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Reichspost. Nr. 280, Wien, 06.12.1894.

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280 Wien, Donnerstng Reichspost 6. December

[Spaltenumbruch]

Regierungs-Coalition ansah. Das Sabranje nahm
nun mit großer Mehrheit den Antrag der Commission
an, die Wahlen vom 11. und 18. September zu
annulliren. Es machte großen Eindruck, daß fast alle
Zankowisten mit der Majorität gegen ihren
Chef stimmten.

In ihrem Bestreben, sich beim Czar Nicolaus
ins günstigste Licht zu setzen, greifen die englischen
Blätter -- und mit Recht -- die türkische Regierung
scharf an wegen der Christenverfolgung durch
türkisches Militär im Districte Sassun. Lord Kimberly,
melden die "Times", habe der Pforte bereits sehr
energische Vorstellungen gemacht; sie fordern eine
eingehende, unabhängige Untersuchung und exemplarische
Bestrafung der Schuldigen.

Die Socialdemokraten im belgischen Abge-
ordnetenhause
beantragten allgemeine Amnestie aller
wegen politischer und Streikevorgehen verurtheilten
Personen. Der Justizminister ersuchte die Kammer
namens der Regierung, den Antrag nicht in Erwägung
zu ziehen.

Mit einem wahren Heißhunger stürzten sich die
freimaurerischen Blätter auf den belgischen Minister-
präsidenten
de Burlet, den sie beschuldigten,
einen sehr übel beleumundeten socialdemokratischen
Wahlagitator gekauft zu haben, um in seinem Wahl-
bezirke die Liberalen zu bekämpfen Am lautesten
und unverschämtesten schrien der "Etoile Belge" und
der "Petit Bleu" und gegen diese beiden strengte
de Burlet eine Verleumdungsklage an. Wie sehr
der Ministerpräsident aber auch darauf drang, den
Proceß noch vor den Wahlen durchzuführen, die
Advocaten der beiden Logen-Blätter wußten ihn so
lange hinauszuziehen, bis die schändliche Verleumdung
ihren Dienst bei den Wahlen gethan. Der "Etoile
Belge" gab selbst zu, daß mit jener Lüge die Wähler
so beeinflußt wurden, daß de Burlet durchfiel. Am
28. v. M. nun kam es endlich zur Schlußverhandlung
in dem Processe, der mit der Verurtheilung zu hohen
Geldbußen und Veröffentlichung des Urtheils in fünf
Zeitungen endete. In dem Urtheile wird ausdrücklich
die mala fides, die verleumderische Absicht hervorge-
hoben. Da auch österreichische Logen-Blätter die Lüge
ihrer belgischen Collegen ausgeschrotet, verdiente der
letzteren Züchtigung auch in Oesterreich Erwähnung.

Wie sehr sich die jüdischen Journalisten die Finger
wundschreiben, um ihren Connationalen, den wegen
Landesverrathes verhafteten Hauptmann Dreyfus,
wenn auch nicht ganz "herauszureißen", so doch in
einem sehr milden Lichte erscheinen zu lassen, zeigt
folgende Notiz in der "Frankfurter Zeitung":

Die militärgerichtliche Untersuchung gegen den Haupt-
mann Dreyfus ist abgeschlossen. Bei dieser Gelegenheit
verweist ein Leser des "Temps" auf den zum Mindesten
bemerkenswerthen Zufall, daß in einem der Schauer-
romane
des "Petit Journal", "Die beiden Väter", sich
eine am 22. Juni veröffentlichte Stelle befindet, in der die
Geschichte eines Generalftabs Officiers erzählt wird, den
seine Feinde dadurch beseitigen wollen, daß sie geheime
Documente der Landesvertheidigung in seiner Kanzlei ent-
wendeten (!), sie in einen Briefumschlag steckten, der die
Adresse eines Spions trägt, das Ganze nach der Wohnung
des läftigen Gegners befördern und dann seinen Vorge-
setzten benachrichtigen. Die Schrift des Officiers ist so gut (!)
nachgemacht, daß alle Welt sich dadurch täuschen lassen muß.
Die Analogie zwischen dem Roman und dem Falle Dreyfus
ist in der That auffällig genug, und schon wiederholt (!)
hat es geheißen, Dreyfus sei das Opfer einer sehr bös-
artigen (!) Intrigue.




Gemeindezeitung.

In der gestrigen Sitzung des Gemeinderathes wurde
ein Beitrag von 1000 fl. zur Vergrößerung des St. Josef-
Asyls in Breitensee und 100 fl. für die Weihnachtsbe-




Wenn aber beispielsweise in Wien bei sehr strenger
Durchführung der Kuhpockenimpfung im Jahre 1882 noch
808, im Jahre 1883 nur 73, im Jahre 1884 auch nur 94,
dagegen im Jahre 1885 -- wieder 875 Todesfälle an
Blattern amtlich constatirt sind, wo bleibt dann die Im-
munität und wo die Abnahme der Sterblichkeit?

Wenn Tausende von Aerzten zeitlebens keinen einzigen
Fall von Lyssa sahen und wenn von Tausenden von Hun-
den Gebissenen unter ihrer Beobachtung nicht ein Fall an
Lyssa erkrankte: wie kann man da mit gesundem Menschen-
verstande die Schlußfolgerung ziehen, daß heute die Impfung
Pasteurs die Immunität gegen Lyssa bewirke?

Wenn heute in einer zahlreichen Familie ein Kind an
Diphtheritis erkrankt, die anderen durch Heilserum immuni-
sirt würden, und wenn von den immunisirten Kindern
keines mehr an Diphtheritis erkrankt, ist da die Immunität
exact und zweifellos erwiesen? Gewiß nicht; denn es
stehen dieser Thatsache hundertfache Erfahrungen gegenüber,
daß in einer Familie nur ein oder mehrere Kinder an
Diphtheritis erkranken, während alle übrigen ohne Immuni-
firung gesund bleiben.

Was jedoch schließlich dem Heilserum in den Augen
vorurtheilsloser und urtheilsfähiger Menschen den Todesstoß
gibt, das ist die fabriksmäßige Production mit
horrenden Preisen, eine fanatisierende
Reclame, Terrorisierung jeder oppositio-
nellen Meinung, die rastlose Hast nach
öffentlichen Sammlungen und Anderes,
was
dieser letzten traurigen Errungenschaft der Gegenwart das
Gepräge eines geschäftlichen Betriebes gibt und was
sich mit wahrer Humanität nicht vereinigen läßt. Wer
denkt da nicht an den Wahrspruch des im Kampfe gegen
den Schwindel seiner Zeit müde gewordenen Römers:
"Decipi vult vulgus profanum, ergo decipiatur!" *)


[Spaltenumbruch]

scherung im communalen Kindergarten in Gaudenzdorf ohne
Debatte bewilligt. Das Pfarramt Fünfhaus erhält für die
Abhaltung des Gottesdienstes in der Capelle in der Bein-
gasse eine Subvention von 300 fl. die freiw. Feuerwehr
in Speising 200 fl., in Ober-Sievering 150 fl., in Kaiser-
Ebersdorf 250 fl., in Dornbach 200 fl., Breitensee 248 fl.
und der Kirchenmusikverein in Fünfhaus einen Beitrag von
60 fl. Beim Referat über die Abänderung der Baulinie in
der Mittelgasse im 15. Bezirke beantragt GR. Dr. Uhl die
Rückverweisung an den Stadtrath mit dem Auftrage die
Baulinie derart auszumitteln, daß die Mittelgasse im Sinne
des Generalbaulinienplanes in der Richtung auf die Kirche
Maria vom Siege verlängert werde. GR. Havranek und
Bärtl sprechen im gleichen Sinne, wobei ersterer eine
Heiterkeit erregende Anspielung auf die bemerkenswerthe
Vereinbarlichkeit von Bauspeculation und Gemeinderaths-
mandat macht, wie GR. Dehm vor kurzer Zeit bei der Bau-
linienbestimmung nächst dem Franz Josefsbahnhofe
an sich demonstrirte. Dem Thierschutzvereine wird
für das Abtransportiren gestürzter Pferde eine Subention
von je 500 fl. für die Jahre 1895, 1896 und 1897 bewilligt,
zu welchem Gegenstand die GR. Weitmann, Bärtl und
Steiner sprechen, welch' letzterer empfiehlt, den Thierschutz-
verein auf die Pferdemarter bei der Wiener Tramway auf-
merksam zu machen.

