Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 9. Lieferung, Nr. 1. Berlin, 5. September 1874.

Bild:
<< vorherige Seite
Zur Unterhaltung und Belehrung. 222
[Beginn Spaltensatz]

Das ist es, was die Arbeiter sich nicht oft genug wie-
derholen können, dieser traurige, aber um so wahrere Satz:

Daß keine Gesellschaftsklasse, also auch keine Partei
es mit den Arbeitern ehrlich meinen kann, als nur die
Klasse der Arbeiter selbst und die aus dieser hervorgehende
Arbeiterpartei. Nur den Arbeitern selbst ist das Wohl der
Arbeiter wirklicher Zweck, nicht blos Scheinzweck.

Und eben darum kann die Partei nicht oft, nicht ein-
dringlich genug sich den Grundsatz zum Bewußtsein
bringen:

[Spaltenumbruch]

Daß die Arbeiterpartei selbstständig, radical in socia-
ler und politischer Beziehung, unbeirrt um das Gezänk
und die Streitfragen der anderen Parteien, vorzugehen hat.

Befreiung der Arbeit! -- das ist unser Wahlspruch,
und in ihm sind alle Forderungen der politischen und so-
cialen Freiheit enthalten.

Jn diesem Geiste sind wir bis heute erstarkt und mäch-
tig geworden -- in diesem Geiste werden wir den Sieg
erringen.

[Ende Spaltensatz]

Reise nach Jkarien
von Cabet.
( Fortsetzung. )
[Beginn Spaltensatz]

Jch bemerkte oben, die ikarische Arbeit sei leicht, angenehm.
Jn der That, unsere Verordnungen haben stets diesen Zweck vor
Augen; niemals ist ein so milder, gerechter Arbeitsmeister in der
Welt gesehen worden, als unser Staat ist. Maschinen sind hier
in's Endlose vervielfacht und sehr nahe der Vollkommenheit ge-
bracht. Zweihundert Millionen Pferde oder dreitausend Millio-
nen Menschen werden dadurch ersetzt; diese unsere Maschinen
haben die gefährlichen, ekelhaften und langweiligen Arbeiten über-
nommen. Jn diesem Punkte, glaube ich, zeichnet Jkarien sich
am Glänzendsten aus; gerade auf die schlimmen, langweiligen,
ekelhaften Geschäfte hat es seine Sorgfalt in der Art gelenkt,
daß es sie mit den größten Vorkehrungen umgiebt und unschäd-
lich für Leib und Seele zu machen weiß. Kein Arbeitender ge-
braucht z. B. seine Hände, um einen gefährlichen oder Ekel er-
regenden Gegenstand anzufassen. Rechnen Sie, lieber Freund,
dazu noch, daß die früheste Erziehung schon dem Kinde, d. h.
dem künftigen Staatsarbeiter, den höchsten Respekt vor der Ar-
beit einflößt, so sehen Sie wohl, daß jede Beschäftigung gleicher-
maßen in Achtung stehen müsse.

Jch wunderte mich darüber, und fragte: ob man z. B. auch
den Schuhmacher eben so hochschätze, wie den Heilkünstler?
Worauf Walmor lächelnd erwiderte:

-- Freilich; Schuhmacher und Arzt sind zwei vom Staats-
gesetz, d. h. vom Willen der Nation, verordnete, nothwendige
Arbeitszweige, und folglich gleich "anständig" in Jkaria. Keine
Profession übrigens, die nicht im Gesetz verzeichnet steht, ist aus-
zuüben; z. B. im ganzen Lande ist kein Gastwirth; kein Mensch
denkt daran, in den Schneidewaarenfabriken auch Dolche zu
fabriciren. Jede unserer dem Staate gewidmeten Thätigkeiten
ist nothwendig, nützlich; und ich glaube, Sie geben mir zu,
daß man sich nicht füglich ohne Arzt und Schuhmacher behelfen
könne; nicht wahr? Demnach hat die Gemeinschaft dafür ge-
sorgt, daß beide gleichen Wohlergehens sich zu erfreuen haben.

Hier mochte ich nicht die Frage unterdrücken: ob die Jkarier
denn keinen Vorzug dem überlegenen Geiste, dem Talent, dem
Genie einräumten? und ich staunte nicht wenig, als mein junger
Freund mich darüber folgendermaßen belehrte:

-- Sehen Sie, William, wir können, dürfen, wollen in
diesem Punkte keine Vorzüge; denn wir glauben, daß
Geistesüberlegenheit ein Naturgeschenk ist, und man
durch nichts in der Welt demjenigen Menschen wehe
thun soll, der nicht diese Geistesüberlegenheit besitzt.

