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Reichspost. Nr. 308, Wien, 04.07.1914.

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Nr. 308 Wien, Samstag Reichspost 4. Juli 1914

[Spaltenumbruch] zuerst Betroffenen unter der schweren Depression des
furchtbaren Ereignisses sehr schwer sei, volle
Geistesgegenwart
und klare Urteils-
fähigkeit
zu bewahren. Deshalb müssen die ersten,
zweifellos verfehlten Handlungen von dieser Seite mit
einer gewissen Milde beurteilt werden. Trotzdem darf
nicht vergessen werden, daß übereilte Konzep-
tionen
über die Urheber und Initiatoren des Ver-
brechens das schon geschehene Uebel nicht gut machen.
Deshalb sind bei solchen Gelegenheiten Gelassenheit und
Geistesgegenwart eine Notwendigkeit erster Ordnung.
In den österreichischen und ungarischen Blättern wird
teils mittelbar, teils ganz offen der Verdacht geäußert,
daß Serbien in das Sarajevoer Verbrechen ver-
wickelt sei. Die "Frankfurter Zeitung" bringt sogar an
einer Stelle, für welche nur die Redaktion die Verant-
wortung trägt, aus der Feder ihres Wiener Kor-
respondenten mit Berufung auf maßgebende Wiener
Kreise ziemlich verhüllte, aber genügend durchsichtige
Verdächtigungen gegen Serbien vor, gegen welches auch
Drohungen gerichtet werden. Erst wenn gegen uns
klare, positive Anklagen vorgebracht werden, werden
wir Zeit zur Aussprache haben. Schon jetzt können wir
aber sagen, daß uns unberechtigte Verdächtigungen und
Beleidigungen nicht berühren und daß wir die vorge-
brachten Drohungen nicht ernst nehmen

können. Heute wenigstens hat in Serbien die Ueber-
zeugung Wurzel gefaßt, daß Serbien wegen seiner zahl-
reichen wichtigen Interessen in guten Beziehungen mit
Oesterreich-Ungarn stehen und sich jeden Schrittes ent-
halten muß, der eine allgemeine scharfe Verurteilung
bei allen Völkern erfährt. Dieser Ueberzeugung gab auch
die serbische Regierung durch ihr Entgegenkommen
gegenüber den Forderungen Oesterreich-Ungarns sicht-
baren und klaren Ausdruck. Das ist ein genügend
ernstes Element, um mit Zuversicht erwarten zu kön-
nen, daß man mit ihm auch an maßgebenden Stellen in
Wien rechnen werde. Ebenso im Namen der großen und
wichtigen in Frage stehenden Interessen müssen wir
sagen, daß wir die rohe, durch nichts gerechtfer-
tigte
Malträtierung der unschuldigen
Serben in Bosnien und der Herze-
govina
als schweren politischen Fehler betrachten.
Gegenwärtig sind wir noch geneigt zu glauben, daß dies
die Frucht der engen Auffassungen der niederen be-
hördlichen Organeindiesen Ländern
ist,
welche sich ihrer Schuld bewußt sind, daß sie das
Unglück nicht zu verhüten verstanden haben, und welche
ihre Schuld vor den Vorgesetzten zu verringern hoffen,
indem sie sich bemühen, dieselben zu überzeugen, daß an
dem Unglück die ganze Welt schuld ist, nur nicht sie
selbst. Unser aufrichtider Wunsch ist, daß die Verhält-
nisse in Bosnien und der Herzegovina so bald als
möglich zur normalen Ordnung zurückkehren. Eine
gewisse Störung in den Beziehungen zwischen Serbien
und Oesterreich als Frucht des uns nicht erwünschten
Unglücks kann beseitigt werden und wir hoffen, daß sie
rasch beseitigt werden wird durch die aufrichtige und
ernste Bekämpfung eines Uebels, das in allen Ländern,
demnach auch in Serbien, auftaucht.

Das jungradikale Parteiorgan führt in
einem "Weiß man in Wien, was man will?" betitelten
Artikel aus, daß in Wien in der sogenannten serbischen
Politik ständig Fehler begangen werden. Bestünde
dieser Gefühlsmangel nicht, der gefährlicher als Farben-
blindheit für die Leiter von Schiffen und Eisenbahn-
zügen ist, dann bestünde auch in der
inneren und äußeren Politik Oester-
reich-Ungarns nicht ein so großer
Mangel an Klugheit
und in dem Urteil
der Wiener öffentlichen Meinung nicht ein so
großer Mangel an Einsicht.
Bestünde
dieser Mangel an Klugheit nicht, dann hätte
man den Erzherzog Franz Ferdinand nicht am
Tage des nationalen Enthusiasmus nach Sarajevo
gesendet, um eine brutale Manifestation
der Gewalt und Unterwerfung zu
feiern.
Dieser brutale Akt war eine brutale
Herausforderung
und mußte(!) brutale
Gefühle des Widerstandes, des Hasses und der Rache
herausfordern. Die Tatsache, daß es zu einem Vanda-
lismus des Pöbels gegen die Serben kommen konnte,
ist genügend für die Diagnose der unheil-
baren Krankheit der Monarchie.
In
diesem schon seit langen kranken Organismus ist das
Bewußtsein von Rücksichten und Pflichten getrübt. Mit
dem Verstande eines Huhnes kann man begreifen, daß
mit so hysterischen Manieren kein Haus, geschweige
denn ein Staat von 50 Millionen geleitet werden kann.

Das nationalistische Parteiorgan "Srpska
Zastava" schreibt in einem Artikel, betitelt "Verdächti-
gungen und Drohungen": Man will in Wien den ersten
Augenblick des Schmerzes über den verlorenen Thron-
folger gegen das serbische Volk und gegen Serbien aus-
nützen. Es scheint jedoch, daß diese Aktion mißlingen
werde. Das Attentat stellt sich immer mehr als
ein Erzeugnis der ungesunden Ver-
hältnisse in der Monarchie
dar.

Das fortschrittliche Blatt "Pravda"
führt aus: Es ist nunmehr klar, daß Wien das un-
glückliche Ereignis zur Ausrottung der
Serben aus den serbischen Ländern

der Habsburger Monarchie ausnützen will. Die öster-
reichisch-ungarische Polizei hetzt die zahlreichen
Hungerleider
in der Monarchie unter dem Namen
von Mohammedanern und Kroaten auf das serbische
Volk, um zu plündern. Ein exaltierter fanatischer
Jüngling hat einen österreichischen Erzherzog erschossen
[Spaltenumbruch] jedenfalls haben die Gerichte zu sprechen, aber nicht
Strolche und Räuber, unter denen sich
verkleidete Gendarmen befinden. Die
Plünderungen in Bosnien stellen Oesterreich-
Ungarn als anarchischen Staat dar.

Das plündernde Gesindel wurde von der Polizei in
Sarajevo immer in Gassen abgedrängt, wo es weiter
plündern konnte. Die Wiener Politik ist zynisch. Sie
beutet den tragischen Tod des unglücklichen Paares für
seine abscheulichen Ziele gegen das serbische Volk aus.

