Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[N. N.]: Der berühmte Ertz-Dieb und Strassen-Räuber Cartouche. Leipzig, 1722.

Bild:
<< vorherige Seite

ob nicht vier Dames allhier logirten: denn dieses war die Losung, die
Cartouche seinen Diebs-Cammeraden gegeben hatte. Der Wirth ant-
wortete mit nein; es blieb aber einer von denen Soldaten bey dem Wir-
the stehen und Mr. Recon gieng nebst dem Sergeant und drey Soldaten
stillschweigend die Treppe hinauf und eröffnete die Thüre des ersten
Zimmers. Sie traffen allhier drey von den Cameraden des Cartouche
angekleidet an, die sich aber in das nechst gelegene Zimmer reterireten
und entkamen. Cartouche, auf den das Haupt-Absehen gerichtet war,
lag im Bette. Der Sergeant aber, so den Cartouche wohl kannte und
ihn gleich bey dem Eintritt in das Zimmer gesehen hatte, stellete sich, als
wenn er denselben nicht merckte und sagte überlaut zu denen Soldaten:
Siehe da, er ist uns wieder entronnen. Durch diese Finte wurde
Cartouche betrogen, daß er unter die Bett-Decke kroch und sich unsicht-
bar machte. Wie solches geschehen, fiel ihm der Sergant auf den Halß,
grieff deinselben gleich in die Armen und die übrigen Soldaten fasseten
ihn dergestalt, daß er sich nicht bewegen und die unter der Bett-Decke
liegende geladene Pistolen gebrauchen konte. Cartouche muste hierauf
sein bißheriges Lager verlassen, und, nachdem er Hosen und Veste ange-
kleidet, baarfuß mit fort marschiren. Der Wirth und die Wirthin mu-
sten zu gleicher Zeit mit an den Tantz, und die Soldaten, so sie begleite-
ten wurden unter Weges noch mit zwölff Mann verstärcket. Man brach-
te die Arrestanten so gleich zu dem Staats Secretario in Kriegs-Sachen,
Herrn le Blanc, der aber alsobald Befehl gab, daß man sie nach dem
Chatelet führen solte. Man hat kaum iemals in einer Proceßion so viel
Volcks beysammen gesehen, als damahls neubegierige Personen den
Cartouche nach dem Gefängnisse begleiteten. Jederman war über sein
freches und vermessenes Aussehen zum höchsten verwundert, und als eine
Dame von Qvalität sich bemühete, ihn zu sehen, zeigte er sich derselben auf
eine sehr ausgelassene Manier. Die glücklichen Fänger desselben haben
zu ihrer Ergötzlichkeit so gleich 1000. Livres erhalten.

Bey dem Eintritt ins Chatelet ward Cartouche von den Gerichts-
Dienern übernommen. Wie nun einer von diesen mit dem Arrestanten
Schertz treiben wolte, so bekam er von demselben, an statt der Antwort
eine so derbe Maulschelle, daß dem Gerichts-Diener das Schertzen drü-
ber vergieng. Cartouche ward hieraus geschlossen und kurtz darnach, in
solcher Figur vor den Lieutenant Criminel gebracht. Vor diesem füh-

