Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Talvj, Volkslieder der Serben, 1825

Bild:
<< vorherige Seite

ihn endlich zu diesem Besuche. Straßenränder sollen unter-
wegs ihn ermorden. Er entgeht ihnen glücklich, langt in
Prespa an, und eilt sogleich zum Gebet in die Kirche. Beym
Hersaustreten findet er alles zu seiner Hinrichtung angeord-
net und bereit, und dicht vor der Kirchthür wird der Verrath-
ne enthauptet. (d. 22. May 1016.)

Das schauderhafte, entsetzliche Bild, welches der Orient
zu dieser Zeit bietet, erstarrt das Herz des Fühlenden. Keine
Art von Verbrechen bleibt ihm neu, nichts kann ihn mehr
überraschen, wenn er einmal den Blick nur auf den byzanti-
nischen Hof geworfen. Serbien ward nun für wenige Jahre
wieder das Eigenthum der Bulgaren; mit der Unterjochung
dieser letztern, das der griechischen Kaiser. Verschiedne bluti-
ge Versuche, es der Herrschaft derselben zu entreißen, mißglück-
ten zum Theil ganz, gelangen theils in so weit, dem Volke
vaterländische Beherrscher unter griechischen Titeln und als
griechische Vasallen zu geben. Im Jahr 1073 als Michael
Boislawitsch als Protospotharius in Serbien herrschte,
findet sich das erste Zeichen eines bedeutenden Verkehrs mit
dem Occidente. Venetianische Kriegsschiffe wurden gemiethet,
Michaels gefangenen Sohn aus Antiochien zu entführen und
nach Serbien zurückzubringen. Auch Unterhandlungen mit
dem heiligen Stuhle wurden angeknüpft, nach dessen Schutz
Michael verlangte, als die Nordmänner Byzanz und den Orient
bedroheten. Mit dem nahgelegenen Königreiche Ungarn fand
erst funfzig Zahr später einige Verbindung Statt, als eine
Tochter des serbischen Fürsten Urosch sich mit dem geblendeten
Prinzen Bela, Enkel und Nachfolger des König Stephan II.
vermählte. Für den zweyten Sohn aus dieser Ehe ward,
wahrscheinlich zufolge einer frühern Uebereinkunft, der süd-
westliche Theil von Serbien, das am Boßnastrome gelegene
Land unter dem Titel eines Herzoglhum Boßniens abgerissen,
und ungarischer Oberhoheit unterworfen.

ihn endlich zu diesem Besuche. Straßenränder sollen unter-
wegs ihn ermorden. Er entgeht ihnen glücklich, langt in
Prespa an, und eilt sogleich zum Gebet in die Kirche. Beym
Hersaustreten findet er alles zu seiner Hinrichtung angeord-
net und bereit, und dicht vor der Kirchthür wird der Verrath-
ne enthauptet. (d. 22. May 1016.)

