzen Heine anders zu beurtheilen, als wir
deutſche Chriſten es thun, nur nebenbei! Uns
intereſſirt nur die Anmerkung der Redaction des
„N. Wr. Tagblatt“ zu dieſem Artikel:
„Wir geben unſerem Collegen Eduard Pötzl heute an
dieſer Stelle das Wort, weil er nicht eine Epiſode, ſondern
ein ſociale Erſcheinung beſpricht. Manche ſeiner An-
ſchauungen tragen ein entſchiedenes ſubjectives Gepräge und
weichen zum Theil von der politiſchen Linie
dieſes Blattes ab. Der Gegenſtand aber ſowie der Autor
der ihn behandelt, rechtfertigen den unveränderten Abdruck.
Wir haben nun kein Wort in dem Artikel ge-
leſen, das von der politiſchen Linie des
„N. Wr. Tagblatt“ abweicht. Höchſtens hat Pötzl den
Juden in Heine nicht genügend gewürdigt;
denn die politiſche Linie des Blattes iſt: „Im Anfang
war der — Jud und Ende Jud — Alles Jud!“
Oder iſt der Schlußſatz des Artikeln dem Chef-
redacteur Wilhelm Singer ſo auf die Leber
gefallen: „In Wien, der „Stadt der Lieder“, bewahrt
man ſich doch wohl noch die innere Freiheit, in einer
Huldigung für den Genius eines großen Dichters „keine
Reverenz vor dem Judenthum“ zu erblicken.“ Hätte
nicht auch Pötzl einen tieferen Bückling vor dem
Judenthum machen müſſen, um mit der „politiſchen
Linie“ Singer’s und ſeines Blattes congruirt zu ſein?
* Advocatendeputation beim Juſtizminiſter.
Der Juſtizminiſter Freiherr v. Spens-Booden
empfing Samſtag die Deputation des Delegirtentages
der öſterreichiſchen Advocatenkammer, beſtehend aus
dem Präſidenten Dr. Ritter v. Feiſtmantel und dem
Referenten Dr. Ruzicka, welche ihm die Beſchlüſſe des
letzten Delegirtentages überreichten. Der Miniſter
empfing die Herren ſehr wohlwollend, ſprach mit ihnen
über advocatiſche Angelegenheiten und erklärte, er
werde die Beſchlüſſe eingehend prüfen laſſen und zur
Ertheilung von Aufklärungen die Herren zu ſich bitten.
* Leichenbegängniß der Schauſpielerin
Krall. Unter coloſſaler Betheiligung des Publicums
wurde Samſtag Nachmittags die Leiche der unglück-
lichen Schauſpielerin Emilie Krall zu Grabe ge-
tragen. Der Sarg wurde von der Todtencapelle des
Allgemeinen Krankenhauſes zum Wohnhauſe der Ver-
blichenen, Mariahilf, Mittelgaſſe 6, gebracht und dort
unter dem Hausthore niedergeſtellt. Das ganze Per-
ſonal des Raimund-Theaters hatte ſich unter Führung
des Directors Gettke vor dem Trauerhauſe ein-
gefunden. Um 3 Uhr erſchien die Geiſtlichkeit und nahm
unter dem Hausthore die Einſegnung der Leiche vor.
Dann ſetzte ſich der Zug zur Gumpendorfer Kirche in
Bewegung. Nach der Einſegnung ſtimmte der Chor des
Raimund-Theaters Marſchner’s „Du bleicher Tod“
an. Der Zug nahm ſodann den Weg zum Raimund-
Theater. Die Loggia des Theaters war ſchwarz ver-
hängt. Vor dem Theater hielt der Wagen an und
während ein Poſaunencorps vom Balcon herab die
ernſten Klänge eines Trauerliedes erſchallen ließ,
wurden auf den Sarg Kränze des Ausſchuſſes und
der Direction des Raimund-Theaters niedergelegt. Auf
dem Heiligenſtädter Friedhofe widmete am offenen
Grabe Oberregiſſeur Räder der unglücklichen
Collegin einen ergreifenden Nachruf.