Jm Gegentheil, solche Naturversehen, Naturmängel, Naturfehler,
Naturungleichheiten muß die Gesellschaft vernunftvoll ausfüllen,
[Spaltenumbruch] ausgleichen, gütig ausbessern, damit der arge Unfug des leidigen
Zufalls möglichst verschwinde; zudem bedenken Sie doch, der
Geistesüberlegene hat ja schon lediglich dadurch etwas Großes
vor den Uebrigen voraus, denn er fühlt den Segen und die
innere Macht seines höheren, reicheren, stärkeren Geistes. Man
wäre rasend, wollte man diese Hoheit, die ihm Keiner raubt,
noch erhöhen durch äußerliche Erhöhungen, Vorrechte und Her-
vorhebungen. Wenn noch eine Bevorzugung bei uns gälte, so
müßte man sie demjenigen geben, der mühevoller arbeitet als
Andere, doch thun wir das auch nicht. Solches Ermuthigen
brauchen die Jkarier nicht. Der Arzt sieht sich geehrt, geachtet;
weshalb sollte er sich ärgern, wenn der Schuhmacher es desglei-
chen ist? -- Hiermit steht übrigens keineswegs im Widerstreit,
daß wir dem Arbeitenden, der so zu sagen über seine Pflicht
arbeitet, oder der eine anerkennungswürdige Geschäftsverbesserung,
oder eine Entdeckung, die der Rede werth, aufbringt, einen be-
sonderen Beweis der Nationalachtung, öffentliche Auszeichnungen,
ja selbst die Ehrerbietung des gesammten Volkes, nach genauer
allseitigster Prüfung und Aburtheilung zukommen lassen. --
Faullenzer haben wir nicht, denn theils ist das Arbeiten leicht,
und der Arbeitende sieht, daß sein Bemühen etwas schafft, was
dem Vaterlande, der Mitbürgerschaft und folglich auch ihm und
seiner Familie zu Gute kommt; theils auch ist der Mensch durch
unsere früheste Erziehung, durch die fortdauernde Zucht und Ge-
wohnheit, durch das Beispiel und durch seine Bildung dahin ge-
langt, Trägheit und Müßiggang für so niederträchtig, unmora-
lisch, menschheitschändend anzusehen, wie den Diebstahl in anderen
Ländern.

Jch bemerkte ihm, in England und Frankreich behaupte alle
Welt, es werde ewig auf Erden Saufbolde, Raufbolde, Faullen-
zer und Diebe geben, der Mensch sei unverbesserlich!

Hierauf konnte Walmor ein Lächeln nicht unterdrücken. Ja
wohl, sagte er, bei der alten Gesellschaftseinrichtung hat
man damit Recht; aber was die ikarische Gütergemein-
schaft betrifft, so hat man Unrecht. -- Arbeiten mußte man in
der ersten Zeit unserer Republik sehr lange, an achtzehn Stun-
den manchmal; aber das ist jetzt längst vorbei, und heute arbei-
tet man nur noch im Sommer sieben, im Winter sechs Stun-
den, nämlich von sechs oder sieben Uhr früh bis ein Uhr Nach-
mittags. Der Staat wird dieses noch mehr verringern. Es
unterliegt keinem Zweifel, daß neue Maschinenerfindungen in
Stelle der arbeitenden Menschen tretev, oder auch wenn die Ver-
minderung in dem zum Fabriciren Nothwendigen, z. B. in den
Bauten, einen größeren Theil der Menschenkraft überflüssig
[Ende Spaltensatz]

Zur Unterhaltung und Belehrung. 222
[Beginn Spaltensatz]

Das ist es, was die Arbeiter sich nicht oft genug wie-
derholen können, dieser traurige, aber um so wahrere Satz:

Daß keine Gesellschaftsklasse, also auch keine Partei
es mit den Arbeitern ehrlich meinen kann, als nur die
Klasse der Arbeiter selbst und die aus dieser hervorgehende
Arbeiterpartei. Nur den Arbeitern selbst ist das Wohl der
Arbeiter wirklicher Zweck, nicht blos Scheinzweck.

