[N. N.]: Neuer Lust- und Lehrreicher Schau-Platz. Nürnberg, 1685.Meeres wohl ansiehet/ desselben Endschafft aber nicht erreichet: Also erkennet zwar der Mensch auf dem Edboden des Allerhöchsten Barmhertzigkeit/ er vermag aber dessen unendliche Gütigkeit nicht zu übersehen. Betrachtet man hingegen den Menschen/ so ist er gebrechlicher denn ein Glaß/ der täglich mit seinen geschwächten Kräfften nach dem Grabe eilet. Sein Wille ist nach dem Sünden-Fall weder beständig noch vollkommen. Der Heilige Augustinus sagt hiervon dieses: Ich war der da wollte/ und war auch der/ der da nicht wollte: Ich wollte vollkommen seyn/ und doch nicht. Darum stritte ich mit mir selbst. Menschen-Verstand kan in GOTTES Wort nichts urtheilen. Seine Crone auf dem Haupte ist ein nichtiger Dampf/ und sein Scepter ein zerbrechliches Ding. Er vergisset bey seinem Leben die Schwachheit des Leibes/ und wird doch unverhofft durch den Tod von der Zahl der Lebendigen gerissen. Wie ein reiffer Apfel selten ohne Mackel: Also ist auch der Mensch niemahls ohne Sünde. Sein Leben fänget sich an wie eine reiffe Frucht. Die Sonne und der Mond verharret niemahls an einem Orte. Gleiche Bewandnis hat es auch mit unserer Seele und dem Leibe. Wir werden frömmer oder böser/ grösser oder kleiner/ stärcker oder schwächer / gesunder oder kräncker/ tugendhaffter oder lasterhaffter. Wie nun die meisten Menschen in den Tag hinein leben: also find auch die/ welche sich mit Tugend / Weißheit/ Verstand und Beredtsamkeit für Andern geschickter machen/ für Götter der Welt zu achten. Weise Leute. Wenn die Alten uus wollten zum Fleiß der Weißheit anmahnen/ so gaben sie vor/ es rühre vom-Mercurio her/ alldieweil Er jederzeit ein weiser/ kluger und beredter-Mann gewesen sey. Es hat unter andern mit dem Weisen die Beschaffenheit/ daß Er alle Sachen in der Welt weißlich überleget. Will man zwischen ihm und dem Ungeschickten einen Unterscheid suchen/ so schicke man sie beyde ohne Geld in die Frembde/ alsdann wird der Weise sich mit Ruhm und Ehren fortbringen können/ der Ungeschickte aber betteln gehen müssen. Der Weißheit pflegte man zwey Gesichter zu mahlen: Eines sahe zurücke auf das Vergangene; das Andere vor sich aus das Zukünfftige / und machte aus beyden anf das Gegenwärtige einen gewissen Schluß. Sie ist eben diejenige/ so im Gehirne wächset/ aus der Erfahrung geschärffet/ und durch die tägliche Lehre und Unterrichtung bekräfftiget wird. Und gleichwie die Lufft bey der Sonne hell und klar; wenn solche aber weichet/ für nichts als Finsternis anzusehen: Also ergehe es auch dem Menschen/ wenn er sich keiner Weißheit befleissiget. Die ist das rechte Saltz/ wormit alle Dinge in der Welt müssen gesaltzen werden. Der weise Bion rühmet dieselbe und saget/ daß sie nicht unbillich als ein Auge und Gesichte des Menschen allen andern Sinnen vorgezogen werde. Die Alten wahleten sie in Gestalt eines Bildnisses/ welches allenthalben um sich sahe/ und alle diejenigen/ sie mochten stehen auf welcher Seiten sie wollten/ anschauete. Cicero nennet sie eine Meisterin des Lebens. Denn weil sie allein höchstmächtig/ und allen denen/ so eintzige Gewalt oder Verrichtung auf sich/ hierzu eine Anleitung giebet/ so ist sie eine solche Göttliche Gabe/ die allen andern weit vorzuziehen. Multitudo Sapientum est Sanitas orbis Terrarum. Die Menge der Weisen ist eine Gesundheit des Erdbodens. Man lieset in des Adriani Junii Emblematibus, daß man den Mercurium auf zweyerley Weise/ nemlich in seiner blühenden Jugend und hohen Alter abgebildet / wodurch man anzeiget/ daß der/ welcher als ein König regieren will/ nicht nur müsse starck und Meeres wohl ansiehet/ desselben Endschafft aber