Weiters wird dem Bezirksverein "Wien" des deutschen
Schriftstellervereines ein Betrag von 500 fl., dem Guten-
bergdenkmal-Comite eine Subvention von 1000 fl. bewilligt.

Das Heilserum.

Ueber das Meritum des Serums veröffentlichen wir an
anderer Stelle den Aufsatz eines Fachmannes, so daß wir
über die Berathung des Stadtrathsantrages, zur Beschaffung
von Heilserum zum Zwecke ärztlicher Behandlung diphtherie-
kranker Kinder einen Betrag von 15.000 fl. zu votiren, ohne
weitere Besprechung des Gegenstandes berichten können.

Gegenüber jenem Stadtrathantrage beantragt Stadtrath
Boschan nur 5000 fl. zu bewilligen. GR. Gregorig
spricht gegen den Referentenantrag, wobei er auf die
Wirkungslosigkeit der Impfung und auf die Täuschung mit
dem Kochin hinweist. Die Judenpresse verhimmele das
Serum, folglich müsse man Mißtrauen hegen. Es mache den
Eindruck, daß es sich mehr um ein Heilgeserres, als um
Heilserum handle.

GR. Strobach verlangt, man solle mit einer Geld-
bewilligung warten, bis das Mittel erprobt sei, nachdem
die Fachmänner selbst über dessen Nützlichkeit nicht einig sind.
Es gehe nicht an, die Kinder der Armen, welche doch in
erster Linie in die Spitäler kommen, gewissermaßen zu
Versuchskaninchen zu machen.

GR. Dr. Rader spricht als Arzt gegen den Referenten-
antrag, indem er auf die ungenügenden Erscheinungen mit
dem Serum hinweist und bemerkt, daß sich auch schon be-
denkliche Folgeerscheinungen, Nierenentzündungen etc.
bei dessen Anwendung gezeigt haben. Nach Citirung des
absälligen Urtheiles des deutschen Gelehrten Hansemann
über das Serum erklärt Redner gegen den Referentenantrag
zu stimmen. Im gleichen Sinne sprechen die Gemeinde-
räthe Jedliczka, Schneeweiß und Brauneiß.

StR. Lueger bezeichnet es als Pflicht des Staates,
für die Beschaffung des Serums zu sorgen; die Gemeinde
habe weder die Mittel noch die Aufgabe dies zu thun.

GR. Scholz beantragt einen unbeschränkten Credit
für die Beschaffung von Heilserum zu eröffnen; wahr-
scheinlich hofft er damit eine ganze Reihe solcher "schwerer
Diphtheritisfälle zu kuriren, wie jener war, der ihm
wegen Ausbleiben von der Sitzung beinahe das Mandat
gekostet hätte.

GR. Stern läßt das Serum ganz bei Seite, um in
seiner Eigenschaft als Mitglied der Alliance Israelite ein
Schimpf- und Fluchlexicon über Gregorig auszuschütten, um
das ihn Rabbi Bloch zur Zeit seiner Autorität mit Recht
hätte beneiden müssen. Trotzdem fand der Vorsitzende
keinen Anlaß einzuschreiten, jedenfalls schien ihm der Kreis
der Sterne und Cohnsorten so "exclusiv", daß es da nichts
mehr auszuschließen gab.

Stadtrath Dr. Nechansky scheint leider unsere kürz-
liche Anspielung, er habe den Stein der Weisen gefunden,
ernst genommen zu haben, denn er erklärte gestern, daß
viele gescheidte Männer diesen Stein gesucht, aber nicht
gefunden hätten. Die Erklärung, daß auch er ihn nicht ge-
funden habe, war gerade gestern etwas überflüssig, denn
nach seiner Rede, die in dem Satze gipfelte, man müsse für
den Referentenantrag stimmen, gerade weil die Nützlichkeit
des Serums zweifelhaft sei, hat wohl Niemand an einen
solchen Fund geglaubt.

GR. Dr. Geßmann verwahrt sich dagegen, daß die
Gemeinde dazu berufen sei, auch Irrthümer zu unterstützen.
Das Geld der Wiener Steuerträger dürfe nicht zum Fenster
hinausgeworfen werden. Dem Vorredner sei dies vielleicht
gleichgiltig, weil er selbst einen großen Gehalt von der Ge-
meinde beziehe. Er werde gegen den Antrag des Referenten
stimmen.

Schließlich wird der Referentenantrag abgelehnt, da-
gegen der Antrag Boschan angenommen und die Sitzung
nach der Bekanntgabe, daß die für Freitag anberaumte
Sitzung entfällt, geschlossen.

Unter den Auträgen erwähnen wir den des
GR. Maresch wegen Durchführung der Römergasse in die
Ottakringerstraße und Eröffnung der Seiterberg- und Lilien-
feldergasse für den Wagenverkehr, sowie den Antrag des
GR. Jedliczka wegen Herstellung einer öffentlichen Garten-
anlage zwischen der Staud- und Antongasse im achtzehnten
Bezirke auf einem Theile des fürstlich Czatoryski'schen
Parkes.




Parlamentarisches.
Der landwirthschaftliche Ansschuß

verhandelte
gestern über die Regierungsvorlage, betreffend
die Meliorationscredite und bestellte den Abg.
Dr. Ritter v. Milewski zum Referenten. Den zweiten
Gegenstand der Berathung bildete der Dringlichkeitsantrag
Herk und wurde die Stylisirung einer diesbezüglichen Re-
solution der nächsten Sitzung vorbehalten.

Im Sanitäts-Ausschuß gelangte gestern die vom
Abg. Pernerstorser überreichte Petition des Allgemeinen
österreichischen Frauenvereines wegen der Errichtung öffent-
licher Häuser zur Verhandlung. -- Nach einer lebhaften
vertraulich geführten Debatte wurde die Berathung abge-
brochen.


[Spaltenumbruch]

Im Wahlreform-Ausschusse gelangte gestern nach
dem Abg. Graf Pininski der Abg. Dr. Slavik zum Worte.
Derselbe richtete an den Ministerpräsidenten die Anfrage, ob
die Ungerechtigkeit der bestehenden Wahlordnung in Bezug
auf die Landgemeinden auch in der neuen Wahlordnung er-
halten bleiben sollen oder ob die Regierung die Absicht
habe, bei der neuen Abgrenzung der Wahlbezirke die länd-
lichen in Betreff der Bevölkerungszahl und der Steuerlast
den städtischen gleichzustellen. Redner interpellirt weiter die
Regierung, ob sie einem das Wahlrecht der Handels-
kammern aufhebenden Beschluß ihre Zustimmung geben werde.
Das Wahlrecht der Großgrundbesitzer besprechend, findet
Redner dasselbe mangels eines Corrollars der Gruppe der
kleinsten Steuerträger ungerecht. Angesichts solcher Unge-
rechtigkeiten werde man daran gehen müssen, entweder eine
gerechtere Wahlordnung zu schaffen -- dann werde man
jedoch den Standpunkt des politischen Besitzstandes verlassen
müssen, oder man werde diesen Standpunkt festhalten und
dann kommt keine gerechte Wahlordnung zu Stande. Wenn
man eine fünfte Curie errichtet, dann werden einzelne
Wahlbezirke an hunderttausend Wähler zählen, welche zu-
sammen dasselbe Recht hätten, wie neun Wähler in einer
anderen Gruppe. Bei Erwägung dieser Fragen müsse man
dahin gelangen, daß der geeignetste Wahlmodus jener des
allgemeinen gleichen und directen Wahlrechtes sei. Schon
der belgische Ministerpräsident Beernaert habe nachgewiesen,
daß das allgemeine gleiche Wahlrecht das conservativste sei,
und die belgischen Wahlen haben ihm Recht gegeben.

Abg. Dr. Rutowski erklärt, es handle sich heute nicht
um einen vollständigen Neu-Aufbau des Wahlrechtes, sondern
lediglich um die Vornahme jener Aenderungen an dem
geltenden Wahlsystem, welche den Bedürfnissen der Zeit ent-
sprechen. Redner tritt dem Vorschlage entgegen. die Arbeiter-
schaft, welche sich im Gegensatze zu allen bestehenden gesell-
schaftlichen und politischen Gruppen als selbständige Classe
organisirt hat, noch officiell von staatswegen zu patentiren.
Wenn man den jetzigen politisch Enterbten ein Wahlrecht
geben will, so muß man sich hiebei insbesondere nach den-
jenigen Elementen umsehen, welche an der alten Gesell-
schaftsordnung und an den bestehenden Gesellschaftseinrich-
tungen festhalten. Der Weg hiezu ließe sich leicht im Anbau
einer fünften Wählerclasse finden, Redner
bekämpft eingehend die Befürchtung, daß in dieser Wahl-
classe die socialistisch organisirten Arbeiter prävaliren könnten.