Und eben darum kann die Partei nicht oft, nicht ein-
dringlich genug sich den Grundsatz zum Bewußtsein
bringen:

[Spaltenumbruch]

Daß die Arbeiterpartei selbstständig, radical in socia-
ler und politischer Beziehung, unbeirrt um das Gezänk
und die Streitfragen der anderen Parteien, vorzugehen hat.

Befreiung der Arbeit! — das ist unser Wahlspruch,
und in ihm sind alle Forderungen der politischen und so-
cialen Freiheit enthalten.

Jn diesem Geiste sind wir bis heute erstarkt und mäch-
tig geworden — in diesem Geiste werden wir den Sieg
erringen.

[Ende Spaltensatz]

Reise nach Jkarien
von Cabet.
( Fortsetzung. )
[Beginn Spaltensatz]

Jch bemerkte oben, die ikarische Arbeit sei leicht, angenehm.
Jn der That, unsere Verordnungen haben stets diesen Zweck vor
Augen; niemals ist ein so milder, gerechter Arbeitsmeister in der
Welt gesehen worden, als unser Staat ist. Maschinen sind hier
in's Endlose vervielfacht und sehr nahe der Vollkommenheit ge-
bracht. Zweihundert Millionen Pferde oder dreitausend Millio-
nen Menschen werden dadurch ersetzt; diese unsere Maschinen
haben die gefährlichen, ekelhaften und langweiligen Arbeiten über-
nommen. Jn diesem Punkte, glaube ich, zeichnet Jkarien sich
am Glänzendsten aus; gerade auf die schlimmen, langweiligen,
ekelhaften Geschäfte hat es seine Sorgfalt in der Art gelenkt,
daß es sie mit den größten Vorkehrungen umgiebt und unschäd-
lich für Leib und Seele zu machen weiß. Kein Arbeitender ge-
braucht z. B. seine Hände, um einen gefährlichen oder Ekel er-
regenden Gegenstand anzufassen. Rechnen Sie, lieber Freund,
dazu noch, daß die früheste Erziehung schon dem Kinde, d. h.
dem künftigen Staatsarbeiter, den höchsten Respekt vor der Ar-
beit einflößt, so sehen Sie wohl, daß jede Beschäftigung gleicher-
maßen in Achtung stehen müsse.

Jch wunderte mich darüber, und fragte: ob man z. B. auch
den Schuhmacher eben so hochschätze, wie den Heilkünstler?
Worauf Walmor lächelnd erwiderte:

— Freilich; Schuhmacher und Arzt sind zwei vom Staats-
gesetz, d. h. vom Willen der Nation, verordnete, nothwendige
Arbeitszweige, und folglich gleich „anständig“ in Jkaria. Keine
Profession übrigens, die nicht im Gesetz verzeichnet steht, ist aus-
zuüben; z. B. im ganzen Lande ist kein Gastwirth; kein Mensch
denkt daran, in den Schneidewaarenfabriken auch Dolche zu
fabriciren. Jede unserer dem Staate gewidmeten Thätigkeiten
ist nothwendig, nützlich; und ich glaube, Sie geben mir zu,
daß man sich nicht füglich ohne Arzt und Schuhmacher behelfen
könne; nicht wahr? Demnach hat die Gemeinschaft dafür ge-
sorgt, daß beide gleichen Wohlergehens sich zu erfreuen haben.

Hier mochte ich nicht die Frage unterdrücken: ob die Jkarier
denn keinen Vorzug dem überlegenen Geiste, dem Talent, dem
Genie einräumten? und ich staunte nicht wenig, als mein junger
Freund mich darüber folgendermaßen belehrte:

— Sehen Sie, William, wir können, dürfen, wollen in
diesem Punkte keine Vorzüge; denn wir glauben, daß
Geistesüberlegenheit ein Naturgeschenk ist, und man
durch nichts in der Welt demjenigen Menschen wehe
thun soll, der nicht diese Geistesüberlegenheit besitzt.

