Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Social-politische Blätter. 2. Lieferung. Berlin, 3. Februar 1873.

Bild:
<< vorherige Seite

Zur Unterhaltung und Belehrung. 26
[Beginn Spaltensatz] mente und überhaupt das gesammte Produkt früherer an-
gehäufter Arbeitskraft, nämlich das Kapital, in den Hän-
den haben, gegen das Jnteresse der großen Majorität
der Menschheit alle Glücksgüter der Welt ausnutzen, allen
ihren Bedürfnissen und Leidenschaften im Ueberfluß fröhnen
können, während die große Masse ihre nothwendigsten Be-
dürfnisse meist nicht einmal befriedigen kann. So wie die
einzelnen Lohnarbeiter an der Maschine selbst zur Maschine
gemacht werden, so werden sie durch das Nichtbefriedigen
der nothwendigen Bedürfnisse des Menschen hinausgedrängt
aus dem Menschenthum.

Sollen wir etwa dazu noch Beweise bringen? Man
schaue nach Schlesien, nach dem Erzgebirge, man blicke in
das sonst so gesegnete Wupperthal und hinein in das hüge-
lige, bergische Land, nach Lennep. Das Proletariat dort
arbeitet unermüdlich, und dennoch leidet es unsägliche Qual.
Es sieht, wie wenige Menschen seine Arbeitskraft verbrauchen,
es sieht den unendlichen Ueberfluß, es sieht den Uebermuth
und die Wollust, es sieht, wie alle Kräfte der Natur und
der Kunst vorzugsweise, nein, man sage ausnahmslos, dem
Reichen zur Verfügung stehen -- und es sieht, wie seine
Glieder, wie die einzelnen Menschen des an das Elend
gefesselten Proletariats dahinsiechen, ohne Glück, ohne
Freude in dumpfigen Fabrikräumen schweigend arbeiten, in
dumpfiger Wohnung in unruhigem Schlafe sich wälzend,
aus röchelnder Brust schwindsüchtig=athmend, die Ruhe, die
erquickende Ruhe vergeblich suchen.

Beweise des angehäuften Reichthums und der größten
Armuth des Proletariats noch zu bringen, ist mehr als
überflüssig, da Beides mit allen fünf Sinnen wahrgenom-
men werden kann.

Die gegenwärtige Produktionsweise ist also eine ver-
derbenbringende, unmoralische -- und was ein bedeutendes
Moment mit ist -- sie macht zwar die Klasse der Kapi-
talbesitzer immer reicher, da die Gesammtproduktion von
Jahr zu Jahr steigt und außerdem die Großproduktion
die kleine immer mehr verschlingt, aber diese selbe Produk-
tionsweise bringt auch die Unsicherheit des Besitzes inner-
halb der Kapitalistenklasse durch die freie Konkurrenz, durch
die planlose Produktion hervor. Sie bewirkt, daß durch
allerlei Spekulationen trotz der daraus erfolgenden mög-
lichst großen Ausnutzung der Arbeitskraft irgend ein Jndi-
viduum aus der Kapitalistenklasse zum vollständigen Ruin
gebracht werden und ein anderes die schwindelnde Höhe
des zehnfachen Millionärs erreichen kann. Die Ausnahme,
daß auch einmal ein Arbeiter durch Glück oder Schwindel-
talent oder andere ganz besondere Fähigkeiten in die Kapi-
talistenklasse gelangen kann, alterirt natürlich das Gesammt-
verhältniß gar nicht. Durch die planlose Produktion kann
sich nicht einmal der einzelne "Beherrscher" der heutigen
Produktionsweise seines Glückes aus ganzem Herzen freuen
-- und das ist leider die einzige Pille in dem vollen
Freudenbecher -- da er nicht weiß, wanu das Verderben
über ihn hereinbrechen kann, und sein irdisches Wohlleben
von einem Anderen aufgenommen wird.

Wir sehen, daß die unorganisirte Arbeit selbst den
Schrecken für die einzelnen Kapitalisten birgt, doch wird
[Spaltenumbruch] derselbe durch die Spielsucht, durch das Hazardspiel der
freien Konkurrenz leicht betäubt.

