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Euler, Karl (Hrsg.): Jahrbücher der deutschen Turnkunst. Bd. 2. Solingen, 1844.

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zwar zunächst unsere deutsche Sprache, zur Bezeichnung
des Begriffes Mann bedient, haben sämmtlich das
Schicksal getheilt, dem mit wenigen Ausnahmen fast alle
Wörter in den Sprachen folgen müssen. Jedes Wort
hat ursprünglich einen bezeichnenden, in alter Zeit leben-
dig gefühlten Sinn, verliert indessen allmälig denselben
im Verlaufe der Sprachentwicklung und behält zuletzt
nur noch den Werth einer Hieroglyphe, die Niemand
als der Forscher auf dem Wege der Etymologie zu ent-
ziffern vermag. Jeder, der sich mit den älteren deutschen
Sprachzweigen beschäftigt hat, wird gestehn, daß es ihm
während dieses Forschens oft wie Schuppen von den
Augen gefallen ist; und wie unbedeutend sind die Auf-
schlüsse, die uns selbst das Gothische über unsere Sprache
zu geben vermag, gegen das Licht, das uns zu Theil
wird, wenn wir, natürlich neben dem Altdeutschen, noch
die älteren Sprachen, vorzüglich die heilige Sanskrita,
mit in den Kreis der Forschung ziehn! Für den schla-
gendsten Beweis für diese Behauptung habe ich immer
die naturgeschichtlichen Namen gehalten; nur wenige
Thiernamen unserer Sprache haben noch jetzt im Volks-
bewußtsein ihren lebendigen Sinn, wie z. B. Fliege,
Spinne und Schlange; mit Hülfe der altdeutschen Dia-
lekte erkennen wir schon weit mehr; wir lernen z. B.
Biene heiße Saugerin, Frosch der Kalte, Nachtigall die
Nachtsängerin, Hering der in Scharen Ziehende u. dgl.;
wer würde aber selbst mit Hülfe des Gothischen jemals
gefunden haben, was die Sprachwissenschaft jetzt offen
dargelegt und bewiesen hat, daß Hirsch der Gehörnte,
Ochs der Ziehende, Roß der Renner, Sau die Frucht-
bare u. s. w. heißt? Doch ohne uns weiter in das
Einzelne, das hier nicht am Orte ist, zu verlieren, wollen
wir sogleich in diesem Sinne die Bezeichnungen für
Mann und die abgeleiteten Wörter im Germanischen
zu betrachten versuchen.

Ein sehr altes und schon verhältnißmäßig früh unter-
gegangenes Wort für Mann ist zunächst fir oder feorh

Jahrb. d. Turnkunst. II. 7

zwar zunächſt unſere deutſche Sprache, zur Bezeichnung
des Begriffes Mann bedient, haben ſämmtlich das
Schickſal getheilt, dem mit wenigen Ausnahmen faſt alle
Wörter in den Sprachen folgen müſſen. Jedes Wort
hat urſprünglich einen bezeichnenden, in alter Zeit leben-
dig gefühlten Sinn, verliert indeſſen allmälig denſelben
im Verlaufe der Sprachentwicklung und behält zuletzt
nur noch den Werth einer Hieroglyphe, die Niemand
als der Forſcher auf dem Wege der Etymologie zu ent-
ziffern vermag. Jeder, der ſich mit den älteren deutſchen
Sprachzweigen beſchäftigt hat, wird geſtehn, daß es ihm
während dieſes Forſchens oft wie Schuppen von den
Augen gefallen iſt; und wie unbedeutend ſind die Auf-
ſchlüſſe, die uns ſelbſt das Gothiſche über unſere Sprache
zu geben vermag, gegen das Licht, das uns zu Theil
wird, wenn wir, natürlich neben dem Altdeutſchen, noch
die älteren Sprachen, vorzüglich die heilige Sanſkrita,
mit in den Kreis der Forſchung ziehn! Für den ſchla-
gendſten Beweis für dieſe Behauptung habe ich immer
die naturgeſchichtlichen Namen gehalten; nur wenige
Thiernamen unſerer Sprache haben noch jetzt im Volks-
bewußtſein ihren lebendigen Sinn, wie z. B. Fliege,
Spinne und Schlange; mit Hülfe der altdeutſchen Dia-
lekte erkennen wir ſchon weit mehr; wir lernen z. B.
Biene heiße Saugerin, Froſch der Kalte, Nachtigall die
Nachtſängerin, Hering der in Scharen Ziehende u. dgl.;
wer würde aber ſelbſt mit Hülfe des Gothiſchen jemals
gefunden haben, was die Sprachwiſſenſchaft jetzt offen
dargelegt und bewieſen hat, daß Hirſch der Gehörnte,
Ochs der Ziehende, Roß der Renner, Sau die Frucht-
bare u. ſ. w. heißt? Doch ohne uns weiter in das
Einzelne, das hier nicht am Orte iſt, zu verlieren, wollen
wir ſogleich in dieſem Sinne die Bezeichnungen für
Mann und die abgeleiteten Wörter im Germaniſchen
zu betrachten verſuchen.