Infame Verdächtigungen. -- Attentatsankündi-
gungen eines Exministers.


Die "Agence des Balkans" meldet aus Belgrad:
Die in Bosnien und der Herzegovina gegen die Serben
verübten Verbrechen sind unter den Auspizien und auf
direkte Anstiftung der österreichisch-
ungarischen Zivil- und Militär-
behörden(!)
begangen worden.


Im "Journal" äußert sich der ehemalige serbische
Minister Stojanovic u. a.: "Ich kann nur sagen,
daß in Serbien eine tiefgehende Unzufriedenheit über
die Verwaltung Oesterreich-Ungarns in Bosnien und der
Herzegovina herrscht. Wir Serben protestieren dagegen
und wollen Europa auf die Unhaltbarkeit der
dortigen Verhältnisse(!)
aufmerksam
machen. Gewaltakte irgend welcher Art verdammen wir.
Die Verhältnisse in Bosnien und der Herzegovina
müssen von Grund aus geändert werden, denn sonst
wird die serbische Bevölkerung fortfahren zu
versuchen, die notwendigen Reformen
durch Attentate zu erreichen.
Von dem
Tode des Erzherzogs Franz Ferdinand hat Serbien
keinen Nutzen."




Die zwei großserbischen Ideen.


Der "Czas" veröffentlicht eine "von maßgebender
Stelle stammende" Darstellung der Verhältnisse in
Bosnien, in welcher es u. a. heißt:

"Es wäre ein Irrtum, zu glauben, daß Bosnien
und Herzegovina sich im Zustande einer revolutionären
Gärung befinden. Man muß sich gegenwärtig halten,
daß zwei großserbische Ideen bestehen:
Eine entstand in Serbien, die andere in
Oesterreich-Ungarn. Erstere Idee will Bosnien,
die Herzegovina, Dalmatien und Kroatien
mit Serbien vereinen, die letztere Idee hat den
Trialismus zum Vorbild, und zwar unter dem
Zepter der Habsburger Dynastie. Seit dem Jahre 1878
hat Oesterreich großartige Erfolge seines zielbewußten
Regimes in diesen Ländern erzielt. Aber eben diese
Riesenfortschritte sind es, welche die Belgrader "Groß-
serben" beunruhigen. Ihnen handelt es sich einzig nur
darum, daß Belgrad mehr Anziehungskraft als Sarajevo
erlange, und was sie auch immer unternahmen, diese
Frage wurde immer zugunsten der Metropole von
Bosnien entschieden. Um der größeren Anziehungskraft
der Monarchie zu begegnen, griff man in Belgrad zur
Ausbeutung des religiösen Fanatismus.
Trotz der gewissenhaftest beschützten Gleichberechtigung
aller drei Konfessionen in Bosnien und Herzegowina
verbreiteten die serbischen Agents provokatenro das
Gerücht, als ob Oesterreich die Mission übernommen
habe. Bosnien und Herzegovina, dem Katholizismus
unterzuordnen und als Personifikation dieser Katholi-
zierung Bosniens und der Hercegovina wurde der er-
mordete Erzherzog Thronfolger hingestellt. Da aber trotz
dieser Hetze die Loyalität zur Monarchie in den annek-
tierten Ländern erstarkte, haben die Belgrader Hetzer
ihre Tätigkeit auf dem Gebiete der konfessionellen Auf-
reizung erhöht und es im Laufe der Zeit tatsächlich auch
dahin gebracht, daß die Bevölkerung in zwei Lager
gespalten erscheint, wobei Erzherzog-Thronfolger Franz
Ferdinand als der Repräsentant des Trialis-
mus und der Katholisierung hingestellt wurde.
Die in Belgrad gegossene Kugel, welche den Erzherzog-
Thronfolger aus der Welt schaffte, sollte nach der
Meinung der Mörder und deren Hintermänner jeden
Gedanken an eine Führerschaft des Südslaventums durch
Oesterreich-Ungarn töten. Im Kampfe in Bosnien stehen
sich eben zwei Weltanschauungen gegenüber: Der Osten
gegen Westen. Ersterer hat die Hand des Mörders be-
waffnet, aber Serbien hat dort tatsächlich keine An-
ziehungskraft und es beabsichtigt auch gar nicht, einen
Aufstand hervorzurufen und es kämpft nur mit
Bomben und Revolver.
Die Verhältnisse
zwischen dem kleinen Serbien und der Monarchie sind
seit Jahren gespannt und die Schüsse in Belgrad können
ein Echo hervorrufen, das für den europäischen Frieden
Böses verheißend wäre.




Serbiens Vormund.
(Drahtmeldung der "Reichspost".)


Die polnische konservative "Gazeta Narodowa"
schreibt: Seit der ersten Nachricht von dem Mord in
Sarajevo haben sich alle Augen nach Ruß-
land
gewendet. Rußland ist der politische Berater
Serbiens, sein Vormund. Rußland beseitigt auch
gern seine Feinde durch Meuchelmord. Serbien ist somit
nicht nur in politischer Hinsicht eine Expositur
Rußlands. Die Mördergrube in Serbien ist nur
eine Filiale Rußlands. Die serbischen
Königsmörder sind nur Nachahmer der
russischen Königsmörder. Rußland, das Land der
Absolutismus und der Revolution, das Land der
[Spaltenumbruch] Ochrana und des Nihilismus ist das natürliche Vater-
land des politischen Mordes. Die Serben sind zwar ein
altes Volk, aber die hundertjährige Gefangenschaft mußte
auf ihren Charakter das Stigma der Niederträchtigkeit
aufdrücken. Es wird noch viel Wasser in der Donau
verrinnen, ehe das Gift, das im edlen slavischen Blute
fließt, verschwinden wird.

Die widerrusene Konfiskation.


"Piemont" berichtet, daß die von der Polizei ver-
fügte Konsiskation des vorgestrigen Artikels des Blattes
"Nach Zerajic Princip" von der ersten
Instanz des Belgrader Gerichtes
annulliert wurde.




Stimmen des Auslandes.
Reichsdeutsche Befürchtungen. -- Judet über
die Serben.
(Drahtbericht der "Reichspost".)


Mehrere deutsche Blätter bezeichnen in ihren
Artikeln die Situation, wie sie durch das Ereignis von
Sarajevo beleuchtet worden ist, als gefährlich. Der
"Hamburgische Korrespondent" sagt, Europa könne sich
nach den blutigen Ereignissen von Sarajevo an keiner
Stelle mehr der Tatsache der von dem Großserbentum
der Monarchie drohenden Gefahr entziehen. Die
"Hamburger Nachrichten" sagen, daß gegen das
Habsburgerreich ein stiller Krieg
im Frieden
geführt werde und daß die
Pflicht der Selbsterhaltung gebiete, sich rück-
sichtslos und energisch
dagegen
zu verteidigen. Das Blatt kommt dann auf die
dem Deutschen Reiche drohenden Gefahren zu sprechen
und schließt, Oesterreich-Ungarn wolle jetzt den Treibereien
an seiner Ostflanke zaglos entgegentreten und auch darin
habe es die Sympathien seines Verbündeten
und Schicksalsgenossen,
des Deutschen
Reiches, für sich. -- Die "Berliner Neuesten Nach-
richten" bemerken, daß angesichts der beinahe sträf-
lichen Schwäche der österreichisch-
ungarischen Behörden gegen über der
hochverräterischen großserbischen
Propaganda
in Bosnien der Belgrader Preßlärm
von einer echt serbischen Dreistigkeit sei.