Die Arbeiter aber werden als Klasse -- nicht als ein-
zelne Jndividnen -- durch die unorganisirte Arbeit noch
härter getroffen, als es in der einfachen Folge der Aus-
beutung des Menschen durch den Menschen liegt. Dieser
Punkt ist allzu wichtig und giebt uns in negativer Weise
die Bestätigung unserer, an der Spitze des Artikels aus-
gesprochenen Behauptung, so daß wir ihn nicht allzu kurz
berühren können.

Den meisten unserer Leser ist das eherne, ökonomische
Lohngesetz bekannt; eine ausführliche Definition desselben
ist wohl nicht nöthig. Wir wollen uns deshalb auf wei-
tere Ausführungen beschränken, indem wir hier einfach die
betreffende Stelle aus dem "Offenen Antwortschreiben" von
Lassalle, Seite 13, abdrucken. Es heißt dort:

"Das eherne ökonomische Gesetz, welches unter
den heutigen Verhältnissen, unter der Herrschaft von An-
gebot und Nachfrage nach Arbeit, den Arbeitslohn be-
stimmt,
ist dieses: daß der durchschnittliche Arbeits-
lohn
immer auf den nothwendigen Lebensunterhalt
reducirt bleibt, der in einem Volke gewohnheits-
mäßig zur Fristung der Existenz und zur Fort-
pflanzung erforderlich ist.
Dies ist der Punkt, um
welchen der wirkliche Tageslohn in Pendelschwingungen
jederzeit herum gravitirt, ohne sich jemals lange weder über
denselben erheben, noch unter denselben hinunterfallen zu
können. Er kann sich nicht dauernd über diesen Durch-
schnitt erheben -- denn sonst entstünde durch die leichte,
bessere Lage der Arbeiter eine Vermehrung der Arbeiter-
ehen und der Arbeiterfortpflanzung, eine Vermehrung der
Arbeiterbevölkerung und somit des Angebots von Händen,
welche den Arbeitslohn wieder auf und unter seinen frü-
heren Stand herabdrücken würde."

Wir sehen also, daß durch dieses Lohngesetz die Aus-
beutung des Menschen durch den Menschen eine gewisse
Beschränkung erleidet, die nicht gestattet, daß der Arbeiter
plötzlich und vollständig durch Ueberanstrengung oder
allzu geringen Ersatz für die verbrauchten Kräfte ausge-
preßt werde, daß ihm vielmehr, wiederum im Allgemeinen
betrachtet, die nothwendigsten Lebensbedürfnisse gewährt
werden müssen.

So steht es im Allgemeinen mit den Folgen der Kapi-
talherrschaft, der heutigen Produktionsweise.

Aber wirft man einen Blick auf die Krisen, welche
die planlose Produktionsweise, die unorganisirte Arbeit
nothwendig erzeugen muß -- nun, dann ist die ruhige
Herrschaft des ehernen ökonomischen Lohngesetzes, so grau-
sam dieselbe an sich ist, immerhin noch eine Wohlthat für
das leidende Proletariat. Durch die Ueberproduktion,
welche nothwendig aus der planlosen Produktion fortwäh-
rend in einzelnen Produktionszweigen erfolgen muß, werden
die dann getroffenen Arbeiter außerhalb des ehernen öko-
nomischen Lohngesetzes gesetzt, sie werden brodlos, buchstäb-
lich auf die Straße geworfen. Und wenn nun auch, indem
man die Pendelschwingungen des Gesetzes verfolgt, immer
wieder eine Zeit kommt, wo die Ueberproduktion verschwun-
den, ja wo ein Mangel an Produkten vorhanden ist und
[Ende Spaltensatz]

Zur Unterhaltung und Belehrung. 26
[Beginn Spaltensatz] mente und überhaupt das gesammte Produkt früherer an-
gehäufter Arbeitskraft, nämlich das Kapital, in den Hän-
den haben, gegen das Jnteresse der großen Majorität
der Menschheit alle Glücksgüter der Welt ausnutzen, allen
ihren Bedürfnissen und Leidenschaften im Ueberfluß fröhnen
können, während die große Masse ihre nothwendigsten Be-
dürfnisse meist nicht einmal befriedigen kann. So wie die
einzelnen Lohnarbeiter an der Maschine selbst zur Maschine
gemacht werden, so werden sie durch das Nichtbefriedigen
der nothwendigen Bedürfnisse des Menschen hinausgedrängt
aus dem Menschenthum.