rete

ob nicht vier Dames allhier logirten: denn dieſes war die Loſung, die
Cartouche ſeinen Diebs-Cammeraden gegeben hatte. Der Wirth ant-
wortete mit nein; es blieb aber einer von denen Soldaten bey dem Wir-
the ſtehen und Mr. Recon gieng nebſt dem Sergeant und drey Soldaten
ſtillſchweigend die Treppe hinauf und eroͤffnete die Thuͤre des erſten
Zimmers. Sie traffen allhier drey von den Cameraden des Cartouche
angekleidet an, die ſich aber in das nechſt gelegene Zimmer reterireten
und entkamen. Cartouche, auf den das Haupt-Abſehen gerichtet war,
lag im Bette. Der Sergeant aber, ſo den Cartouche wohl kannte und
ihn gleich bey dem Eintritt in das Zimmer geſehen hatte, ſtellete ſich, als
wenn er denſelben nicht merckte und ſagte uͤberlaut zu denen Soldaten:
Siehe da, er iſt uns wieder entronnen. Durch dieſe Finte wurde
Cartouche betrogen, daß er unter die Bett-Decke kroch und ſich unſicht-
bar machte. Wie ſolches geſchehen, fiel ihm der Sergant auf den Halß,
grieff deinſelben gleich in die Armen und die uͤbrigen Soldaten faſſeten
ihn dergeſtalt, daß er ſich nicht bewegen und die unter der Bett-Decke
liegende geladene Piſtolen gebrauchen konte. Cartouche muſte hierauf
ſein bißheriges Lager verlaſſen, und, nachdem er Hoſen und Veſte ange-
kleidet, baarfuß mit fort marſchiren. Der Wirth und die Wirthin mu-
ſten zu gleicher Zeit mit an den Tantz, und die Soldaten, ſo ſie begleite-
ten wurden unter Weges noch mit zwoͤlff Mann verſtaͤrcket. Man brach-
te die Arreſtanten ſo gleich zu dem Staats Secretario in Kriegs-Sachen,
Herrn le Blanc, der aber alſobald Befehl gab, daß man ſie nach dem
Chatelet fuͤhren ſolte. Man hat kaum iemals in einer Proceßion ſo viel
Volcks beyſammen geſehen, als damahls neubegierige Perſonen den
Cartouche nach dem Gefaͤngniſſe begleiteten. Jederman war uͤber ſein
freches und vermeſſenes Ausſehen zum hoͤchſten verwundert, und als eine
Dame von Qvalitaͤt ſich bemuͤhete, ihn zu ſehen, zeigte er ſich derſelben auf
eine ſehr ausgelaſſene Manier. Die gluͤcklichen Faͤnger deſſelben haben
zu ihrer Ergoͤtzlichkeit ſo gleich 1000. Livres erhalten.

Bey dem Eintritt ins Chatelet ward Cartouche von den Gerichts-
Dienern uͤbernommen. Wie nun einer von dieſen mit dem Arreſtanten
Schertz treiben wolte, ſo bekam er von demſelben, an ſtatt der Antwort
eine ſo derbe Maulſchelle, daß dem Gerichts-Diener das Schertzen druͤ-
ber vergieng. Cartouche ward hierauſ geſchloſſen und kurtz darnach, in
ſolcher Figur vor den Lieutenant Criminel gebracht. Vor dieſem fuͤh-

