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Reichspost. Nr. 495, Wien, 20.10.1913.

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Nr. 495 Wien, Montag Reichspost 20. Oktober 1913.

[Spaltenumbruch] Leopold, die Söhne des Erzherzogs Karl Stefan
Erzherzog Karl Albrecht, Erzherzog Leo und
Erzherzog Wilhelm, der französische Botschafter
Dumaine, der spanische Botschafter Marquis de
Herrera, Obersthofmeister Graf Orsini-Rosen-
berg,
Minister des Innern Freiherr v. Heinold,
Eisenbahnminister Freiherr v. Forster, Armeeinspektor
G. d. J. Ritter v. Frank, G. d. J. Freiherr von
Albori, Korpskommandant G. d. J. Ritter v. Ziegler,
Verkehrstruppen-Brigadekommandant FML. Schleyer,
die Feldmarschalleutnants v. Abele, Ritter v. Böhm
und Freiherr v. Kirchbach, die Generalmajore
Tertain, v. Fraß, v. Glotz und Glossauer,
der gewesene Bürgermeister Dr. Neumayer, die
Stadräte Dechant und Wippel, GR. Gussen-
bauer,
die Sektionschefs Freiherr v. Pitner und
Clobocnik, ferner Johann Franz Graf Ceschi,
Felix und Josef Graf Thun-Hohenstein, Richard
Graf Orssich, Wilhelm Graf Kolowrat, Ferdi-
nand Graf Kinsky, Polizeipräsident Hofrat Freiherr
v. Gorup, der Chef des Sicherheitsbureaus Hofrat
Stukart, der Direktor der städtischen Straßenbahnen
Ingenieur Spängler, Oberstadtphysikus Ober-
sanitätsrat Dr. Böhm, unter dessen Leitung der
Sanitätsdienst stand, Präsidialvorstand MR. Formanek.

Um 1/24 Uhr zeigte ein Böllerschuß den Beginn
des Schaufluges
an. Pegoud hatte vorher
seine Flugmaschine peinlichst genau untersucht. Lächelnd
schwingt sich der kühne Pilot in den Lenksitz, in dem er
sich wieder festschnallen läßt. Der Motor beginnt seine
weithin höroare Arbeit und der Flieger macht in einer
Höhe von wenigen Metern eine Runde um das Flug-
feld, fortwährend mit der Hand dem Publikum zawinkend,
das nicht müde wird, die Grüße lebhaft zu erwidern.

Dann steigt der todesmutige Flieger auf seiner
graziösen Flugmaschine in die Lüfte und hat in
wenigen Minuten eine Höhe von ungefähr 600 Metern
erreicht, um hier sein außerordentliches Können zu
zeigen. Er stellt die Flügel des Apparates senkrecht zur
Erde und wiederholt das Umkippen und
Wiederaufrichten des Apparates
nach
der rechten und linken Seite. Dann schraubt Pegond
die Maschine auf über 800 Meter in die Höhe und
läßt sie nach vorne über seinen Kopf umkippen und
richtet sie mit Elan wieder auf. Dann macht er
vier Saltos, die stürmisch bejubelt werden.
Auf diese Weise nähert er sich dem Erdboden
auf einige hundert Meter, so daß das Knattern des
Motors wieder hörbar wird. Doch plötzlich verstummt
das Surren; Pegoud hat seinen Apparat zur Seite ge-
drückt und steht mit seinem Motor beinahe vertikal,
so in engen Spiralen, wie ein Bohrer, niedergleitend.
Dann reißt er den Motor wieder an und geht nachdem
er 10 Minuten geflogen, in elegantem Fluge zur Erde
nieder.

Funktionäre der Flugfeldgesellschaft und seine
Monteure fahren mit Autos heran. Pegoud, der von den
Gurten befreit, elastisch aus dem Lenksitz auf den Rasen
springt, erklärt, daß er wegen Verrußung einer Zünd-
kerze vorzeitig gelandet sei. Erzherzog Leopold
Salvator
spricht dem kühnen Flieger seine Aner-
kennung aus.

Nach einer knappen Viertelstunde ist die Maschine
wieder flugbereit und Pegoud macht einen zweiten
Flug in die Lüfte.
Er schraubt sich nahezu senk-
recht in die Höhe. Dann kippt er den Apparat nach
vorne um und macht bei abgestelltem Motor einen
packenden senkrechten Sturzflug.
Wieder steigt er, um in engen Spiralen Gleit- und
Sturzflüge auszuführen. Ein drittesmal steigt Pegoud
auf ungefähr 1000 Meter Höhe. Plötzlich sieht man,
wie sich der Kopf der Maschine stark nach abwärts
neigt, der Apparat überschlägt sich und Pegoud fliegt
mit dem Kopfe nach unten, die Räder des
Flugzeuges oben, eine weite Strecke über das Feld. Das
zunächst bangende maßlose Staunen verwandelt sich in
begeisterte Beifallsrufe, als der Flieger mit größter
Ruhe seine Flugmaschine wieder in die normale Lage
bringt.

Noch einmal steigt er höher, vollführt seinen welt-
berühmt gewordenen S-Flug, seine Spiralen
und Kurven. Dann kommt eine Glanzleistung des
Tages: Sechsmal hintereinander über-
schlägt sich Pegoud
mit seiner, wahre Wunder
der Technik vollführenden Maschine in raschen
Purzelbäumen.
Ein Jauchzen geht durch die
erschütterte und zugleich zu heller Begeisterung ent-
flammte Menge.

In kleinen Spiralen zwingt dann der beispiellos
mutige Flieger seinen Apparat in Erdnähe und betritt
nach halbstündigem Aufenthalte in seinem luftigen
Element lächelnd den Rasen.

Pegoud, vom Erzherzog Leopold Salvator
neuerlich aufs herzlichste beglückwünscht, macht in seinem
Auto stehend eine Runde vor der das Flugfeld dicht
umsäumenden. Zuschauermenge, die dem lebhaft
grüßenden Helden der Luft rauschende
Ovationen
bereitet.

Um 1/25 Uhr verkündete ein Böllerschuß das Ende
des überwältigenden Schauspieles.

Das wogende Abströmen der Massen
und die Bewältigung des riesigen
Fuhrwerksverkehres
gab der Wache und den
Organen der Straßenbahn ungemein viel zu schaffen.
Bis 7 Uhr abends staute sich die Menge bei der Halte-
stelle der Dampstramway.

Unfälle.

In den vom Stadtpysikat errichteten Sanitäts-
stationen gelangte zwei Fälle von Fingerquetschungen
[Spaltenumbruch] bei Wagenschlagen zur Behandlung. Die Rettungs-
gesellschaft intervenierte bei drei mit dem Fluge selbst
nicht in Zusammenhang stehenden Unfällen.

Auf dem Wagenaufstellungsplatze war ein Pferd
scheu geworden. Ein berittener Sicherheitswachmann
sprengte ihm nach, um größeres Unglück zu verhüten
und ritt dabei den 29jährigen Chauffeur Johann
Tlapak, Wellischgasse Nr. 4 wohnhaft, nieder.
Tlapak wurde am linken Handrücken verletzt.

Ein schwerer Unfall ereignete sich in
der Gänsehäufelstraße. Vom Flugfeld
fuhr der in der Breitenseer Kavalleriekaserne
bequartierte Wachtmeister Emil Kis mit
seinem Motozycle nach Hause. Im Anhängewagen
saß seine 22jährige Gattin Klementine. Ein
Radfahrer kam hinter ihnen auf seinem Rade daher und
wollte ihnen vorfahren. Dabei drängte er das Motorrad
gegen den Gehweg und Kis fuhr an einem Baum an.
Das Ehepaar wurde vom Rade geschleudert. Während
Kis Quetschungen am Knie mit Bluterguß ins Knie-
gelenk erlitt, wurde Frau Kis schwer verletzt. Sie hatte
eine schwere Rißwunde, büßte drei Backenzähne ein,
blutete aus dem linken Ohre und hatte Quetschungen
der Schulter und des Knies. Die Rettungsgesellschaft
brachte beide auf die Station und behandelte sie dort.
Kis wurde in die Kaserne, seine Frau auf die Unfall-
station gebracht. Der Radfahrer war davongefahren.




Acht Löwen ausgebrochen.
Fünf von Polizisten erschossen.