Jm Gegentheil, solche Naturversehen, Naturmängel, Naturfehler,
Naturungleichheiten muß die Gesellschaft vernunftvoll ausfüllen,
[Spaltenumbruch] ausgleichen, gütig ausbessern, damit der arge Unfug des leidigen
Zufalls möglichst verschwinde; zudem bedenken Sie doch, der
Geistesüberlegene hat ja schon lediglich dadurch etwas Großes
vor den Uebrigen voraus, denn er fühlt den Segen und die
innere Macht seines höheren, reicheren, stärkeren Geistes. Man
wäre rasend, wollte man diese Hoheit, die ihm Keiner raubt,
noch erhöhen durch äußerliche Erhöhungen, Vorrechte und Her-
vorhebungen. Wenn noch eine Bevorzugung bei uns gälte, so
müßte man sie demjenigen geben, der mühevoller arbeitet als
Andere, doch thun wir das auch nicht. Solches Ermuthigen
brauchen die Jkarier nicht. Der Arzt sieht sich geehrt, geachtet;
weshalb sollte er sich ärgern, wenn der Schuhmacher es desglei-
chen ist? — Hiermit steht übrigens keineswegs im Widerstreit,
daß wir dem Arbeitenden, der so zu sagen über seine Pflicht
arbeitet, oder der eine anerkennungswürdige Geschäftsverbesserung,
oder eine Entdeckung, die der Rede werth, aufbringt, einen be-
sonderen Beweis der Nationalachtung, öffentliche Auszeichnungen,
ja selbst die Ehrerbietung des gesammten Volkes, nach genauer
allseitigster Prüfung und Aburtheilung zukommen lassen. —
Faullenzer haben wir nicht, denn theils ist das Arbeiten leicht,
und der Arbeitende sieht, daß sein Bemühen etwas schafft, was
dem Vaterlande, der Mitbürgerschaft und folglich auch ihm und
seiner Familie zu Gute kommt; theils auch ist der Mensch durch
unsere früheste Erziehung, durch die fortdauernde Zucht und Ge-
wohnheit, durch das Beispiel und durch seine Bildung dahin ge-
langt, Trägheit und Müßiggang für so niederträchtig, unmora-
lisch, menschheitschändend anzusehen, wie den Diebstahl in anderen
Ländern.

Jch bemerkte ihm, in England und Frankreich behaupte alle
Welt, es werde ewig auf Erden Saufbolde, Raufbolde, Faullen-
zer und Diebe geben, der Mensch sei unverbesserlich!

Hierauf konnte Walmor ein Lächeln nicht unterdrücken. Ja
wohl, sagte er, bei der alten Gesellschaftseinrichtung hat
man damit Recht; aber was die ikarische Gütergemein-
schaft betrifft, so hat man Unrecht. — Arbeiten mußte man in
der ersten Zeit unserer Republik sehr lange, an achtzehn Stun-
den manchmal; aber das ist jetzt längst vorbei, und heute arbei-
tet man nur noch im Sommer sieben, im Winter sechs Stun-
den, nämlich von sechs oder sieben Uhr früh bis ein Uhr Nach-
mittags. Der Staat wird dieses noch mehr verringern. Es
unterliegt keinem Zweifel, daß neue Maschinenerfindungen in
Stelle der arbeitenden Menschen tretev, oder auch wenn die Ver-
minderung in dem zum Fabriciren Nothwendigen, z. B. in den
Bauten, einen größeren Theil der Menschenkraft überflüssig
[Ende Spaltensatz]