Abg. Brzorad verwahrt sich gegen den Vorwurf, daß
der jungczechische Antrag auf Einführung des allgemeinen
Wahlrechtes tactischen Gründen entspringt.

Abg. Romanczuk spricht sich gegen ein Subcomite aus
und beantragt, die positiven Anträge des Abg. Slavik,
sowie die Besprechung der Erweiterung des Wahlrechtes
vorerst auf die Tagesordnung der weiteren Berathung zu
setzen.

Abg. Graf Stadnicki schließt sich der Erklärung des
Grafen Pininski an, wonach die Partei des Redners mit
dem Vorgehen der Regierung einverstanden sei.

Redner bespricht nach einer Begründung dieses Stand-
punktes die Frage der Wahlreform vom national-polnischen
Standpunkte, wobei er bemerkt, daß sich unter den ob-
waltenden Verhältnissen
das nationale Gefühl
der Polen im Einklange mit der österreichischen Staatsidee
befinde. Diese Staatsidee erheische eine Wahlreform und da
würden sich die polnischen Abgeordneten dann bemühen,
dasjenige zu erzielen, was ihnen aus nationalen
Gründen
zweckmäßig erscheint. Der Redner spricht
schließlich für den Rutowski'schen Vorschlag.

Die Verhandlung wurde sodann abgebrochen und wird
heute Abends fortgesetzt werden.




Abgeordnetenhaus.


Der Präsident eröffnet die Sitzung um 11 Uhr
15 Minuten

Vom Handelsminister ist der Entwurf eines Ge-
setzes eingelangt, womit die Regierung zur weiteren
provisorischen Regelung der Handelsbeziehungen mit Spanien
ermächtigt wird.

Es wird hierauf die Specialdebatte über das Straf-
gesetz bei § 1 fortgesetzt und ergreift

Abg. Dr. Slama das Wort. Er weist den Vorwurf,
als ob seine Partei durch die große Zahl von Abänderungs-
anträgen das neue Gesetz umbringen wollte, zurück. Die
Opposition dieses Hauses sei überhaupt nicht gar so böse,
wie sie von der Regierungsbank geschildert werde. Als die
Linke in der Opposition war, kam es gar nicht zur
Generaldebatte. Redner bespricht sodann die Ein-
theilung des Entwurfes und bemerkt, daß er die Zwei-
Theilung in Verbrechen und Uebertretungen, oder nach
dem Muster des italienischen Gesetzes, in Ver-
gehen
und Uebertretungen vorziehen würde.
Die Frage der Todesstrafe wolle er nicht weiter erörtern.
Sein Standpunkt sei der, welchen auch der Ausschuß beim
zweiten Entwurfe vertrat; er sei nämlich der Meinung wie
der damalige Ausschuß, welcher mit 11 gegen 4 Stimmen
die Aufhebung der Todesstrafe beschlossen hat, daß die
Todesstrafe nicht erforderlich ist, um die bürgerliche Gesell-
schaft gegen die schwersten Ausschreitungen zu schützen und
daß sie, wenn auch nicht absolut so doch relativ dem Rechte
widerspreche. Redner begründet seine Abänderungsanträge
und wendet sich insbesondere gegen die Bemerkung
des Berichterftatters, daß es nothwendig sei, statt
des Wortes Kerker das Wort Zuchthaus zu wählen, da
man etwas Neues einführen wolle. Weiters begründet
Redner seinen Antrag, wonach die Bestimmung des § 8,
daß die Todesstrafe durch den Strang vollzogen wird, nicht
in dieses Gesetz, sondern in die Strafproceßordnung aufge-
nommen werden soll.

Abg. Dr. Fux (Neutitscheiner) erklärt, für die Beibe-
haltung der Todesstrafe sich aussprechen zu müssen, und
bespricht einige Morde die sich in der Umgebung von
Neutitschein (Mähren) ereignet haben.

Abg. Dr. Pacak hält sich für verpflichtet, das Wort
zu ergreifen, weil er den Antrag gestellt habe, die Todes-
strafe aufzuheben und an Stelle des aus der deutschen Ge-
setzgebung entnommenen Wortes "Zuchthaus" das bisher
übliche Wort "Kerker" zu setzen; im Falle die letztere
Abänderung angenommen würde, hätte dies natürlich die
Rückverweisung des Entwurfes an den Ausschuß zur Folge.

(Schluß Seite 6.)


*) Die Welt will betrogen sein, mag sie betrogen
werden.
280 Wien, Donnerſtng Reichspoſt 6. December

[Spaltenumbruch]

Regierungs-Coalition anſah. Das Sabranje nahm
nun mit großer Mehrheit den Antrag der Commiſſion
an, die Wahlen vom 11. und 18. September zu
annulliren. Es machte großen Eindruck, daß faſt alle
Zankowiſten mit der Majorität gegen ihren
Chef ſtimmten.

In ihrem Beſtreben, ſich beim Czar Nicolaus
ins günſtigſte Licht zu ſetzen, greifen die engliſchen
Blätter — und mit Recht — die türkiſche Regierung
ſcharf an wegen der Chriſtenverfolgung durch
türkiſches Militär im Diſtricte Saſſun. Lord Kimberly,
melden die „Times“, habe der Pforte bereits ſehr
energiſche Vorſtellungen gemacht; ſie fordern eine
eingehende, unabhängige Unterſuchung und exemplariſche
Beſtrafung der Schuldigen.

Die Socialdemokraten im belgiſchen Abge-
ordnetenhauſe
beantragten allgemeine Amneſtie aller
wegen politiſcher und Streikevorgehen verurtheilten
Perſonen. Der Juſtizminiſter erſuchte die Kammer
namens der Regierung, den Antrag nicht in Erwägung
zu ziehen.

Mit einem wahren Heißhunger ſtürzten ſich die
freimaureriſchen Blätter auf den belgiſchen Miniſter-
präſidenten
de Burlet, den ſie beſchuldigten,
einen ſehr übel beleumundeten ſocialdemokratiſchen
Wahlagitator gekauft zu haben, um in ſeinem Wahl-
bezirke die Liberalen zu bekämpfen Am lauteſten
und unverſchämteſten ſchrien der „Etoile Belge“ und
der „Petit Bleu“ und gegen dieſe beiden ſtrengte
de Burlet eine Verleumdungsklage an. Wie ſehr
der Miniſterpräſident aber auch darauf drang, den
Proceß noch vor den Wahlen durchzuführen, die
Advocaten der beiden Logen-Blätter wußten ihn ſo
lange hinauszuziehen, bis die ſchändliche Verleumdung
ihren Dienſt bei den Wahlen gethan. Der „Etoile
Belge“ gab ſelbſt zu, daß mit jener Lüge die Wähler
ſo beeinflußt wurden, daß de Burlet durchfiel. Am
28. v. M. nun kam es endlich zur Schlußverhandlung
in dem Proceſſe, der mit der Verurtheilung zu hohen
Geldbußen und Veröffentlichung des Urtheils in fünf
Zeitungen endete. In dem Urtheile wird ausdrücklich
die mala fides, die verleumderiſche Abſicht hervorge-
hoben. Da auch öſterreichiſche Logen-Blätter die Lüge
ihrer belgiſchen Collegen ausgeſchrotet, verdiente der
letzteren Züchtigung auch in Oeſterreich Erwähnung.