Ein Wagen der elektrischen Straßenbahn fuhr in
der vergangenen Nacht in der Blücherstraße auf einen
nach dem Bahnhof fahrenden Tierwagen des Zirkus
Barnum auf, wobei der Tierwagen zertrümmert
wurde. Acht darin verwahrte Löwen ent-
wichen.
Des Publikums bemächtigte sich große
Panik.

Ein Löwe lief in ein in der Nähe befindliches
Hotel und rannte dort, alles in Schrecken versetzend,
die Treppen hinauf. Von den acht Löwen wurden
bereits fünf von der Polizei erschossen. Zwei
sind in der Richtung nach Mockau entflohen, einer hält
sich in der Gegend des Tlösener Weges auf. Von der
Polizei wurde eine Streifung veranstaltet.




Rektorsinauguration an der
Wiener Universität.
Rektor Hofrat v. Wettstein über die Reform-
bedürftigkeit unserer Hochschulen.

In der üblichen festlichen Weise vollzog sich heute
vormittag im Festsaale der Wiener Universität die
feierliche Inauguration des neuen Rektors Hofrates
R. v. Wettstein. Dem Festakte wohnten die
Vertreter der Unterrichtsbehörden, der Rektoren
der anderen Wiener Hochschulen, Abgesandte
des Landes, der Gemeinde, viele Professoren und zahl-
reiche Studenten bei. Nach einem musikalischen Vortrag
des Akademischen Gesangvereines unter der Leitung des
Chormeisters Professors Pawlikowski erstattete Prorektor
Hofrat Weichselba um seinen Rechenschaftsbericht,
worin er Beschwerde führte über die unzureichenden
räumlichen Verhältnisse der Wiener Universität. Hierauf
hielt der neue Rektor Hofrat R. v. Wettstein
seine Inaugurationsrede über das Thema "Forschung
und Lehre". Die Rede rief ob des Freimutes, mit
welcher Seine Magnifizenz die Reformbedürftigkeit des
österreichischen Hochschulwesens erörterte, starkes Aufsehen
hervor.

Der Rektor fuhrte in seiner Rede u. a. aus:

Die Universitäten pflegen fürsorglich ihre alten Traditionen.
Ein gewisser konservativer Zug haftet dadu[r]ch den
gesamten deutschen Universitäten an. In der Tat wird es den
Hochschulen oft erschwert, Forderungen der Zeit entsprechend
rasch zu folgen. Wir leben aber in einer Zeit rascher Aenderungen
und häufiger als sonst müssen die Universitäten zu den
Aenderungen des öffentlichen, vor allem des geistigen Lebens
Stellung nehmen. Nicht ohne Grund ist oft heutezutage von
Reformen des Hochschulwesens die Rede. Eine
Frage nun berührt geradezu das Wesen unserer deutschen Uni-
versitäten, es ist die Frage nach den Beziehungen zwischen
Forschung und Lehre
an unseren Hochschulen.

In der Einheit von Forschung und Lehre
liegt das Wesen der deutschen Unversi-
täten.
Die Geschichte hat in unzweideutiger Weise gezeigt,
daß diese Verbindung zwischen Forschung und Lehre die wert-
vollste Einrichtung unserer Universitäten ist, und an dieser Ver-
bindung wollen und werden wir nie rütteln. Eine andere Frage
ist aber, wie diese Verbindung geschaffen sein muß, um vollen
Erfolg zu verbürgen. Gerade die Entwicklung unserer Universi-
täten in der jüngsten Zeit bietet da Anlaß zu ernsten Betrach-
tungen. Das Verhältnis zwischen Forschung und Lehre an den
deutschen Universitäten war nicht immer das Gleiche. Die
Universitäten sind als bloße Schulen entstanden, deren
wichtigste Aufgabe der Unterricht war. Ihre zweite Haupt-
Aufgabe, die Forschung, trat eigentlich erst zu Beginn des
19. Jahrhunderts hinzu. Der große Aufschwung des wissenschaft-
lichen Lebens an den deutschen Universitäten hing nicht in
letzter Linie auch zusammen mit den Folgen der welthistorischen
Ereignisse, deren Jahrhundertfeier in diesen Tagen
begangen wird. Ich fühle als Rektor das Bedürfnis, zu betonen,
daß wir auch in diesen Tagen uns eins fühlen mit den
Empfindungen des gesamten deutschen

Volkes und daß wir in Dankbarkeit uns beugen vor den Helden
und den Taten jener großen Zeit. Die Aenderung wurde so
gewaltig, daß während des 19. Jahrhunderts die wissen-
schaftliche Forschung
an den deutschen Universitäten
im Vordergrunde stand, während ihr gegenüber
die Lehre vielfach sehr stark zurücktrat. Der Universitätslehrer
war in erster Linie Forscher, seine wissenschaftliche Leistung be-
stimmte sein Ansehen und seinen Lebenslauf. Dies hatte
[Spaltenumbruch] enorme Vorzüge, aber gewiß auch manche Nachteile, so
besonders das Ueberhandnehmen des Spezialisten-
tums
und das sogenannte "Schulwesen", mit seiner ein-
seitigen
Einschätzung der zu berufenden Personen. In den
letzten Jahrzehnten tritt nun neben der Forschung wieder der
Unterricht stärker hervor und der Neuaufschwung dieser
Richtung charakterisiert geradezu den Zustand unserer Uni-
versitäten in der Gegenwart. Entsprechend der Doppelaufgabe
der Universität, zu forschen und zu lehren, ist diese Wandlung
mit Befriedigung zu begrüßen und eine unserer Hauptaufgaben
ist, strenge darauf zu achten, daß nicht durch diese Aenderung ein
Mißverhältnis entstehe und daß nicht durch ein einseitiges
Vortreten der Lehrtätigkeit die Forschung an den Univer-
sitäten leidet.

Gegenwärtig befinden wir uns in einem Uebergangsstadium,
denn die beiden Aufgaben sind vielfach noch nicht in das
richtige Verhältnis zu einander gesetzt, die Konsequenzen aus
der stärkeren Ausgestaltung der einen auf die andere sind noch
nicht gezogen. Die Folge davon ist das Gefühl der
Reformbedürftigkeit.
Die Gründe für das
stärkere Hervortreten der Unterrichtstätigkeit an unseren Univer-
sitäten sind innere und äußere, zunächst das gewaltige
Anwachsen des Unterrichtsstoffes
und die
wesentliche Aenderung der Unterrichtsmethode. Die Zeiten der
alljährlich sich wiederholenden, lehrbuchartigen Vorlesungen sind
definitiv vorbei. Demonstrationen, Experimente, die Tätigkeit
im Laboratorium, im Institut oder im Seminar treten dazu
und sind in vielen Fällen der wertvollste Teil des Unter-
richts, der aber schließlich die Zeit des Lehrers voll-
ständigabsorbiert. Zugleich aber haben wir selbst
uns geändert.
Der in seinem wissenschaftlichen Berufe
vollständig aufgehende "weltfremde" Gelehrte ist heute an
unseren Universitäten eine seltene Erscheinung. Wir sind
modernere Menschen geworden, denken sozial und dienen dem
Staat und der Gesellschaft. Dazu treten die größeren An-
forderungen, die die Bevölkerung an uns stellt. Immer
größer wird die Zahl der Stände, die für den Nachwuchs den
akademischen Unterricht als Grundlage des spätern Lebenslaufs
fordern, die Volkshochschule! In Oesterreich und in
Wien
treten weitere Umstände hinzu, in erster Linie die
enorme Zunahme der Zahl der Studierenden, die in den
letzten Jahren 10.000 überschritt. Wir haben heute schon eine
Ueberproduktion akademisch gebildeter
Menschen,
die eine dieser Bildung entsprechende Lebens-
stellung wünscht. Diesen Studentenmassen sind wir lehramtlich
vielfach nicht mehr gewachsen.