* Die „Ehrung Heine’s“ durch den Wiener
Männergeſangsverein. Der Vorſtand des Wiener
Männergeſangsvereins richtete von Paris aus ein
Telegramm an Dr. Lueger, worin er erklärt, daß
weder der Verein noch Jemand in deſſen Namen einen
Kranz auf Heine’s Grab niederlegte und es der
Liebenswürdigkeit des Bürgermeiſters
überläßt, daß die vom Gemeinderath gefaßte Reſolution
zurückgenommen werde. Das Friſchauer’ſche Tagblatt
welches die alſo, wie man ſieht, unwahre Nachricht
von der „Ehrung Heine’s“ gebracht hat, motivirt das
Unterbleiben derſelben im folgendem poetiſchen Erguß:
Ein wahres Glück nur, daß die Wiener Sänger
Zur Probe g’rade brauchten etwas länger
Und daß nicht Zeit genug ſich mehr ergab
Hinauszuwallen an des Dichters Grab.
So iſt das Grab vorläufig ungeſchmückt,
Die Sänger vorderhand dem Bann entrückt.
Auch die Budapeſter Juden ſind
ganz unglücklich, daß Heine keinen Kranz bekommen
hat. Das „Budapeſter Tagblatt“ ſchreibt:
„Der Beſuch des Friedhofs in Montmartre mußte ver-
hindert werden und der Wiener Stadtrath war auch nicht
faul, eine nachdrückliche Preſſion in die Ferne zu üben und
die braven Sänger, die ſich noch einen Reſt von Freiſinn be-
wahrt haben mochten, tüchtig einzuſchüchtern. Und dieſe
Sängerfan den auch nicht den Muth, das
Grab zu bekränzen; ſie fanden nur den Muth zu allen
möglichen Ausreden. An dem einen Tage gebrach es
ihnen an der nöthigen Zeit, da der Tag für ſie nicht genug
Stunden hatte, damit ſie ſich fetiren laſſen können. Dann
wieder war der Kranz nicht fertig. Er dürfte es wahr-
ſcheinlich auch nicht werden. In Paris, der Stadt der
Blumen, wo die geringſte Arbeiterin ihr Sträußchen auf-
ſteckt, iſt es ja ſo ſchwer, duftiges Grün aufzutreiben
Heinrich Heine wird nicht viel verlieren, wenn er auf den
Kranz des Wiener Männergeſangverein verzichten muß.“
Jetzt auch noch den Spott der — Juden heim-
zutragen, das iſt bitter für den Männergeſangverein.
* Die Beduinen im Thiergarten ſind ſchuld
an einer tragikomiſchen Geſchichte. Vorgeſtern wurde
in der Innern Stadt der 16jährige Handelsſchüler
Karl S., der Sohn eines Hausbeſitzers, wegen Bedenk-
lichkeit angehalten weil er Schmuckſachen verkaufen
wollte. Beim Stadtcommiſſariate ſtellte es ſich heraus,
daß der Angehaltene ein Opfer der ſich im Thiergarten
producirenden Beduinen iſt. Er und drei ſeiner Mit-
ſchüler, der 17jährige Rudolf D., der 15jährige Hans
W. und der 16jährige Arthur K. hatten kürzlich den
Productionen der Beduinentruppe beigewohnt und
waren durch dieſelben ſo begeiſtert worden, daß ſie be-
ſchloſſen nach Egypten zu entfliehen und ſich dort einem
Beduinenſtamm anzuſchließen. Zu dieſem Zwecke kauften
ſie mit Zuhilfenahme ihrer kärglichen Taſchengelder
eine Flinte, zwei Revolver einen Dolch und Munition.