nicht erreichet: Also erkennet zwar der Mensch auf dem Edboden des Allerhöchsten Barmhertzigkeit/ er vermag aber dessen unendliche Gütigkeit nicht zu übersehen. Betrachtet man hingegen den Menschen/ so ist er gebrechlicher denn ein Glaß/ der täglich mit seinen geschwächten Kräfften nach dem Grabe eilet. Sein Wille ist nach dem Sünden-Fall weder beständig noch vollkommen. Der Heilige Augustinus sagt hiervon dieses: Ich war der da wollte/ und war auch der/ der da nicht wollte: Ich wollte vollkommen seyn/ und doch nicht. Darum stritte ich mit mir selbst. Menschen-Verstand kan in GOTTES Wort nichts urtheilen. Seine Crone auf dem Haupte ist ein nichtiger Dampf/ und sein Scepter ein zerbrechliches Ding. Er vergisset bey seinem Leben die Schwachheit des Leibes/ und wird doch unverhofft durch den Tod von der Zahl der Lebendigen gerissen. Wie ein reiffer Apfel selten ohne Mackel: Also ist auch der Mensch niemahls ohne Sünde. Sein Leben fänget sich an wie eine reiffe Frucht. Die Sonne und der Mond verharret niemahls an einem Orte. Gleiche Bewandnis hat es auch mit unserer Seele und dem Leibe. Wir werden frömmer oder böser/ grösser oder kleiner/ stärcker oder schwächer / gesunder oder kräncker/ tugendhaffter oder lasterhaffter. Wie nun die meisten Menschen in den Tag hinein leben: also find auch die/ welche sich mit Tugend / Weißheit/ Verstand und Beredtsamkeit für Andern geschickter machen/ für Götter der Welt zu achten. Weise Leute. Wenn die Alten uus wollten zum Fleiß der Weißheit anmahnen/ so gaben sie vor/ es rühre vom-Mercurio her/ alldieweil Er jederzeit ein weiser/ kluger und beredter-Mann gewesen sey. Es hat unter andern mit dem Weisen die Beschaffenheit/ daß Er alle Sachen in der Welt weißlich überleget. Will man zwischen ihm und dem Ungeschickten einen Unterscheid suchen/ so schicke man sie beyde ohne Geld in die Frembde/ alsdann wird der Weise sich mit Ruhm und Ehren fortbringen können/ der Ungeschickte aber betteln gehen müssen. Der Weißheit pflegte man zwey Gesichter zu mahlen: Eines sahe zurücke auf das Vergangene; das Andere vor sich aus das Zukünfftige / und machte aus beyden anf das Gegenwärtige einen gewissen Schluß. Sie ist eben diejenige/ so im Gehirne wächset/ aus der Erfahrung geschärffet/ und durch die tägliche Lehre und Unterrichtung bekräfftiget wird. Und gleichwie die Lufft bey der Sonne hell und klar; wenn solche aber weichet/ für nichts als Finsternis anzusehen: Also ergehe es auch dem Menschen/ wenn er sich keiner Weißheit befleissiget. Die ist das rechte Saltz/ wormit alle Dinge in der Welt müssen gesaltzen werden. Der weise Bion rühmet dieselbe und saget/ daß sie nicht unbillich als ein Auge und Gesichte des Menschen allen andern Sinnen vorgezogen werde. Die Alten wahleten sie in Gestalt eines Bildnisses/ welches allenthalben um sich sahe/ und alle diejenigen/ sie mochten stehen auf welcher Seiten sie wollten/ anschauete. Cicero nennet sie eine Meisterin des Lebens. Denn weil sie allein höchstmächtig/ und allen denen/ so eintzige Gewalt oder Verrichtung auf sich/ hierzu eine Anleitung giebet/ so ist sie eine solche Göttliche Gabe/ die allen andern weit vorzuziehen. Multitudo Sapientum est Sanitas orbis Terrarum. Die Menge der Weisen ist eine Gesundheit des Erdbodens. Man lieset in des Adriani Junii Emblematibus, daß man den Mercurium auf zweyerley Weise/ nemlich in seiner blühenden Jugend und hohen Alter abgebildet / wodurch man anzeiget/ daß der/ welcher als ein König regieren will/ nicht nur müsse starck und <TEI> <text> <body> <div> <p><pb facs="#f0472" n="438"/> Meeres wohl ansiehet/ desselben Endschafft aber nicht erreichet: Also erkennet zwar der Mensch auf dem