Wäre die enorme Zahl unserer Studenten ein Symptom
der Bildungshöhe und der sozialen Lage unserer Bevölkerung.
so könnten wir sie in einem bestimmten Sinne freudig be-
grüßen. Wir wissen aber genau, daß dies nicht der Fall ist.
Sie ist in erster Linie die Folge der unglücklichen
Politik,
die die Errichtung von Mittelschulen von
Bedürfnissen parlamentarischer Parteien
oder der Regierung
abhängig machte. In wenigen
Kulturstaaten ist das Unterrichtswesen so wenig frei von poli-
tischen Strömungen, wie bei uns. Wir fühlen im Universitäts-
leben die Folgen davon und können nur wünschen, daß manche
politische Kreise, wenn sie schon ihre positiven Pflichten
der Wissenschaft gegenüber gering einschätzen, doch wenigstens
in ihren Bestrebungen vor den Pforten der ihr geweihten
Stätten Halt machen. Die Ueberzahl der Hörer hat aber auch
eine Herabdrückung ihres geistigen Niveaus bewirkt, da an
manchen Orten den Mittelschulen die nötige Schülerzahl sonst
nicht vorhanden wäre. Das sind Verhältnisse, die speziell unsere
deutschen Universitäten in Oesterreich treffen und eine
starke Belastung der Lehrer zur Folge haben. In Deutschland
treten die Nachteile weniger hervor, weil die sogenannten
kleinen Universitäten den Lehrern und Hörern mancherlei Ab-
hilfe bieten. Bei uns in Oesterreich hat man vielfach der Ent-
wicklung der deutschen Provinzuniversitäten zu geringe Auf-
merksamkeit zugewendet, so daß dort wegen zu sparsamer Aus-
stattung vielfach Wissenschaft und Lehre nicht zur Entfaltung
kommen konnten.

Die Rückwirkung dieser Verhältnisse ist nun, daß die
Forschung,
diese Hauptaufgabe unserer deutschen Univer-
sitäten, welche die Größe und das Ansehen der deutschen
Universitäten im 19. Jahrhundert bewirkte, beeinträch-
tigt wird.
Die wissenschaftliche Forschung verlangt
geistige Konzentration und Vertiefung, jene Ruhe
und Freiheit, die manchen Forscher zur Weltflucht und Unzu-
gänglichkeit zwang. Wer von den Wiener Lehrern
hat diese Ruhe in ausreichendem Maße,

wenn er eine größere Lehrtätigkeit entfaltet? Wir führen alle
mehr oder weniger einen verzweifelten Kampf um die Vorbe-
dingung wissenschaftlicher Arbeit. Der eine gibt die aktive For-
schung auf und widmet sich ganz der Lehrtätigkeit, der andere
schränkt die Lehrtätigkeit ein und rettet so seine wissenschaftliche
Arbeitsfähigkeit Ein großer Teil schließt Kompromisse. Das
Leben einiger der besten unter uns weist den tragischen Zug
auf, daß sie aus Idealismus ihr wissenschaftliches Ziel nicht
erreichen konnten. Auch der akademische Nachwuchs
hat unter diesen Verhältnissen zu leiden. Eine weitere Folge
des starken Hervortretens der Lehrtätigkeit ist aber auch die
geringe Fürsorge, welche wichtigen Diszi-
plinen zuteil wird,
die im Unter-
richtsbetriebe weniger hervortreten. Hochangesehene und
wichtige Wissenschaften sind bei uns in ihrer Ent-
wicklung gerade zu gehemmt, weil auch aus
finanziellen Gründen bloß jene Fächer
am
meisten gepflegt werden, die für den Unterricht von besonderer
Bedeutung sind. Diese Zustände sind bedenklich, weil durch sie
wenigstens an den größeren Universitäten die Forschung
eine Schmälerung
erfährt. Dafür haben wir bereits
eine Reihe von Symptomen. In erster Linie ist es die in den
letzten Jahren immer stärker hervortretende Bewegung zur
Errichtung eigener wissenschaftlicher
Forschungsinstitute.
Es ist klar, daß solche
Institute neben den Universitäten bestehen
müssen.
Wenn wir aber sehen, wie die Universitätslehrer
die Uebersiedlung in solche Institute erstreben, so ist
das wohl ein Symptom dafür, daß die
Universitäten vielfach nicht mehr die
Möglichkeit zur ausreichenden
Pflege einer Wissenschaft bieten.
Lehrreich ist
es, daß gerade in den großen Universitäten diese Bewegung
besonders bemerkbar ist, wie in Berlin und Wien. Ein zweites
beachtenswertes Symptom ist das an den großen Universitäten
zunehmende Bestreben der Professoren, Erleichterungen
der Lehrtätigkeit
zu erlangen, um überhaupt noch
wissenschaftlich arbeiten zu können. Es werden schon Stimmen
laut, die die besorgte Frage aufwerfen, ob die deutschen




Täglich vor dem Schlafengehen ein Glas des
natürlichen Hunyadi Janos Bitterwasser ge-
nommen bringt jedermann nach ungestörter Nachtruhe am
Morgen zwangslose und prompte Entleerung und mit ihr
jenes Gefühl von Wohlbefinden an Körper und Geist, die
für fördersame Tagesarbeit die wichtigste Voraussetzung
sind. Darum hat ein bekannter deutscher Arzt und Uni-
versitätslehrer, den Satz des berühmten vorchristlichen
Malers Apelles variierend, das Wort geprägt: "Nulla
dies sine, Hunyadi Janos",
"Kein Tag ohne Hunyadi
Janos".


Nr. 495 Wien, Montag Reichspoſt 20. Oktober 1913.

[Spaltenumbruch] Leopold, die Söhne des Erzherzogs Karl Stefan
Erzherzog Karl Albrecht, Erzherzog Leo und
Erzherzog Wilhelm, der franzöſiſche Botſchafter
Dumaine, der ſpaniſche Botſchafter Marquis de
Herrera, Oberſthofmeiſter Graf Orſini-Roſen-
berg,
Miniſter des Innern Freiherr v. Heinold,
Eiſenbahnminiſter Freiherr v. Forſter, Armeeinſpektor
G. d. J. Ritter v. Frank, G. d. J. Freiherr von
Albori, Korpskommandant G. d. J. Ritter v. Ziegler,
Verkehrstruppen-Brigadekommandant FML. Schleyer,
die Feldmarſchalleutnants v. Abele, Ritter v. Böhm
und Freiherr v. Kirchbach, die Generalmajore
Tertain, v. Fraß, v. Glotz und Gloſſauer,
der geweſene Bürgermeiſter Dr. Neumayer, die
Stadräte Dechant und Wippel, GR. Guſſen-
bauer,
die Sektionschefs Freiherr v. Pitner und
Clobocnik, ferner Johann Franz Graf Ceschi,
Felix und Joſef Graf Thun-Hohenſtein, Richard
Graf Orſſich, Wilhelm Graf Kolowrat, Ferdi-
nand Graf Kinsky, Polizeipräſident Hofrat Freiherr
v. Gorup, der Chef des Sicherheitsbureaus Hofrat
Stukart, der Direktor der ſtädtiſchen Straßenbahnen
Ingenieur Spängler, Oberſtadtphyſikus Ober-
ſanitätsrat Dr. Böhm, unter deſſen Leitung der
Sanitätsdienſt ſtand, Präſidialvorſtand MR. Formanek.

Um ½4 Uhr zeigte ein Böllerſchuß den Beginn
des Schaufluges
an. Pegoud hatte vorher
ſeine Flugmaſchine peinlichſt genau unterſucht. Lächelnd
ſchwingt ſich der kühne Pilot in den Lenkſitz, in dem er
ſich wieder feſtſchnallen läßt. Der Motor beginnt ſeine
weithin höroare Arbeit und der Flieger macht in einer
Höhe von wenigen Metern eine Runde um das Flug-
feld, fortwährend mit der Hand dem Publikum zawinkend,
das nicht müde wird, die Grüße lebhaft zu erwidern.

Dann ſteigt der todesmutige Flieger auf ſeiner
graziöſen Flugmaſchine in die Lüfte und hat in
wenigen Minuten eine Höhe von ungefähr 600 Metern
erreicht, um hier ſein außerordentliches Können zu
zeigen. Er ſtellt die Flügel des Apparates ſenkrecht zur
Erde und wiederholt das Umkippen und
Wiederaufrichten des Apparates
nach
der rechten und linken Seite. Dann ſchraubt Pegond
die Maſchine auf über 800 Meter in die Höhe und
läßt ſie nach vorne über ſeinen Kopf umkippen und
richtet ſie mit Elan wieder auf. Dann macht er
vier Saltos, die ſtürmiſch bejubelt werden.
Auf dieſe Weiſe nähert er ſich dem Erdboden
auf einige hundert Meter, ſo daß das Knattern des
Motors wieder hörbar wird. Doch plötzlich verſtummt
das Surren; Pegoud hat ſeinen Apparat zur Seite ge-
drückt und ſteht mit ſeinem Motor beinahe vertikal,
ſo in engen Spiralen, wie ein Bohrer, niedergleitend.
Dann reißt er den Motor wieder an und geht nachdem
er 10 Minuten geflogen, in elegantem Fluge zur Erde
nieder.

