Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802.

Bild:
<< vorherige Seite

schöpfte schon Wasser; doch lächelte sie mit einer
unsäglichen Innigkeit, und sah heiter in den
Wirbel hinein. Auf einmal zog es sie hin¬
unter. Eine leise Luft strich über den Strom,
der eben so ruhig und glänzend floß, wie
vorher. Die entsetzliche Angst raubte ihm das
Bewußtseyn. Das Herz schlug nicht mehr.
Er kam erst zu sich, als er sich auf trock¬
nem Boden fühlte. Er mochte weit ge¬
schwommen seyn. Es war eine fremde Ge¬
gend. Er wußte nicht wie ihm geschehen
war. Sein Gemüth war verschwunden.
Gedankenlos ging er tiefer ins Land. Ent¬
setzlich matt fühlte er sich. Eine kleine Quel¬
le kam aus einem Hügel, sie tönte wie lau¬
ter Glocken. Mit der Hand schöpfte er eini¬
ge Tropfen und netzte seine dürren Lippen.
Wie ein banger Traum lag die schreckliche
Begebenheit hinter ihm. Immer weiter und
weiter ging er, Blumen und Bäume redeten

ſchöpfte ſchon Waſſer; doch lächelte ſie mit einer
unſäglichen Innigkeit, und ſah heiter in den
Wirbel hinein. Auf einmal zog es ſie hin¬
unter. Eine leiſe Luft ſtrich über den Strom,
der eben ſo ruhig und glänzend floß, wie
vorher. Die entſetzliche Angſt raubte ihm das
Bewußtſeyn. Das Herz ſchlug nicht mehr.
Er kam erſt zu ſich, als er ſich auf trock¬
nem Boden fühlte. Er mochte weit ge¬
ſchwommen ſeyn. Es war eine fremde Ge¬
gend. Er wußte nicht wie ihm geſchehen
war. Sein Gemüth war verſchwunden.
Gedankenlos ging er tiefer ins Land. Ent¬
ſetzlich matt fühlte er ſich. Eine kleine Quel¬
le kam aus einem Hügel, ſie tönte wie lau¬
ter Glocken. Mit der Hand ſchöpfte er eini¬
ge Tropfen und netzte ſeine dürren Lippen.
Wie ein banger Traum lag die ſchreckliche
Begebenheit hinter ihm. Immer weiter und
weiter ging er, Blumen und Bäume redeten

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0241" n="233"/>
&#x017F;chöpfte &#x017F;chon Wa&#x017F;&#x017F;er; doch lächelte &#x017F;ie mit einer<lb/>
un&#x017F;äglichen Innigkeit, und &#x017F;ah heiter in den<lb/>
Wirbel hinein. Auf einmal zog es &#x017F;ie hin¬<lb/>
unter. Eine lei&#x017F;e Luft &#x017F;trich über den Strom,<lb/>
der eben &#x017F;o ruhig und glänzend floß, wie<lb/>
vorher. Die ent&#x017F;etzliche Ang&#x017F;t raubte ihm das<lb/>
Bewußt&#x017F;eyn. Das Herz &#x017F;chlug nicht mehr.<lb/>
Er kam er&#x017F;t zu &#x017F;ich, als er &#x017F;ich auf trock¬<lb/>
nem Boden fühlte. Er mochte weit ge¬<lb/>
&#x017F;chwommen &#x017F;eyn. Es war eine fremde Ge¬<lb/>
gend. Er wußte nicht wie ihm ge&#x017F;chehen<lb/>
war. Sein Gemüth war ver&#x017F;chwunden.<lb/>
Gedankenlos ging er tiefer ins Land. Ent¬<lb/>
&#x017F;etzlich matt fühlte er &#x017F;ich. Eine kleine Quel¬<lb/>
le kam aus einem Hügel, &#x017F;ie tönte wie lau¬<lb/>
ter Glocken. Mit der Hand &#x017F;chöpfte er eini¬<lb/>
ge Tropfen und netzte &#x017F;eine dürren Lippen.<lb/>
Wie ein banger Traum lag die &#x017F;chreckliche<lb/>
Begebenheit hinter ihm. Immer weiter und<lb/>
weiter ging er, Blumen und Bäume redeten<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[233/0241] ſchöpfte ſchon Waſſer; doch lächelte ſie mit einer unſäglichen Innigkeit, und ſah heiter in den Wirbel hinein. Auf einmal zog es ſie hin¬ unter. Eine leiſe Luft ſtrich über den Strom, der eben ſo ruhig und glänzend floß, wie vorher. Die entſetzliche Angſt raubte ihm das Bewußtſeyn. Das Herz ſchlug nicht mehr. Er kam erſt zu ſich, als er ſich auf trock¬ nem Boden fühlte. Er mochte weit ge¬ ſchwommen ſeyn. Es war eine fremde Ge¬ gend. Er wußte nicht wie ihm geſchehen war. Sein Gemüth war verſchwunden. Gedankenlos ging er tiefer ins Land. Ent¬ ſetzlich matt fühlte er ſich. Eine kleine Quel¬ le kam aus einem Hügel, ſie tönte wie lau¬ ter Glocken. Mit der Hand ſchöpfte er eini¬ ge Tropfen und netzte ſeine dürren Lippen. Wie ein banger Traum lag die ſchreckliche Begebenheit hinter ihm. Immer weiter und weiter ging er, Blumen und Bäume redeten

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802/241
Zitationshilfe: Novalis: Heinrich von Ofterdingen. Berlin, 1802, S. 233. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/novalis_ofterdingen_1802/241>, abgerufen am 09.11.2024.