Talvj, Volkslieder der Serben, 1825Würd'st muthwillig Deinen Kopf verlieren!" -- 75 Doch Nenad gehorchte nicht der Mutter, Sondern that, was ihm gebot die Seele. Kleidete sich an, in neue Kleider, Abgekürzt, und ganz von grünem Tuche, Daß er einem Baum des Waldes gleiche. 80 Drauf sein gutes Roß bestieg der Jüngling, Ritt davon, den Bruder zu erforschen, Daß sich ihm die innre Sehnsucht stille. Und er ließ nicht hören seine Stimme, Nicht zum Räuspern, nicht dem Roß zum Zuruf; 85 Aber als er kam nach Garewitza, Rief er laut, als wie der graue Falke: "Garewitza, grünes Waldgebirge! Birgest du nicht einen jungen Helden, Den Predrag, ihn, meinen einz'gen Bruder? 90 Birgt dein Dickicht nicht noch and're Helden, Die da sind Gefährten meines Bruders?" -- Nahe, unter einer grünen Tanne, Saß Predrag, am goldnen Wein sich labend; Als des Jünglings Stimm' er hört' im Walde, 95 Sprach er also zu den andern Räubern: "Ihr Gefährten, meine lieben Brüder, Legt in Hinterhalt Euch an den Heerweg, Harret dort des unbekannten Kriegers, Aber schlagt ihn nicht, noch nehmt ihm Geld ab, 100 Sondern führt zu mir ihn wohlbehalten! Wer er sey: er ist mir angehörig."-- Würd'st muthwillig Deinen Kopf verlieren!“ — 75 Doch Nenad gehorchte nicht der Mutter, Sondern that, was ihm gebot die Seele. Kleidete sich an, in neue Kleider, Abgekürzt, und ganz von grünem Tuche, Daß er einem Baum des Waldes gleiche. 80 Drauf sein gutes Roß bestieg der Jüngling, Ritt davon, den Bruder zu erforschen, Daß sich ihm die innre Sehnsucht stille. Und er ließ nicht hören seine Stimme, Nicht zum Räuspern, nicht dem Roß zum Zuruf; 85 Aber als er kam nach Garewitza, Rief er laut, als wie der graue Falke: „Garewitza, grünes Waldgebirge! Birgest du nicht einen jungen Helden, Den Predrag, ihn, meinen einz'gen Bruder? 90 Birgt dein Dickicht nicht noch and're Helden, Die da sind Gefährten meines Bruders?“ — Nahe, unter einer grünen Tanne, Saß Predrag, am goldnen Wein sich labend; Als des Jünglings Stimm' er hört' im Walde, 95 Sprach er also zu den andern Räubern: „Ihr Gefährten, meine lieben Brüder, Legt in Hinterhalt Euch an den Heerweg, Harret dort des unbekannten Kriegers, Aber schlagt ihn nicht, noch nehmt ihm Geld ab, 100 Sondern führt zu mir ihn wohlbehalten! Wer er sey: er ist mir angehörig.“— <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0196" n="130"/> <lg> <l>Würd'st muthwillig Deinen Kopf verlieren!“ — <note place="right">75</note></l><lb/> <l>Doch Nenad gehorchte nicht der Mutter,</l><lb/> <l>Sondern that, was ihm gebot die Seele.</l><lb/> <l>Kleidete sich an, in neue Kleider,</l><lb/> <l>Abgekürzt, und ganz von grünem Tuche,</l><lb/> <l>Daß er einem Baum des Waldes gleiche. <note place="right">80</note></l><lb/> <l>Drauf sein gutes Roß bestieg der Jüngling,</l><lb/> <l>Ritt davon, den Bruder zu erforschen,</l><lb/> <l>Daß sich ihm die innre Sehnsucht stille.</l> </lg><lb/> <lg> <l>Und er ließ nicht hören seine Stimme,</l><lb/> <l>Nicht zum Räuspern, nicht dem Roß zum Zuruf; <note place="right">85</note></l><lb/> <l>Aber als er kam nach Garewitza,</l><lb/> <l>Rief er laut, als wie der graue Falke:</l><lb/> <l>„Garewitza, grünes Waldgebirge!</l><lb/> <l>Birgest du nicht einen jungen Helden,</l><lb/> <l>Den Predrag, ihn, meinen einz'gen Bruder? <note place="right">90</note></l><lb/> <l>Birgt dein Dickicht nicht noch and're Helden,</l><lb/> <l>Die da sind Gefährten meines Bruders?“ —</l><lb/> <l>Nahe, unter einer grünen Tanne,</l><lb/> <l>Saß Predrag, am goldnen Wein sich labend;</l><lb/> <l>Als des Jünglings Stimm' er hört' im Walde, <note place="right">95</note></l><lb/> <l>Sprach er also zu den andern Räubern:</l><lb/> <l>„Ihr Gefährten, meine lieben Brüder,</l><lb/> <l>Legt in Hinterhalt Euch an den Heerweg,</l><lb/> <l>Harret dort des unbekannten Kriegers,</l><lb/> <l>Aber schlagt ihn nicht, noch nehmt ihm Geld ab, <note place="right">100</note></l><lb/> <l>Sondern führt zu mir ihn wohlbehalten!</l><lb/> <l>Wer er sey: er ist mir angehörig.“—</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [130/0196]
Würd'st muthwillig Deinen Kopf verlieren!“ —
Doch Nenad gehorchte nicht der Mutter,
Sondern that, was ihm gebot die Seele.
Kleidete sich an, in neue Kleider,
Abgekürzt, und ganz von grünem Tuche,
Daß er einem Baum des Waldes gleiche.
Drauf sein gutes Roß bestieg der Jüngling,
Ritt davon, den Bruder zu erforschen,
Daß sich ihm die innre Sehnsucht stille.
Und er ließ nicht hören seine Stimme,
Nicht zum Räuspern, nicht dem Roß zum Zuruf;
Aber als er kam nach Garewitza,
Rief er laut, als wie der graue Falke:
„Garewitza, grünes Waldgebirge!
Birgest du nicht einen jungen Helden,
Den Predrag, ihn, meinen einz'gen Bruder?
Birgt dein Dickicht nicht noch and're Helden,
Die da sind Gefährten meines Bruders?“ —
Nahe, unter einer grünen Tanne,
Saß Predrag, am goldnen Wein sich labend;
Als des Jünglings Stimm' er hört' im Walde,
Sprach er also zu den andern Räubern:
„Ihr Gefährten, meine lieben Brüder,
Legt in Hinterhalt Euch an den Heerweg,
Harret dort des unbekannten Kriegers,
Aber schlagt ihn nicht, noch nehmt ihm Geld ab,
Sondern führt zu mir ihn wohlbehalten!
Wer er sey: er ist mir angehörig.“—
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Zitationshilfe: | Talvj, Volkslieder der Serben, 1825, S. 130. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_volkslieder_1825/196>, abgerufen am 17.06.2024. |