Funktionäre der Flugfeldgeſellſchaft und ſeine
Monteure fahren mit Autos heran. Pegoud, der von den
Gurten befreit, elaſtiſch aus dem Lenkſitz auf den Raſen
ſpringt, erklärt, daß er wegen Verrußung einer Zünd-
kerze vorzeitig gelandet ſei. Erzherzog Leopold
Salvator
ſpricht dem kühnen Flieger ſeine Aner-
kennung aus.

Nach einer knappen Viertelſtunde iſt die Maſchine
wieder flugbereit und Pegoud macht einen zweiten
Flug in die Lüfte.
Er ſchraubt ſich nahezu ſenk-
recht in die Höhe. Dann kippt er den Apparat nach
vorne um und macht bei abgeſtelltem Motor einen
packenden ſenkrechten Sturzflug.
Wieder ſteigt er, um in engen Spiralen Gleit- und
Sturzflüge auszuführen. Ein drittesmal ſteigt Pegoud
auf ungefähr 1000 Meter Höhe. Plötzlich ſieht man,
wie ſich der Kopf der Maſchine ſtark nach abwärts
neigt, der Apparat überſchlägt ſich und Pegoud fliegt
mit dem Kopfe nach unten, die Räder des
Flugzeuges oben, eine weite Strecke über das Feld. Das
zunächſt bangende maßloſe Staunen verwandelt ſich in
begeiſterte Beifallsrufe, als der Flieger mit größter
Ruhe ſeine Flugmaſchine wieder in die normale Lage
bringt.

Noch einmal ſteigt er höher, vollführt ſeinen welt-
berühmt gewordenen S-Flug, ſeine Spiralen
und Kurven. Dann kommt eine Glanzleiſtung des
Tages: Sechsmal hintereinander über-
ſchlägt ſich Pegoud
mit ſeiner, wahre Wunder
der Technik vollführenden Maſchine in raſchen
Purzelbäumen.
Ein Jauchzen geht durch die
erſchütterte und zugleich zu heller Begeiſterung ent-
flammte Menge.

In kleinen Spiralen zwingt dann der beiſpiellos
mutige Flieger ſeinen Apparat in Erdnähe und betritt
nach halbſtündigem Aufenthalte in ſeinem luftigen
Element lächelnd den Raſen.

Pegoud, vom Erzherzog Leopold Salvator
neuerlich aufs herzlichſte beglückwünſcht, macht in ſeinem
Auto ſtehend eine Runde vor der das Flugfeld dicht
umſäumenden. Zuſchauermenge, die dem lebhaft
grüßenden Helden der Luft rauſchende
Ovationen
bereitet.

Um ½5 Uhr verkündete ein Böllerſchuß das Ende
des überwältigenden Schauſpieles.

Das wogende Abſtrömen der Maſſen
und die Bewältigung des rieſigen
Fuhrwerksverkehres
gab der Wache und den
Organen der Straßenbahn ungemein viel zu ſchaffen.
Bis 7 Uhr abends ſtaute ſich die Menge bei der Halte-
ſtelle der Dampſtramway.

Unfälle.

In den vom Stadtpyſikat errichteten Sanitäts-
ſtationen gelangte zwei Fälle von Fingerquetſchungen
[Spaltenumbruch] bei Wagenſchlagen zur Behandlung. Die Rettungs-
geſellſchaft intervenierte bei drei mit dem Fluge ſelbſt
nicht in Zuſammenhang ſtehenden Unfällen.

Auf dem Wagenaufſtellungsplatze war ein Pferd
ſcheu geworden. Ein berittener Sicherheitswachmann
ſprengte ihm nach, um größeres Unglück zu verhüten
und ritt dabei den 29jährigen Chauffeur Johann
Tlapak, Welliſchgaſſe Nr. 4 wohnhaft, nieder.
Tlapak wurde am linken Handrücken verletzt.

Ein ſchwerer Unfall ereignete ſich in
der Gänſehäufelſtraße. Vom Flugfeld
fuhr der in der Breitenſeer Kavalleriekaſerne
bequartierte Wachtmeiſter Emil Kis mit
ſeinem Motozycle nach Hauſe. Im Anhängewagen
ſaß ſeine 22jährige Gattin Klementine. Ein
Radfahrer kam hinter ihnen auf ſeinem Rade daher und
wollte ihnen vorfahren. Dabei drängte er das Motorrad
gegen den Gehweg und Kis fuhr an einem Baum an.
Das Ehepaar wurde vom Rade geſchleudert. Während
Kis Quetſchungen am Knie mit Bluterguß ins Knie-
gelenk erlitt, wurde Frau Kis ſchwer verletzt. Sie hatte
eine ſchwere Rißwunde, büßte drei Backenzähne ein,
blutete aus dem linken Ohre und hatte Quetſchungen
der Schulter und des Knies. Die Rettungsgeſellſchaft
brachte beide auf die Station und behandelte ſie dort.
Kis wurde in die Kaſerne, ſeine Frau auf die Unfall-
ſtation gebracht. Der Radfahrer war davongefahren.




Acht Löwen ausgebrochen.
Fünf von Poliziſten erſchoſſen.


Ein Wagen der elektriſchen Straßenbahn fuhr in
der vergangenen Nacht in der Blücherſtraße auf einen
nach dem Bahnhof fahrenden Tierwagen des Zirkus
Barnum auf, wobei der Tierwagen zertrümmert
wurde. Acht darin verwahrte Löwen ent-
wichen.
Des Publikums bemächtigte ſich große
Panik.

Ein Löwe lief in ein in der Nähe befindliches
Hotel und rannte dort, alles in Schrecken verſetzend,
die Treppen hinauf. Von den acht Löwen wurden
bereits fünf von der Polizei erſchoſſen. Zwei
ſind in der Richtung nach Mockau entflohen, einer hält
ſich in der Gegend des Tlöſener Weges auf. Von der
Polizei wurde eine Streifung veranſtaltet.




Rektorsinauguration an der
Wiener Univerſität.
Rektor Hofrat v. Wettſtein über die Reform-
bedürftigkeit unſerer Hochſchulen.

In der üblichen feſtlichen Weiſe vollzog ſich heute
vormittag im Feſtſaale der Wiener Univerſität die
feierliche Inauguration des neuen Rektors Hofrates
R. v. Wettſtein. Dem Feſtakte wohnten die
Vertreter der Unterrichtsbehörden, der Rektoren
der anderen Wiener Hochſchulen, Abgeſandte
des Landes, der Gemeinde, viele Profeſſoren und zahl-
reiche Studenten bei. Nach einem muſikaliſchen Vortrag
des Akademiſchen Geſangvereines unter der Leitung des
Chormeiſters Profeſſors Pawlikowski erſtattete Prorektor
Hofrat Weichſelba um ſeinen Rechenſchaftsbericht,
worin er Beſchwerde führte über die unzureichenden
räumlichen Verhältniſſe der Wiener Univerſität. Hierauf
hielt der neue Rektor Hofrat R. v. Wettſtein
ſeine Inaugurationsrede über das Thema „Forſchung
und Lehre“. Die Rede rief ob des Freimutes, mit
welcher Seine Magnifizenz die Reformbedürftigkeit des
öſterreichiſchen Hochſchulweſens erörterte, ſtarkes Aufſehen
hervor.

Der Rektor fuhrte in ſeiner Rede u. a. aus:

Die Univerſitäten pflegen fürſorglich ihre alten Traditionen.
Ein gewiſſer konſervativer Zug haftet dadu[r]ch den
geſamten deutſchen Univerſitäten an. In der Tat wird es den
Hochſchulen oft erſchwert, Forderungen der Zeit entſprechend
raſch zu folgen. Wir leben aber in einer Zeit raſcher Aenderungen
und häufiger als ſonſt müſſen die Univerſitäten zu den
Aenderungen des öffentlichen, vor allem des geiſtigen Lebens
Stellung nehmen. Nicht ohne Grund iſt oft heutezutage von
Reformen des Hochſchulweſens die Rede. Eine
Frage nun berührt geradezu das Weſen unſerer deutſchen Uni-
verſitäten, es iſt die Frage nach den Beziehungen zwiſchen
Forſchung und Lehre
an unſeren Hochſchulen.

