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Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 8. Lieferung, Nr. 3. Berlin, 15. August 1874.

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Zur Unterhaltung und Belehrung. 198
[Beginn Spaltensatz]

Die "Kirche," oder vielmehr das wohlorganisirte
Pfaffenthum, geht von dem Grundsatze aus, daß die jetzige
Eigenthumsvertheilung und Produktionsweise "göttliche Ein-
richtungen " seien, und es versteht sich denn auch von
selbst, daß nach dieser Auffassung nichts daran geändert
werden darf. -- Weil dann aber eine wesentliche Verbesse-
rung der materiellen Lage der arbeitenden Klasse unmöglich
ist, so wird diese der allgemeinen christlichen Barmherzigkeit
und Liebe empfohlen, die freilich erst durch bessere Hebung
der Kirchlichkeit herbeigeführt werden sollen, -- während
die Arbeiterklasse selbst ermahnt wird, sich der christlichen
Geduld und Enthaltsamkeit zu befleißigen und, da die Erde
ja doch einmal nur ein Jammerthal sei, mit dem Hinblick
auf's Himmelreich sich zu trösten.

Ein katholischer "Laie" erblickt in seiner " volkswirth-
schaftlichen Studie zur Lösung der socialen Frage" in der
Störung des gottgesetzten und gottgewollten Verhältnisses
zwischen dem Producenten der gesammten Schöpfung und
seinen Geschöpfen die Ursachen und in der Wiederherstel-
lung und Aufrechthaltung desselben die Lösung der socialen
Frage, welche Störung seiner Meinung nach anhub in der
Erbsünde, aber bereits beseitigt sei durch den Erlöser und
Heiland, der also auch die sociale Frage gelöst habe, --
weshalb für alle Folgezeit diese Lösung in der consequen-
ten Anwendung des Erlösungswerkes und in der allseitigen
Durchbildung oder vielmehr Ausübung des Christenthums
liege. Nachdem der "Laie" behauptet hat, daß der Mensch
"böse" geboren und nur durch Gewalt "gut" werde mittelst
unausgesetzter Zurechtweisung, Strafe, Bildung und Bei-
hülfe von Andern ( wo und wer sind diese "Andern?" ) ,
empfiehlt er zur ( abermaligen! ) praktischen Lösung der so-
cialen Frage die Aufhebung der Gewerbefreiheit ( welche in
Europa nirgends vollständig besteht ) , der freien Concurrenz
und eine neue Auflage der zunftgemäßen Jnnungen, die
Einschachtelung der gesammten Menschheit in scharf abge-
gegrenzte Berufs=Kasten und -- "von seinem katholischen
Standpunkte aus" -- die Mitwirkung der Kirche, vor
Allem in Bekämpfung des heidnischen Princips der Ge-
werbefreiheit, sonst -- sieht der Verfasser "den Anfang
des Endes, die Fabrik=Etablissements der Zukunft!" -- --

Eine evangelisch=pietistische Sippschaft empfiehlt mit
frommen Mienen und gefalteten Händen den Arbeitern
"Gebet und Arbeit," gerade so, wie der preußische Roh-
heitsstatistiker Herr Harkort in seinen "Briefen," welche
er 1848 und 1849 unter der Vignette eines Bienenkorbes
an, -- nicht für die Arbeiter schrieb. --

Das kapitalbesitzende Bürgerthum und die dessen Jn-
teressen vertretenden gelehrten Bourgeois= ( "National"= )
Oekonomen, in Deutschland Herr Schulze aus Delitzsch an
der Spitze, schon seit langen Jahren vergeblich an dem
kranken "socialen" Körper der deutschen Menschheit herum-
quacksalbernd, -- empfehlen den Arbeitern: Sparsamkeit
und -- Enthaltsamkeit, -- die Kirche: von geistigen Ge-
tränken , Herr von Kirchmann: nicht über zwei Kinder!
-- Um die Arbeiter abzulenken von ernstem Nachdenken
über die ganze Ungeheuerlichkeit ihrer unmenschlichen ver-
[Spaltenumbruch] zweiflungsvollen Lage, von ernstem Streben nach gründ-
licher und nachhaltiger Verbesserung derselben, sucht die
Bourgeoisie nebst ihren Helfershelfern den Arbeitern durch
kindische Vereinsspielereien ( Schützen=, Turn=, Gesang-
Feste ) , deren Kosten die Arbeiter selbst aufbringen
müssen, die wenige Zeit zu vertreiben, welche ihnen außer
der Arbeitszeit verbleibt, nebenbei auch durch Errichtung
nur scheinbar nützlicher Consum- Vereine. -- Die Haupt-
aufgabe der industriellen und handeltreibenden Bourgeoisie
ist die absolute, stramme Aufrechthaltung des jetzigen Sy-
stems, dessen Grundlage die Ausbeutung der großen Masse
der Menschheit durch wenige Spekulanten ist.