Wie ſehr ſich die jüdiſchen Journaliſten die Finger
wundſchreiben, um ihren Connationalen, den wegen
Landesverrathes verhafteten Hauptmann Dreyfus,
wenn auch nicht ganz „herauszureißen“, ſo doch in
einem ſehr milden Lichte erſcheinen zu laſſen, zeigt
folgende Notiz in der „Frankfurter Zeitung“:

Die militärgerichtliche Unterſuchung gegen den Haupt-
mann Dreyfus iſt abgeſchloſſen. Bei dieſer Gelegenheit
verweiſt ein Leſer des „Temps“ auf den zum Mindeſten
bemerkenswerthen Zufall, daß in einem der Schauer-
romane
des „Petit Journal“, „Die beiden Väter“, ſich
eine am 22. Juni veröffentlichte Stelle befindet, in der die
Geſchichte eines Generalftabs Officiers erzählt wird, den
ſeine Feinde dadurch beſeitigen wollen, daß ſie geheime
Documente der Landesvertheidigung in ſeiner Kanzlei ent-
wendeten (!), ſie in einen Briefumſchlag ſteckten, der die
Adreſſe eines Spions trägt, das Ganze nach der Wohnung
des läftigen Gegners befördern und dann ſeinen Vorge-
ſetzten benachrichtigen. Die Schrift des Officiers iſt ſo gut (!)
nachgemacht, daß alle Welt ſich dadurch täuſchen laſſen muß.
Die Analogie zwiſchen dem Roman und dem Falle Dreyfus
iſt in der That auffällig genug, und ſchon wiederholt (!)
hat es geheißen, Dreyfus ſei das Opfer einer ſehr bös-
artigen (!) Intrigue.




Gemeindezeitung.

In der geſtrigen Sitzung des Gemeinderathes wurde
ein Beitrag von 1000 fl. zur Vergrößerung des St. Joſef-
Aſyls in Breitenſee und 100 fl. für die Weihnachtsbe-




Wenn aber beiſpielsweiſe in Wien bei ſehr ſtrenger
Durchführung der Kuhpockenimpfung im Jahre 1882 noch
808, im Jahre 1883 nur 73, im Jahre 1884 auch nur 94,
dagegen im Jahre 1885 — wieder 875 Todesfälle an
Blattern amtlich conſtatirt ſind, wo bleibt dann die Im-
munität und wo die Abnahme der Sterblichkeit?

Wenn Tauſende von Aerzten zeitlebens keinen einzigen
Fall von Lyſſa ſahen und wenn von Tauſenden von Hun-
den Gebiſſenen unter ihrer Beobachtung nicht ein Fall an
Lyſſa erkrankte: wie kann man da mit geſundem Menſchen-
verſtande die Schlußfolgerung ziehen, daß heute die Impfung
Paſteurs die Immunität gegen Lyſſa bewirke?

Wenn heute in einer zahlreichen Familie ein Kind an
Diphtheritis erkrankt, die anderen durch Heilſerum immuni-
ſirt würden, und wenn von den immuniſirten Kindern
keines mehr an Diphtheritis erkrankt, iſt da die Immunität
exact und zweifellos erwieſen? Gewiß nicht; denn es
ſtehen dieſer Thatſache hundertfache Erfahrungen gegenüber,
daß in einer Familie nur ein oder mehrere Kinder an
Diphtheritis erkranken, während alle übrigen ohne Immuni-
firung geſund bleiben.

Was jedoch ſchließlich dem Heilſerum in den Augen
vorurtheilsloſer und urtheilsfähiger Menſchen den Todesſtoß
gibt, das iſt die fabriksmäßige Production mit
horrenden Preiſen, eine fanatiſierende
Reclame, Terroriſierung jeder oppoſitio-
nellen Meinung, die raſtloſe Haſt nach
öffentlichen Sammlungen und Anderes,
was
dieſer letzten traurigen Errungenſchaft der Gegenwart das
Gepräge eines geſchäftlichen Betriebes gibt und was
ſich mit wahrer Humanität nicht vereinigen läßt. Wer
denkt da nicht an den Wahrſpruch des im Kampfe gegen
den Schwindel ſeiner Zeit müde gewordenen Römers:
»Decipi vult vulgus profanum, ergo decipiatur!« *)


[Spaltenumbruch]

ſcherung im communalen Kindergarten in Gaudenzdorf ohne
Debatte bewilligt. Das Pfarramt Fünfhaus erhält für die
Abhaltung des Gottesdienſtes in der Capelle in der Bein-
gaſſe eine Subvention von 300 fl. die freiw. Feuerwehr
in Speiſing 200 fl., in Ober-Sievering 150 fl., in Kaiſer-
Ebersdorf 250 fl., in Dornbach 200 fl., Breitenſee 248 fl.
und der Kirchenmuſikverein in Fünfhaus einen Beitrag von
60 fl. Beim Referat über die Abänderung der Baulinie in
der Mittelgaſſe im 15. Bezirke beantragt GR. Dr. Uhl die
Rückverweiſung an den Stadtrath mit dem Auftrage die
Baulinie derart auszumitteln, daß die Mittelgaſſe im Sinne
des Generalbaulinienplanes in der Richtung auf die Kirche
Maria vom Siege verlängert werde. GR. Havranek und
Bärtl ſprechen im gleichen Sinne, wobei erſterer eine
Heiterkeit erregende Anſpielung auf die bemerkenswerthe
Vereinbarlichkeit von Bauſpeculation und Gemeinderaths-
mandat macht, wie GR. Dehm vor kurzer Zeit bei der Bau-
linienbeſtimmung nächſt dem Franz Joſefsbahnhofe
an ſich demonſtrirte. Dem Thierſchutzvereine wird
für das Abtransportiren geſtürzter Pferde eine Subention
von je 500 fl. für die Jahre 1895, 1896 und 1897 bewilligt,
zu welchem Gegenſtand die GR. Weitmann, Bärtl und
Steiner ſprechen, welch’ letzterer empfiehlt, den Thierſchutz-
verein auf die Pferdemarter bei der Wiener Tramway auf-
merkſam zu machen.

Weiters wird dem Bezirksverein „Wien“ des deutſchen
Schriftſtellervereines ein Betrag von 500 fl., dem Guten-
bergdenkmal-Comite eine Subvention von 1000 fl. bewilligt.

Das Heilſerum.

Ueber das Meritum des Serums veröffentlichen wir an
anderer Stelle den Aufſatz eines Fachmannes, ſo daß wir
über die Berathung des Stadtrathsantrages, zur Beſchaffung
von Heilſerum zum Zwecke ärztlicher Behandlung diphtherie-
kranker Kinder einen Betrag von 15.000 fl. zu votiren, ohne
weitere Beſprechung des Gegenſtandes berichten können.

Gegenüber jenem Stadtrathantrage beantragt Stadtrath
Boſchan nur 5000 fl. zu bewilligen. GR. Gregorig
ſpricht gegen den Referentenantrag, wobei er auf die
Wirkungsloſigkeit der Impfung und auf die Täuſchung mit
dem Kochin hinweiſt. Die Judenpreſſe verhimmele das
Serum, folglich müſſe man Mißtrauen hegen. Es mache den
Eindruck, daß es ſich mehr um ein Heilgeſerres, als um
Heilſerum handle.

GR. Strobach verlangt, man ſolle mit einer Geld-
bewilligung warten, bis das Mittel erprobt ſei, nachdem
die Fachmänner ſelbſt über deſſen Nützlichkeit nicht einig ſind.
Es gehe nicht an, die Kinder der Armen, welche doch in
erſter Linie in die Spitäler kommen, gewiſſermaßen zu
Verſuchskaninchen zu machen.

GR. Dr. Rader ſpricht als Arzt gegen den Referenten-
antrag, indem er auf die ungenügenden Erſcheinungen mit
dem Serum hinweiſt und bemerkt, daß ſich auch ſchon be-
denkliche Folgeerſcheinungen, Nierenentzündungen ꝛc.
bei deſſen Anwendung gezeigt haben. Nach Citirung des
abſälligen Urtheiles des deutſchen Gelehrten Hanſemann
über das Serum erklärt Redner gegen den Referentenantrag
zu ſtimmen. Im gleichen Sinne ſprechen die Gemeinde-
räthe Jedliczka, Schneeweiß und Brauneiß.

StR. Lueger bezeichnet es als Pflicht des Staates,
für die Beſchaffung des Serums zu ſorgen; die Gemeinde
habe weder die Mittel noch die Aufgabe dies zu thun.

GR. Scholz beantragt einen unbeſchränkten Credit
für die Beſchaffung von Heilſerum zu eröffnen; wahr-
ſcheinlich hofft er damit eine ganze Reihe ſolcher „ſchwerer
Diphtheritisfälle zu kuriren, wie jener war, der ihm
wegen Ausbleiben von der Sitzung beinahe das Mandat
gekoſtet hätte.