In der Einheit von Forſchung und Lehre
liegt das Weſen der deutſchen Unverſi-
täten.
Die Geſchichte hat in unzweideutiger Weiſe gezeigt,
daß dieſe Verbindung zwiſchen Forſchung und Lehre die wert-
vollſte Einrichtung unſerer Univerſitäten iſt, und an dieſer Ver-
bindung wollen und werden wir nie rütteln. Eine andere Frage
iſt aber, wie dieſe Verbindung geſchaffen ſein muß, um vollen
Erfolg zu verbürgen. Gerade die Entwicklung unſerer Univerſi-
täten in der jüngſten Zeit bietet da Anlaß zu ernſten Betrach-
tungen. Das Verhältnis zwiſchen Forſchung und Lehre an den
deutſchen Univerſitäten war nicht immer das Gleiche. Die
Univerſitäten ſind als bloße Schulen entſtanden, deren
wichtigſte Aufgabe der Unterricht war. Ihre zweite Haupt-
Aufgabe, die Forſchung, trat eigentlich erſt zu Beginn des
19. Jahrhunderts hinzu. Der große Aufſchwung des wiſſenſchaft-
lichen Lebens an den deutſchen Univerſitäten hing nicht in
letzter Linie auch zuſammen mit den Folgen der welthiſtoriſchen
Ereigniſſe, deren Jahrhundertfeier in dieſen Tagen
begangen wird. Ich fühle als Rektor das Bedürfnis, zu betonen,
daß wir auch in dieſen Tagen uns eins fühlen mit den
Empfindungen des geſamten deutſchen

Volkes und daß wir in Dankbarkeit uns beugen vor den Helden
und den Taten jener großen Zeit. Die Aenderung wurde ſo
gewaltig, daß während des 19. Jahrhunderts die wiſſen-
ſchaftliche Forſchung
an den deutſchen Univerſitäten
im Vordergrunde ſtand, während ihr gegenüber
die Lehre vielfach ſehr ſtark zurücktrat. Der Univerſitätslehrer
war in erſter Linie Forſcher, ſeine wiſſenſchaftliche Leiſtung be-
ſtimmte ſein Anſehen und ſeinen Lebenslauf. Dies hatte
[Spaltenumbruch] enorme Vorzüge, aber gewiß auch manche Nachteile, ſo
beſonders das Ueberhandnehmen des Spezialiſten-
tums
und das ſogenannte „Schulweſen“, mit ſeiner ein-
ſeitigen
Einſchätzung der zu berufenden Perſonen. In den
letzten Jahrzehnten tritt nun neben der Forſchung wieder der
Unterricht ſtärker hervor und der Neuaufſchwung dieſer
Richtung charakteriſiert geradezu den Zuſtand unſerer Uni-
verſitäten in der Gegenwart. Entſprechend der Doppelaufgabe
der Univerſität, zu forſchen und zu lehren, iſt dieſe Wandlung
mit Befriedigung zu begrüßen und eine unſerer Hauptaufgaben
iſt, ſtrenge darauf zu achten, daß nicht durch dieſe Aenderung ein
Mißverhältnis entſtehe und daß nicht durch ein einſeitiges
Vortreten der Lehrtätigkeit die Forſchung an den Univer-
ſitäten leidet.

Gegenwärtig befinden wir uns in einem Uebergangsſtadium,
denn die beiden Aufgaben ſind vielfach noch nicht in das
richtige Verhältnis zu einander geſetzt, die Konſequenzen aus
der ſtärkeren Ausgeſtaltung der einen auf die andere ſind noch
nicht gezogen. Die Folge davon iſt das Gefühl der
Reformbedürftigkeit.
Die Gründe für das
ſtärkere Hervortreten der Unterrichtstätigkeit an unſeren Univer-
ſitäten ſind innere und äußere, zunächſt das gewaltige
Anwachſen des Unterrichtsſtoffes
und die
weſentliche Aenderung der Unterrichtsmethode. Die Zeiten der
alljährlich ſich wiederholenden, lehrbuchartigen Vorleſungen ſind
definitiv vorbei. Demonſtrationen, Experimente, die Tätigkeit
im Laboratorium, im Inſtitut oder im Seminar treten dazu
und ſind in vielen Fällen der wertvollſte Teil des Unter-
richts, der aber ſchließlich die Zeit des Lehrers voll-
ſtändigabſorbiert. Zugleich aber haben wir ſelbſt
uns geändert.
Der in ſeinem wiſſenſchaftlichen Berufe
vollſtändig aufgehende „weltfremde“ Gelehrte iſt heute an
unſeren Univerſitäten eine ſeltene Erſcheinung. Wir ſind
modernere Menſchen geworden, denken ſozial und dienen dem
Staat und der Geſellſchaft. Dazu treten die größeren An-
forderungen, die die Bevölkerung an uns ſtellt. Immer
größer wird die Zahl der Stände, die für den Nachwuchs den
akademiſchen Unterricht als Grundlage des ſpätern Lebenslaufs
fordern, die Volkshochſchule! In Oeſterreich und in
Wien
treten weitere Umſtände hinzu, in erſter Linie die
enorme Zunahme der Zahl der Studierenden, die in den
letzten Jahren 10.000 überſchritt. Wir haben heute ſchon eine
Ueberproduktion akademiſch gebildeter
Menſchen,
die eine dieſer Bildung entſprechende Lebens-
ſtellung wünſcht. Dieſen Studentenmaſſen ſind wir lehramtlich
vielfach nicht mehr gewachſen.

Wäre die enorme Zahl unſerer Studenten ein Symptom
der Bildungshöhe und der ſozialen Lage unſerer Bevölkerung.
ſo könnten wir ſie in einem beſtimmten Sinne freudig be-
grüßen. Wir wiſſen aber genau, daß dies nicht der Fall iſt.
Sie iſt in erſter Linie die Folge der unglücklichen
Politik,
die die Errichtung von Mittelſchulen von
Bedürfniſſen parlamentariſcher Parteien
oder der Regierung
abhängig machte. In wenigen
Kulturſtaaten iſt das Unterrichtsweſen ſo wenig frei von poli-
tiſchen Strömungen, wie bei uns. Wir fühlen im Univerſitäts-
leben die Folgen davon und können nur wünſchen, daß manche
politiſche Kreiſe, wenn ſie ſchon ihre poſitiven Pflichten
der Wiſſenſchaft gegenüber gering einſchätzen, doch wenigſtens
in ihren Beſtrebungen vor den Pforten der ihr geweihten
Stätten Halt machen. Die Ueberzahl der Hörer hat aber auch
eine Herabdrückung ihres geiſtigen Niveaus bewirkt, da an
manchen Orten den Mittelſchulen die nötige Schülerzahl ſonſt
nicht vorhanden wäre. Das ſind Verhältniſſe, die ſpeziell unſere
deutſchen Univerſitäten in Oeſterreich treffen und eine
ſtarke Belaſtung der Lehrer zur Folge haben. In Deutſchland
treten die Nachteile weniger hervor, weil die ſogenannten
kleinen Univerſitäten den Lehrern und Hörern mancherlei Ab-
hilfe bieten. Bei uns in Oeſterreich hat man vielfach der Ent-
wicklung der deutſchen Provinzuniverſitäten zu geringe Auf-
merkſamkeit zugewendet, ſo daß dort wegen zu ſparſamer Aus-
ſtattung vielfach Wiſſenſchaft und Lehre nicht zur Entfaltung
kommen konnten.

Die Rückwirkung dieſer Verhältniſſe iſt nun, daß die
Forſchung,
dieſe Hauptaufgabe unſerer deutſchen Univer-
ſitäten, welche die Größe und das Anſehen der deutſchen
Univerſitäten im 19. Jahrhundert bewirkte, beeinträch-
tigt wird.
Die wiſſenſchaftliche Forſchung verlangt
geiſtige Konzentration und Vertiefung, jene Ruhe
und Freiheit, die manchen Forſcher zur Weltflucht und Unzu-
gänglichkeit zwang. Wer von den Wiener Lehrern
hat dieſe Ruhe in ausreichendem Maße,