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="jArticle" n="1">
        <pb facs="#f0002" n="222"/>
        <fw type="header" place="top"><hi rendition="#g">Zur Unterhaltung und Belehrung.</hi> 222</fw>
        <cb type="start"/>
        <p>Das ist es, was die Arbeiter sich nicht oft genug wie-<lb/>
derholen können, dieser traurige, aber um so wahrere Satz:</p><lb/>
        <p>Daß keine Gesellschaftsklasse, also auch keine Partei<lb/>
es mit den Arbeitern ehrlich meinen kann, als nur die<lb/>
Klasse der Arbeiter selbst und die aus dieser hervorgehende<lb/>
Arbeiterpartei. Nur den Arbeitern selbst ist das Wohl der<lb/>
Arbeiter wirklicher Zweck, nicht blos Scheinzweck.</p><lb/>
        <p>Und eben darum kann die Partei nicht oft, nicht ein-<lb/>
dringlich genug sich den Grundsatz zum Bewußtsein<lb/>
bringen:</p><lb/>
        <cb n="2"/>
        <p>Daß die Arbeiterpartei selbstständig, radical in socia-<lb/>
ler und politischer Beziehung, unbeirrt um das Gezänk<lb/>
und die Streitfragen der anderen Parteien, vorzugehen hat.</p><lb/>
        <p>Befreiung der Arbeit! &#x2014; das ist unser Wahlspruch,<lb/>
und in ihm sind alle Forderungen der politischen und so-<lb/>
cialen Freiheit enthalten.</p><lb/>
        <p>Jn diesem Geiste sind wir bis heute erstarkt und mäch-<lb/>
tig geworden &#x2014; in diesem Geiste werden wir den Sieg<lb/>
erringen.</p>
      </div><lb/>
      <cb type="end"/>
      <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
      <div xml:id="Reise10" type="jArticle" n="1">
        <head><hi rendition="#fr">Reise nach Jkarien</hi><lb/>
von <hi rendition="#g">Cabet.</hi><lb/><ref target="nn_social0805_1874#Reise9">( Fortsetzung. )</ref></head><lb/>
        <div n="2">
          <cb type="start"/>
          <p>Jch bemerkte oben, die ikarische Arbeit sei leicht, angenehm.<lb/>
Jn der That, unsere Verordnungen haben stets diesen Zweck vor<lb/>
Augen; niemals ist ein so milder, gerechter Arbeitsmeister in der<lb/>
Welt gesehen worden, als unser Staat ist. Maschinen sind hier<lb/>
in's Endlose vervielfacht und sehr nahe der Vollkommenheit ge-<lb/>
bracht. Zweihundert Millionen Pferde oder dreitausend Millio-<lb/>
nen Menschen werden dadurch ersetzt; diese unsere Maschinen<lb/>
haben die gefährlichen, ekelhaften und langweiligen Arbeiten über-<lb/>
nommen. Jn diesem Punkte, glaube ich, zeichnet Jkarien sich<lb/>
am Glänzendsten aus; gerade auf die schlimmen, langweiligen,<lb/>
ekelhaften Geschäfte hat es seine Sorgfalt in der Art gelenkt,<lb/>
daß es sie mit den größten Vorkehrungen umgiebt und unschäd-<lb/>
lich für Leib und Seele zu machen weiß. Kein Arbeitender ge-<lb/>
braucht z. B. seine Hände, um einen gefährlichen oder Ekel er-<lb/>
regenden Gegenstand anzufassen. Rechnen Sie, lieber Freund,<lb/>
dazu noch, daß die früheste Erziehung schon dem Kinde, d. h.<lb/>
dem künftigen Staatsarbeiter, den höchsten Respekt vor der Ar-<lb/>
beit einflößt, so sehen Sie wohl, daß jede Beschäftigung gleicher-<lb/>
maßen in Achtung stehen müsse.</p><lb/>
          <p>Jch wunderte mich darüber, und fragte: ob man z. B. auch<lb/>
den Schuhmacher eben so hochschätze, wie den Heilkünstler?<lb/>
Worauf Walmor lächelnd erwiderte:</p><lb/>
          <p>&#x2014; Freilich; Schuhmacher und Arzt sind zwei vom Staats-<lb/>
gesetz, d. h. vom Willen der Nation, verordnete, nothwendige<lb/>
Arbeitszweige, und folglich gleich &#x201E;anständig&#x201C; in Jkaria. Keine<lb/>
Profession übrigens, die nicht im Gesetz verzeichnet steht, ist aus-<lb/>
zuüben; z. B. im ganzen Lande ist kein Gastwirth; kein Mensch<lb/>
denkt daran, in den Schneidewaarenfabriken auch Dolche zu<lb/>
fabriciren. Jede unserer dem Staate gewidmeten Thätigkeiten<lb/>
ist nothwendig, nützlich; und ich glaube, Sie geben mir zu,<lb/>