(Drahtmeldung der "Reichspost".)


Im "Eclair" schreibt E. Judet: Der Bericht
der Carnegikommission über die während des Balkan-
krieges begangenen Greueltaten zeige, daß ins-
besondere die Serben
sich wilder
Bestialität
schuldig gemacht hätten. Man könne
sich nicht wundern, daß derartige blutdürstige
Rassen im Frieden Mörder im Ueber-
fluß liefern.
Dies müsse angesichts des Attentats
von Sarajevo gesagt werden. In Frankreich werde man
jetzt dem verstorbenen Erzherzog gerechter als zu seinen
Lebzeiten.




Untersuchung gegen Studenten in Wien.

Seit gestern weilt der Kommissär der Laibacher
Polizeidirektion, Skubel, hier und führt mit Unter-
stützung der Wiener Staatspolizei eine umfassende Unter-
suchung unter den hiesigen nationalistischen serbischen Stu-
denten durch. Bekanntlich sind vor mehreren Tagen in
Laibach mehrere Mittelschüler unter der Beschul-
digung, einer irredentistischen nationalistischen Organi-
sation anzugehören, verhaftet worden. Auf Grund der in
Laibach ermittelten Ergebnisse wurden in Wien bei zahl-
reichen slovenischen Studenten Hausdurchsuchungen vor-
genommen und gestern abend wurde ein aus Krain
stammen der Jurist
verhaftet. Heute morgen wurde
ein zweiter Student in Haft genommen. Bei einigen
Studenten wurden gelegentlich der Hausdurch-
suchungen
Korrespondenzen sowie studentische Zeit-
schriften saisiert und namentlich alle serbischen
Bücher,
die sich bei den Verdächtigen befanden, beschlag-
nahmt. Nach einem eingehenden Verhöre wurden heute
die beiden Verhafteten freigelassen. Die Untersuchung gegen
sie wird jedoch weitergeführt. Es verlautet, daß die Unter-
suchung eingeleitet wurde, welche die von der "Reichs-
post"
bereits wiederholt besprochene südslavische
"Omladina", auf die wir schon vor Wochen vor dem Atten-
tate nachdrücklich hinwiesen, betrifft.




Politische Rundschau.
Oesterreich-Ungarn.

Neue Herrenhausmitglieder.

Wie wir erfahren, sind der Fürst-Großprior
des sonveränen Malteser-Ritterordens Fra Rudolf
zu Hardegg zu Glatz und im
Machlande
und der Präsident des evangelischen Ober-
kirchenrates A. und H. B. Sektionschef Dr. Wolfgang
Haase
als lebenslängliche Mitglieder in das Herrenhaus
des Reichsrates berufen worden. Die Ernennung der
beiden Genannten erfolgte schon jetzt, um die Zahl der
Herrenhausmitglieder, die auf 148 gesunken ist, wieder
auf die erforderliche Mindestzahl von 150 zu bringen. Ein
weiterer größerer Pairsschub steht bevor. --
Fürst-Großprior Fr[a] Rudolf zu Hardegg ist 1851
geboren, trat 1879 in den Malteser-Ritterorden und wurde
1898 zum außerordentlichen Gesandten und bevollmächtig-
ten Minister dieses Ordens am Ah. Hofe ernannt, welchen
Posten er bis zu seiner im Februar d. J. erfolgten Wahl
zum Fürst-Großprior von Böhmen und Oesterreich inne-
hatte. Während seiner 35 Jahre umfassenden Tätigkeit im

Nr. 308 Wien, Samstag Reichspoſt 4. Juli 1914

[Spaltenumbruch] zuerſt Betroffenen unter der ſchweren Depreſſion des
furchtbaren Ereigniſſes ſehr ſchwer ſei, volle
Geiſtesgegenwart
und klare Urteils-
fähigkeit
zu bewahren. Deshalb müſſen die erſten,
zweifellos verfehlten Handlungen von dieſer Seite mit
einer gewiſſen Milde beurteilt werden. Trotzdem darf
nicht vergeſſen werden, daß übereilte Konzep-
tionen
über die Urheber und Initiatoren des Ver-
brechens das ſchon geſchehene Uebel nicht gut machen.
Deshalb ſind bei ſolchen Gelegenheiten Gelaſſenheit und
Geiſtesgegenwart eine Notwendigkeit erſter Ordnung.
In den öſterreichiſchen und ungariſchen Blättern wird
teils mittelbar, teils ganz offen der Verdacht geäußert,
daß Serbien in das Sarajevoer Verbrechen ver-
wickelt ſei. Die „Frankfurter Zeitung“ bringt ſogar an
einer Stelle, für welche nur die Redaktion die Verant-
wortung trägt, aus der Feder ihres Wiener Kor-
reſpondenten mit Berufung auf maßgebende Wiener
Kreiſe ziemlich verhüllte, aber genügend durchſichtige
Verdächtigungen gegen Serbien vor, gegen welches auch
Drohungen gerichtet werden. Erſt wenn gegen uns
klare, poſitive Anklagen vorgebracht werden, werden
wir Zeit zur Ausſprache haben. Schon jetzt können wir
aber ſagen, daß uns unberechtigte Verdächtigungen und
Beleidigungen nicht berühren und daß wir die vorge-
brachten Drohungen nicht ernſt nehmen

können. Heute wenigſtens hat in Serbien die Ueber-
zeugung Wurzel gefaßt, daß Serbien wegen ſeiner zahl-
reichen wichtigen Intereſſen in guten Beziehungen mit
Oeſterreich-Ungarn ſtehen und ſich jeden Schrittes ent-
halten muß, der eine allgemeine ſcharfe Verurteilung
bei allen Völkern erfährt. Dieſer Ueberzeugung gab auch
die ſerbiſche Regierung durch ihr Entgegenkommen
gegenüber den Forderungen Oeſterreich-Ungarns ſicht-
baren und klaren Ausdruck. Das iſt ein genügend
ernſtes Element, um mit Zuverſicht erwarten zu kön-
nen, daß man mit ihm auch an maßgebenden Stellen in
Wien rechnen werde. Ebenſo im Namen der großen und
wichtigen in Frage ſtehenden Intereſſen müſſen wir
ſagen, daß wir die rohe, durch nichts gerechtfer-
tigte
Malträtierung der unſchuldigen
Serben in Bosnien und der Herze-
govina
als ſchweren politiſchen Fehler betrachten.
Gegenwärtig ſind wir noch geneigt zu glauben, daß dies
die Frucht der engen Auffaſſungen der niederen be-
hördlichen Organeindieſen Ländern
iſt,
welche ſich ihrer Schuld bewußt ſind, daß ſie das
Unglück nicht zu verhüten verſtanden haben, und welche
ihre Schuld vor den Vorgeſetzten zu verringern hoffen,
indem ſie ſich bemühen, dieſelben zu überzeugen, daß an
dem Unglück die ganze Welt ſchuld iſt, nur nicht ſie
ſelbſt. Unſer aufrichtider Wunſch iſt, daß die Verhält-
niſſe in Bosnien und der Herzegovina ſo bald als
möglich zur normalen Ordnung zurückkehren. Eine
gewiſſe Störung in den Beziehungen zwiſchen Serbien
und Oeſterreich als Frucht des uns nicht erwünſchten
Unglücks kann beſeitigt werden und wir hoffen, daß ſie
raſch beſeitigt werden wird durch die aufrichtige und
ernſte Bekämpfung eines Uebels, das in allen Ländern,
demnach auch in Serbien, auftaucht.