Sollen wir etwa dazu noch Beweise bringen? Man
schaue nach Schlesien, nach dem Erzgebirge, man blicke in
das sonst so gesegnete Wupperthal und hinein in das hüge-
lige, bergische Land, nach Lennep. Das Proletariat dort
arbeitet unermüdlich, und dennoch leidet es unsägliche Qual.
Es sieht, wie wenige Menschen seine Arbeitskraft verbrauchen,
es sieht den unendlichen Ueberfluß, es sieht den Uebermuth
und die Wollust, es sieht, wie alle Kräfte der Natur und
der Kunst vorzugsweise, nein, man sage ausnahmslos, dem
Reichen zur Verfügung stehen — und es sieht, wie seine
Glieder, wie die einzelnen Menschen des an das Elend
gefesselten Proletariats dahinsiechen, ohne Glück, ohne
Freude in dumpfigen Fabrikräumen schweigend arbeiten, in
dumpfiger Wohnung in unruhigem Schlafe sich wälzend,
aus röchelnder Brust schwindsüchtig=athmend, die Ruhe, die
erquickende Ruhe vergeblich suchen.

Beweise des angehäuften Reichthums und der größten
Armuth des Proletariats noch zu bringen, ist mehr als
überflüssig, da Beides mit allen fünf Sinnen wahrgenom-
men werden kann.

Die gegenwärtige Produktionsweise ist also eine ver-
derbenbringende, unmoralische — und was ein bedeutendes
Moment mit ist — sie macht zwar die Klasse der Kapi-
talbesitzer immer reicher, da die Gesammtproduktion von
Jahr zu Jahr steigt und außerdem die Großproduktion
die kleine immer mehr verschlingt, aber diese selbe Produk-
tionsweise bringt auch die Unsicherheit des Besitzes inner-
halb der Kapitalistenklasse durch die freie Konkurrenz, durch
die planlose Produktion hervor. Sie bewirkt, daß durch
allerlei Spekulationen trotz der daraus erfolgenden mög-
lichst großen Ausnutzung der Arbeitskraft irgend ein Jndi-
viduum aus der Kapitalistenklasse zum vollständigen Ruin
gebracht werden und ein anderes die schwindelnde Höhe
des zehnfachen Millionärs erreichen kann. Die Ausnahme,
daß auch einmal ein Arbeiter durch Glück oder Schwindel-
talent oder andere ganz besondere Fähigkeiten in die Kapi-
talistenklasse gelangen kann, alterirt natürlich das Gesammt-
verhältniß gar nicht. Durch die planlose Produktion kann
sich nicht einmal der einzelne „Beherrscher“ der heutigen
Produktionsweise seines Glückes aus ganzem Herzen freuen
— und das ist leider die einzige Pille in dem vollen
Freudenbecher — da er nicht weiß, wanu das Verderben
über ihn hereinbrechen kann, und sein irdisches Wohlleben
von einem Anderen aufgenommen wird.

Wir sehen, daß die unorganisirte Arbeit selbst den
Schrecken für die einzelnen Kapitalisten birgt, doch wird
[Spaltenumbruch] derselbe durch die Spielsucht, durch das Hazardspiel der
freien Konkurrenz leicht betäubt.

Die Arbeiter aber werden als Klasse — nicht als ein-
zelne Jndividnen — durch die unorganisirte Arbeit noch
härter getroffen, als es in der einfachen Folge der Aus-
beutung des Menschen durch den Menschen liegt. Dieser
Punkt ist allzu wichtig und giebt uns in negativer Weise
die Bestätigung unserer, an der Spitze des Artikels aus-
gesprochenen Behauptung, so daß wir ihn nicht allzu kurz
berühren können.