Adel! Herrliches Wort!

Es ist eins der schönsten der deutschen Sprache, weil
es den höchsten Grad sittlicher Menschenwürde, edler Ge-
sinnung und deren Bethätigung durch Wort und That be-
zeichnet. Aber fast wäre es fremd geworden und vervehmt,
nachdem vor Jahrhunderten sich seiner als Gesammtbe-
nennung eine Menschenmasse bediente, die zum Theil der
Menschheit größte Plage war. Jedenfalls war der "Adel"
des Raubritterthums eine nicht minder arge Verhöhnung
der menschlichen Vernunft, der Menschheit selbst und ihrer
natürlichen unveräußerlichen Rechte, wie die Anmaßung
der Jesuiten, mit welcher sich diese geistigen "Banditen"
des Priesterthums die "Gesellschaft Jesu" nennen. --

Ein Theil des jetzigen Junkerthums sehnt sich ver-
geblich nach den Zuständen zurück, welche es ihren " Ahn-
herren " ermöglichten, auf ihren Zwingburgen den handel-
treibenden Stadtbewohnern ( "Freien" ) aufzulauern, um
ihnen ihre Produkte, Waaren, oder die Erträgnisse beschwer-
licher Handelsreisen abzujagen, welche dieselben beim Man-
gel obrigkeitlichen kaiserlichen Schutzes auf holperigen
Wegen und durch Engpässe gleichsam schmuggeln mußten,
um sie vor den Falkenaugen der adeligen Schnapphähne
und deren Spießgesellen zu bewahren, die auf ihren Felsen-
burgen hausten, wie die Adler im Horst.

Vergebliches Sehnen!

Jene Burgen sind zerstört, zum Theil durch gegen-
seitige Fehden der Besitzer, zum größten Theile im Bauern-
kriege.

" Der "Bundschuh," grausig, wie das Meer
Aufrüttelt seine mächt'gen Wogen,
Wie das Verderben dunkelschwer,
Am Himmel kommt dahergezogen,
So naht er, -- bettelnd lange schon
Um "Recht," mit Thränen um Erhörung; --
Man wies ihn ab mit Spott und Hohn, --
Und seine Antwort war -- Zerstörung."

Ruinen zeigen die dereinstigen Stätten der "festen
Burgen," die dem kirchlichen Reformator Doctor Luther
zu seinem vielgesungenen Liede zum Vorbild gedient zu
haben scheinen. Dienstpflichtige "Unfreie" ( Leibeigene )
hatten die Burgen gebaut. Wie viele Thränen, Schweiß,
und Blutstropfen, herausgehauen aus lebendigen Menschen-
leibern durch die Peitsche adeliger "Frohnknechte," mögen
an diesen Steinen kleben, welche den Poetastern des " civi-
lisirten " neunzehnten Jahrhunderts sentimentale Dichter-
[Ende Spaltensatz]

Zur Unterhaltung und Belehrung. 198
[Beginn Spaltensatz]

Die „Kirche,“ oder vielmehr das wohlorganisirte
Pfaffenthum, geht von dem Grundsatze aus, daß die jetzige
Eigenthumsvertheilung und Produktionsweise „göttliche Ein-
richtungen “ seien, und es versteht sich denn auch von
selbst, daß nach dieser Auffassung nichts daran geändert
werden darf. — Weil dann aber eine wesentliche Verbesse-
rung der materiellen Lage der arbeitenden Klasse unmöglich
ist, so wird diese der allgemeinen christlichen Barmherzigkeit
und Liebe empfohlen, die freilich erst durch bessere Hebung
der Kirchlichkeit herbeigeführt werden sollen, — während
die Arbeiterklasse selbst ermahnt wird, sich der christlichen
Geduld und Enthaltsamkeit zu befleißigen und, da die Erde
ja doch einmal nur ein Jammerthal sei, mit dem Hinblick
auf's Himmelreich sich zu trösten.