Das jungradikale Parteiorgan führt in
einem „Weiß man in Wien, was man will?“ betitelten
Artikel aus, daß in Wien in der ſogenannten ſerbiſchen
Politik ſtändig Fehler begangen werden. Beſtünde
dieſer Gefühlsmangel nicht, der gefährlicher als Farben-
blindheit für die Leiter von Schiffen und Eiſenbahn-
zügen iſt, dann beſtünde auch in der
inneren und äußeren Politik Oeſter-
reich-Ungarns nicht ein ſo großer
Mangel an Klugheit
und in dem Urteil
der Wiener öffentlichen Meinung nicht ein ſo
großer Mangel an Einſicht.
Beſtünde
dieſer Mangel an Klugheit nicht, dann hätte
man den Erzherzog Franz Ferdinand nicht am
Tage des nationalen Enthuſiasmus nach Sarajevo
geſendet, um eine brutale Manifeſtation
der Gewalt und Unterwerfung zu
feiern.
Dieſer brutale Akt war eine brutale
Herausforderung
und mußte(!) brutale
Gefühle des Widerſtandes, des Haſſes und der Rache
herausfordern. Die Tatſache, daß es zu einem Vanda-
lismus des Pöbels gegen die Serben kommen konnte,
iſt genügend für die Diagnoſe der unheil-
baren Krankheit der Monarchie.
In
dieſem ſchon ſeit langen kranken Organismus iſt das
Bewußtſein von Rückſichten und Pflichten getrübt. Mit
dem Verſtande eines Huhnes kann man begreifen, daß
mit ſo hyſteriſchen Manieren kein Haus, geſchweige
denn ein Staat von 50 Millionen geleitet werden kann.

Das nationaliſtiſche Parteiorgan „Srpska
Zaſtava“ ſchreibt in einem Artikel, betitelt „Verdächti-
gungen und Drohungen“: Man will in Wien den erſten
Augenblick des Schmerzes über den verlorenen Thron-
folger gegen das ſerbiſche Volk und gegen Serbien aus-
nützen. Es ſcheint jedoch, daß dieſe Aktion mißlingen
werde. Das Attentat ſtellt ſich immer mehr als
ein Erzeugnis der ungeſunden Ver-
hältniſſe in der Monarchie
dar.

Das fortſchrittliche Blatt „Pravda“
führt aus: Es iſt nunmehr klar, daß Wien das un-
glückliche Ereignis zur Ausrottung der
Serben aus den ſerbiſchen Ländern

der Habsburger Monarchie ausnützen will. Die öſter-
reichiſch-ungariſche Polizei hetzt die zahlreichen
Hungerleider
in der Monarchie unter dem Namen
von Mohammedanern und Kroaten auf das ſerbiſche
Volk, um zu plündern. Ein exaltierter fanatiſcher
Jüngling hat einen öſterreichiſchen Erzherzog erſchoſſen
[Spaltenumbruch] jedenfalls haben die Gerichte zu ſprechen, aber nicht
Strolche und Räuber, unter denen ſich
verkleidete Gendarmen befinden. Die
Plünderungen in Bosnien ſtellen Oeſterreich-
Ungarn als anarchiſchen Staat dar.

Das plündernde Geſindel wurde von der Polizei in
Sarajevo immer in Gaſſen abgedrängt, wo es weiter
plündern konnte. Die Wiener Politik iſt zyniſch. Sie
beutet den tragiſchen Tod des unglücklichen Paares für
ſeine abſcheulichen Ziele gegen das ſerbiſche Volk aus.

Infame Verdächtigungen. — Attentatsankündi-
gungen eines Exminiſters.


Die „Agence des Balkans“ meldet aus Belgrad:
Die in Bosnien und der Herzegovina gegen die Serben
verübten Verbrechen ſind unter den Auſpizien und auf
direkte Anſtiftung der öſterreichiſch-
ungariſchen Zivil- und Militär-
behörden(!)
begangen worden.


Im „Journal“ äußert ſich der ehemalige ſerbiſche
Miniſter Stojanovic u. a.: „Ich kann nur ſagen,
daß in Serbien eine tiefgehende Unzufriedenheit über
die Verwaltung Oeſterreich-Ungarns in Bosnien und der
Herzegovina herrſcht. Wir Serben proteſtieren dagegen
und wollen Europa auf die Unhaltbarkeit der
dortigen Verhältniſſe(!)
aufmerkſam
machen. Gewaltakte irgend welcher Art verdammen wir.
Die Verhältniſſe in Bosnien und der Herzegovina
müſſen von Grund aus geändert werden, denn ſonſt
wird die ſerbiſche Bevölkerung fortfahren zu
verſuchen, die notwendigen Reformen
durch Attentate zu erreichen.
Von dem
Tode des Erzherzogs Franz Ferdinand hat Serbien
keinen Nutzen.“




Die zwei großſerbiſchen Ideen.


Der „Czas“ veröffentlicht eine „von maßgebender
Stelle ſtammende“ Darſtellung der Verhältniſſe in
Bosnien, in welcher es u. a. heißt:

