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Euler, Karl (Hrsg.): Jahrbücher der deutschen Turnkunst. Bd. 2. Solingen, 1844.

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sere Stimme erheben, um gehört zu werden vor dem
großen Geschrei des Marktes. Unter diese Vorurtheile
gehören folgende drei:

1. daß die Soldaten, vor Allem unsere Offiziere,
das Turnen und Fechten nicht nöthig hätten;
2. daß die Elementarschulen in Stadt und Land
Leibesübungen mit Recht nicht in ihren Bereich
zögen;
3. daß es gegen die Bestimmung und den Charak-
ter des weiblichen Geschlechtes sei, das Turnen
in die Mädchenschulen einzuführen.

1. Hoffen wollen wir, daß die Zeit bald erscheine,
wo man es schwer wird begreifen und glaublich finden,
daß die, so sich rühmen, die Erbschaft des Ritterthums
allein oder doch vorzugsweise übernommen zu haben, die
Leibesübungen vernachlässigt, ja verachtet, das Eisen nur
zum Schein und zur Zierrath an der Seite getragen
haben; daß junge Offiziere ihr Ausbleiben, im Sommer
Morgens um 6 Uhr, damit entschuldigen dürfen, "sie
hätten im Schweiße gelegen, und hätten nicht gewagt,
die Federn zu verlassen, aus Furcht, den Schnupfen zu
bekommen." Und wer wird es glauben, daß solche Ent-
schuldigungen von den vorgesetzten Offizieren als gültig
angenommen worden? Jn Königsberg entschuldigte sich
ein Offizier auf diese Weise, weil er die Stunde ver-
schlafen hatte, und es wurde ebenfalls angenommen.
Das sind die Retter, Ritter und Helden des Vaterlan-
des, die, wenn es in den Kampf und Streit geht, nach
vier Wochen im Dienst des Vaterlandes (?) Jnvalide
geworden!

Wenn es dagegen wahr ist, daß in einem Feldzuge,
der mit einiger Kraft geführt wird, die Hälfte der Mann-
schaft drauf geht, die bei weitem kleinste Anzahl aber
durch Eisen und Blei, die andere übergroße Mehrheit
dagegen in Folge der Mühseligkeiten auf dem Marsch
und im Lager in den Lazarethen dem Tode verfällt,
der Schwäche und der Ausdauerlosigkeit den höchsten und

ſere Stimme erheben, um gehört zu werden vor dem
großen Geſchrei des Marktes. Unter dieſe Vorurtheile
gehören folgende drei:

1. daß die Soldaten, vor Allem unſere Offiziere,
das Turnen und Fechten nicht nöthig hätten;
2. daß die Elementarſchulen in Stadt und Land
Leibesübungen mit Recht nicht in ihren Bereich
zögen;
3. daß es gegen die Beſtimmung und den Charak-
ter des weiblichen Geſchlechtes ſei, das Turnen
in die Mädchenſchulen einzuführen.

1. Hoffen wollen wir, daß die Zeit bald erſcheine,
wo man es ſchwer wird begreifen und glaublich finden,
daß die, ſo ſich rühmen, die Erbſchaft des Ritterthums
allein oder doch vorzugsweiſe übernommen zu haben, die
Leibesübungen vernachläſſigt, ja verachtet, das Eiſen nur
zum Schein und zur Zierrath an der Seite getragen
haben; daß junge Offiziere ihr Ausbleiben, im Sommer
Morgens um 6 Uhr, damit entſchuldigen dürfen, „ſie
hätten im Schweiße gelegen, und hätten nicht gewagt,
die Federn zu verlaſſen, aus Furcht, den Schnupfen zu
bekommen.“ Und wer wird es glauben, daß ſolche Ent-
ſchuldigungen von den vorgeſetzten Offizieren als gültig
angenommen worden? Jn Königsberg entſchuldigte ſich
ein Offizier auf dieſe Weiſe, weil er die Stunde ver-
ſchlafen hatte, und es wurde ebenfalls angenommen.
Das ſind die Retter, Ritter und Helden des Vaterlan-
des, die, wenn es in den Kampf und Streit geht, nach
vier Wochen im Dienſt des Vaterlandes (?) Jnvalide
geworden!

Wenn es dagegen wahr iſt, daß in einem Feldzuge,
der mit einiger Kraft geführt wird, die Hälfte der Mann-
ſchaft drauf geht, die bei weitem kleinſte Anzahl aber
durch Eiſen und Blei, die andere übergroße Mehrheit
dagegen in Folge der Mühſeligkeiten auf dem Marſch
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[45/0049] ſere Stimme erheben, um gehört zu werden vor dem großen Geſchrei des Marktes. Unter dieſe Vorurtheile gehören folgende drei: 1. daß die Soldaten, vor Allem unſere Offiziere, das Turnen und Fechten nicht nöthig hätten; 2. daß die Elementarſchulen in Stadt und Land Leibesübungen mit Recht nicht in ihren Bereich zögen; 3. daß es gegen die Beſtimmung und den Charak- ter des weiblichen Geſchlechtes ſei, das Turnen in die Mädchenſchulen einzuführen. 1. Hoffen wollen wir, daß die Zeit bald erſcheine, wo man es ſchwer wird begreifen und glaublich finden, daß die, ſo ſich rühmen, die Erbſchaft des Ritterthums allein oder doch vorzugsweiſe übernommen zu haben, die Leibesübungen vernachläſſigt, ja verachtet, das Eiſen nur zum Schein und zur Zierrath an der Seite getragen haben; daß junge Offiziere ihr Ausbleiben, im Sommer Morgens um 6 Uhr, damit entſchuldigen dürfen, „ſie hätten im Schweiße gelegen, und hätten nicht gewagt, die Federn zu verlaſſen, aus Furcht, den Schnupfen zu bekommen.“ Und wer wird es glauben, daß ſolche Ent- ſchuldigungen von den vorgeſetzten Offizieren als gültig angenommen worden? Jn Königsberg entſchuldigte ſich ein Offizier auf dieſe Weiſe, weil er die Stunde ver- ſchlafen hatte, und es wurde ebenfalls angenommen. Das ſind die Retter, Ritter und Helden des Vaterlan- des, die, wenn es in den Kampf und Streit geht, nach vier Wochen im Dienſt des Vaterlandes (?) Jnvalide geworden! Wenn es dagegen wahr iſt, daß in einem Feldzuge, der mit einiger Kraft geführt wird, die Hälfte der Mann- ſchaft drauf geht, die bei weitem kleinſte Anzahl aber durch Eiſen und Blei, die andere übergroße Mehrheit dagegen in Folge der Mühſeligkeiten auf dem Marſch und im Lager in den Lazarethen dem Tode verfällt, der Schwäche und der Ausdauerloſigkeit den höchſten und

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Zitationshilfe: Euler, Karl (Hrsg.): Jahrbücher der deutschen Turnkunst. Bd. 2. Solingen, 1844, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_turnkunst02_1844/49>, abgerufen am 21.11.2024.