Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802.

Bild:
<< vorherige Seite

mit Sarazenen und Mohren. Ein Mann
von ernstem Ansehn kam häufig in seiner
Gesellschaft vor. Er fühlte tiefe Ehrfurcht
vor dieser hohen Gestalt, und war froh sich
Arm in Arm mit ihm zu sehn. Die letzten
Bilder waren dunkel und unverständlich;
doch überraschten ihn einige Gestalten seines
Traumes mit dem innigsten Entzücken; der
Schluß des Buches schien zu fehlen. Hein¬
rich war sehr bekümmert, und wünschte nichts
sehnlicher, als das Buch lesen zu können, und
vollständig zu besitzen. Er betrachtete die
Bilder zu wiederholten Malen und war be¬
stürzt, wie er die Gesellschaft zurückkommen
hörte. Eine wunderliche Schaam befiel ihn.
Er getraute sich nicht, seine Entdeckung mer¬
ken zu lassen, machte das Buch zu, und frag¬
te den Einsiedler nur obenhin nach dem Titel
und der Sprache desselben, wo er denn er¬
fuhr, daß es in provenzalischer Sprache ge¬

mit Sarazenen und Mohren. Ein Mann
von ernſtem Anſehn kam häufig in ſeiner
Geſellſchaft vor. Er fühlte tiefe Ehrfurcht
vor dieſer hohen Geſtalt, und war froh ſich
Arm in Arm mit ihm zu ſehn. Die letzten
Bilder waren dunkel und unverſtändlich;
doch überraſchten ihn einige Geſtalten ſeines
Traumes mit dem innigſten Entzücken; der
Schluß des Buches ſchien zu fehlen. Hein¬
rich war ſehr bekümmert, und wünſchte nichts
ſehnlicher, als das Buch leſen zu können, und
vollſtändig zu beſitzen. Er betrachtete die
Bilder zu wiederholten Malen und war be¬
ſtürzt, wie er die Geſellſchaft zurückkommen
hörte. Eine wunderliche Schaam befiel ihn.
Er getraute ſich nicht, ſeine Entdeckung mer¬
ken zu laſſen, machte das Buch zu, und frag¬
te den Einſiedler nur obenhin nach dem Titel
und der Sprache deſſelben, wo er denn er¬
fuhr, daß es in provenzaliſcher Sprache ge¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0206" n="198"/>
mit Sarazenen und Mohren. Ein Mann<lb/>
von ern&#x017F;tem An&#x017F;ehn kam häufig in &#x017F;einer<lb/>
Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft vor. Er fühlte tiefe Ehrfurcht<lb/>
vor die&#x017F;er hohen Ge&#x017F;talt, und war froh &#x017F;ich<lb/>
Arm in Arm mit ihm zu &#x017F;ehn. Die letzten<lb/>
Bilder waren dunkel und unver&#x017F;tändlich;<lb/>
doch überra&#x017F;chten ihn einige Ge&#x017F;talten &#x017F;eines<lb/>
Traumes mit dem innig&#x017F;ten Entzücken; der<lb/>
Schluß des Buches &#x017F;chien zu fehlen. Hein¬<lb/>
rich war &#x017F;ehr bekümmert, und wün&#x017F;chte nichts<lb/>
&#x017F;ehnlicher, als das Buch le&#x017F;en zu können, und<lb/>
voll&#x017F;tändig zu be&#x017F;itzen. Er betrachtete die<lb/>
Bilder zu wiederholten Malen und war be¬<lb/>
&#x017F;türzt, wie er die Ge&#x017F;ell&#x017F;chaft zurückkommen<lb/>
hörte. Eine wunderliche Schaam befiel ihn.<lb/>
Er getraute &#x017F;ich nicht, &#x017F;eine Entdeckung mer¬<lb/>
ken zu la&#x017F;&#x017F;en, machte das Buch zu, und frag¬<lb/>
te den Ein&#x017F;iedler nur obenhin nach dem Titel<lb/>
und der Sprache de&#x017F;&#x017F;elben, wo er denn er¬<lb/>
fuhr, daß es in provenzali&#x017F;cher Sprache ge¬<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[198/0206] mit Sarazenen und Mohren. Ein Mann von ernſtem Anſehn kam häufig in ſeiner Geſellſchaft vor. Er fühlte tiefe Ehrfurcht vor dieſer hohen Geſtalt, und war froh ſich Arm in Arm mit ihm zu ſehn. Die letzten Bilder waren dunkel und unverſtändlich; doch überraſchten ihn einige Geſtalten ſeines Traumes mit dem innigſten Entzücken; der Schluß des Buches ſchien zu fehlen. Hein¬ rich war ſehr bekümmert, und wünſchte nichts ſehnlicher, als das Buch leſen zu können, und vollſtändig zu beſitzen. Er betrachtete die Bilder zu wiederholten Malen und war be¬ ſtürzt, wie er die Geſellſchaft zurückkommen hörte. Eine wunderliche Schaam befiel ihn. Er getraute ſich nicht, ſeine Entdeckung mer¬ ken zu laſſen, machte das Buch zu, und frag¬ te den Einſiedler nur obenhin nach dem Titel und der Sprache deſſelben, wo er denn er¬ fuhr, daß es in provenzaliſcher Sprache ge¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802/206
Zitationshilfe: Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802, S. 198. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802/206>, abgerufen am 24.11.2024.