Edboden des Allerhöchsten Barmhertzigkeit/ er vermag aber dessen unendliche Gütigkeit nicht zu übersehen. Betrachtet man hingegen den Menschen/ so ist er gebrechlicher denn ein Glaß/ der täglich mit seinen geschwächten Kräfften nach dem Grabe eilet. Sein Wille ist nach dem Sünden-Fall weder beständig noch vollkommen. Der Heilige Augustinus sagt hiervon dieses: Ich war der da wollte/ und war auch der/ der da nicht wollte: Ich wollte vollkommen seyn/ und doch nicht. Darum stritte ich mit mir selbst. Menschen-Verstand kan in GOTTES Wort nichts urtheilen. Seine Crone auf dem Haupte ist ein nichtiger Dampf/ und sein Scepter ein zerbrechliches Ding. Er vergisset bey seinem Leben die Schwachheit des Leibes/ und wird doch unverhofft durch den Tod von der Zahl der Lebendigen gerissen. Wie ein reiffer Apfel selten ohne Mackel: Also ist auch der Mensch niemahls ohne Sünde. Sein Leben fänget sich an wie eine reiffe Frucht. Die Sonne und der Mond verharret niemahls an einem Orte. Gleiche Bewandnis hat es auch mit unserer Seele und dem Leibe. Wir werden frömmer oder böser/ grösser oder kleiner/ stärcker oder schwächer / gesunder oder kräncker/ tugendhaffter oder lasterhaffter. Wie nun die meisten Menschen in den Tag hinein leben: also find auch die/ welche sich mit Tugend / Weißheit/ Verstand und Beredtsamkeit für Andern geschickter machen/ für Götter der Welt zu achten.</p> <p><note place="left">Weise Leute.</note> Wenn die Alten uus wollten zum Fleiß der Weißheit anmahnen/ so gaben sie vor/ es rühre vom-Mercurio her/ alldieweil Er jederzeit ein weiser/ kluger und beredter-Mann gewesen sey.</p> <p>Es hat unter andern mit dem Weisen die Beschaffenheit/ daß Er alle Sachen in der Welt weißlich überleget. Will man zwischen ihm und dem Ungeschickten einen Unterscheid suchen/ so schicke man sie beyde ohne Geld in die Frembde/ alsdann wird der Weise sich mit Ruhm und Ehren fortbringen können/ der Ungeschickte aber betteln gehen müssen. Der Weißheit pflegte man zwey Gesichter zu mahlen: Eines sahe zurücke auf das Vergangene; das Andere vor sich aus das Zukünfftige / und machte aus beyden anf das Gegenwärtige einen gewissen Schluß. Sie ist eben diejenige/ so im Gehirne wächset/ aus der Erfahrung geschärffet/ und durch die tägliche Lehre und Unterrichtung bekräfftiget wird. Und gleichwie die Lufft bey der Sonne hell und klar; wenn solche aber weichet/ für nichts als Finsternis anzusehen: Also ergehe es auch dem Menschen/ wenn er sich keiner Weißheit befleissiget. Die ist das rechte Saltz/ wormit alle Dinge in der Welt müssen gesaltzen werden. Der weise Bion rühmet dieselbe und saget/ daß sie nicht unbillich als ein Auge und Gesichte des Menschen allen andern Sinnen vorgezogen werde. Die Alten wahleten sie in Gestalt eines Bildnisses/ welches allenthalben um sich sahe/ und alle diejenigen/ sie mochten stehen auf welcher Seiten sie wollten/ anschauete. Cicero nennet sie eine Meisterin des Lebens. Denn weil sie allein höchstmächtig/ und allen denen/ so eintzige Gewalt oder Verrichtung auf sich/ hierzu eine Anleitung giebet/ so ist sie eine solche Göttliche Gabe/ die allen andern weit vorzuziehen. Multitudo Sapientum est Sanitas orbis Terrarum. Die Menge der Weisen ist eine Gesundheit des Erdbodens. Man lieset in des Adriani Junii Emblematibus, daß man den Mercurium auf zweyerley Weise/ nemlich in seiner blühenden Jugend und hohen Alter abgebildet / wodurch man anzeiget/ daß der/ welcher als ein König regieren will/ nicht nur müsse starck und </p> </div> </body> </text> </TEI> [438/0472]