daß man sich nicht füglich ohne Arzt und Schuhmacher behelfen<lb/>
könne; nicht wahr? Demnach hat die Gemeinschaft dafür ge-<lb/>
sorgt, daß beide gleichen Wohlergehens sich zu erfreuen haben. </p><lb/>
          <p>Hier mochte ich nicht die Frage unterdrücken: ob die Jkarier<lb/>
denn keinen Vorzug dem überlegenen Geiste, dem Talent, dem<lb/>
Genie einräumten? und ich staunte nicht wenig, als mein junger<lb/>
Freund mich darüber folgendermaßen belehrte:</p><lb/>
          <p>&#x2014; Sehen Sie, William, wir können, dürfen, wollen in<lb/>
diesem Punkte keine Vorzüge; <hi rendition="#g">denn wir glauben, daß<lb/>
Geistesüberlegenheit ein Naturgeschenk ist, und man<lb/>
durch nichts in der Welt demjenigen Menschen wehe<lb/>
thun soll, der nicht diese Geistesüberlegenheit besitzt.</hi><lb/>
Jm Gegentheil, solche Naturversehen, Naturmängel, Naturfehler,<lb/>
Naturungleichheiten muß die Gesellschaft vernunftvoll ausfüllen,<lb/><cb n="2"/>
ausgleichen, gütig ausbessern, damit der arge Unfug des leidigen<lb/>
Zufalls möglichst verschwinde; zudem bedenken Sie doch, der<lb/>
Geistesüberlegene hat ja schon lediglich dadurch etwas Großes<lb/>
vor den Uebrigen voraus, denn er fühlt den Segen und die<lb/><hi rendition="#g">innere</hi> Macht seines höheren, reicheren, stärkeren Geistes. Man<lb/>
wäre rasend, wollte man diese Hoheit, die ihm Keiner raubt,<lb/>
noch erhöhen durch <hi rendition="#g">äußerliche</hi> Erhöhungen, Vorrechte und Her-<lb/>
vorhebungen. Wenn noch eine Bevorzugung bei uns gälte, so<lb/>
müßte man sie demjenigen geben, der mühevoller arbeitet als<lb/>
Andere, doch thun wir das auch nicht. Solches Ermuthigen<lb/>
brauchen die Jkarier nicht. Der Arzt sieht sich geehrt, geachtet;<lb/>
weshalb sollte er sich ärgern, wenn der Schuhmacher es desglei-<lb/>
chen ist? &#x2014; Hiermit steht übrigens keineswegs im Widerstreit,<lb/>
daß wir dem Arbeitenden, der so zu sagen <hi rendition="#g">über</hi> seine Pflicht<lb/>
arbeitet, oder der eine anerkennungswürdige Geschäftsverbesserung,<lb/>
oder eine Entdeckung, die der Rede werth, aufbringt, einen be-<lb/>
sonderen Beweis der Nationalachtung, öffentliche Auszeichnungen,<lb/>
ja selbst die Ehrerbietung des gesammten Volkes, nach genauer<lb/>
allseitigster Prüfung und Aburtheilung zukommen lassen. &#x2014;<lb/>
Faullenzer haben wir nicht, denn theils ist das Arbeiten leicht,<lb/>
und der Arbeitende sieht, daß sein Bemühen etwas schafft, was<lb/>
dem Vaterlande, der Mitbürgerschaft und folglich auch ihm und<lb/>
seiner Familie zu Gute kommt; theils auch ist der Mensch durch<lb/>
unsere früheste Erziehung, durch die fortdauernde Zucht und Ge-<lb/>
wohnheit, durch das Beispiel und durch seine Bildung dahin ge-<lb/>
langt, Trägheit und Müßiggang für so niederträchtig, unmora-<lb/>
lisch, menschheitschändend anzusehen, wie den Diebstahl in anderen<lb/>
Ländern.</p><lb/>
          <p>Jch bemerkte ihm, in England und Frankreich behaupte alle<lb/>
Welt, es werde ewig auf Erden Saufbolde, Raufbolde, Faullen-<lb/>
zer und Diebe geben, der Mensch sei unverbesserlich!</p><lb/>
          <p>Hierauf konnte Walmor ein Lächeln nicht unterdrücken. Ja<lb/>
wohl, sagte er, bei <hi rendition="#g">der alten Gesellschaftseinrichtung</hi> hat<lb/>
man damit Recht; aber was die <hi rendition="#g">ikarische Gütergemein-</hi><lb/>
schaft betrifft, so hat man Unrecht. &#x2014; Arbeiten mußte man in<lb/>
der ersten Zeit unserer Republik sehr lange, an achtzehn Stun-<lb/>
den manchmal; aber das ist jetzt längst vorbei, und heute arbei-<lb/>
tet man nur noch im Sommer sieben, im Winter sechs Stun-<lb/>
den, nämlich von sechs oder sieben Uhr früh bis ein Uhr Nach-<lb/>
mittags. Der Staat wird dieses noch mehr verringern. Es<lb/>