GR. Stern läßt das Serum ganz bei Seite, um in
ſeiner Eigenſchaft als Mitglied der Alliance Iſraelite ein
Schimpf- und Fluchlexicon über Gregorig auszuſchütten, um
das ihn Rabbi Bloch zur Zeit ſeiner Autorität mit Recht
hätte beneiden müſſen. Trotzdem fand der Vorſitzende
keinen Anlaß einzuſchreiten, jedenfalls ſchien ihm der Kreis
der Sterne und Cohnſorten ſo »exclusiv«, daß es da nichts
mehr auszuſchließen gab.

Stadtrath Dr. Nechansky ſcheint leider unſere kürz-
liche Anſpielung, er habe den Stein der Weiſen gefunden,
ernſt genommen zu haben, denn er erklärte geſtern, daß
viele geſcheidte Männer dieſen Stein geſucht, aber nicht
gefunden hätten. Die Erklärung, daß auch er ihn nicht ge-
funden habe, war gerade geſtern etwas überflüſſig, denn
nach ſeiner Rede, die in dem Satze gipfelte, man müſſe für
den Referentenantrag ſtimmen, gerade weil die Nützlichkeit
des Serums zweifelhaft ſei, hat wohl Niemand an einen
ſolchen Fund geglaubt.

GR. Dr. Geßmann verwahrt ſich dagegen, daß die
Gemeinde dazu berufen ſei, auch Irrthümer zu unterſtützen.
Das Geld der Wiener Steuerträger dürfe nicht zum Fenſter
hinausgeworfen werden. Dem Vorredner ſei dies vielleicht
gleichgiltig, weil er ſelbſt einen großen Gehalt von der Ge-
meinde beziehe. Er werde gegen den Antrag des Referenten
ſtimmen.

Schließlich wird der Referentenantrag abgelehnt, da-
gegen der Antrag Boſchan angenommen und die Sitzung
nach der Bekanntgabe, daß die für Freitag anberaumte
Sitzung entfällt, geſchloſſen.

Unter den Auträgen erwähnen wir den des
GR. Mareſch wegen Durchführung der Römergaſſe in die
Ottakringerſtraße und Eröffnung der Seiterberg- und Lilien-
feldergaſſe für den Wagenverkehr, ſowie den Antrag des
GR. Jedliczka wegen Herſtellung einer öffentlichen Garten-
anlage zwiſchen der Staud- und Antongaſſe im achtzehnten
Bezirke auf einem Theile des fürſtlich Czatoryski’ſchen
Parkes.




Parlamentariſches.
Der landwirthſchaftliche Ansſchuß

verhandelte
geſtern über die Regierungsvorlage, betreffend
die Meliorationscredite und beſtellte den Abg.
Dr. Ritter v. Milewski zum Referenten. Den zweiten
Gegenſtand der Berathung bildete der Dringlichkeitsantrag
Herk und wurde die Styliſirung einer diesbezüglichen Re-
ſolution der nächſten Sitzung vorbehalten.

Im Sanitäts-Ausſchuß gelangte geſtern die vom
Abg. Pernerſtorſer überreichte Petition des Allgemeinen
öſterreichiſchen Frauenvereines wegen der Errichtung öffent-
licher Häuſer zur Verhandlung. — Nach einer lebhaften
vertraulich geführten Debatte wurde die Berathung abge-
brochen.


[Spaltenumbruch]

Im Wahlreform-Ausſchuſſe gelangte geſtern nach
dem Abg. Graf Pininski der Abg. Dr. Slavik zum Worte.
Derſelbe richtete an den Miniſterpräſidenten die Anfrage, ob
die Ungerechtigkeit der beſtehenden Wahlordnung in Bezug
auf die Landgemeinden auch in der neuen Wahlordnung er-
halten bleiben ſollen oder ob die Regierung die Abſicht
habe, bei der neuen Abgrenzung der Wahlbezirke die länd-
lichen in Betreff der Bevölkerungszahl und der Steuerlaſt
den ſtädtiſchen gleichzuſtellen. Redner interpellirt weiter die
Regierung, ob ſie einem das Wahlrecht der Handels-
kammern aufhebenden Beſchluß ihre Zuſtimmung geben werde.
Das Wahlrecht der Großgrundbeſitzer beſprechend, findet
Redner dasſelbe mangels eines Corrollars der Gruppe der
kleinſten Steuerträger ungerecht. Angeſichts ſolcher Unge-
rechtigkeiten werde man daran gehen müſſen, entweder eine
gerechtere Wahlordnung zu ſchaffen — dann werde man
jedoch den Standpunkt des politiſchen Beſitzſtandes verlaſſen
müſſen, oder man werde dieſen Standpunkt feſthalten und
dann kommt keine gerechte Wahlordnung zu Stande. Wenn
man eine fünfte Curie errichtet, dann werden einzelne
Wahlbezirke an hunderttauſend Wähler zählen, welche zu-
ſammen dasſelbe Recht hätten, wie neun Wähler in einer
anderen Gruppe. Bei Erwägung dieſer Fragen müſſe man
dahin gelangen, daß der geeignetſte Wahlmodus jener des
allgemeinen gleichen und directen Wahlrechtes ſei. Schon
der belgiſche Miniſterpräſident Beernaert habe nachgewieſen,
daß das allgemeine gleiche Wahlrecht das conſervativſte ſei,
und die belgiſchen Wahlen haben ihm Recht gegeben.

Abg. Dr. Rutowski erklärt, es handle ſich heute nicht
um einen vollſtändigen Neu-Aufbau des Wahlrechtes, ſondern
lediglich um die Vornahme jener Aenderungen an dem
geltenden Wahlſyſtem, welche den Bedürfniſſen der Zeit ent-
ſprechen. Redner tritt dem Vorſchlage entgegen. die Arbeiter-
ſchaft, welche ſich im Gegenſatze zu allen beſtehenden geſell-
ſchaftlichen und politiſchen Gruppen als ſelbſtändige Claſſe
organiſirt hat, noch officiell von ſtaatswegen zu patentiren.
Wenn man den jetzigen politiſch Enterbten ein Wahlrecht
geben will, ſo muß man ſich hiebei insbeſondere nach den-
jenigen Elementen umſehen, welche an der alten Geſell-
ſchaftsordnung und an den beſtehenden Geſellſchaftseinrich-
tungen feſthalten. Der Weg hiezu ließe ſich leicht im Anbau
einer fünften Wählerclaſſe finden, Redner
bekämpft eingehend die Befürchtung, daß in dieſer Wahl-
claſſe die ſocialiſtiſch organiſirten Arbeiter prävaliren könnten.

Abg. Brzorad verwahrt ſich gegen den Vorwurf, daß
der jungczechiſche Antrag auf Einführung des allgemeinen
Wahlrechtes tactiſchen Gründen entſpringt.

Abg. Romanczuk ſpricht ſich gegen ein Subcomite aus
und beantragt, die poſitiven Anträge des Abg. Slavik,
ſowie die Beſprechung der Erweiterung des Wahlrechtes
vorerſt auf die Tagesordnung der weiteren Berathung zu
ſetzen.

Abg. Graf Stadnicki ſchließt ſich der Erklärung des
Grafen Pininski an, wonach die Partei des Redners mit
dem Vorgehen der Regierung einverſtanden ſei.

Redner beſpricht nach einer Begründung dieſes Stand-
punktes die Frage der Wahlreform vom national-polniſchen
Standpunkte, wobei er bemerkt, daß ſich unter den ob-
waltenden Verhältniſſen
das nationale Gefühl
der Polen im Einklange mit der öſterreichiſchen Staatsidee
befinde. Dieſe Staatsidee erheiſche eine Wahlreform und da
würden ſich die polniſchen Abgeordneten dann bemühen,
dasjenige zu erzielen, was ihnen aus nationalen
Gründen
zweckmäßig erſcheint. Der Redner ſpricht
ſchließlich für den Rutowski’ſchen Vorſchlag.

Die Verhandlung wurde ſodann abgebrochen und wird
heute Abends fortgeſetzt werden.




Abgeordnetenhaus.


Der Präſident eröffnet die Sitzung um 11 Uhr
15 Minuten

Vom Handelsminiſter iſt der Entwurf eines Ge-
ſetzes eingelangt, womit die Regierung zur weiteren
proviſoriſchen Regelung der Handelsbeziehungen mit Spanien
ermächtigt wird.