Das schauderhafte, entsetzliche Bild, welches der Orient
zu dieser Zeit bietet, erstarrt das Herz des Fühlenden. Keine
Art von Verbrechen bleibt ihm neu, nichts kann ihn mehr
überraschen, wenn er einmal den Blick nur auf den byzanti-
nischen Hof geworfen. Serbien ward nun für wenige Jahre
wieder das Eigenthum der Bulgaren; mit der Unterjochung
dieser letztern, das der griechischen Kaiser. Verschiedne bluti-
ge Versuche, es der Herrschaft derselben zu entreißen, mißglück-
ten zum Theil ganz, gelangen theils in so weit, dem Volke
vaterländische Beherrscher unter griechischen Titeln und als
griechische Vasallen zu geben. Im Jahr 1073 als Michael
Boislawitsch als Protospotharius in Serbien herrschte,
findet sich das erste Zeichen eines bedeutenden Verkehrs mit
dem Occidente. Venetianische Kriegsschiffe wurden gemiethet,
Michaels gefangenen Sohn aus Antiochien zu entführen und
nach Serbien zurückzubringen. Auch Unterhandlungen mit
dem heiligen Stuhle wurden angeknüpft, nach dessen Schutz
Michael verlangte, als die Nordmänner Byzanz und den Orient
bedroheten. Mit dem nahgelegenen Königreiche Ungarn fand
erst funfzig Zahr später einige Verbindung Statt, als eine
Tochter des serbischen Fürsten Urosch sich mit dem geblendeten
Prinzen Bela, Enkel und Nachfolger des König Stephan II.
vermählte. Für den zweyten Sohn aus dieser Ehe ward,
wahrscheinlich zufolge einer frühern Uebereinkunft, der süd-
westliche Theil von Serbien, das am Boßnastrome gelegene
Land unter dem Titel eines Herzoglhum Boßniens abgerissen,
und ungarischer Oberhoheit unterworfen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0028" n="VIII"/>
        <p>ihn endlich zu diesem Besuche. Straßenränder sollen unter-<lb/>
wegs ihn ermorden. Er entgeht ihnen glücklich, langt in<lb/>
Prespa an, und eilt sogleich zum Gebet in die Kirche. Beym<lb/>
Hersaustreten findet er alles zu seiner Hinrichtung angeord-<lb/>
net und bereit, und dicht vor der Kirchthür wird der Verrath-<lb/>
ne enthauptet. (d. 22. May 1016.)</p><lb/>
        <p>Das schauderhafte, entsetzliche Bild, welches der Orient<lb/>
zu dieser Zeit bietet, erstarrt das Herz des Fühlenden. Keine<lb/>
Art von Verbrechen bleibt ihm neu, nichts kann ihn mehr<lb/>
überraschen, wenn er einmal den Blick nur auf den byzanti-<lb/>
nischen Hof geworfen. Serbien ward nun für wenige Jahre<lb/>
wieder das Eigenthum der Bulgaren; mit der Unterjochung<lb/>
dieser letztern, das der griechischen Kaiser. Verschiedne bluti-<lb/>
ge Versuche, es der Herrschaft derselben zu entreißen, mißglück-<lb/>
ten zum Theil ganz, gelangen theils in so weit, dem Volke<lb/>
vaterländische Beherrscher unter griechischen Titeln und als<lb/>
griechische Vasallen zu geben. Im Jahr 1073 als Michael<lb/>
Boislawitsch als <hi rendition="#g">Protospotharius</hi> in Serbien herrschte,<lb/>
findet sich das erste Zeichen eines bedeutenden Verkehrs mit<lb/>
dem Occidente. Venetianische Kriegsschiffe wurden gemiethet,<lb/>
Michaels gefangenen Sohn aus Antiochien zu entführen und<lb/>
nach Serbien zurückzubringen. Auch Unterhandlungen mit<lb/>
dem heiligen Stuhle wurden angeknüpft, nach dessen Schutz<lb/>
Michael verlangte, als die Nordmänner Byzanz und den Orient<lb/>
bedroheten. Mit dem nahgelegenen Königreiche Ungarn fand<lb/>
erst funfzig Zahr später einige Verbindung Statt, als eine<lb/>
Tochter des serbischen Fürsten Urosch sich mit dem geblendeten<lb/>
Prinzen Bela, Enkel und Nachfolger des König Stephan <hi rendition="#aq">II.</hi><lb/>
vermählte. Für den zweyten Sohn aus dieser Ehe ward,<lb/>
wahrscheinlich zufolge einer frühern Uebereinkunft, der süd-<lb/>
westliche Theil von Serbien, das am Boßnastrome gelegene<lb/>
Land unter dem Titel eines Herzoglhum Boßniens abgerissen,<lb/>
und ungarischer Oberhoheit unterworfen.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[VIII/0028] ihn endlich zu diesem Besuche. Straßenränder sollen unter- wegs ihn ermorden. Er entgeht ihnen glücklich, langt in Prespa an, und eilt sogleich zum Gebet in die Kirche. Beym Hersaustreten findet er alles zu seiner Hinrichtung angeord- net und bereit, und dicht vor der Kirchthür wird der Verrath- ne enthauptet. (d. 22. May 1016.) Das schauderhafte, entsetzliche Bild, welches der Orient zu dieser Zeit bietet, erstarrt das Herz des Fühlenden. Keine Art von Verbrechen bleibt ihm neu, nichts kann ihn mehr überraschen, wenn er einmal den Blick nur auf den byzanti- nischen Hof geworfen. Serbien ward nun für wenige Jahre wieder das Eigenthum der Bulgaren; mit der Unterjochung dieser letztern, das der griechischen Kaiser. Verschiedne bluti- ge Versuche, es der Herrschaft derselben zu entreißen, mißglück- ten zum Theil ganz, gelangen theils in so weit, dem Volke vaterländische Beherrscher unter griechischen Titeln und als griechische Vasallen zu geben. Im Jahr 1073 als Michael Boislawitsch als Protospotharius in Serbien herrschte, findet sich das erste Zeichen eines bedeutenden Verkehrs mit dem Occidente. Venetianische Kriegsschiffe wurden gemiethet, Michaels gefangenen Sohn aus Antiochien zu entführen und nach Serbien zurückzubringen. Auch Unterhandlungen mit dem heiligen Stuhle wurden angeknüpft, nach dessen Schutz Michael verlangte, als die Nordmänner Byzanz und den Orient bedroheten. Mit dem nahgelegenen Königreiche Ungarn fand erst funfzig Zahr später einige Verbindung Statt, als eine Tochter des serbischen Fürsten Urosch sich mit dem geblendeten Prinzen Bela, Enkel und Nachfolger des König Stephan II. vermählte. Für den zweyten Sohn aus dieser Ehe ward, wahrscheinlich zufolge einer frühern Uebereinkunft, der süd- westliche Theil von Serbien, das am Boßnastrome gelegene Land unter dem Titel eines Herzoglhum Boßniens abgerissen, und ungarischer Oberhoheit unterworfen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Robert Charlier, AV GWB Berlin: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-05-30T17:55:01Z)

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: keine Angabe; Kolumnentitel: keine Angabe; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): keine Angabe; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: keine Angabe; Silbentrennung: wie Vorlage; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: keine Angabe;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_volkslieder_1825
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/nn_volkslieder_1825/28
Zitationshilfe: Talvj, Volkslieder der Serben, 1825, S. VIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/nn_volkslieder_1825/28>, abgerufen am 03.12.2024.