„Es wäre ein Irrtum, zu glauben, daß Bosnien
und Herzegovina ſich im Zuſtande einer revolutionären
Gärung befinden. Man muß ſich gegenwärtig halten,
daß zwei großſerbiſche Ideen beſtehen:
Eine entſtand in Serbien, die andere in
Oeſterreich-Ungarn. Erſtere Idee will Bosnien,
die Herzegovina, Dalmatien und Kroatien
mit Serbien vereinen, die letztere Idee hat den
Trialismus zum Vorbild, und zwar unter dem
Zepter der Habsburger Dynaſtie. Seit dem Jahre 1878
hat Oeſterreich großartige Erfolge ſeines zielbewußten
Regimes in dieſen Ländern erzielt. Aber eben dieſe
Rieſenfortſchritte ſind es, welche die Belgrader „Groß-
ſerben“ beunruhigen. Ihnen handelt es ſich einzig nur
darum, daß Belgrad mehr Anziehungskraft als Sarajevo
erlange, und was ſie auch immer unternahmen, dieſe
Frage wurde immer zugunſten der Metropole von
Bosnien entſchieden. Um der größeren Anziehungskraft
der Monarchie zu begegnen, griff man in Belgrad zur
Ausbeutung des religiöſen Fanatismus.
Trotz der gewiſſenhafteſt beſchützten Gleichberechtigung
aller drei Konfeſſionen in Bosnien und Herzegowina
verbreiteten die ſerbiſchen Agents provokatenro das
Gerücht, als ob Oeſterreich die Miſſion übernommen
habe. Bosnien und Herzegovina, dem Katholizismus
unterzuordnen und als Perſonifikation dieſer Katholi-
zierung Bosniens und der Hercegovina wurde der er-
mordete Erzherzog Thronfolger hingeſtellt. Da aber trotz
dieſer Hetze die Loyalität zur Monarchie in den annek-
tierten Ländern erſtarkte, haben die Belgrader Hetzer
ihre Tätigkeit auf dem Gebiete der konfeſſionellen Auf-
reizung erhöht und es im Laufe der Zeit tatſächlich auch
dahin gebracht, daß die Bevölkerung in zwei Lager
geſpalten erſcheint, wobei Erzherzog-Thronfolger Franz
Ferdinand als der Repräſentant des Trialis-
mus und der Katholiſierung hingeſtellt wurde.
Die in Belgrad gegoſſene Kugel, welche den Erzherzog-
Thronfolger aus der Welt ſchaffte, ſollte nach der
Meinung der Mörder und deren Hintermänner jeden
Gedanken an eine Führerſchaft des Südſlaventums durch
Oeſterreich-Ungarn töten. Im Kampfe in Bosnien ſtehen
ſich eben zwei Weltanſchauungen gegenüber: Der Oſten
gegen Weſten. Erſterer hat die Hand des Mörders be-
waffnet, aber Serbien hat dort tatſächlich keine An-
ziehungskraft und es beabſichtigt auch gar nicht, einen
Aufſtand hervorzurufen und es kämpft nur mit
Bomben und Revolver.
Die Verhältniſſe
zwiſchen dem kleinen Serbien und der Monarchie ſind
ſeit Jahren geſpannt und die Schüſſe in Belgrad können
ein Echo hervorrufen, das für den europäiſchen Frieden
Böſes verheißend wäre.




Serbiens Vormund.
(Drahtmeldung der „Reichspoſt“.)


Die polniſche konſervative „Gazeta Narodowa“
ſchreibt: Seit der erſten Nachricht von dem Mord in
Sarajevo haben ſich alle Augen nach Ruß-
land
gewendet. Rußland iſt der politiſche Berater
Serbiens, ſein Vormund. Rußland beſeitigt auch
gern ſeine Feinde durch Meuchelmord. Serbien iſt ſomit
nicht nur in politiſcher Hinſicht eine Expoſitur
Rußlands. Die Mördergrube in Serbien iſt nur
eine Filiale Rußlands. Die ſerbiſchen
Königsmörder ſind nur Nachahmer der
ruſſiſchen Königsmörder. Rußland, das Land der
Abſolutismus und der Revolution, das Land der
[Spaltenumbruch] Ochrana und des Nihilismus iſt das natürliche Vater-
land des politiſchen Mordes. Die Serben ſind zwar ein
altes Volk, aber die hundertjährige Gefangenſchaft mußte
auf ihren Charakter das Stigma der Niederträchtigkeit
aufdrücken. Es wird noch viel Waſſer in der Donau
verrinnen, ehe das Gift, das im edlen ſlaviſchen Blute
fließt, verſchwinden wird.

Die widerruſene Konfiskation.


„Piemont“ berichtet, daß die von der Polizei ver-
fügte Konſiskation des vorgeſtrigen Artikels des Blattes
„Nach Zerajic Princip“ von der erſten
Inſtanz des Belgrader Gerichtes
annulliert wurde.




Stimmen des Auslandes.
Reichsdeutſche Befürchtungen. — Judet über
die Serben.
(Drahtbericht der „Reichspoſt“.)


Mehrere deutſche Blätter bezeichnen in ihren
Artikeln die Situation, wie ſie durch das Ereignis von
Sarajevo beleuchtet worden iſt, als gefährlich. Der
„Hamburgiſche Korreſpondent“ ſagt, Europa könne ſich
nach den blutigen Ereigniſſen von Sarajevo an keiner
Stelle mehr der Tatſache der von dem Großſerbentum
der Monarchie drohenden Gefahr entziehen. Die
„Hamburger Nachrichten“ ſagen, daß gegen das
Habsburgerreich ein ſtiller Krieg
im Frieden
geführt werde und daß die
Pflicht der Selbſterhaltung gebiete, ſich rück-
ſichtslos und energiſch
dagegen
zu verteidigen. Das Blatt kommt dann auf die
dem Deutſchen Reiche drohenden Gefahren zu ſprechen
und ſchließt, Oeſterreich-Ungarn wolle jetzt den Treibereien
an ſeiner Oſtflanke zaglos entgegentreten und auch darin
habe es die Sympathien ſeines Verbündeten
und Schickſalsgenoſſen,
des Deutſchen
Reiches, für ſich. — Die „Berliner Neueſten Nach-
richten“ bemerken, daß angeſichts der beinahe ſträf-
lichen Schwäche der öſterreichiſch-
ungariſchen Behörden gegen über der
hochverräteriſchen großſerbiſchen
Propaganda
in Bosnien der Belgrader Preßlärm
von einer echt ſerbiſchen Dreiſtigkeit ſei.

(Drahtmeldung der „Reichspoſt“.)


Im „Eclair“ ſchreibt E. Judet: Der Bericht
der Carnegikommiſſion über die während des Balkan-
krieges begangenen Greueltaten zeige, daß ins-
beſondere die Serben
ſich wilder
Beſtialität
ſchuldig gemacht hätten. Man könne
ſich nicht wundern, daß derartige blutdürſtige
Raſſen im Frieden Mörder im Ueber-
fluß liefern.
Dies müſſe angeſichts des Attentats
von Sarajevo geſagt werden. In Frankreich werde man
jetzt dem verſtorbenen Erzherzog gerechter als zu ſeinen
Lebzeiten.




Unterſuchung gegen Studenten in Wien.

Seit geſtern weilt der Kommiſſär der Laibacher
Polizeidirektion, Skubel, hier und führt mit Unter-
ſtützung der Wiener Staatspolizei eine umfaſſende Unter-
ſuchung unter den hieſigen nationaliſtiſchen ſerbiſchen Stu-
denten durch. Bekanntlich ſind vor mehreren Tagen in
Laibach mehrere Mittelſchüler unter der Beſchul-
digung, einer irredentiſtiſchen nationaliſtiſchen Organi-
ſation anzugehören, verhaftet worden. Auf Grund der in
Laibach ermittelten Ergebniſſe wurden in Wien bei zahl-
reichen ſloveniſchen Studenten Hausdurchſuchungen vor-
genommen und geſtern abend wurde ein aus Krain
ſtammen der Juriſt
verhaftet. Heute morgen wurde
ein zweiter Student in Haft genommen. Bei einigen
Studenten wurden gelegentlich der Hausdurch-
ſuchungen
Korreſpondenzen ſowie ſtudentiſche Zeit-
ſchriften ſaiſiert und namentlich alle ſerbiſchen
Bücher,
die ſich bei den Verdächtigen befanden, beſchlag-
nahmt. Nach einem eingehenden Verhöre wurden heute
die beiden Verhafteten freigelaſſen. Die Unterſuchung gegen
ſie wird jedoch weitergeführt. Es verlautet, daß die Unter-
ſuchung eingeleitet wurde, welche die von der „Reichs-
poſt“
bereits wiederholt beſprochene ſüdſlaviſche
„Omladina“, auf die wir ſchon vor Wochen vor dem Atten-
tate nachdrücklich hinwieſen, betrifft.