Es wird hierauf die Specialdebatte über das Straf-
geſetz bei § 1 fortgeſetzt und ergreift

Abg. Dr. Slama das Wort. Er weiſt den Vorwurf,
als ob ſeine Partei durch die große Zahl von Abänderungs-
anträgen das neue Geſetz umbringen wollte, zurück. Die
Oppoſition dieſes Hauſes ſei überhaupt nicht gar ſo böſe,
wie ſie von der Regierungsbank geſchildert werde. Als die
Linke in der Oppoſition war, kam es gar nicht zur
Generaldebatte. Redner beſpricht ſodann die Ein-
theilung des Entwurfes und bemerkt, daß er die Zwei-
Theilung in Verbrechen und Uebertretungen, oder nach
dem Muſter des italieniſchen Geſetzes, in Ver-
gehen
und Uebertretungen vorziehen würde.
Die Frage der Todesſtrafe wolle er nicht weiter erörtern.
Sein Standpunkt ſei der, welchen auch der Ausſchuß beim
zweiten Entwurfe vertrat; er ſei nämlich der Meinung wie
der damalige Ausſchuß, welcher mit 11 gegen 4 Stimmen
die Aufhebung der Todesſtrafe beſchloſſen hat, daß die
Todesſtrafe nicht erforderlich iſt, um die bürgerliche Geſell-
ſchaft gegen die ſchwerſten Ausſchreitungen zu ſchützen und
daß ſie, wenn auch nicht abſolut ſo doch relativ dem Rechte
widerſpreche. Redner begründet ſeine Abänderungsanträge
und wendet ſich insbeſondere gegen die Bemerkung
des Berichterftatters, daß es nothwendig ſei, ſtatt
des Wortes Kerker das Wort Zuchthaus zu wählen, da
man etwas Neues einführen wolle. Weiters begründet
Redner ſeinen Antrag, wonach die Beſtimmung des § 8,
daß die Todesſtrafe durch den Strang vollzogen wird, nicht
in dieſes Geſetz, ſondern in die Strafproceßordnung aufge-
nommen werden ſoll.

Abg. Dr. Fux (Neutitſcheiner) erklärt, für die Beibe-
haltung der Todesſtrafe ſich ausſprechen zu müſſen, und
beſpricht einige Morde die ſich in der Umgebung von
Neutitſchein (Mähren) ereignet haben.

Abg. Dr. Pacak hält ſich für verpflichtet, das Wort
zu ergreifen, weil er den Antrag geſtellt habe, die Todes-
ſtrafe aufzuheben und an Stelle des aus der deutſchen Ge-
ſetzgebung entnommenen Wortes „Zuchthaus“ das bisher
übliche Wort „Kerker“ zu ſetzen; im Falle die letztere
Abänderung angenommen würde, hätte dies natürlich die
Rückverweiſung des Entwurfes an den Ausſchuß zur Folge.

(Schluß Seite 6.)