wenn er eine größere Lehrtätigkeit entfaltet? Wir führen alle
mehr oder weniger einen verzweifelten Kampf um die Vorbe-
dingung wiſſenſchaftlicher Arbeit. Der eine gibt die aktive For-
ſchung auf und widmet ſich ganz der Lehrtätigkeit, der andere
ſchränkt die Lehrtätigkeit ein und rettet ſo ſeine wiſſenſchaftliche
Arbeitsfähigkeit Ein großer Teil ſchließt Kompromiſſe. Das
Leben einiger der beſten unter uns weiſt den tragiſchen Zug
auf, daß ſie aus Idealismus ihr wiſſenſchaftliches Ziel nicht
erreichen konnten. Auch der akademiſche Nachwuchs
hat unter dieſen Verhältniſſen zu leiden. Eine weitere Folge
des ſtarken Hervortretens der Lehrtätigkeit iſt aber auch die
geringe Fürſorge, welche wichtigen Diszi-
plinen zuteil wird,
die im Unter-
richtsbetriebe weniger hervortreten. Hochangeſehene und
wichtige Wiſſenſchaften ſind bei uns in ihrer Ent-
wicklung gerade zu gehemmt, weil auch aus
finanziellen Gründen bloß jene Fächer
am
meiſten gepflegt werden, die für den Unterricht von beſonderer
Bedeutung ſind. Dieſe Zuſtände ſind bedenklich, weil durch ſie
wenigſtens an den größeren Univerſitäten die Forſchung
eine Schmälerung
erfährt. Dafür haben wir bereits
eine Reihe von Symptomen. In erſter Linie iſt es die in den
letzten Jahren immer ſtärker hervortretende Bewegung zur
Errichtung eigener wiſſenſchaftlicher
Forſchungsinſtitute.
Es iſt klar, daß ſolche
Inſtitute neben den Univerſitäten beſtehen
müſſen.
Wenn wir aber ſehen, wie die Univerſitätslehrer
die Ueberſiedlung in ſolche Inſtitute erſtreben, ſo iſt
das wohl ein Symptom dafür, daß die
Univerſitäten vielfach nicht mehr die
Möglichkeit zur ausreichenden
Pflege einer Wiſſenſchaft bieten.
Lehrreich iſt
es, daß gerade in den großen Univerſitäten dieſe Bewegung
beſonders bemerkbar iſt, wie in Berlin und Wien. Ein zweites
beachtenswertes Symptom iſt das an den großen Univerſitäten
zunehmende Beſtreben der Profeſſoren, Erleichterungen
der Lehrtätigkeit
zu erlangen, um überhaupt noch
wiſſenſchaftlich arbeiten zu können. Es werden ſchon Stimmen
laut, die die beſorgte Frage aufwerfen, ob die deutſchen




Täglich vor dem Schlafengehen ein Glas des
natürlichen Hunyadi János Bitterwaſſer ge-
nommen bringt jedermann nach ungeſtörter Nachtruhe am
Morgen zwangsloſe und prompte Entleerung und mit ihr
jenes Gefühl von Wohlbefinden an Körper und Geiſt, die
für förderſame Tagesarbeit die wichtigſte Vorausſetzung
ſind. Darum hat ein bekannter deutſcher Arzt und Uni-
verſitätslehrer, den Satz des berühmten vorchriſtlichen
Malers Apelles variierend, das Wort geprägt: „Nulla
dies sine, Hunyadi János“,
„Kein Tag ohne Hunyadi
János“.