Meeres wohl ansiehet/ desselben Endschafft aber nicht erreichet: Also erkennet zwar der Mensch auf dem Edboden des Allerhöchsten Barmhertzigkeit/ er vermag aber dessen unendliche Gütigkeit nicht zu übersehen. Betrachtet man hingegen den Menschen/ so ist er gebrechlicher denn ein Glaß/ der täglich mit seinen geschwächten Kräfften nach dem Grabe eilet. Sein Wille ist nach dem Sünden-Fall weder beständig noch vollkommen. Der Heilige Augustinus sagt hiervon dieses: Ich war der da wollte/ und war auch der/ der da nicht wollte: Ich wollte vollkommen seyn/ und doch nicht. Darum stritte ich mit mir selbst. Menschen-Verstand kan in GOTTES Wort nichts urtheilen. Seine Crone auf dem Haupte ist ein nichtiger Dampf/ und sein Scepter ein zerbrechliches Ding. Er vergisset bey seinem Leben die Schwachheit des Leibes/ und wird doch unverhofft durch den Tod von der Zahl der Lebendigen gerissen. Wie ein reiffer Apfel selten ohne Mackel: Also ist auch der Mensch niemahls ohne Sünde. Sein Leben fänget sich an wie eine reiffe Frucht. Die Sonne und der Mond verharret niemahls an einem Orte. Gleiche Bewandnis hat es auch mit unserer Seele und dem Leibe. Wir werden frömmer oder böser/ grösser oder kleiner/ stärcker oder schwächer / gesunder oder kräncker/ tugendhaffter oder lasterhaffter. Wie nun die meisten Menschen in den Tag hinein leben: also find auch die/ welche sich mit Tugend / Weißheit/ Verstand und Beredtsamkeit für Andern geschickter machen/ für Götter der Welt zu achten.
Wenn die Alten uus wollten zum Fleiß der Weißheit anmahnen/ so gaben sie vor/ es rühre vom-Mercurio her/ alldieweil Er jederzeit ein weiser/ kluger und beredter-Mann gewesen sey.
Weise Leute. Es hat unter andern mit dem Weisen die Beschaffenheit/ daß Er alle Sachen in der Welt weißlich überleget. Will man zwischen ihm und dem Ungeschickten einen Unterscheid suchen/ so schicke man sie beyde ohne Geld in die Frembde/ alsdann wird der Weise sich mit Ruhm und Ehren fortbringen können/ der Ungeschickte aber betteln gehen müssen. Der Weißheit pflegte man zwey Gesichter zu mahlen: Eines sahe zurücke auf das Vergangene; das Andere vor sich aus das Zukünfftige / und machte aus beyden anf das Gegenwärtige einen gewissen Schluß. Sie ist eben diejenige/ so im Gehirne wächset/ aus der Erfahrung geschärffet/ und durch die tägliche Lehre und Unterrichtung bekräfftiget wird. Und gleichwie die Lufft bey der Sonne hell und klar; wenn solche aber weichet/ für nichts als Finsternis anzusehen: Also ergehe es auch dem Menschen/ wenn er sich keiner Weißheit befleissiget. Die ist das rechte Saltz/ wormit alle Dinge in der Welt müssen gesaltzen werden. Der weise Bion rühmet dieselbe und saget/ daß sie nicht unbillich als ein Auge und Gesichte des Menschen allen andern Sinnen vorgezogen werde. Die Alten wahleten sie in Gestalt eines Bildnisses/ welches allenthalben um sich sahe/ und alle diejenigen/ sie mochten stehen auf welcher Seiten sie wollten/ anschauete. Cicero nennet sie eine Meisterin des Lebens. Denn weil sie allein höchstmächtig/ und allen denen/ so eintzige Gewalt oder Verrichtung auf sich/ hierzu eine Anleitung giebet/ so ist sie eine solche Göttliche Gabe/ die allen andern weit vorzuziehen. Multitudo Sapientum est Sanitas orbis Terrarum. Die Menge der Weisen ist eine Gesundheit des Erdbodens. Man lieset in des Adriani Junii Emblematibus, daß man den Mercurium auf zweyerley Weise/ nemlich in seiner blühenden Jugend und hohen Alter abgebildet / wodurch man anzeiget/ daß der/ welcher als ein König regieren will/ nicht nur müsse starck und
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Zitationshilfe: | [N. N.]: Neuer Lust- und Lehrreicher Schau-Platz. Nürnberg, 1685, S. 438. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_schauplatz_1685/472>, abgerufen am 16.06.2024. |