unterliegt keinem Zweifel, daß neue Maschinenerfindungen in<lb/>
Stelle der arbeitenden Menschen tretev, oder auch wenn die Ver-<lb/>
minderung in dem zum Fabriciren Nothwendigen, z. B. in den<lb/>
Bauten, einen größeren Theil der Menschenkraft überflüssig<lb/><cb type="end"/>
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[222/0002] Zur Unterhaltung und Belehrung. 222 Das ist es, was die Arbeiter sich nicht oft genug wie- derholen können, dieser traurige, aber um so wahrere Satz: Daß keine Gesellschaftsklasse, also auch keine Partei es mit den Arbeitern ehrlich meinen kann, als nur die Klasse der Arbeiter selbst und die aus dieser hervorgehende Arbeiterpartei. Nur den Arbeitern selbst ist das Wohl der Arbeiter wirklicher Zweck, nicht blos Scheinzweck. Und eben darum kann die Partei nicht oft, nicht ein- dringlich genug sich den Grundsatz zum Bewußtsein bringen: Daß die Arbeiterpartei selbstständig, radical in socia- ler und politischer Beziehung, unbeirrt um das Gezänk und die Streitfragen der anderen Parteien, vorzugehen hat. Befreiung der Arbeit! — das ist unser Wahlspruch, und in ihm sind alle Forderungen der politischen und so- cialen Freiheit enthalten. Jn diesem Geiste sind wir bis heute erstarkt und mäch- tig geworden — in diesem Geiste werden wir den Sieg erringen. Reise nach Jkarien von Cabet. ( Fortsetzung. ) Jch bemerkte oben, die ikarische Arbeit sei leicht, angenehm. Jn der That, unsere Verordnungen haben stets diesen Zweck vor Augen; niemals ist ein so milder, gerechter Arbeitsmeister in der Welt gesehen worden, als unser Staat ist. Maschinen sind hier in's Endlose vervielfacht und sehr nahe der Vollkommenheit ge- bracht. Zweihundert Millionen Pferde oder dreitausend Millio- nen Menschen werden dadurch ersetzt; diese unsere Maschinen haben die gefährlichen, ekelhaften und langweiligen Arbeiten über- nommen. Jn diesem Punkte, glaube ich, zeichnet Jkarien sich am Glänzendsten aus; gerade auf die schlimmen, langweiligen, ekelhaften Geschäfte hat es seine Sorgfalt in der Art gelenkt, daß es sie mit den größten Vorkehrungen umgiebt und unschäd- lich für Leib und Seele zu machen weiß. Kein Arbeitender ge- braucht z. B. seine Hände, um einen gefährlichen oder Ekel er- regenden Gegenstand anzufassen. Rechnen Sie, lieber Freund, dazu noch, daß die früheste Erziehung schon dem Kinde, d. h. dem künftigen Staatsarbeiter, den höchsten Respekt vor der Ar- beit einflößt, so sehen Sie wohl, daß jede Beschäftigung gleicher- maßen in Achtung stehen müsse. Jch wunderte mich darüber, und fragte: ob man z. B. auch den Schuhmacher eben so hochschätze, wie den Heilkünstler? Worauf Walmor lächelnd erwiderte: — Freilich; Schuhmacher und Arzt sind zwei vom Staats- gesetz, d. h. vom Willen der Nation, verordnete, nothwendige Arbeitszweige, und folglich gleich „anständig“ in Jkaria. Keine Profession übrigens, die nicht im Gesetz verzeichnet steht, ist aus- zuüben; z. B. im ganzen Lande ist kein Gastwirth; kein Mensch denkt daran, in den Schneidewaarenfabriken auch Dolche zu fabriciren. Jede unserer dem Staate gewidmeten Thätigkeiten ist nothwendig, nützlich; und ich glaube, Sie geben mir zu, daß man sich nicht füglich ohne Arzt und Schuhmacher behelfen könne; nicht wahr? Demnach hat die Gemeinschaft dafür ge- sorgt, daß beide gleichen Wohlergehens sich zu erfreuen haben. Hier mochte ich nicht die Frage unterdrücken: ob die Jkarier denn keinen Vorzug dem überlegenen Geiste, dem Talent, dem Genie einräumten? und ich staunte nicht wenig, als mein junger Freund mich darüber folgendermaßen belehrte: — Sehen Sie, William, wir können, dürfen, wollen in diesem Punkte keine Vorzüge; denn wir glauben, daß Geistesüberlegenheit ein Naturgeschenk ist, und man durch nichts in der Welt demjenigen