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[3/0003] Nr. 495 Wien, Montag Reichspoſt 20. Oktober 1913. Leopold, die Söhne des Erzherzogs Karl Stefan Erzherzog Karl Albrecht, Erzherzog Leo und Erzherzog Wilhelm, der franzöſiſche Botſchafter Dumaine, der ſpaniſche Botſchafter Marquis de Herrera, Oberſthofmeiſter Graf Orſini-Roſen- berg, Miniſter des Innern Freiherr v. Heinold, Eiſenbahnminiſter Freiherr v. Forſter, Armeeinſpektor G. d. J. Ritter v. Frank, G. d. J. Freiherr von Albori, Korpskommandant G. d. J. Ritter v. Ziegler, Verkehrstruppen-Brigadekommandant FML. Schleyer, die Feldmarſchalleutnants v. Abele, Ritter v. Böhm und Freiherr v. Kirchbach, die Generalmajore Tertain, v. Fraß, v. Glotz und Gloſſauer, der geweſene Bürgermeiſter Dr. Neumayer, die Stadräte Dechant und Wippel, GR. Guſſen- bauer, die Sektionschefs Freiherr v. Pitner und Clobocnik, ferner Johann Franz Graf Ceschi, Felix und Joſef Graf Thun-Hohenſtein, Richard Graf Orſſich, Wilhelm Graf Kolowrat, Ferdi- nand Graf Kinsky, Polizeipräſident Hofrat Freiherr v. Gorup, der Chef des Sicherheitsbureaus Hofrat Stukart, der Direktor der ſtädtiſchen Straßenbahnen Ingenieur Spängler, Oberſtadtphyſikus Ober- ſanitätsrat Dr. Böhm, unter deſſen Leitung der Sanitätsdienſt ſtand, Präſidialvorſtand MR. Formanek. Um ½4 Uhr zeigte ein Böllerſchuß den Beginn des Schaufluges an. Pegoud hatte vorher ſeine Flugmaſchine peinlichſt genau unterſucht. Lächelnd ſchwingt ſich der kühne Pilot in den Lenkſitz, in dem er ſich wieder feſtſchnallen läßt. Der Motor beginnt ſeine weithin höroare Arbeit und der Flieger macht in einer Höhe von wenigen Metern eine Runde um das Flug- feld, fortwährend mit der Hand dem Publikum zawinkend, das nicht müde wird, die Grüße lebhaft zu erwidern. Dann ſteigt der todesmutige Flieger auf ſeiner graziöſen Flugmaſchine in die Lüfte und hat in wenigen Minuten eine Höhe von ungefähr 600 Metern erreicht, um hier ſein außerordentliches Können zu zeigen. Er ſtellt die Flügel des Apparates ſenkrecht zur Erde und wiederholt das Umkippen und Wiederaufrichten des Apparates nach der rechten und linken Seite. Dann ſchraubt Pegond die Maſchine auf über 800 Meter in die Höhe und läßt ſie nach vorne über ſeinen Kopf umkippen und richtet ſie mit Elan wieder auf. Dann macht er vier Saltos, die ſtürmiſch bejubelt werden. Auf dieſe Weiſe nähert er ſich dem Erdboden auf einige hundert Meter, ſo daß das Knattern des Motors wieder hörbar wird. Doch plötzlich verſtummt das Surren; Pegoud hat ſeinen Apparat zur Seite ge- drückt und ſteht mit ſeinem Motor beinahe vertikal, ſo in engen Spiralen, wie ein Bohrer, niedergleitend. Dann reißt er den Motor wieder an und geht nachdem er 10 Minuten geflogen, in elegantem Fluge zur Erde nieder. Funktionäre der Flugfeldgeſellſchaft und ſeine Monteure fahren mit Autos heran. Pegoud, der von den Gurten befreit, elaſtiſch aus dem Lenkſitz auf den Raſen ſpringt, erklärt, daß er wegen Verrußung einer Zünd- kerze vorzeitig gelandet ſei. Erzherzog Leopold Salvator ſpricht dem kühnen Flieger ſeine Aner- kennung aus. Nach einer knappen Viertelſtunde iſt die Maſchine wieder flugbereit und Pegoud macht einen zweiten Flug in die Lüfte. Er ſchraubt ſich nahezu ſenk- recht in die Höhe. Dann kippt er den Apparat nach vorne um und macht bei abgeſtelltem Motor einen packenden ſenkrechten Sturzflug. Wieder ſteigt er, um in engen Spiralen Gleit- und Sturzflüge auszuführen. Ein drittesmal ſteigt Pegoud auf ungefähr 1000 Meter Höhe. Plötzlich ſieht man, wie ſich der Kopf der Maſchine ſtark nach abwärts neigt, der Apparat überſchlägt ſich und Pegoud fliegt mit dem Kopfe nach unten, die Räder des Flugzeuges oben, eine weite Strecke über das Feld. Das zunächſt bangende maßloſe Staunen verwandelt ſich in begeiſterte Beifallsrufe, als der Flieger mit größter Ruhe ſeine Flugmaſchine wieder in die normale Lage bringt. Noch einmal ſteigt er höher, vollführt ſeinen welt- berühmt gewordenen S-Flug, ſeine Spiralen und Kurven. Dann kommt eine Glanzleiſtung des Tages: Sechsmal hintereinander über- ſchlägt ſich Pegoud mit ſeiner, wahre Wunder der Technik vollführenden Maſchine in raſchen Purzelbäumen. Ein Jauchzen geht durch die erſchütterte und zugleich zu heller Begeiſterung ent- flammte Menge. In kleinen Spiralen zwingt dann der beiſpiellos mutige Flieger ſeinen Apparat in Erdnähe und betritt nach halbſtündigem Aufenthalte in ſeinem luftigen Element lächelnd den Raſen. Pegoud, vom Erzherzog Leopold Salvator neuerlich aufs herzlichſte beglückwünſcht, macht in ſeinem Auto ſtehend eine Runde vor der das Flugfeld dicht umſäumenden. Zuſchauermenge, die dem lebhaft grüßenden Helden der Luft rauſchende Ovationen bereitet. Um ½5 Uhr verkündete ein Böllerſchuß das Ende des überwältigenden Schauſpieles. Das wogende Abſtrömen der Maſſen und die Bewältigung des rieſigen Fuhrwerksverkehres gab der Wache und den Organen der Straßenbahn ungemein viel zu ſchaffen. Bis 7 Uhr abends ſtaute ſich die Menge bei der Halte- ſtelle der Dampſtramway. Unfälle. In den vom Stadtpyſikat errichteten Sanitäts- ſtationen gelangte zwei Fälle von Fingerquetſchungen bei Wagenſchlagen zur Behandlung. Die Rettungs- geſellſchaft intervenierte bei drei mit dem Fluge ſelbſt nicht in Zuſammenhang ſtehenden Unfällen. Auf dem Wagenaufſtellungsplatze war ein Pferd ſcheu geworden. Ein berittener Sicherheitswachmann ſprengte ihm nach, um größeres Unglück zu verhüten und ritt dabei den 29jährigen Chauffeur Johann Tlapak, Welliſchgaſſe Nr. 4 wohnhaft, nieder. Tlapak wurde am linken Handrücken verletzt. Ein ſchwerer Unfall ereignete ſich in der Gänſehäufelſtraße. Vom Flugfeld fuhr der in der Breitenſeer Kavalleriekaſerne bequartierte Wachtmeiſter Emil Kis mit ſeinem Motozycle nach Hauſe. Im Anhängewagen ſaß ſeine 22jährige Gattin Klementine. Ein Radfahrer kam hinter ihnen auf ſeinem Rade daher und wollte ihnen vorfahren. Dabei drängte er das Motorrad gegen den Gehweg und Kis fuhr an einem Baum an. Das Ehepaar wurde vom Rade geſchleudert. Während Kis Quetſchungen am Knie mit Bluterguß ins Knie- gelenk erlitt, wurde Frau Kis ſchwer verletzt. Sie hatte eine ſchwere Rißwunde, büßte drei Backenzähne ein, blutete aus dem linken Ohre und hatte Quetſchungen der Schulter und des Knies. Die Rettungsgeſellſchaft brachte beide auf die Station und behandelte ſie dort. Kis wurde in die Kaſerne, ſeine Frau auf die Unfall- ſtation gebracht. Der Radfahrer war davongefahren. Acht Löwen ausgebrochen. Fünf von Poliziſten erſchoſſen. Leipzig, 20. Oktober. Ein Wagen der elektriſchen Straßenbahn fuhr in der vergangenen Nacht in der Blücherſtraße auf einen nach dem Bahnhof fahrenden Tierwagen des Zirkus Barnum auf, wobei der Tierwagen zertrümmert wurde. Acht darin verwahrte Löwen ent- wichen. Des Publikums bemächtigte ſich große Panik. Ein Löwe lief in ein in der Nähe befindliches Hotel und rannte dort, alles in Schrecken verſetzend, die Treppen hinauf. Von den acht Löwen wurden bereits fünf von der Polizei erſchoſſen. Zwei ſind in der Richtung nach Mockau entflohen, einer hält ſich in der Gegend des Tlöſener Weges auf. Von der Polizei wurde eine Streifung veranſtaltet. Rektorsinauguration an der Wiener Univerſität. Rektor Hofrat v. Wettſtein über die Reform- bedürftigkeit unſerer Hochſchulen. In der üblichen feſtlichen Weiſe vollzog ſich heute vormittag im Feſtſaale der Wiener Univerſität die feierliche Inauguration des neuen Rektors Hofrates R. v. Wettſtein. Dem Feſtakte wohnten die Vertreter der Unterrichtsbehörden, der Rektoren der anderen Wiener Hochſchulen, Abgeſandte des Landes, der Gemeinde, viele Profeſſoren und zahl- reiche Studenten bei. Nach einem muſikaliſchen Vortrag des Akademiſchen Geſangvereines unter der Leitung des Chormeiſters Profeſſors Pawlikowski erſtattete Prorektor Hofrat Weichſelba um ſeinen Rechenſchaftsbericht, worin er Beſchwerde führte über die unzureichenden räumlichen Verhältniſſe der Wiener Univerſität. Hierauf hielt der neue Rektor Hofrat R. v. Wettſtein ſeine Inaugurationsrede über das Thema „Forſchung und Lehre“. Die Rede rief ob des Freimutes, mit welcher Seine Magnifizenz die Reformbedürftigkeit des öſterreichiſchen Hochſchulweſens erörterte, ſtarkes Aufſehen hervor. Der Rektor fuhrte in ſeiner Rede u. a. aus: Die Univerſitäten pflegen fürſorglich ihre alten Traditionen. Ein gewiſſer konſervativer Zug haftet dadurch den geſamten deutſchen Univerſitäten an. In der Tat wird es den Hochſchulen oft erſchwert, Forderungen der Zeit entſprechend raſch zu folgen. Wir leben aber in einer Zeit raſcher Aenderungen und häufiger als ſonſt müſſen die Univerſitäten zu den Aenderungen des öffentlichen, vor allem des geiſtigen Lebens Stellung nehmen. Nicht ohne Grund iſt oft heutezutage von Reformen des Hochſchulweſens die Rede. Eine Frage nun berührt geradezu das Weſen unſerer deutſchen Uni- verſitäten, es iſt die Frage nach den Beziehungen zwiſchen Forſchung und Lehre an unſeren Hochſchulen. In der Einheit von Forſchung und Lehre liegt das