Den meisten unserer Leser ist das eherne, ökonomische
Lohngesetz bekannt; eine ausführliche Definition desselben
ist wohl nicht nöthig. Wir wollen uns deshalb auf wei-
tere Ausführungen beschränken, indem wir hier einfach die
betreffende Stelle aus dem „Offenen Antwortschreiben“ von
Lassalle, Seite 13, abdrucken. Es heißt dort:

„Das eherne ökonomische Gesetz, welches unter
den heutigen Verhältnissen, unter der Herrschaft von An-
gebot und Nachfrage nach Arbeit, den Arbeitslohn be-
stimmt,
ist dieses: daß der durchschnittliche Arbeits-
lohn
immer auf den nothwendigen Lebensunterhalt
reducirt bleibt, der in einem Volke gewohnheits-
mäßig zur Fristung der Existenz und zur Fort-
pflanzung erforderlich ist.
Dies ist der Punkt, um
welchen der wirkliche Tageslohn in Pendelschwingungen
jederzeit herum gravitirt, ohne sich jemals lange weder über
denselben erheben, noch unter denselben hinunterfallen zu
können. Er kann sich nicht dauernd über diesen Durch-
schnitt erheben — denn sonst entstünde durch die leichte,
bessere Lage der Arbeiter eine Vermehrung der Arbeiter-
ehen und der Arbeiterfortpflanzung, eine Vermehrung der
Arbeiterbevölkerung und somit des Angebots von Händen,
welche den Arbeitslohn wieder auf und unter seinen frü-
heren Stand herabdrücken würde.“

Wir sehen also, daß durch dieses Lohngesetz die Aus-
beutung des Menschen durch den Menschen eine gewisse
Beschränkung erleidet, die nicht gestattet, daß der Arbeiter
plötzlich und vollständig durch Ueberanstrengung oder
allzu geringen Ersatz für die verbrauchten Kräfte ausge-
preßt werde, daß ihm vielmehr, wiederum im Allgemeinen
betrachtet, die nothwendigsten Lebensbedürfnisse gewährt
werden müssen.

So steht es im Allgemeinen mit den Folgen der Kapi-
talherrschaft, der heutigen Produktionsweise.

Aber wirft man einen Blick auf die Krisen, welche
die planlose Produktionsweise, die unorganisirte Arbeit
nothwendig erzeugen muß — nun, dann ist die ruhige
Herrschaft des ehernen ökonomischen Lohngesetzes, so grau-
sam dieselbe an sich ist, immerhin noch eine Wohlthat für
das leidende Proletariat. Durch die Ueberproduktion,
welche nothwendig aus der planlosen Produktion fortwäh-
rend in einzelnen Produktionszweigen erfolgen muß, werden
die dann getroffenen Arbeiter außerhalb des ehernen öko-
nomischen Lohngesetzes gesetzt, sie werden brodlos, buchstäb-
lich auf die Straße geworfen. Und wenn nun auch, indem
man die Pendelschwingungen des Gesetzes verfolgt, immer
wieder eine Zeit kommt, wo die Ueberproduktion verschwun-
den, ja wo ein Mangel an Produkten vorhanden ist und
[Ende Spaltensatz]