Politiſche Rundſchau.
Oeſterreich-Ungarn.

Neue Herrenhausmitglieder.

Wie wir erfahren, ſind der Fürſt-Großprior
des ſonveränen Malteſer-Ritterordens Fra Rudolf
zu Hardegg zu Glatz und im
Machlande
und der Präſident des evangeliſchen Ober-
kirchenrates A. und H. B. Sektionschef Dr. Wolfgang
Haaſe
als lebenslängliche Mitglieder in das Herrenhaus
des Reichsrates berufen worden. Die Ernennung der
beiden Genannten erfolgte ſchon jetzt, um die Zahl der
Herrenhausmitglieder, die auf 148 geſunken iſt, wieder
auf die erforderliche Mindeſtzahl von 150 zu bringen. Ein
weiterer größerer Pairsſchub ſteht bevor. —
Fürſt-Großprior Fr[a] Rudolf zu Hardegg iſt 1851
geboren, trat 1879 in den Malteſer-Ritterorden und wurde
1898 zum außerordentlichen Geſandten und bevollmächtig-
ten Miniſter dieſes Ordens am Ah. Hofe ernannt, welchen
Poſten er bis zu ſeiner im Februar d. J. erfolgten Wahl
zum Fürſt-Großprior von Böhmen und Oeſterreich inne-
hatte. Während ſeiner 35 Jahre umfaſſenden Tätigkeit im