Weſen der deutſchen Unverſi- täten. Die Geſchichte hat in unzweideutiger Weiſe gezeigt, daß dieſe Verbindung zwiſchen Forſchung und Lehre die wert- vollſte Einrichtung unſerer Univerſitäten iſt, und an dieſer Ver- bindung wollen und werden wir nie rütteln. Eine andere Frage iſt aber, wie dieſe Verbindung geſchaffen ſein muß, um vollen Erfolg zu verbürgen. Gerade die Entwicklung unſerer Univerſi- täten in der jüngſten Zeit bietet da Anlaß zu ernſten Betrach- tungen. Das Verhältnis zwiſchen Forſchung und Lehre an den deutſchen Univerſitäten war nicht immer das Gleiche. Die Univerſitäten ſind als bloße Schulen entſtanden, deren wichtigſte Aufgabe der Unterricht war. Ihre zweite Haupt- Aufgabe, die Forſchung, trat eigentlich erſt zu Beginn des 19. Jahrhunderts hinzu. Der große Aufſchwung des wiſſenſchaft- lichen Lebens an den deutſchen Univerſitäten hing nicht in letzter Linie auch zuſammen mit den Folgen der welthiſtoriſchen Ereigniſſe, deren Jahrhundertfeier in dieſen Tagen begangen wird. Ich fühle als Rektor das Bedürfnis, zu betonen, daß wir auch in dieſen Tagen uns eins fühlen mit den Empfindungen des geſamten deutſchen Volkes und daß wir in Dankbarkeit uns beugen vor den Helden und den Taten jener großen Zeit. Die Aenderung wurde ſo gewaltig, daß während des 19. Jahrhunderts die wiſſen- ſchaftliche Forſchung an den deutſchen Univerſitäten im Vordergrunde ſtand, während ihr gegenüber die Lehre vielfach ſehr ſtark zurücktrat. Der Univerſitätslehrer war in erſter Linie Forſcher, ſeine wiſſenſchaftliche Leiſtung be- ſtimmte ſein Anſehen und ſeinen Lebenslauf. Dies hatte enorme Vorzüge, aber gewiß auch manche Nachteile, ſo beſonders das Ueberhandnehmen des Spezialiſten- tums und das ſogenannte „Schulweſen“, mit ſeiner ein- ſeitigen Einſchätzung der zu berufenden Perſonen. In den letzten Jahrzehnten tritt nun neben der Forſchung wieder der Unterricht ſtärker hervor und der Neuaufſchwung dieſer Richtung charakteriſiert geradezu den Zuſtand unſerer Uni- verſitäten in der Gegenwart. Entſprechend der Doppelaufgabe der Univerſität, zu forſchen und zu lehren, iſt dieſe Wandlung mit Befriedigung zu begrüßen und eine unſerer Hauptaufgaben iſt, ſtrenge darauf zu achten, daß nicht durch dieſe Aenderung ein Mißverhältnis entſtehe und daß nicht durch ein einſeitiges Vortreten der Lehrtätigkeit die Forſchung an den Univer- ſitäten leidet. Gegenwärtig befinden wir uns in einem Uebergangsſtadium, denn die beiden Aufgaben ſind vielfach noch nicht in das richtige Verhältnis zu einander geſetzt, die Konſequenzen aus der ſtärkeren Ausgeſtaltung der einen auf die andere ſind noch nicht gezogen. Die Folge davon iſt das Gefühl der Reformbedürftigkeit. Die Gründe für das ſtärkere Hervortreten der Unterrichtstätigkeit an unſeren Univer- ſitäten ſind innere und äußere, zunächſt das gewaltige Anwachſen des Unterrichtsſtoffes und die weſentliche Aenderung der Unterrichtsmethode. Die Zeiten der alljährlich ſich wiederholenden, lehrbuchartigen Vorleſungen ſind definitiv vorbei. Demonſtrationen, Experimente, die Tätigkeit im Laboratorium, im Inſtitut oder im Seminar treten dazu und ſind in vielen Fällen der wertvollſte Teil des Unter- richts, der aber ſchließlich die Zeit des Lehrers voll- ſtändigabſorbiert. Zugleich aber haben wir ſelbſt uns geändert. Der in ſeinem wiſſenſchaftlichen Berufe vollſtändig aufgehende „weltfremde“ Gelehrte iſt heute an unſeren Univerſitäten eine ſeltene Erſcheinung. Wir ſind modernere Menſchen geworden, denken ſozial und dienen dem Staat und der Geſellſchaft. Dazu treten die größeren An- forderungen, die die Bevölkerung an uns ſtellt. Immer größer wird die Zahl der Stände, die für den Nachwuchs den akademiſchen Unterricht als Grundlage des ſpätern Lebenslaufs fordern, die Volkshochſchule! In Oeſterreich und in Wien treten weitere Umſtände hinzu, in erſter Linie die enorme Zunahme der Zahl der Studierenden, die in den letzten Jahren 10.000 überſchritt. Wir haben heute ſchon eine Ueberproduktion akademiſch gebildeter Menſchen, die eine dieſer Bildung entſprechende Lebens- ſtellung wünſcht. Dieſen Studentenmaſſen ſind wir lehramtlich vielfach nicht mehr gewachſen. Wäre die enorme Zahl unſerer Studenten ein Symptom der Bildungshöhe und der ſozialen Lage unſerer Bevölkerung. ſo könnten wir ſie in einem beſtimmten Sinne freudig be- grüßen. Wir wiſſen aber genau, daß dies nicht der Fall iſt. Sie iſt in erſter Linie die Folge der unglücklichen Politik, die die Errichtung von Mittelſchulen von Bedürfniſſen parlamentariſcher Parteien oder der Regierung abhängig machte. In wenigen Kulturſtaaten iſt das Unterrichtsweſen ſo wenig frei von poli- tiſchen Strömungen, wie bei uns. Wir fühlen im Univerſitäts- leben die Folgen davon und können nur wünſchen, daß manche politiſche Kreiſe, wenn ſie ſchon ihre poſitiven Pflichten der Wiſſenſchaft gegenüber gering einſchätzen, doch wenigſtens in ihren Beſtrebungen vor den Pforten der ihr geweihten Stätten Halt machen. Die Ueberzahl der Hörer hat aber auch eine Herabdrückung ihres geiſtigen Niveaus bewirkt, da an manchen Orten den Mittelſchulen die nötige Schülerzahl ſonſt nicht vorhanden wäre. Das ſind Verhältniſſe, die ſpeziell unſere deutſchen Univerſitäten in Oeſterreich treffen und eine ſtarke Belaſtung der Lehrer zur Folge haben. In Deutſchland treten die Nachteile weniger hervor, weil die ſogenannten kleinen Univerſitäten den Lehrern und Hörern mancherlei Ab- hilfe bieten. Bei uns in Oeſterreich hat man vielfach der Ent- wicklung der deutſchen Provinzuniverſitäten zu geringe Auf- merkſamkeit zugewendet, ſo daß dort wegen zu ſparſamer Aus- ſtattung vielfach Wiſſenſchaft und Lehre nicht zur Entfaltung kommen konnten. Die Rückwirkung dieſer Verhältniſſe iſt nun, daß die Forſchung, dieſe Hauptaufgabe unſerer deutſchen Univer- ſitäten, welche die Größe und das Anſehen der deutſchen Univerſitäten im 19. Jahrhundert bewirkte, beeinträch- tigt wird. Die wiſſenſchaftliche Forſchung verlangt geiſtige Konzentration und Vertiefung, jene Ruhe und Freiheit, die manchen Forſcher zur Weltflucht und Unzu- gänglichkeit zwang. Wer von den Wiener Lehrern hat dieſe Ruhe in ausreichendem Maße, wenn er eine größere Lehrtätigkeit entfaltet? Wir führen alle mehr oder weniger einen verzweifelten Kampf um die Vorbe- dingung wiſſenſchaftlicher Arbeit. Der eine gibt die aktive For- ſchung auf und widmet ſich ganz der Lehrtätigkeit, der andere ſchränkt die Lehrtätigkeit ein und rettet ſo ſeine wiſſenſchaftliche Arbeitsfähigkeit Ein großer Teil ſchließt Kompromiſſe. Das Leben einiger der beſten unter uns weiſt den tragiſchen Zug auf, daß ſie aus Idealismus ihr wiſſenſchaftliches Ziel nicht erreichen konnten. Auch der akademiſche Nachwuchs hat unter dieſen Verhältniſſen zu leiden. Eine weitere Folge des ſtarken Hervortretens der Lehrtätigkeit iſt aber auch die geringe Fürſorge, welche wichtigen Diszi- plinen zuteil wird, die im Unter- richtsbetriebe weniger hervortreten. Hochangeſehene und wichtige Wiſſenſchaften ſind bei uns in ihrer Ent- wicklung gerade zu gehemmt, weil auch aus finanziellen Gründen bloß jene Fächer am meiſten gepflegt werden, die für den Unterricht von beſonderer Bedeutung ſind. Dieſe Zuſtände ſind bedenklich, weil durch ſie wenigſtens an den größeren Univerſitäten die Forſchung eine Schmälerung erfährt. Dafür haben wir bereits eine Reihe von Symptomen. In erſter Linie iſt es die in den letzten Jahren immer ſtärker hervortretende Bewegung zur Errichtung eigener wiſſenſchaftlicher Forſchungsinſtitute. Es iſt klar, daß ſolche Inſtitute neben den Univerſitäten beſtehen müſſen. Wenn wir aber ſehen, wie die Univerſitätslehrer die Ueberſiedlung in ſolche Inſtitute erſtreben, ſo iſt das wohl ein Symptom dafür, daß die Univerſitäten vielfach nicht mehr die Möglichkeit zur ausreichenden Pflege einer Wiſſenſchaft bieten. Lehrreich iſt es, daß gerade in den großen Univerſitäten dieſe Bewegung beſonders bemerkbar iſt, wie in Berlin und Wien. Ein zweites beachtenswertes Symptom iſt das an den großen Univerſitäten zunehmende Beſtreben der Profeſſoren, Erleichterungen der Lehrtätigkeit zu erlangen, um überhaupt noch wiſſenſchaftlich arbeiten zu können. Es werden ſchon Stimmen laut, die die beſorgte Frage aufwerfen, ob die deutſchen Täglich vor dem Schlafengehen ein Glas des natürlichen Hunyadi János Bitterwaſſer ge- nommen bringt jedermann nach ungeſtörter Nachtruhe am Morgen zwangsloſe und prompte Entleerung und mit ihr jenes Gefühl von Wohlbefinden an Körper und Geiſt, die für förderſame Tagesarbeit die wichtigſte Vorausſetzung ſind. Darum hat ein bekannter deutſcher Arzt und Uni- verſitätslehrer, den Satz des berühmten vorchriſtlichen Malers Apelles variierend, das Wort geprägt: „Nulla dies sine, Hunyadi János“, „Kein Tag ohne Hunyadi János“.

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Zitationshilfe: Reichspost. Nr. 495, Wien, 20.10.1913, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_reichspost495_1913/3>, abgerufen am 21.11.2024.