Menschen wehe thun soll, der nicht diese Geistesüberlegenheit besitzt. Jm Gegentheil, solche Naturversehen, Naturmängel, Naturfehler, Naturungleichheiten muß die Gesellschaft vernunftvoll ausfüllen, ausgleichen, gütig ausbessern, damit der arge Unfug des leidigen Zufalls möglichst verschwinde; zudem bedenken Sie doch, der Geistesüberlegene hat ja schon lediglich dadurch etwas Großes vor den Uebrigen voraus, denn er fühlt den Segen und die innere Macht seines höheren, reicheren, stärkeren Geistes. Man wäre rasend, wollte man diese Hoheit, die ihm Keiner raubt, noch erhöhen durch äußerliche Erhöhungen, Vorrechte und Her- vorhebungen. Wenn noch eine Bevorzugung bei uns gälte, so müßte man sie demjenigen geben, der mühevoller arbeitet als Andere, doch thun wir das auch nicht. Solches Ermuthigen brauchen die Jkarier nicht. Der Arzt sieht sich geehrt, geachtet; weshalb sollte er sich ärgern, wenn der Schuhmacher es desglei- chen ist? — Hiermit steht übrigens keineswegs im Widerstreit, daß wir dem Arbeitenden, der so zu sagen über seine Pflicht arbeitet, oder der eine anerkennungswürdige Geschäftsverbesserung, oder eine Entdeckung, die der Rede werth, aufbringt, einen be- sonderen Beweis der Nationalachtung, öffentliche Auszeichnungen, ja selbst die Ehrerbietung des gesammten Volkes, nach genauer allseitigster Prüfung und Aburtheilung zukommen lassen. — Faullenzer haben wir nicht, denn theils ist das Arbeiten leicht, und der Arbeitende sieht, daß sein Bemühen etwas schafft, was dem Vaterlande, der Mitbürgerschaft und folglich auch ihm und seiner Familie zu Gute kommt; theils auch ist der Mensch durch unsere früheste Erziehung, durch die fortdauernde Zucht und Ge- wohnheit, durch das Beispiel und durch seine Bildung dahin ge- langt, Trägheit und Müßiggang für so niederträchtig, unmora- lisch, menschheitschändend anzusehen, wie den Diebstahl in anderen Ländern. Jch bemerkte ihm, in England und Frankreich behaupte alle Welt, es werde ewig auf Erden Saufbolde, Raufbolde, Faullen- zer und Diebe geben, der Mensch sei unverbesserlich! Hierauf konnte Walmor ein Lächeln nicht unterdrücken. Ja wohl, sagte er, bei der alten Gesellschaftseinrichtung hat man damit Recht; aber was die ikarische Gütergemein- schaft betrifft, so hat man Unrecht. — Arbeiten mußte man in der ersten Zeit unserer Republik sehr lange, an achtzehn Stun- den manchmal; aber das ist jetzt längst vorbei, und heute arbei- tet man nur noch im Sommer sieben, im Winter sechs Stun- den, nämlich von sechs oder sieben Uhr früh bis ein Uhr Nach- mittags. Der Staat wird dieses noch mehr verringern. Es unterliegt keinem Zweifel, daß neue Maschinenerfindungen in Stelle der arbeitenden Menschen tretev, oder auch wenn die Ver- minderung in dem zum Fabriciren Nothwendigen, z. B. in den Bauten, einen größeren Theil der Menschenkraft überflüssig

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Peter Fankhauser: Automatische Transformation von TUSTEP nach TEI P5 (DTA-Basisformat).
Deutsches Textarchiv: Metadatenerfassung
Institut für Deutsche Sprache, Mannheim: Bereitstellung der Bilddigitalisate und Volltext-Transkription
Susanne Haaf, Rahel Hartz, Nicole Postelt: Nachkorrektur und Vervollständigung der TEI/DTABf-Annotation
Rahel Hartz: Artikelstrukturierung

Weitere Informationen:

Dieser Text wurde aus dem TUSTEP-Format nach TEI-P5 konvertiert und anschließend in das DTA-Basisformat überführt.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social0901_1874
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social0901_1874/2
Zitationshilfe: Social-politische Blätter. 2. Jahrgang, 9. Lieferung, Nr. 1. Berlin, 5. September 1874, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_social0901_1874/2>, abgerufen am 01.06.2024.