Dieſe Waffen wurden verſteckt und für die Reiſe vor-
bereitet. Um die Mittel zu derſelben zu erhalten, nahm
Karl S. im elterlichen Hauſe die Schmuckgegenſtände,
die ſeine Anhaltung veranlaßt hatten, zu ſich. Die drei
Kameraden warteten bereits auf dem Staatsbahnhofe
auf ihren Freund. Statt ſeiner erſchienen Agenten der
telegraphiſch verſtändigten Bahnhofinſpection, welche die
Ausreißer feſtnahmen. Das „Reiſeabenteuer“ endete
damit, daß die vier reiſeluſtigen Jungen ihren Eltern
übergeben wurden.
* So macht man’s in — Ungarn. Der
ungariſche Miniſter für Cultus und Unterricht hat
den Hörer der Rechte an der Klauſenburger Univerſität
Georg Novakovici (!) auf Grund der Disciplinar-
unterſuchung, die gegen ihn wegen ſeiner politiſchen
Umtriebe, welche er gegen den ungariſchen Staat
mittelſt nationaliſtiſcher Agitation geführt, begangen
hat, von ſämmtlichen ungarländiſchen Hochſchulen ein-
für allemal mit dem Beifügen ausgeſchloſſen, daß, wenn
der genannte Rechtshörer außerhalb Ungarns, an
welcher höheren Lehranſtalt immer, ein Abgangszeugniß
oder Diplom erlangen würde, dieſes in Ungarn gar
keine Giltigkeit beſitzen würde. Welcher
Lärm würde im Heilo-Lager erdröhnen, wenn den
ſchönerianiſchen Studenten, die nach bekannten vater-
landsverrätheriſchen Muſtern in Oeſterreich wühlen,
in unſerer Reichshälfte ähnlich mitgeſpielt würde!
* Soldat bis zum Tode. Ein rührendes
Stückchen ſoldatiſcher Strammheit wird aus Mürz-
zuſchlag berichtet: Am 21. d. ſtarb in Mürzzuſchlag im
Alter von 82 Jahren der Veteran F. Zwangsleitner.
Bei einer Ausrückung des Vereines im letzten Herbſte
ſagte er zum Veteranen-Hauptmanne, daß er nicht mehr
lange leben werde. Der Hauptmann tröſtete ihn und
meinte ſcherzweiſe, er müſſe ſich vierzehn Tage vor
ſeinem Tode beim Hauptmann melden, daß er ſterbe.
Am Pfingſtmontag d. J. erſchien Zwangsleitner im
Hauſe des Hauptmannes, ſalutirte und meldete, daß er
in vierzehn Tagen ſterben werde. Er wurde bald dar-
auf bettlägerig und ſtarb am 21. d.
* Der Wiener Pfahlbürger Dr. Friedrich
Elbogen ſchreibt heute einen zwei Spalten
langen Artikel darüber, daß man bei der Dummheit
der Wiener Pfahlbürger den Proteſt des Stadtrathes
gegen die Kranzniederlegung an Heine’s Grab nicht
ernſt nehmen ſollte. Zwei Spalten über etwas, was
man nicht ernſt nimmt! Wir glauben, man wird
den nicht ernſt nehmen, der zwei Spalten verbrochen
hat. Aber ein Satz davon iſt wenigſtens wahr:
„Die Dummheit iſt grenzenlos ſelbſtbewußt, voll
protzenhafter Aufgeblaſenheit!“
* Die Sicherheit in Wien. Der Handlungs-
praktikant Adolf Wagner wurde vorgeſtern Abends
um 9½ Uhr, als er ſich in Geſellſchaft eines
Freundes auf dem Wege in ſeine Wohnung befand,
in der Laxenburgerſtraße von dem 19jährigen Hilfs-
arbeiter Joſef Bilek am Halſe gepackt, gewürgt
und zu Boden geworfen. Bilek wollte dann dem
Wagner die goldene Uhr und Kette entreißen, ergriff
aber auf die Hilferufe des Praktikanten die Flucht
Ein Sicherheitswachmann nahm ihn feſt und brachte
ihn zum Polizeicommiſſariate. Bileck wurde wegen
Verbrechens des Raubes dem k. k. Landesgerichte ein-
geliefert.