Ein katholischer „Laie“ erblickt in seiner „ volkswirth-
schaftlichen Studie zur Lösung der socialen Frage“ in der
Störung des gottgesetzten und gottgewollten Verhältnisses
zwischen dem Producenten der gesammten Schöpfung und
seinen Geschöpfen die Ursachen und in der Wiederherstel-
lung und Aufrechthaltung desselben die Lösung der socialen
Frage, welche Störung seiner Meinung nach anhub in der
Erbsünde, aber bereits beseitigt sei durch den Erlöser und
Heiland, der also auch die sociale Frage gelöst habe, —
weshalb für alle Folgezeit diese Lösung in der consequen-
ten Anwendung des Erlösungswerkes und in der allseitigen
Durchbildung oder vielmehr Ausübung des Christenthums
liege. Nachdem der „Laie“ behauptet hat, daß der Mensch
„böse“ geboren und nur durch Gewalt „gut“ werde mittelst
unausgesetzter Zurechtweisung, Strafe, Bildung und Bei-
hülfe von Andern ( wo und wer sind diese „Andern?“ ) ,
empfiehlt er zur ( abermaligen! ) praktischen Lösung der so-
cialen Frage die Aufhebung der Gewerbefreiheit ( welche in
Europa nirgends vollständig besteht ) , der freien Concurrenz
und eine neue Auflage der zunftgemäßen Jnnungen, die
Einschachtelung der gesammten Menschheit in scharf abge-
gegrenzte Berufs=Kasten und — „von seinem katholischen
Standpunkte aus“ — die Mitwirkung der Kirche, vor
Allem in Bekämpfung des heidnischen Princips der Ge-
werbefreiheit, sonst — sieht der Verfasser „den Anfang
des Endes, die Fabrik=Etablissements der Zukunft!“ — —

Eine evangelisch=pietistische Sippschaft empfiehlt mit
frommen Mienen und gefalteten Händen den Arbeitern
„Gebet und Arbeit,“ gerade so, wie der preußische Roh-
heitsstatistiker Herr Harkort in seinen „Briefen,“ welche
er 1848 und 1849 unter der Vignette eines Bienenkorbes
an, — nicht für die Arbeiter schrieb. —

Das kapitalbesitzende Bürgerthum und die dessen Jn-
teressen vertretenden gelehrten Bourgeois= ( „National“= )
Oekonomen, in Deutschland Herr Schulze aus Delitzsch an
der Spitze, schon seit langen Jahren vergeblich an dem
kranken „socialen“ Körper der deutschen Menschheit herum-
quacksalbernd, — empfehlen den Arbeitern: Sparsamkeit
und — Enthaltsamkeit, — die Kirche: von geistigen Ge-
tränken , Herr von Kirchmann: nicht über zwei Kinder!
— Um die Arbeiter abzulenken von ernstem Nachdenken
über die ganze Ungeheuerlichkeit ihrer unmenschlichen ver-
[Spaltenumbruch] zweiflungsvollen Lage, von ernstem Streben nach gründ-
licher und nachhaltiger Verbesserung derselben, sucht die
Bourgeoisie nebst ihren Helfershelfern den Arbeitern durch
kindische Vereinsspielereien ( Schützen=, Turn=, Gesang-
Feste ) , deren Kosten die Arbeiter selbst aufbringen
müssen, die wenige Zeit zu vertreiben, welche ihnen außer
der Arbeitszeit verbleibt, nebenbei auch durch Errichtung
nur scheinbar nützlicher Consum- Vereine. — Die Haupt-
aufgabe der industriellen und handeltreibenden Bourgeoisie
ist die absolute, stramme Aufrechthaltung des jetzigen Sy-
stems, dessen Grundlage die Ausbeutung der großen Masse
der Menschheit durch wenige Spekulanten ist.