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[7/0007] Nr. 308 Wien, Samstag Reichspoſt 4. Juli 1914 zuerſt Betroffenen unter der ſchweren Depreſſion des furchtbaren Ereigniſſes ſehr ſchwer ſei, volle Geiſtesgegenwart und klare Urteils- fähigkeit zu bewahren. Deshalb müſſen die erſten, zweifellos verfehlten Handlungen von dieſer Seite mit einer gewiſſen Milde beurteilt werden. Trotzdem darf nicht vergeſſen werden, daß übereilte Konzep- tionen über die Urheber und Initiatoren des Ver- brechens das ſchon geſchehene Uebel nicht gut machen. Deshalb ſind bei ſolchen Gelegenheiten Gelaſſenheit und Geiſtesgegenwart eine Notwendigkeit erſter Ordnung. In den öſterreichiſchen und ungariſchen Blättern wird teils mittelbar, teils ganz offen der Verdacht geäußert, daß Serbien in das Sarajevoer Verbrechen ver- wickelt ſei. Die „Frankfurter Zeitung“ bringt ſogar an einer Stelle, für welche nur die Redaktion die Verant- wortung trägt, aus der Feder ihres Wiener Kor- reſpondenten mit Berufung auf maßgebende Wiener Kreiſe ziemlich verhüllte, aber genügend durchſichtige Verdächtigungen gegen Serbien vor, gegen welches auch Drohungen gerichtet werden. Erſt wenn gegen uns klare, poſitive Anklagen vorgebracht werden, werden wir Zeit zur Ausſprache haben. Schon jetzt können wir aber ſagen, daß uns unberechtigte Verdächtigungen und Beleidigungen nicht berühren und daß wir die vorge- brachten Drohungen nicht ernſt nehmen können. Heute wenigſtens hat in Serbien die Ueber- zeugung Wurzel gefaßt, daß Serbien wegen ſeiner zahl- reichen wichtigen Intereſſen in guten Beziehungen mit Oeſterreich-Ungarn ſtehen und ſich jeden Schrittes ent- halten muß, der eine allgemeine ſcharfe Verurteilung bei allen Völkern erfährt. Dieſer Ueberzeugung gab auch die ſerbiſche Regierung durch ihr Entgegenkommen gegenüber den Forderungen Oeſterreich-Ungarns ſicht- baren und klaren Ausdruck. Das iſt ein genügend ernſtes Element, um mit Zuverſicht erwarten zu kön- nen, daß man mit ihm auch an maßgebenden Stellen in Wien rechnen werde. Ebenſo im Namen der großen und wichtigen in Frage ſtehenden Intereſſen müſſen wir ſagen, daß wir die rohe, durch nichts gerechtfer- tigte Malträtierung der unſchuldigen Serben in Bosnien und der Herze- govina als ſchweren politiſchen Fehler betrachten. Gegenwärtig ſind wir noch geneigt zu glauben, daß dies die Frucht der engen Auffaſſungen der niederen be- hördlichen Organeindieſen Ländern iſt, welche ſich ihrer Schuld bewußt ſind, daß ſie das Unglück nicht zu verhüten verſtanden haben, und welche ihre Schuld vor den Vorgeſetzten zu verringern hoffen, indem ſie ſich bemühen, dieſelben zu überzeugen, daß an dem Unglück die ganze Welt ſchuld iſt, nur nicht ſie ſelbſt. Unſer aufrichtider Wunſch iſt, daß die Verhält- niſſe in Bosnien und der Herzegovina ſo bald als möglich zur normalen Ordnung zurückkehren. Eine gewiſſe Störung in den Beziehungen zwiſchen Serbien und Oeſterreich als Frucht des uns nicht erwünſchten Unglücks kann beſeitigt werden und wir hoffen, daß ſie raſch beſeitigt werden wird durch die aufrichtige und ernſte Bekämpfung eines Uebels, das in allen Ländern, demnach auch in Serbien, auftaucht. Das jungradikale Parteiorgan führt in einem „Weiß man in Wien, was man will?“ betitelten Artikel aus, daß in Wien in der ſogenannten ſerbiſchen Politik ſtändig Fehler begangen werden. Beſtünde dieſer Gefühlsmangel nicht, der gefährlicher als Farben- blindheit für die Leiter von Schiffen und Eiſenbahn- zügen iſt, dann beſtünde auch in der inneren und äußeren Politik Oeſter- reich-Ungarns nicht ein ſo großer Mangel an Klugheit und in dem Urteil der Wiener öffentlichen Meinung nicht ein ſo großer Mangel an Einſicht. Beſtünde dieſer Mangel an Klugheit nicht, dann hätte man den Erzherzog Franz Ferdinand nicht am Tage des nationalen Enthuſiasmus nach Sarajevo geſendet, um eine brutale Manifeſtation der Gewalt und Unterwerfung zu feiern. Dieſer brutale Akt war eine brutale Herausforderung und mußte(!) brutale Gefühle des Widerſtandes, des Haſſes und der Rache herausfordern. Die Tatſache, daß es zu einem Vanda- lismus des Pöbels gegen die Serben kommen konnte, iſt genügend für die Diagnoſe der unheil- baren Krankheit der Monarchie. In dieſem ſchon ſeit langen kranken Organismus iſt das Bewußtſein von Rückſichten und Pflichten getrübt. Mit dem Verſtande eines Huhnes kann man begreifen, daß mit ſo hyſteriſchen Manieren kein Haus, geſchweige denn ein Staat von 50 Millionen geleitet werden kann. Das nationaliſtiſche Parteiorgan „Srpska Zaſtava“ ſchreibt in einem Artikel, betitelt „Verdächti- gungen und Drohungen“: Man will in Wien den erſten Augenblick des Schmerzes über den verlorenen Thron- folger gegen das ſerbiſche Volk und gegen Serbien aus- nützen. Es ſcheint jedoch, daß dieſe Aktion mißlingen werde. Das Attentat ſtellt ſich immer mehr als ein Erzeugnis der ungeſunden Ver- hältniſſe in der Monarchie dar. Das fortſchrittliche Blatt „Pravda“ führt aus: Es iſt nunmehr klar, daß Wien das un- glückliche Ereignis zur Ausrottung der Serben aus den ſerbiſchen Ländern der Habsburger Monarchie ausnützen will. Die öſter- reichiſch-ungariſche Polizei hetzt die zahlreichen Hungerleider in der Monarchie unter dem Namen von Mohammedanern und Kroaten auf das ſerbiſche Volk, um zu plündern. Ein exaltierter fanatiſcher Jüngling hat einen öſterreichiſchen Erzherzog erſchoſſen jedenfalls haben die Gerichte zu ſprechen, aber nicht Strolche und Räuber, unter denen ſich verkleidete Gendarmen befinden. Die Plünderungen in Bosnien ſtellen Oeſterreich- Ungarn als anarchiſchen Staat dar. Das plündernde Geſindel wurde von der Polizei in Sarajevo immer in Gaſſen abgedrängt, wo es weiter plündern konnte. Die Wiener Politik iſt zyniſch. Sie beutet den tragiſchen Tod des unglücklichen Paares für ſeine abſcheulichen Ziele gegen das ſerbiſche Volk aus. Infame Verdächtigungen. — Attentatsankündi- gungen eines Exminiſters. Paris, 3. Juli. Die „Agence des Balkans“ meldet aus Belgrad: Die in Bosnien und der Herzegovina gegen die Serben verübten Verbrechen ſind unter den Auſpizien und auf direkte Anſtiftung der öſterreichiſch- ungariſchen Zivil- und Militär- behörden(!) begangen worden. Paris, 3. Juli. (Privat.) Im „Journal“ äußert ſich der ehemalige ſerbiſche Miniſter Stojanovic u. a.: „Ich kann nur ſagen, daß in Serbien eine tiefgehende Unzufriedenheit über die Verwaltung Oeſterreich-Ungarns in Bosnien und der Herzegovina herrſcht. Wir Serben proteſtieren dagegen und wollen Europa auf die Unhaltbarkeit der dortigen Verhältniſſe(!) aufmerkſam machen. Gewaltakte irgend welcher Art verdammen wir. Die Verhältniſſe in Bosnien und der Herzegovina müſſen von Grund aus geändert werden, denn ſonſt wird die ſerbiſche Bevölkerung fortfahren zu verſuchen, die notwendigen Reformen durch Attentate zu erreichen. Von dem Tode des Erzherzogs Franz Ferdinand hat Serbien keinen Nutzen.