* Ein gelungener Aufſitzer der „N. Fr.
Preſſe“. Die „N. Fr. Preſſe“ ſteht im Rufe, für
pikante Feuilletons gute Honorare zu zahlen. Es iſt
aber nicht ſo leicht, ein ſolches Feuilleton, namentlich
Sonntags, unterzubringen. Denn nicht jeder kann ſo
pikant ſchreiben, wie es die „N. Fr. Pr.“ liebt. Aber
chließlich gelang es einem Schriftſteller — er nennt
ſich wenigſtens ſo — doch eine Sonntags-Plauderei in
der „N. Fr. Preſſe“ hineinzu—ſchmuggeln. Er ſchrieb
einfach ein Feuilleton zu Gunſten der — Hauſierer’.
Da hatte er es gewonnen, zumal da er ſich Karl-
weiß unterzeichnete. Denn Niemand in Wien wird
glauben, daß wirklich Karlweiß das geſtern in der „N. Fr.
Preſſe“ erſchienene literariſch unter allem Schund
rangierende Feuilleton: „Jugendſtreiche“ ſelbſt ge-
ſchrieben hat.
* Die „europäiſchen“ Boxers. Jetzt wiſſen
wir’s: Nicht nur in China gibt es blutrünſtige
Boxers, die die Haut aller Fremdlinge haben wollen,
ſondern auch in Europa. Wir haben dies
aus einer ſicheren Quelle, nämlich aus Herrn Ale-
xander Scharf’s „Sonn- und Montagszeitung“, die
diesbezüglich, wie in allen rituellen Fragen, competent
iſt. Das genannte Blatt hat herausgefunden, daß die
Antiſemiten nicht um ein Haar von den chineſiſchen
Boxers verſchieden ſind und läßt in zarten An-
ſpielungen durchblicken, daß Li-Lieu-Chin, der
Chef der Eunuchen, die Seele der chineſiſchen
Fremdenhetze, um kein Bischen etwas Anderes als der
Wiener Bürgermeiſter Dr. Lueger ſei. Nach
dieſen geiſtvollen Erörterungen ergibt ſich wortwört-
lich folgender Schluß:
„Unſere Boxer läßt man ſtill gewähren, ob-
wohl unſere ſogenannten „Fremdlinge“ gute Staats-
bürger ſind, die nichts Beſſeres verlangen, wie als
gleichwerthig anerkannt zu werden, da ſie gleich ihren
Mitbürgern dieſelben Pflichten erfüllen und dieſelben
Laſten tragen. Den chineſiſchen Boxers
hingegen rückt man an den Leib, weil ſie es
wagen, gegen eine von langer Hand vor-
bereitete Gewaltinvaſion ihres
Vaterlandes Stellung zu nehmen. Wo liegt
da die Logik? Was dem Einen recht iſt, muß
dem Anderen billig ſein. Entweder iſt
das geſammte Boxerthum aus der Welt zu
ſchaffen oder das Eine verdient dieſelbe Sanction von
oben wie das Andere.“
Das iſt eine ſchneidige Apologetik! Die chineſiſchen
Boxer würden Thränen der Rührung weinen, wenn
ſie erfahren könnten, wie Herr Alexander Scharf das
Patriotiſche ihres Kampfes gegen die „Gewaltinvaſion
ſo ſchön verſtanden hat. Sie würden ihn dann ſicher
taxfrei zum chineſiſchen „Ehrenboxer“
ernennen, er hätte es ja ſchon ſo lange verdient, wenn
er die Chriſten bisher auch nur in effigie hängen,
erſchlagen und viertheilen ließ. — Zugleich nehmen
wir zur Kenntniß, daß Herr Alexander Scharf auf
die europäiſchen Großmächte übel zu ſprechen iſt, weil
ſie nicht gegen die Antiſemiten ebenſo wie gegen die
chineſiſchen Boxers mit Corvetten und Kanonen aus-
gerückt ſind. Das iſt freilich Grund genug, um ver-
ſchnupft zu ſein.