Adel! Herrliches Wort!

Es ist eins der schönsten der deutschen Sprache, weil
es den höchsten Grad sittlicher Menschenwürde, edler Ge-
sinnung und deren Bethätigung durch Wort und That be-
zeichnet. Aber fast wäre es fremd geworden und vervehmt,
nachdem vor Jahrhunderten sich seiner als Gesammtbe-
nennung eine Menschenmasse bediente, die zum Theil der
Menschheit größte Plage war. Jedenfalls war der „Adel“
des Raubritterthums eine nicht minder arge Verhöhnung
der menschlichen Vernunft, der Menschheit selbst und ihrer
natürlichen unveräußerlichen Rechte, wie die Anmaßung
der Jesuiten, mit welcher sich diese geistigen „Banditen“
des Priesterthums die „Gesellschaft Jesu“ nennen. —

Ein Theil des jetzigen Junkerthums sehnt sich ver-
geblich nach den Zuständen zurück, welche es ihren „ Ahn-
herren “ ermöglichten, auf ihren Zwingburgen den handel-
treibenden Stadtbewohnern ( „Freien“ ) aufzulauern, um
ihnen ihre Produkte, Waaren, oder die Erträgnisse beschwer-
licher Handelsreisen abzujagen, welche dieselben beim Man-
gel obrigkeitlichen kaiserlichen Schutzes auf holperigen
Wegen und durch Engpässe gleichsam schmuggeln mußten,
um sie vor den Falkenaugen der adeligen Schnapphähne
und deren Spießgesellen zu bewahren, die auf ihren Felsen-
burgen hausten, wie die Adler im Horst.

Vergebliches Sehnen!

Jene Burgen sind zerstört, zum Theil durch gegen-
seitige Fehden der Besitzer, zum größten Theile im Bauern-
kriege.

„ Der „Bundschuh,“ grausig, wie das Meer
Aufrüttelt seine mächt'gen Wogen,
Wie das Verderben dunkelschwer,
Am Himmel kommt dahergezogen,
So naht er, — bettelnd lange schon
Um „Recht,“ mit Thränen um Erhörung; —
Man wies ihn ab mit Spott und Hohn, —
Und seine Antwort war — Zerstörung.“

Ruinen zeigen die dereinstigen Stätten der „festen
Burgen,“ die dem kirchlichen Reformator Doctor Luther
zu seinem vielgesungenen Liede zum Vorbild gedient zu
haben scheinen. Dienstpflichtige „Unfreie“ ( Leibeigene )
hatten die Burgen gebaut. Wie viele Thränen, Schweiß,
und Blutstropfen, herausgehauen aus lebendigen Menschen-
leibern durch die Peitsche adeliger „Frohnknechte,“ mögen
an diesen Steinen kleben, welche den Poetastern des „ civi-
lisirten “ neunzehnten Jahrhunderts sentimentale Dichter-
[Ende Spaltensatz]

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Jene Burgen sind zerstört, zum Theil durch gegen- seitige Fehden der Besitzer, zum größten Theile im Bauern- kriege. „ Der „Bundschuh,“ grausig, wie das Meer Aufrüttelt seine mächt'gen Wogen, Wie das Verderben dunkelschwer, Am Himmel kommt dahergezogen, So naht er, — bettelnd lange schon Um „Recht,“ mit Thränen um Erhörung; — Man wies ihn ab mit Spott und Hohn, — Und seine Antwort war — Zerstörung.“ Ruinen zeigen die dereinstigen Stätten der „festen Burgen,“ die dem kirchlichen Reformator Doctor Luther zu seinem vielgesungenen Liede zum Vorbild gedient zu haben scheinen. Dienstpflichtige „Unfreie“ ( Leibeigene ) hatten die Burgen gebaut. Wie viele Thränen, Schweiß, und Blutstropfen, herausgehauen aus lebendigen Menschen- leibern durch die Peitsche adeliger „Frohnknechte,“ mögen an diesen Steinen kleben, welche den Poetastern des „ civi- lisirten “ neunzehnten Jahrhunderts sentimentale Dichter-

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Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 8. Lieferung, Nr. 3. Berlin, 15. August 1874, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social0803_1874/2>, abgerufen am 21.11.2024.