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="jArticle" n="1">
        <p><pb facs="#f0002" n="26"/><fw type="header" place="top"><hi rendition="#g">Zur Unterhaltung und Belehrung.</hi> 26</fw><cb type="start"/>
mente und überhaupt das gesammte Produkt früherer an-<lb/>
gehäufter Arbeitskraft, nämlich das Kapital, in den Hän-<lb/>
den haben, <hi rendition="#g">gegen das Jnteresse</hi> der großen Majorität<lb/>
der Menschheit alle Glücksgüter der Welt ausnutzen, allen<lb/>
ihren Bedürfnissen und Leidenschaften im Ueberfluß fröhnen<lb/>
können, während die große Masse ihre nothwendigsten Be-<lb/>
dürfnisse meist nicht einmal befriedigen kann. So wie die<lb/>
einzelnen Lohnarbeiter an der Maschine selbst zur Maschine<lb/>
gemacht werden, so werden sie durch das Nichtbefriedigen<lb/>
der nothwendigen Bedürfnisse des Menschen hinausgedrängt<lb/>
aus dem Menschenthum.</p><lb/>
        <p>Sollen wir etwa dazu noch Beweise bringen? Man<lb/>
schaue nach Schlesien, nach dem Erzgebirge, man blicke in<lb/>
das sonst so gesegnete Wupperthal und hinein in das hüge-<lb/>
lige, bergische Land, nach Lennep. Das Proletariat dort<lb/>
arbeitet unermüdlich, und dennoch leidet es unsägliche Qual.<lb/>
Es sieht, wie wenige Menschen seine Arbeitskraft verbrauchen,<lb/>
es sieht den unendlichen Ueberfluß, es sieht den Uebermuth<lb/>
und die Wollust, es sieht, wie alle Kräfte der Natur und<lb/>
der Kunst vorzugsweise, nein, man sage ausnahmslos, dem<lb/>
Reichen zur Verfügung stehen &#x2014; und es sieht, wie seine<lb/>
Glieder, wie die einzelnen Menschen des an das Elend<lb/>
gefesselten Proletariats dahinsiechen, ohne Glück, ohne<lb/>
Freude in dumpfigen Fabrikräumen schweigend arbeiten, in<lb/>
dumpfiger Wohnung in unruhigem Schlafe sich wälzend,<lb/>
aus röchelnder Brust schwindsüchtig=athmend, die Ruhe, die<lb/>
erquickende Ruhe vergeblich suchen.</p><lb/>
        <p>Beweise des angehäuften Reichthums und der größten<lb/>
Armuth des Proletariats noch zu bringen, ist mehr als<lb/>
überflüssig, da Beides mit allen fünf Sinnen wahrgenom-<lb/>
men werden kann.</p><lb/>
        <p>Die gegenwärtige Produktionsweise ist also eine ver-<lb/>
derbenbringende, unmoralische &#x2014; und was ein bedeutendes<lb/>
Moment mit ist &#x2014; sie macht zwar die <hi rendition="#g">Klasse</hi> der Kapi-<lb/>
talbesitzer immer reicher, da die Gesammtproduktion von<lb/>
Jahr zu Jahr steigt und außerdem die Großproduktion<lb/>
die kleine immer mehr verschlingt, aber diese selbe Produk-<lb/>
tionsweise bringt auch die Unsicherheit des Besitzes inner-<lb/>
halb der Kapitalistenklasse durch die freie Konkurrenz, durch<lb/>
die planlose Produktion hervor. Sie bewirkt, daß durch<lb/>
allerlei Spekulationen trotz der daraus erfolgenden mög-<lb/>
lichst großen Ausnutzung der Arbeitskraft irgend ein Jndi-<lb/>
viduum aus der Kapitalistenklasse zum vollständigen Ruin<lb/>
gebracht werden und ein anderes die schwindelnde Höhe<lb/>
des zehnfachen Millionärs erreichen kann. Die Ausnahme,<lb/>
daß auch einmal ein Arbeiter durch Glück oder Schwindel-<lb/>
talent oder andere ganz besondere Fähigkeiten in die Kapi-<lb/>
talistenklasse gelangen kann, alterirt natürlich das Gesammt-<lb/>
verhältniß gar nicht. Durch die planlose Produktion kann<lb/>
sich nicht einmal der einzelne &#x201E;Beherrscher&#x201C; der heutigen<lb/>
Produktionsweise seines Glückes aus ganzem Herzen freuen<lb/>
&#x2014; und das ist leider die <hi rendition="#g">einzige</hi> Pille in dem vollen<lb/>
Freudenbecher &#x2014; da er nicht weiß, wanu das Verderben<lb/>