*) Die Welt will betrogen ſein, mag ſie betrogen
werden.
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[3/0003] 280 Wien, Donnerſtng Reichspoſt 6. December Regierungs-Coalition anſah. Das Sabranje nahm nun mit großer Mehrheit den Antrag der Commiſſion an, die Wahlen vom 11. und 18. September zu annulliren. Es machte großen Eindruck, daß faſt alle Zankowiſten mit der Majorität gegen ihren Chef ſtimmten. In ihrem Beſtreben, ſich beim Czar Nicolaus ins günſtigſte Licht zu ſetzen, greifen die engliſchen Blätter — und mit Recht — die türkiſche Regierung ſcharf an wegen der Chriſtenverfolgung durch türkiſches Militär im Diſtricte Saſſun. Lord Kimberly, melden die „Times“, habe der Pforte bereits ſehr energiſche Vorſtellungen gemacht; ſie fordern eine eingehende, unabhängige Unterſuchung und exemplariſche Beſtrafung der Schuldigen. Die Socialdemokraten im belgiſchen Abge- ordnetenhauſe beantragten allgemeine Amneſtie aller wegen politiſcher und Streikevorgehen verurtheilten Perſonen. Der Juſtizminiſter erſuchte die Kammer namens der Regierung, den Antrag nicht in Erwägung zu ziehen. Mit einem wahren Heißhunger ſtürzten ſich die freimaureriſchen Blätter auf den belgiſchen Miniſter- präſidenten de Burlet, den ſie beſchuldigten, einen ſehr übel beleumundeten ſocialdemokratiſchen Wahlagitator gekauft zu haben, um in ſeinem Wahl- bezirke die Liberalen zu bekämpfen Am lauteſten und unverſchämteſten ſchrien der „Etoile Belge“ und der „Petit Bleu“ und gegen dieſe beiden ſtrengte de Burlet eine Verleumdungsklage an. Wie ſehr der Miniſterpräſident aber auch darauf drang, den Proceß noch vor den Wahlen durchzuführen, die Advocaten der beiden Logen-Blätter wußten ihn ſo lange hinauszuziehen, bis die ſchändliche Verleumdung ihren Dienſt bei den Wahlen gethan. Der „Etoile Belge“ gab ſelbſt zu, daß mit jener Lüge die Wähler ſo beeinflußt wurden, daß de Burlet durchfiel. Am 28. v. M. nun kam es endlich zur Schlußverhandlung in dem Proceſſe, der mit der Verurtheilung zu hohen Geldbußen und Veröffentlichung des Urtheils in fünf Zeitungen endete. In dem Urtheile wird ausdrücklich die mala fides, die verleumderiſche Abſicht hervorge- hoben. Da auch öſterreichiſche Logen-Blätter die Lüge ihrer belgiſchen Collegen ausgeſchrotet, verdiente der letzteren Züchtigung auch in Oeſterreich Erwähnung. Wie ſehr ſich die jüdiſchen Journaliſten die Finger wundſchreiben, um ihren Connationalen, den wegen Landesverrathes verhafteten Hauptmann Dreyfus, wenn auch nicht ganz „herauszureißen“, ſo doch in einem ſehr milden Lichte erſcheinen zu laſſen, zeigt folgende Notiz in der „Frankfurter Zeitung“: Die militärgerichtliche Unterſuchung gegen den Haupt- mann Dreyfus iſt abgeſchloſſen. Bei dieſer Gelegenheit verweiſt ein Leſer des „Temps“ auf den zum Mindeſten bemerkenswerthen Zufall, daß in einem der Schauer- romane des „Petit Journal“, „Die beiden Väter“, ſich eine am 22. Juni veröffentlichte Stelle befindet, in der die Geſchichte eines Generalftabs Officiers erzählt wird, den ſeine Feinde dadurch beſeitigen wollen, daß ſie geheime Documente der Landesvertheidigung in ſeiner Kanzlei ent- wendeten (!), ſie in einen Briefumſchlag ſteckten, der die Adreſſe eines Spions trägt, das Ganze nach der Wohnung des läftigen Gegners befördern und dann ſeinen Vorge- ſetzten benachrichtigen. Die Schrift des Officiers iſt ſo gut (!) nachgemacht, daß alle Welt ſich dadurch täuſchen laſſen muß. Die Analogie zwiſchen dem Roman und dem Falle Dreyfus iſt in der That auffällig genug, und ſchon wiederholt (!) hat es geheißen, Dreyfus ſei das Opfer einer ſehr bös- artigen (!) Intrigue. Gemeindezeitung. In der geſtrigen Sitzung des Gemeinderathes wurde ein Beitrag von 1000 fl. zur Vergrößerung des St. Joſef- Aſyls in Breitenſee und 100 fl. für die Weihnachtsbe- Wenn aber beiſpielsweiſe in Wien bei ſehr ſtrenger Durchführung der Kuhpockenimpfung im Jahre 1882 noch 808, im Jahre 1883 nur 73, im Jahre 1884 auch nur 94, dagegen im Jahre 1885 — wieder 875 Todesfälle an Blattern amtlich conſtatirt ſind, wo bleibt dann die Im- munität und wo die Abnahme der Sterblichkeit? Wenn Tauſende von Aerzten zeitlebens keinen einzigen Fall von Lyſſa ſahen und wenn von Tauſenden von Hun- den Gebiſſenen unter ihrer Beobachtung nicht ein Fall an Lyſſa erkrankte: wie kann man da mit geſundem Menſchen- verſtande die Schlußfolgerung ziehen, daß heute die Impfung Paſteurs die Immunität gegen Lyſſa bewirke? Wenn heute in einer zahlreichen Familie ein Kind an Diphtheritis erkrankt, die anderen durch Heilſerum immuni- ſirt würden, und wenn von den immuniſirten Kindern keines mehr an Diphtheritis erkrankt, iſt da die Immunität exact und zweifellos erwieſen? Gewiß nicht; denn es ſtehen dieſer Thatſache hundertfache Erfahrungen gegenüber, daß in einer Familie nur ein oder mehrere Kinder an Diphtheritis erkranken, während alle übrigen ohne Immuni- firung geſund bleiben. Was jedoch ſchließlich dem Heilſerum in den Augen vorurtheilsloſer und urtheilsfähiger Menſchen den Todesſtoß gibt, das iſt die fabriksmäßige Production mit horrenden Preiſen, eine fanatiſierende Reclame, Terroriſierung jeder oppoſitio- nellen Meinung, die raſtloſe Haſt nach öffentlichen Sammlungen und Anderes, was dieſer letzten traurigen Errungenſchaft der Gegenwart das Gepräge eines geſchäftlichen Betriebes gibt und was ſich mit wahrer Humanität nicht vereinigen läßt. Wer denkt da nicht an den Wahrſpruch des im Kampfe gegen den Schwindel ſeiner Zeit müde gewordenen Römers: »Decipi vult vulgus profanum, ergo decipiatur!« *) ſcherung im communalen Kindergarten in Gaudenzdorf ohne Debatte bewilligt. Das Pfarramt Fünfhaus erhält für die Abhaltung des Gottesdienſtes in der Capelle in der Bein- gaſſe eine Subvention von 300 fl. die freiw. Feuerwehr in Speiſing 200 fl., in Ober-Sievering 150 fl., in Kaiſer- Ebersdorf 250 fl., in Dornbach 200 fl., Breitenſee 248 fl. und der Kirchenmuſikverein in Fünfhaus einen Beitrag von 60 fl. Beim Referat über die Abänderung der Baulinie in der Mittelgaſſe im 15. Bezirke beantragt GR. Dr. Uhl die Rückverweiſung an den Stadtrath mit dem Auftrage die Baulinie derart auszumitteln, daß die Mittelgaſſe im Sinne des Generalbaulinienplanes in der Richtung auf die Kirche Maria vom Siege verlängert werde. GR. Havranek und Bärtl ſprechen im gleichen Sinne, wobei erſterer eine Heiterkeit erregende Anſpielung auf die bemerkenswerthe Vereinbarlichkeit von Bauſpeculation und Gemeinderaths- mandat macht, wie GR. Dehm vor kurzer Zeit bei der Bau- linienbeſtimmung nächſt dem Franz Joſefsbahnhofe an ſich demonſtrirte. Dem Thierſchutzvereine wird für das Abtransportiren geſtürzter Pferde eine Subention von je 500 fl. für die Jahre 1895, 1896 und 1897 bewilligt, zu welchem Gegenſtand die GR. Weitmann, Bärtl und Steiner ſprechen, welch’ letzterer empfiehlt, den Thierſchutz- verein auf die Pferdemarter bei der Wiener Tramway auf- merkſam zu machen. Weiters wird dem Bezirksverein „Wien“ des deutſchen Schriftſtellervereines ein Betrag von 500 fl., dem Guten- bergdenkmal-Comite eine Subvention von 1000 fl. bewilligt. Das Heilſerum. Ueber das Meritum des Serums veröffentlichen wir an anderer Stelle den Aufſatz eines Fachmannes, ſo daß wir über die Berathung des Stadtrathsantrages, zur Beſchaffung von Heilſerum zum Zwecke ärztlicher Behandlung diphtherie- kranker Kinder einen Betrag von 15.000 fl. zu votiren, ohne weitere Beſprechung des Gegenſtandes berichten können. Gegenüber jenem Stadtrathantrage beantragt Stadtrath Boſchan nur 5000 fl. zu bewilligen. GR. Gregorig ſpricht gegen den Referentenantrag, wobei er auf die Wirkungsloſigkeit der Impfung und auf die Täuſchung mit dem Kochin hinweiſt. Die Judenpreſſe verhimmele das Serum, folglich müſſe man Mißtrauen hegen. Es mache den Eindruck, daß es ſich mehr um ein Heilgeſerres, als um Heilſerum handle. GR. Strobach verlangt, man ſolle mit einer Geld- bewilligung warten, bis das Mittel erprobt ſei, nachdem die Fachmänner ſelbſt über deſſen Nützlichkeit nicht einig ſind. Es gehe nicht an, die Kinder der Armen, welche doch in erſter Linie in die Spitäler kommen, gewiſſermaßen zu Verſuchskaninchen zu machen. GR. Dr. Rader ſpricht als Arzt gegen den Referenten- antrag, indem er auf die ungenügenden Erſcheinungen mit dem Serum hinweiſt und bemerkt, daß ſich auch ſchon be- denkliche Folgeerſcheinungen, Nierenentzündungen ꝛc. bei deſſen Anwendung gezeigt haben. Nach Citirung des abſälligen Urtheiles des deutſchen Gelehrten Hanſemann über das Serum erklärt Redner gegen den Referentenantrag zu ſtimmen. Im gleichen Sinne ſprechen die Gemeinde- räthe Jedliczka, Schneeweiß und Brauneiß. StR. Lueger bezeichnet es als Pflicht des Staates, für die Beſchaffung des Serums zu ſorgen; die Gemeinde habe weder die Mittel noch die Aufgabe dies zu thun. GR. Scholz beantragt einen unbeſchränkten Credit für die Beſchaffung von Heilſerum zu eröffnen; wahr- ſcheinlich hofft er damit eine ganze Reihe ſolcher „ſchwerer Diphtheritisfälle zu kuriren, wie jener war, der ihm