* Unwetter. Am 22. d. M. haben ein großer
Sturm, Wolkenbruch und Hagel in mehreren Gegenden
Ungarns großen Schaden an den Feldfrüchten an-
gerichtet. Diesbezügliche Nachrichten liegen vor aus
Erſekujvar, Gran, Györer Comitat, Barcs, Komaron-
Ujvaros und Tacſa: — Aus dem Bezirke Mödling
wird über ein großes Hagelwetter, das viel Schaden
anrichtete, berichtet.
* Wahrheit und Dichtung oder Wiens Be-
lagerung und Entſatz. Volksſchauſpiel in fünf Auf-
zügen von Kogl. Im Selbſtverlage des Verfaſſers,
Stift Schlägel, Oberöſterreich, Mühlkreis.
* Die Gutenbergfeier in Mainz wurde am
23. Juni durch den Großherzog von Heſſen mit der
Eröffnung der typographiſchen Ausſtellung eingeleitet.
Sie bietet im kurfürſtlichen Schloſſe ein Bild der Ent-
wickelung der Buchdruckerkunſt. Die Pariſer Welt-
ausſtellung hat der Mainzer Ausſtellung namentlich
nach der Richtung der modernen Druckmaſchinen-Induſtrie
hin Abbruch gethan; aber dennoch bietet namentlich die
hiſtoriſche Ausſtellung mit ihren uralten Erſtabdrücken
ein anregendes Bild. Die Ausſtellung zerfällt in drei
Gruppen: 1. Maſchinen, 2. Erzeugniſſe des Buchdrucks
und Buchſchmucks, der graphiſchen und Druckkunſt,
der Schriftgießerei und Farbenfabriken, der Buch-
binderei und 3. die hiſtoriſche Abtheilung. Ausgeſtellt
haben unter Anderen die Akademie der Wiſſenſchaften
in Petersburg, die Wiener Staatsdruckerei, die Berliner
Königliche Bibliothek, die Reichsdruckerei, die Kunſt-
gewerbe-Ausſtellung und das Muſeum in Berlin, die
Darmſtädter Hofbibliothek, die deutſche Druckerei und
Verlagsanſtalt in Shanghai, der Figaro in Paris, die
Georgiſche Geſellſchaft für Verbreitung der Volks-
aufklärung in Tiflis, die Imprimerie des beaux arts
zu Paris, die Imprimerie Nationale ebendort, die
Staatsdruckereien von Liſſabon, Petersburg, Monte-
negro u. ſ. w. Die Stadt iſt feſtlich geſchmückt. Der
Fremdenzufluß iſt ein bedeutender.
* Kurze auswärtige Nachrichten. Der ſeit
acht Tagen vermißte Kaufmann Heinrich Patzer
in Aſch wurde als Leiche in der Elſter nächſt
Oesowitz mit einer Schußwunde im Hinterhaupte und
zwei Schnittwunden am Halſe aufgefunden. Ein von
frem der Hand geſchriebener Brief in der Taſche
des Todten ſoll den Anſchein erwecken, daß derſelbe
ſich mit Selbſtmordabſichten getragen habe. In ſeinem
Schlafzimmer fand man Blutſpuren, einen abgeſchoſſenen
Revolver und eine aufgeſprengte leere Geldcaſſette; es
liegt alſo zweifellos ein Raubmord vor, nach welchem
die Leiche in den Fluß gebracht wurde. — Zum
Rector der Lemberger Univerſität für das
Studienjahr 1900/1901 wurde der Profeſſor der
Theologie Dr. Joſef Bilczewski gewählt. —
Der Köhler der Baron Mayr’ſchen Köhlerei, Gio-
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