über ihn hereinbrechen kann, und sein irdisches Wohlleben<lb/>
von einem Anderen aufgenommen wird.</p><lb/>
        <p>Wir sehen, daß die unorganisirte Arbeit selbst den<lb/>
Schrecken für die einzelnen Kapitalisten birgt, doch wird<lb/><cb n="2"/>
derselbe durch die Spielsucht, durch das Hazardspiel der<lb/>
freien Konkurrenz leicht betäubt.</p><lb/>
        <p>Die Arbeiter aber werden als Klasse &#x2014; nicht als ein-<lb/>
zelne Jndividnen &#x2014; durch die unorganisirte Arbeit noch<lb/>
härter getroffen, als es in der einfachen Folge der Aus-<lb/>
beutung des Menschen durch den Menschen liegt. Dieser<lb/>
Punkt ist allzu wichtig und giebt uns in negativer Weise<lb/>
die Bestätigung unserer, an der Spitze des Artikels aus-<lb/>
gesprochenen Behauptung, so daß wir ihn nicht allzu kurz<lb/>
berühren können.</p><lb/>
        <p>Den meisten unserer Leser ist das eherne, ökonomische<lb/>
Lohngesetz bekannt; eine ausführliche Definition desselben<lb/>
ist wohl nicht nöthig. Wir wollen uns deshalb auf wei-<lb/>
tere Ausführungen beschränken, indem wir hier einfach die<lb/>
betreffende Stelle aus dem &#x201E;Offenen Antwortschreiben&#x201C; von<lb/>
Lassalle, Seite 13, abdrucken. Es heißt dort:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Das <hi rendition="#g">eherne ökonomische Gesetz,</hi> welches unter<lb/>
den heutigen Verhältnissen, unter der Herrschaft von An-<lb/>
gebot und Nachfrage nach Arbeit, <hi rendition="#g">den Arbeitslohn be-<lb/>
stimmt,</hi> ist dieses: daß der <hi rendition="#g">durchschnittliche Arbeits-<lb/>
lohn</hi> immer auf den <hi rendition="#g">nothwendigen Lebensunterhalt<lb/>
reducirt bleibt, der in einem Volke gewohnheits-<lb/>
mäßig zur Fristung der Existenz und zur Fort-<lb/>
pflanzung erforderlich ist.</hi> Dies ist der Punkt, um<lb/>
welchen der wirkliche Tageslohn in Pendelschwingungen<lb/>
jederzeit herum gravitirt, ohne sich jemals lange weder über<lb/>
denselben erheben, noch unter denselben hinunterfallen zu<lb/>
können. Er kann sich nicht dauernd <hi rendition="#g">über</hi> diesen Durch-<lb/>
schnitt erheben &#x2014; denn sonst entstünde durch die leichte,<lb/>
bessere Lage der Arbeiter eine Vermehrung der Arbeiter-<lb/>
ehen und der Arbeiterfortpflanzung, eine Vermehrung der<lb/>
Arbeiterbevölkerung und somit des Angebots von <hi rendition="#g">Händen,</hi><lb/>
welche den Arbeitslohn wieder <hi rendition="#g">auf</hi> und <hi rendition="#g">unter</hi> seinen frü-<lb/>
heren Stand herabdrücken würde.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Wir sehen also, daß durch dieses Lohngesetz die Aus-<lb/>
beutung des Menschen durch den Menschen eine gewisse<lb/>
Beschränkung erleidet, die nicht gestattet, daß der Arbeiter<lb/><hi rendition="#g">plötzlich und vollständig</hi> durch Ueberanstrengung oder<lb/>
allzu geringen Ersatz für die verbrauchten Kräfte ausge-<lb/>
preßt werde, daß ihm vielmehr, wiederum im Allgemeinen<lb/>
betrachtet, die nothwendigsten Lebensbedürfnisse gewährt<lb/>
werden müssen.</p><lb/>
        <p>So steht es im Allgemeinen mit den Folgen der Kapi-<lb/>
talherrschaft, der heutigen Produktionsweise.</p><lb/>
        <p>Aber wirft man einen Blick auf die <hi rendition="#g">Krisen,</hi> welche<lb/>
die planlose Produktionsweise, die unorganisirte Arbeit<lb/>
nothwendig erzeugen muß &#x2014; nun, dann ist die <hi rendition="#g">ruhige</hi><lb/>
Herrschaft des ehernen ökonomischen Lohngesetzes, so grau-<lb/>
sam dieselbe an sich ist, immerhin noch eine Wohlthat für<lb/>
das leidende Proletariat. Durch die Ueberproduktion,<lb/>