“ Die zwei großſerbiſchen Ideen. Krakau, 3. Juli. (Privat.) Der „Czas“ veröffentlicht eine „von maßgebender Stelle ſtammende“ Darſtellung der Verhältniſſe in Bosnien, in welcher es u. a. heißt: „Es wäre ein Irrtum, zu glauben, daß Bosnien und Herzegovina ſich im Zuſtande einer revolutionären Gärung befinden. Man muß ſich gegenwärtig halten, daß zwei großſerbiſche Ideen beſtehen: Eine entſtand in Serbien, die andere in Oeſterreich-Ungarn. Erſtere Idee will Bosnien, die Herzegovina, Dalmatien und Kroatien mit Serbien vereinen, die letztere Idee hat den Trialismus zum Vorbild, und zwar unter dem Zepter der Habsburger Dynaſtie. Seit dem Jahre 1878 hat Oeſterreich großartige Erfolge ſeines zielbewußten Regimes in dieſen Ländern erzielt. Aber eben dieſe Rieſenfortſchritte ſind es, welche die Belgrader „Groß- ſerben“ beunruhigen. Ihnen handelt es ſich einzig nur darum, daß Belgrad mehr Anziehungskraft als Sarajevo erlange, und was ſie auch immer unternahmen, dieſe Frage wurde immer zugunſten der Metropole von Bosnien entſchieden. Um der größeren Anziehungskraft der Monarchie zu begegnen, griff man in Belgrad zur Ausbeutung des religiöſen Fanatismus. Trotz der gewiſſenhafteſt beſchützten Gleichberechtigung aller drei Konfeſſionen in Bosnien und Herzegowina verbreiteten die ſerbiſchen Agents provokatenro das Gerücht, als ob Oeſterreich die Miſſion übernommen habe. Bosnien und Herzegovina, dem Katholizismus unterzuordnen und als Perſonifikation dieſer Katholi- zierung Bosniens und der Hercegovina wurde der er- mordete Erzherzog Thronfolger hingeſtellt. Da aber trotz dieſer Hetze die Loyalität zur Monarchie in den annek- tierten Ländern erſtarkte, haben die Belgrader Hetzer ihre Tätigkeit auf dem Gebiete der konfeſſionellen Auf- reizung erhöht und es im Laufe der Zeit tatſächlich auch dahin gebracht, daß die Bevölkerung in zwei Lager geſpalten erſcheint, wobei Erzherzog-Thronfolger Franz Ferdinand als der Repräſentant des Trialis- mus und der Katholiſierung hingeſtellt wurde. Die in Belgrad gegoſſene Kugel, welche den Erzherzog- Thronfolger aus der Welt ſchaffte, ſollte nach der Meinung der Mörder und deren Hintermänner jeden Gedanken an eine Führerſchaft des Südſlaventums durch Oeſterreich-Ungarn töten. Im Kampfe in Bosnien ſtehen ſich eben zwei Weltanſchauungen gegenüber: Der Oſten gegen Weſten. Erſterer hat die Hand des Mörders be- waffnet, aber Serbien hat dort tatſächlich keine An- ziehungskraft und es beabſichtigt auch gar nicht, einen Aufſtand hervorzurufen und es kämpft nur mit Bomben und Revolver. Die Verhältniſſe zwiſchen dem kleinen Serbien und der Monarchie ſind ſeit Jahren geſpannt und die Schüſſe in Belgrad können ein Echo hervorrufen, das für den europäiſchen Frieden Böſes verheißend wäre. Serbiens Vormund. (Drahtmeldung der „Reichspoſt“.) Lemberg, 3. Juli. Die polniſche konſervative „Gazeta Narodowa“ ſchreibt: Seit der erſten Nachricht von dem Mord in Sarajevo haben ſich alle Augen nach Ruß- land gewendet. Rußland iſt der politiſche Berater Serbiens, ſein Vormund. Rußland beſeitigt auch gern ſeine Feinde durch Meuchelmord. Serbien iſt ſomit nicht nur in politiſcher Hinſicht eine Expoſitur Rußlands. Die Mördergrube in Serbien iſt nur eine Filiale Rußlands. Die ſerbiſchen Königsmörder ſind nur Nachahmer der ruſſiſchen Königsmörder. Rußland, das Land der Abſolutismus und der Revolution, das Land der Ochrana und des Nihilismus iſt das natürliche Vater- land des politiſchen Mordes. Die Serben ſind zwar ein altes Volk, aber die hundertjährige Gefangenſchaft mußte auf ihren Charakter das Stigma der Niederträchtigkeit aufdrücken. Es wird noch viel Waſſer in der Donau verrinnen, ehe das Gift, das im edlen ſlaviſchen Blute fließt, verſchwinden wird. Die widerruſene Konfiskation. Belgrad, 3. Juli. „Piemont“ berichtet, daß die von der Polizei ver- fügte Konſiskation des vorgeſtrigen Artikels des Blattes „Nach Zerajic Princip“ von der erſten Inſtanz des Belgrader Gerichtes annulliert wurde. Stimmen des Auslandes. Reichsdeutſche Befürchtungen. — Judet über die Serben. (Drahtbericht der „Reichspoſt“.) Berlin, 3. Juli. Mehrere deutſche Blätter bezeichnen in ihren Artikeln die Situation, wie ſie durch das Ereignis von Sarajevo beleuchtet worden iſt, als gefährlich. Der „Hamburgiſche Korreſpondent“ ſagt, Europa könne ſich nach den blutigen Ereigniſſen von Sarajevo an keiner Stelle mehr der Tatſache der von dem Großſerbentum der Monarchie drohenden Gefahr entziehen. Die „Hamburger Nachrichten“ ſagen, daß gegen das Habsburgerreich ein ſtiller Krieg im Frieden geführt werde und daß die Pflicht der Selbſterhaltung gebiete, ſich rück- ſichtslos und energiſch dagegen zu verteidigen. Das Blatt kommt dann auf die dem Deutſchen Reiche drohenden Gefahren zu ſprechen und ſchließt, Oeſterreich-Ungarn wolle jetzt den Treibereien an ſeiner Oſtflanke zaglos entgegentreten und auch darin habe es die Sympathien ſeines Verbündeten und Schickſalsgenoſſen, des Deutſchen Reiches, für ſich. — Die „Berliner Neueſten Nach- richten“ bemerken, daß angeſichts der beinahe ſträf- lichen Schwäche der öſterreichiſch- ungariſchen Behörden gegen über der hochverräteriſchen großſerbiſchen Propaganda in Bosnien der Belgrader Preßlärm von einer echt ſerbiſchen Dreiſtigkeit ſei. (Drahtmeldung der „Reichspoſt“.) Paris, 3. Juli. Im „Eclair“ ſchreibt E. Judet: Der Bericht der Carnegikommiſſion über die während des Balkan- krieges begangenen Greueltaten zeige, daß ins- beſondere die Serben ſich wilder Beſtialität ſchuldig gemacht hätten. Man könne ſich nicht wundern, daß derartige blutdürſtige Raſſen im Frieden Mörder im Ueber- fluß liefern. Dies müſſe angeſichts des Attentats von Sarajevo geſagt werden. In Frankreich werde man jetzt dem verſtorbenen Erzherzog gerechter als zu ſeinen Lebzeiten. Unterſuchung gegen Studenten in Wien. Seit geſtern weilt der Kommiſſär der Laibacher Polizeidirektion, Skubel, hier und führt mit Unter- ſtützung der Wiener Staatspolizei eine umfaſſende Unter- ſuchung unter den hieſigen nationaliſtiſchen ſerbiſchen Stu- denten durch. Bekanntlich ſind vor mehreren Tagen in Laibach mehrere Mittelſchüler unter der Beſchul- digung, einer irredentiſtiſchen nationaliſtiſchen Organi- ſation anzugehören, verhaftet worden. Auf Grund der in Laibach ermittelten Ergebniſſe wurden in Wien bei zahl- reichen ſloveniſchen Studenten Hausdurchſuchungen vor- genommen und geſtern abend wurde ein aus Krain ſtammen der Juriſt verhaftet. Heute morgen wurde ein zweiter Student in Haft genommen. Bei einigen Studenten wurden gelegentlich der Hausdurch- ſuchungen Korreſpondenzen ſowie ſtudentiſche Zeit- ſchriften ſaiſiert und namentlich alle ſerbiſchen Bücher, die ſich bei den Verdächtigen befanden, beſchlag- nahmt. Nach einem eingehenden Verhöre wurden heute die beiden Verhafteten freigelaſſen. Die Unterſuchung gegen ſie wird jedoch weitergeführt. Es verlautet, daß die Unter- ſuchung eingeleitet wurde, welche die von der „Reichs- poſt“ bereits wiederholt beſprochene ſüdſlaviſche „Omladina“, auf die wir ſchon vor Wochen vor dem Atten- tate nachdrücklich hinwieſen, betrifft. Politiſche Rundſchau. Oeſterreich-Ungarn. Wien, 3. Juli Neue Herrenhausmitglieder. Wie wir erfahren, ſind der Fürſt-Großprior des ſonveränen Malteſer-Ritterordens Fra Rudolf zu Hardegg zu Glatz und im Machlande und der Präſident des evangeliſchen Ober- kirchenrates A. und H. B. Sektionschef Dr. Wolfgang Haaſe als lebenslängliche Mitglieder in das Herrenhaus des Reichsrates berufen worden. Die Ernennung der beiden Genannten erfolgte ſchon jetzt, um die Zahl der Herrenhausmitglieder, die auf 148 geſunken iſt, wieder auf die erforderliche Mindeſtzahl von 150 zu bringen. Ein weiterer größerer Pairsſchub ſteht bevor. — Fürſt-Großprior Fra Rudolf zu Hardegg iſt 1851 geboren, trat 1879 in den Malteſer-Ritterorden und wurde 1898 zum außerordentlichen Geſandten und bevollmächtig- ten Miniſter dieſes Ordens am Ah. Hofe ernannt, welchen Poſten er bis zu ſeiner im Februar d. J. erfolgten Wahl zum Fürſt-Großprior von Böhmen und Oeſterreich inne- hatte. Während ſeiner 35 Jahre umfaſſenden Tätigkeit im

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Zitationshilfe: Reichspost. Nr. 308, Wien, 04.07.1914, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_reichspost308_1914/7>, abgerufen am 21.11.2024.