Ein ſehr altes und ſchon verhältnißmäßig früh unter-
gegangenes Wort für Mann iſt zunächſt fir oder feorh

Jahrb. d. Turnkunſt. II. 7
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[145/0149] zwar zunächſt unſere deutſche Sprache, zur Bezeichnung des Begriffes Mann bedient, haben ſämmtlich das Schickſal getheilt, dem mit wenigen Ausnahmen faſt alle Wörter in den Sprachen folgen müſſen. Jedes Wort hat urſprünglich einen bezeichnenden, in alter Zeit leben- dig gefühlten Sinn, verliert indeſſen allmälig denſelben im Verlaufe der Sprachentwicklung und behält zuletzt nur noch den Werth einer Hieroglyphe, die Niemand als der Forſcher auf dem Wege der Etymologie zu ent- ziffern vermag. Jeder, der ſich mit den älteren deutſchen Sprachzweigen beſchäftigt hat, wird geſtehn, daß es ihm während dieſes Forſchens oft wie Schuppen von den Augen gefallen iſt; und wie unbedeutend ſind die Auf- ſchlüſſe, die uns ſelbſt das Gothiſche über unſere Sprache zu geben vermag, gegen das Licht, das uns zu Theil wird, wenn wir, natürlich neben dem Altdeutſchen, noch die älteren Sprachen, vorzüglich die heilige Sanſkrita, mit in den Kreis der Forſchung ziehn! Für den ſchla- gendſten Beweis für dieſe Behauptung habe ich immer die naturgeſchichtlichen Namen gehalten; nur wenige Thiernamen unſerer Sprache haben noch jetzt im Volks- bewußtſein ihren lebendigen Sinn, wie z. B. Fliege, Spinne und Schlange; mit Hülfe der altdeutſchen Dia- lekte erkennen wir ſchon weit mehr; wir lernen z. B. Biene heiße Saugerin, Froſch der Kalte, Nachtigall die Nachtſängerin, Hering der in Scharen Ziehende u. dgl.; wer würde aber ſelbſt mit Hülfe des Gothiſchen jemals gefunden haben, was die Sprachwiſſenſchaft jetzt offen dargelegt und bewieſen hat, daß Hirſch der Gehörnte, Ochs der Ziehende, Roß der Renner, Sau die Frucht- bare u. ſ. w. heißt? Doch ohne uns weiter in das Einzelne, das hier nicht am Orte iſt, zu verlieren, wollen wir ſogleich in dieſem Sinne die Bezeichnungen für Mann und die abgeleiteten Wörter im Germaniſchen zu betrachten verſuchen. Ein ſehr altes und ſchon verhältnißmäßig früh unter- gegangenes Wort für Mann iſt zunächſt fir oder feorh Jahrb. d. Turnkunſt. II. 7

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Zitationshilfe: Euler, Karl (Hrsg.): Jahrbücher der deutschen Turnkunst. Bd. 2. Solingen, 1844, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_turnkunst02_1844/149>, abgerufen am 22.11.2024.