welche nothwendig aus der planlosen Produktion fortwäh-<lb/>
rend in einzelnen Produktionszweigen erfolgen muß, werden<lb/>
die dann getroffenen Arbeiter außerhalb des ehernen öko-<lb/>
nomischen Lohngesetzes gesetzt, sie werden brodlos, buchstäb-<lb/>
lich auf die Straße geworfen. Und wenn nun auch, indem<lb/>
man die Pendelschwingungen des Gesetzes verfolgt, immer<lb/>
wieder eine Zeit kommt, wo die Ueberproduktion verschwun-<lb/>
den, ja wo ein Mangel an Produkten vorhanden ist und<lb/><cb type="end"/>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[26/0002] Zur Unterhaltung und Belehrung. 26 mente und überhaupt das gesammte Produkt früherer an- gehäufter Arbeitskraft, nämlich das Kapital, in den Hän- den haben, gegen das Jnteresse der großen Majorität der Menschheit alle Glücksgüter der Welt ausnutzen, allen ihren Bedürfnissen und Leidenschaften im Ueberfluß fröhnen können, während die große Masse ihre nothwendigsten Be- dürfnisse meist nicht einmal befriedigen kann. So wie die einzelnen Lohnarbeiter an der Maschine selbst zur Maschine gemacht werden, so werden sie durch das Nichtbefriedigen der nothwendigen Bedürfnisse des Menschen hinausgedrängt aus dem Menschenthum. Sollen wir etwa dazu noch Beweise bringen? Man schaue nach Schlesien, nach dem Erzgebirge, man blicke in das sonst so gesegnete Wupperthal und hinein in das hüge- lige, bergische Land, nach Lennep. Das Proletariat dort arbeitet unermüdlich, und dennoch leidet es unsägliche Qual. Es sieht, wie wenige Menschen seine Arbeitskraft verbrauchen, es sieht den unendlichen Ueberfluß, es sieht den Uebermuth und die Wollust, es sieht, wie alle Kräfte der Natur und der Kunst vorzugsweise, nein, man sage ausnahmslos, dem Reichen zur Verfügung stehen — und es sieht, wie seine Glieder, wie die einzelnen Menschen des an das Elend gefesselten Proletariats dahinsiechen, ohne Glück, ohne Freude in dumpfigen Fabrikräumen schweigend arbeiten, in dumpfiger Wohnung in unruhigem Schlafe sich wälzend, aus röchelnder Brust schwindsüchtig=athmend, die Ruhe, die erquickende Ruhe vergeblich suchen. Beweise des angehäuften Reichthums und der größten Armuth des Proletariats noch zu bringen, ist mehr als überflüssig, da Beides mit allen fünf Sinnen wahrgenom- men werden kann. Die gegenwärtige Produktionsweise ist also eine ver- derbenbringende, unmoralische — und was ein bedeutendes Moment mit ist — sie macht zwar die Klasse der Kapi- talbesitzer immer reicher, da die Gesammtproduktion von Jahr zu Jahr steigt und außerdem die Großproduktion die kleine immer mehr verschlingt, aber diese selbe Produk- tionsweise bringt auch die Unsicherheit des Besitzes inner- halb der Kapitalistenklasse durch die freie Konkurrenz, durch die planlose Produktion hervor. Sie bewirkt, daß durch allerlei Spekulationen trotz der daraus erfolgenden mög- lichst großen Ausnutzung der Arbeitskraft irgend ein Jndi- viduum aus der Kapitalistenklasse zum vollständigen Ruin gebracht werden und ein anderes die schwindelnde Höhe des zehnfachen Millionärs erreichen kann. Die Ausnahme, daß auch einmal ein Arbeiter durch Glück oder Schwindel- talent oder andere ganz besondere Fähigkeiten in die Kapi- talistenklasse gelangen kann, alterirt natürlich das Gesammt- verhältniß gar nicht. Durch die planlose Produktion kann sich nicht einmal der einzelne „Beherrscher“ der heutigen Produktionsweise seines Glückes aus ganzem Herzen freuen — und das ist leider die einzige Pille in dem vollen Freudenbecher — da er nicht weiß, wanu das Verderben über ihn hereinbrechen kann, und