Talvj, Volkslieder der Serben, 1825Kam der Vater Abt, ihn aufzusuchen, 50 Und er sprach besorgt zum Fündling Simon: "Sage mir, was ist Dir, mein Sohn Simon, Daß Dein Auge überströmt in Thränen? Sprich, was mangelt Dir in meinem Kloster?" -- Ihm entgegnete der Fündling Simon: 55 "Höre mich, Herr Abt, verehrter Vater! Vorgeworfen haben mir die Schüler, Daß ich nicht, woher ich stamme, wüßte, Daß man mich gefunden am Gestade. Vater Abt! erhöre mein Bitte! 60 Wenn Du Gott erkennest, den wahrhaft'gen: Gieb Dein weißes Roß mir aus dem Stalle! Laß mich in die weiße Welt hinausziehn, Daß ich forsche, wem ich angehöre, Ob ich bin von niederträcht'gem Stamme, 65 Oder ob aus edelem Geschlechte! Laß mich zieh'n, sonst spring' ich in die Donau!" -- Traurig ward der alte Abt von Herzen! Simon liebt' er, wie ein eigen Söhnlein; Und er gab ihm glänzende Gewande, 70 Gab zum Zehrpfennig ihm tausend Goldstück', Und das weiße Roß aus seinem Stalle. So zog Simon in die weiße Welt hin. Simon zog umher neun lange Jahre, Forschte überall nach Stamm und Namen; 75 Aber wie hätt' er's erforschen können, Kam der Vater Abt, ihn aufzusuchen, 50 Und er sprach besorgt zum Fündling Simon: „Sage mir, was ist Dir, mein Sohn Simon, Daß Dein Auge überströmt in Thränen? Sprich, was mangelt Dir in meinem Kloster?“ — Ihm entgegnete der Fündling Simon: 55 „Höre mich, Herr Abt, verehrter Vater! Vorgeworfen haben mir die Schüler, Daß ich nicht, woher ich stamme, wüßte, Daß man mich gefunden am Gestade. Vater Abt! erhöre mein Bitte! 60 Wenn Du Gott erkennest, den wahrhaft'gen: Gieb Dein weißes Roß mir aus dem Stalle! Laß mich in die weiße Welt hinausziehn, Daß ich forsche, wem ich angehöre, Ob ich bin von niederträcht'gem Stamme, 65 Oder ob aus edelem Geschlechte! Laß mich zieh'n, sonst spring' ich in die Donau!“ — Traurig ward der alte Abt von Herzen! Simon liebt' er, wie ein eigen Söhnlein; Und er gab ihm glänzende Gewande, 70 Gab zum Zehrpfennig ihm tausend Goldstück', Und das weiße Roß aus seinem Stalle. So zog Simon in die weiße Welt hin. Simon zog umher neun lange Jahre, Forschte überall nach Stamm und Namen; 75 Aber wie hätt' er's erforschen können, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <pb facs="#f0207" n="141"/> <lg> <l>Kam der Vater Abt, ihn aufzusuchen, <note place="right">50</note></l><lb/> <l>Und er sprach besorgt zum Fündling Simon:</l><lb/> <l>„Sage mir, was ist Dir, mein Sohn Simon,</l><lb/> <l>Daß Dein Auge überströmt in Thränen?</l><lb/> <l>Sprich, was mangelt Dir in meinem Kloster?“ —</l><lb/> <l>Ihm entgegnete der Fündling Simon: <note place="right">55</note></l><lb/> <l>„Höre mich, Herr Abt, verehrter Vater!</l><lb/> <l>Vorgeworfen haben mir die Schüler,</l><lb/> <l>Daß ich nicht, woher ich stamme, wüßte,</l><lb/> <l>Daß man mich gefunden am Gestade.</l><lb/> <l>Vater Abt! erhöre mein Bitte! <note place="right">60</note></l><lb/> <l>Wenn Du Gott erkennest, den wahrhaft'gen:</l><lb/> <l>Gieb Dein weißes Roß mir aus dem Stalle!</l><lb/> <l>Laß mich in die weiße Welt hinausziehn,</l><lb/> <l>Daß ich forsche, wem ich angehöre,</l><lb/> <l>Ob ich bin von niederträcht'gem Stamme, <note place="right">65</note></l><lb/> <l>Oder ob aus edelem Geschlechte!</l><lb/> <l>Laß mich zieh'n, sonst spring' ich in die Donau!“ —</l> </lg><lb/> <lg> <l>Traurig ward der alte Abt von Herzen!</l><lb/> <l>Simon liebt' er, wie ein eigen Söhnlein;</l><lb/> <l>Und er gab ihm glänzende Gewande, <note place="right">70</note></l><lb/> <l>Gab zum Zehrpfennig ihm tausend Goldstück',</l><lb/> <l>Und das weiße Roß aus seinem Stalle.</l><lb/> <l>So zog Simon in die weiße Welt hin.</l> </lg><lb/> <lg> <l>Simon zog umher neun lange Jahre,</l><lb/> <l>Forschte überall nach Stamm und Namen; <note place="right">75</note></l><lb/> <l>Aber wie hätt' er's erforschen können,</l> </lg><lb/> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [141/0207]
Kam der Vater Abt, ihn aufzusuchen,
Und er sprach besorgt zum Fündling Simon:
„Sage mir, was ist Dir, mein Sohn Simon,
Daß Dein Auge überströmt in Thränen?
Sprich, was mangelt Dir in meinem Kloster?“ —
Ihm entgegnete der Fündling Simon:
„Höre mich, Herr Abt, verehrter Vater!
Vorgeworfen haben mir die Schüler,
Daß ich nicht, woher ich stamme, wüßte,
Daß man mich gefunden am Gestade.
Vater Abt! erhöre mein Bitte!
Wenn Du Gott erkennest, den wahrhaft'gen:
Gieb Dein weißes Roß mir aus dem Stalle!
Laß mich in die weiße Welt hinausziehn,
Daß ich forsche, wem ich angehöre,
Ob ich bin von niederträcht'gem Stamme,
Oder ob aus edelem Geschlechte!
Laß mich zieh'n, sonst spring' ich in die Donau!“ —
Traurig ward der alte Abt von Herzen!
Simon liebt' er, wie ein eigen Söhnlein;
Und er gab ihm glänzende Gewande,
Gab zum Zehrpfennig ihm tausend Goldstück',
Und das weiße Roß aus seinem Stalle.
So zog Simon in die weiße Welt hin.
Simon zog umher neun lange Jahre,
Forschte überall nach Stamm und Namen;
Aber wie hätt' er's erforschen können,
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