wegen Ausbleiben von der Sitzung beinahe das Mandat gekoſtet hätte. GR. Stern läßt das Serum ganz bei Seite, um in ſeiner Eigenſchaft als Mitglied der Alliance Iſraelite ein Schimpf- und Fluchlexicon über Gregorig auszuſchütten, um das ihn Rabbi Bloch zur Zeit ſeiner Autorität mit Recht hätte beneiden müſſen. Trotzdem fand der Vorſitzende keinen Anlaß einzuſchreiten, jedenfalls ſchien ihm der Kreis der Sterne und Cohnſorten ſo »exclusiv«, daß es da nichts mehr auszuſchließen gab. Stadtrath Dr. Nechansky ſcheint leider unſere kürz- liche Anſpielung, er habe den Stein der Weiſen gefunden, ernſt genommen zu haben, denn er erklärte geſtern, daß viele geſcheidte Männer dieſen Stein geſucht, aber nicht gefunden hätten. Die Erklärung, daß auch er ihn nicht ge- funden habe, war gerade geſtern etwas überflüſſig, denn nach ſeiner Rede, die in dem Satze gipfelte, man müſſe für den Referentenantrag ſtimmen, gerade weil die Nützlichkeit des Serums zweifelhaft ſei, hat wohl Niemand an einen ſolchen Fund geglaubt. GR. Dr. Geßmann verwahrt ſich dagegen, daß die Gemeinde dazu berufen ſei, auch Irrthümer zu unterſtützen. Das Geld der Wiener Steuerträger dürfe nicht zum Fenſter hinausgeworfen werden. Dem Vorredner ſei dies vielleicht gleichgiltig, weil er ſelbſt einen großen Gehalt von der Ge- meinde beziehe. Er werde gegen den Antrag des Referenten ſtimmen. Schließlich wird der Referentenantrag abgelehnt, da- gegen der Antrag Boſchan angenommen und die Sitzung nach der Bekanntgabe, daß die für Freitag anberaumte Sitzung entfällt, geſchloſſen. Unter den Auträgen erwähnen wir den des GR. Mareſch wegen Durchführung der Römergaſſe in die Ottakringerſtraße und Eröffnung der Seiterberg- und Lilien- feldergaſſe für den Wagenverkehr, ſowie den Antrag des GR. Jedliczka wegen Herſtellung einer öffentlichen Garten- anlage zwiſchen der Staud- und Antongaſſe im achtzehnten Bezirke auf einem Theile des fürſtlich Czatoryski’ſchen Parkes. Parlamentariſches. Der landwirthſchaftliche Ansſchuß verhandelte geſtern über die Regierungsvorlage, betreffend die Meliorationscredite und beſtellte den Abg. Dr. Ritter v. Milewski zum Referenten. Den zweiten Gegenſtand der Berathung bildete der Dringlichkeitsantrag Herk und wurde die Styliſirung einer diesbezüglichen Re- ſolution der nächſten Sitzung vorbehalten. Im Sanitäts-Ausſchuß gelangte geſtern die vom Abg. Pernerſtorſer überreichte Petition des Allgemeinen öſterreichiſchen Frauenvereines wegen der Errichtung öffent- licher Häuſer zur Verhandlung. — Nach einer lebhaften vertraulich geführten Debatte wurde die Berathung abge- brochen. Im Wahlreform-Ausſchuſſe gelangte geſtern nach dem Abg. Graf Pininski der Abg. Dr. Slavik zum Worte. Derſelbe richtete an den Miniſterpräſidenten die Anfrage, ob die Ungerechtigkeit der beſtehenden Wahlordnung in Bezug auf die Landgemeinden auch in der neuen Wahlordnung er- halten bleiben ſollen oder ob die Regierung die Abſicht habe, bei der neuen Abgrenzung der Wahlbezirke die länd- lichen in Betreff der Bevölkerungszahl und der Steuerlaſt den ſtädtiſchen gleichzuſtellen. Redner interpellirt weiter die Regierung, ob ſie einem das Wahlrecht der Handels- kammern aufhebenden Beſchluß ihre Zuſtimmung geben werde. Das Wahlrecht der Großgrundbeſitzer beſprechend, findet Redner dasſelbe mangels eines Corrollars der Gruppe der kleinſten Steuerträger ungerecht. Angeſichts ſolcher Unge- rechtigkeiten werde man daran gehen müſſen, entweder eine gerechtere Wahlordnung zu ſchaffen — dann werde man jedoch den Standpunkt des politiſchen Beſitzſtandes verlaſſen müſſen, oder man werde dieſen Standpunkt feſthalten und dann kommt keine gerechte Wahlordnung zu Stande. Wenn man eine fünfte Curie errichtet, dann werden einzelne Wahlbezirke an hunderttauſend Wähler zählen, welche zu- ſammen dasſelbe Recht hätten, wie neun Wähler in einer anderen Gruppe. Bei Erwägung dieſer Fragen müſſe man dahin gelangen, daß der geeignetſte Wahlmodus jener des allgemeinen gleichen und directen Wahlrechtes ſei. Schon der belgiſche Miniſterpräſident Beernaert habe nachgewieſen, daß das allgemeine gleiche Wahlrecht das conſervativſte ſei, und die belgiſchen Wahlen haben ihm Recht gegeben. Abg. Dr. Rutowski erklärt, es handle ſich heute nicht um einen vollſtändigen Neu-Aufbau des Wahlrechtes, ſondern lediglich um die Vornahme jener Aenderungen an dem geltenden Wahlſyſtem, welche den Bedürfniſſen der Zeit ent- ſprechen. Redner tritt dem Vorſchlage entgegen. die Arbeiter- ſchaft, welche ſich im Gegenſatze zu allen beſtehenden geſell- ſchaftlichen und politiſchen Gruppen als ſelbſtändige Claſſe organiſirt hat, noch officiell von ſtaatswegen zu patentiren. Wenn man den jetzigen politiſch Enterbten ein Wahlrecht geben will, ſo muß man ſich hiebei insbeſondere nach den- jenigen Elementen umſehen, welche an der alten Geſell- ſchaftsordnung und an den beſtehenden Geſellſchaftseinrich- tungen feſthalten. Der Weg hiezu ließe ſich leicht im Anbau einer fünften Wählerclaſſe finden, Redner bekämpft eingehend die Befürchtung, daß in dieſer Wahl- claſſe die ſocialiſtiſch organiſirten Arbeiter prävaliren könnten. Abg. Brzorad verwahrt ſich gegen den Vorwurf, daß der jungczechiſche Antrag auf Einführung des allgemeinen Wahlrechtes tactiſchen Gründen entſpringt. Abg. Romanczuk ſpricht ſich gegen ein Subcomite aus und beantragt, die poſitiven Anträge des Abg. Slavik, ſowie die Beſprechung der Erweiterung des Wahlrechtes vorerſt auf die Tagesordnung der weiteren Berathung zu ſetzen. Abg. Graf Stadnicki ſchließt ſich der Erklärung des Grafen Pininski an, wonach die Partei des Redners mit dem Vorgehen der Regierung einverſtanden ſei. Redner beſpricht nach einer Begründung dieſes Stand- punktes die Frage der Wahlreform vom national-polniſchen Standpunkte, wobei er bemerkt, daß ſich unter den ob- waltenden Verhältniſſen das nationale Gefühl der Polen im Einklange mit der öſterreichiſchen Staatsidee befinde. Dieſe Staatsidee erheiſche eine Wahlreform und da würden ſich die polniſchen Abgeordneten dann bemühen, dasjenige zu erzielen, was ihnen aus nationalen Gründen zweckmäßig erſcheint. Der Redner ſpricht ſchließlich für den Rutowski’ſchen Vorſchlag. Die Verhandlung wurde ſodann abgebrochen und wird heute Abends fortgeſetzt werden. Abgeordnetenhaus. Sitzung am 5. December 1894. Der Präſident eröffnet die Sitzung um 11 Uhr 15 Minuten Vom Handelsminiſter iſt der Entwurf eines Ge- ſetzes eingelangt, womit die Regierung zur weiteren proviſoriſchen Regelung der Handelsbeziehungen mit Spanien ermächtigt wird. Es wird hierauf die Specialdebatte über das Straf- geſetz bei § 1 fortgeſetzt und ergreift Abg. Dr. Slama das Wort. Er weiſt den Vorwurf, als ob ſeine Partei durch die große Zahl von Abänderungs- anträgen das neue Geſetz umbringen wollte, zurück. Die Oppoſition dieſes Hauſes ſei überhaupt nicht gar ſo böſe, wie ſie von der Regierungsbank geſchildert werde. Als die Linke in der Oppoſition war, kam es gar nicht zur Generaldebatte. Redner beſpricht ſodann die Ein- theilung des Entwurfes und bemerkt, daß er die Zwei- Theilung in Verbrechen und Uebertretungen, oder nach dem Muſter des italieniſchen Geſetzes, in Ver- gehen und Uebertretungen vorziehen würde. Die Frage der Todesſtrafe wolle er nicht weiter erörtern. Sein Standpunkt ſei der, welchen auch der Ausſchuß beim zweiten Entwurfe vertrat; er ſei nämlich der Meinung wie der damalige Ausſchuß, welcher mit 11 gegen 4 Stimmen die Aufhebung der Todesſtrafe beſchloſſen hat, daß die Todesſtrafe nicht erforderlich iſt, um die bürgerliche Geſell- ſchaft gegen die ſchwerſten Ausſchreitungen zu ſchützen und daß ſie, wenn auch nicht abſolut ſo doch relativ dem Rechte widerſpreche. Redner begründet ſeine Abänderungsanträge und wendet ſich insbeſondere gegen die Bemerkung des Berichterftatters, daß es nothwendig ſei, ſtatt des Wortes Kerker das Wort Zuchthaus zu wählen, da man etwas Neues einführen wolle. Weiters begründet Redner ſeinen Antrag, wonach die Beſtimmung des § 8, daß die Todesſtrafe durch den Strang vollzogen wird, nicht in dieſes Geſetz, ſondern in die Strafproceßordnung aufge- nommen werden ſoll. Abg. Dr. Fux (Neutitſcheiner) erklärt, für die Beibe- haltung der Todesſtrafe ſich ausſprechen zu müſſen, und beſpricht einige Morde die ſich in der Umgebung von Neutitſchein (Mähren) ereignet haben. Abg. Dr. Pacak hält ſich für verpflichtet, das Wort zu ergreifen, weil er den Antrag geſtellt habe, die Todes- ſtrafe aufzuheben und an Stelle des aus der deutſchen Ge- ſetzgebung entnommenen Wortes „Zuchthaus“ das bisher übliche Wort „Kerker“ zu ſetzen; im Falle die letztere Abänderung angenommen würde, hätte dies natürlich die Rückverweiſung des Entwurfes an den Ausſchuß zur Folge. (Schluß Seite 6.) *) Die Welt will betrogen ſein, mag ſie betrogen werden.

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Zitationshilfe: Reichspost. Nr. 280, Wien, 06.12.1894, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_reichspost280_1894/3>, abgerufen am 21.11.2024.