sein irdisches Wohlleben von einem Anderen aufgenommen wird. Wir sehen, daß die unorganisirte Arbeit selbst den Schrecken für die einzelnen Kapitalisten birgt, doch wird derselbe durch die Spielsucht, durch das Hazardspiel der freien Konkurrenz leicht betäubt. Die Arbeiter aber werden als Klasse — nicht als ein- zelne Jndividnen — durch die unorganisirte Arbeit noch härter getroffen, als es in der einfachen Folge der Aus- beutung des Menschen durch den Menschen liegt. Dieser Punkt ist allzu wichtig und giebt uns in negativer Weise die Bestätigung unserer, an der Spitze des Artikels aus- gesprochenen Behauptung, so daß wir ihn nicht allzu kurz berühren können. Den meisten unserer Leser ist das eherne, ökonomische Lohngesetz bekannt; eine ausführliche Definition desselben ist wohl nicht nöthig. Wir wollen uns deshalb auf wei- tere Ausführungen beschränken, indem wir hier einfach die betreffende Stelle aus dem „Offenen Antwortschreiben“ von Lassalle, Seite 13, abdrucken. Es heißt dort: „Das eherne ökonomische Gesetz, welches unter den heutigen Verhältnissen, unter der Herrschaft von An- gebot und Nachfrage nach Arbeit, den Arbeitslohn be- stimmt, ist dieses: daß der durchschnittliche Arbeits- lohn immer auf den nothwendigen Lebensunterhalt reducirt bleibt, der in einem Volke gewohnheits- mäßig zur Fristung der Existenz und zur Fort- pflanzung erforderlich ist. Dies ist der Punkt, um welchen der wirkliche Tageslohn in Pendelschwingungen jederzeit herum gravitirt, ohne sich jemals lange weder über denselben erheben, noch unter denselben hinunterfallen zu können. Er kann sich nicht dauernd über diesen Durch- schnitt erheben — denn sonst entstünde durch die leichte, bessere Lage der Arbeiter eine Vermehrung der Arbeiter- ehen und der Arbeiterfortpflanzung, eine Vermehrung der Arbeiterbevölkerung und somit des Angebots von Händen, welche den Arbeitslohn wieder auf und unter seinen frü- heren Stand herabdrücken würde.“ Wir sehen also, daß durch dieses Lohngesetz die Aus- beutung des Menschen durch den Menschen eine gewisse Beschränkung erleidet, die nicht gestattet, daß der Arbeiter plötzlich und vollständig durch Ueberanstrengung oder allzu geringen Ersatz für die verbrauchten Kräfte ausge- preßt werde, daß ihm vielmehr, wiederum im Allgemeinen betrachtet, die nothwendigsten Lebensbedürfnisse gewährt werden müssen. So steht es im Allgemeinen mit den Folgen der Kapi- talherrschaft, der heutigen Produktionsweise. Aber wirft man einen Blick auf die Krisen, welche die planlose Produktionsweise, die unorganisirte Arbeit nothwendig erzeugen muß — nun, dann ist die ruhige Herrschaft des ehernen ökonomischen Lohngesetzes, so grau- sam dieselbe an sich ist, immerhin noch eine Wohlthat für das leidende Proletariat. Durch die Ueberproduktion, welche nothwendig aus der planlosen Produktion fortwäh- rend in einzelnen Produktionszweigen erfolgen muß, werden die dann getroffenen Arbeiter außerhalb des ehernen öko- nomischen Lohngesetzes gesetzt, sie werden brodlos, buchstäb- lich auf die Straße geworfen. Und wenn nun auch, indem man die Pendelschwingungen des Gesetzes verfolgt, immer wieder eine Zeit kommt, wo die Ueberproduktion verschwun- den, ja wo ein Mangel an Produkten vorhanden ist und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social02_1873
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social02_1873/2
Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 2. Lieferung. Berlin, 3. Februar 1873, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social02_1873/2>, abgerufen am 29.06.2024.