rete
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0013" n="7"/>
ob nicht vier Dames allhier <hi rendition="#aq">logir</hi>ten: denn die&#x017F;es war die Lo&#x017F;ung, die<lb/><hi rendition="#aq">Cartouche</hi> &#x017F;einen Diebs-Cammeraden gegeben hatte. Der Wirth ant-<lb/>
wortete mit nein; es blieb aber einer von denen Soldaten bey dem Wir-<lb/>
the &#x017F;tehen und Mr. Recon gieng neb&#x017F;t dem Sergeant und drey Soldaten<lb/>
&#x017F;till&#x017F;chweigend die Treppe hinauf und ero&#x0364;ffnete die Thu&#x0364;re des er&#x017F;ten<lb/>
Zimmers. Sie traffen allhier drey von den Cameraden des <hi rendition="#aq">Cartouche</hi><lb/>
angekleidet an, die &#x017F;ich aber in das nech&#x017F;t gelegene Zimmer <hi rendition="#aq">reteri</hi>reten<lb/>
und entkamen. <hi rendition="#aq">Cartouche,</hi> auf den das Haupt-Ab&#x017F;ehen gerichtet war,<lb/>
lag im Bette. Der Sergeant aber, &#x017F;o den <hi rendition="#aq">Cartouche</hi> wohl kannte und<lb/>
ihn gleich bey dem Eintritt in das Zimmer ge&#x017F;ehen hatte, &#x017F;tellete &#x017F;ich, als<lb/>
wenn er den&#x017F;elben nicht merckte und &#x017F;agte u&#x0364;berlaut zu denen Soldaten:<lb/><hi rendition="#fr">Siehe da, er i&#x017F;t uns wieder entronnen.</hi> Durch die&#x017F;e Finte wurde<lb/><hi rendition="#aq">Cartouche</hi> betrogen, daß er unter die Bett-Decke kroch und &#x017F;ich un&#x017F;icht-<lb/>
bar machte. Wie &#x017F;olches ge&#x017F;chehen, fiel ihm der Sergant auf den Halß,<lb/>
grieff dein&#x017F;elben gleich in die Armen und die u&#x0364;brigen Soldaten fa&#x017F;&#x017F;eten<lb/>
ihn derge&#x017F;talt, daß er &#x017F;ich nicht bewegen und die unter der Bett-Decke<lb/>
liegende geladene Pi&#x017F;tolen gebrauchen konte. <hi rendition="#aq">Cartouche</hi> mu&#x017F;te hierauf<lb/>
&#x017F;ein bißheriges Lager verla&#x017F;&#x017F;en, und, nachdem er Ho&#x017F;en und Ve&#x017F;te ange-<lb/>
kleidet, baarfuß mit fort mar&#x017F;chiren. Der Wirth und die Wirthin mu-<lb/>
&#x017F;ten zu gleicher Zeit mit an den Tantz, und die Soldaten, &#x017F;o &#x017F;ie begleite-<lb/>
ten wurden unter Weges noch mit zwo&#x0364;lff Mann ver&#x017F;ta&#x0364;rcket. Man brach-<lb/>
te die Arre&#x017F;tanten &#x017F;o gleich zu dem Staats Secretario in Kriegs-Sachen,<lb/>
Herrn <hi rendition="#aq">le Blanc,</hi> der aber al&#x017F;obald Befehl gab, daß man &#x017F;ie nach dem<lb/>
Chatelet fu&#x0364;hren &#x017F;olte. Man hat kaum iemals in einer Proceßion &#x017F;o viel<lb/>
Volcks bey&#x017F;ammen ge&#x017F;ehen, als damahls neubegierige Per&#x017F;onen den<lb/><hi rendition="#aq">Cartouche</hi> nach dem Gefa&#x0364;ngni&#x017F;&#x017F;e begleiteten. Jederman war u&#x0364;ber &#x017F;ein<lb/>
freches und verme&#x017F;&#x017F;enes Aus&#x017F;ehen zum ho&#x0364;ch&#x017F;ten verwundert, und als eine<lb/>
Dame von Qvalita&#x0364;t &#x017F;ich bemu&#x0364;hete, ihn zu &#x017F;ehen, zeigte er &#x017F;ich der&#x017F;elben auf<lb/>
eine &#x017F;ehr ausgela&#x017F;&#x017F;ene Manier. Die glu&#x0364;cklichen Fa&#x0364;nger de&#x017F;&#x017F;elben haben<lb/>
zu ihrer Ergo&#x0364;tzlichkeit &#x017F;o gleich 1000. Livres erhalten.</p><lb/>
        <p>Bey dem Eintritt ins Chatelet ward <hi rendition="#aq">Cartouche</hi> von den Gerichts-<lb/>
Dienern u&#x0364;bernommen. Wie nun einer von die&#x017F;en mit dem Arre&#x017F;tanten<lb/>
Schertz treiben wolte, &#x017F;o bekam er von dem&#x017F;elben, an &#x017F;tatt der Antwort<lb/>
eine &#x017F;o derbe Maul&#x017F;chelle, daß dem Gerichts-Diener das Schertzen dru&#x0364;-<lb/>
ber vergieng. <hi rendition="#aq">Cartouche</hi> ward hierau&#x017F; ge&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en und kurtz darnach, in<lb/>
&#x017F;olcher Figur vor den Lieutenant Criminel gebracht. Vor die&#x017F;em fu&#x0364;h-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">rete</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[7/0013] ob nicht vier Dames allhier logirten: denn dieſes war die Loſung, die Cartouche ſeinen Diebs-Cammeraden gegeben hatte. Der Wirth ant- wortete mit nein; es blieb aber einer von denen Soldaten bey dem Wir- the ſtehen und Mr. Recon gieng nebſt dem Sergeant und drey Soldaten ſtillſchweigend die Treppe hinauf und eroͤffnete die Thuͤre des erſten Zimmers. Sie traffen allhier drey von den Cameraden des Cartouche angekleidet an, die ſich aber in das nechſt gelegene Zimmer reterireten und entkamen. Cartouche, auf den das Haupt-Abſehen gerichtet war, lag im Bette. Der Sergeant aber, ſo den Cartouche wohl kannte und ihn gleich bey dem Eintritt in das Zimmer geſehen hatte, ſtellete ſich, als wenn er denſelben nicht merckte und ſagte uͤberlaut zu denen Soldaten: Siehe da, er iſt uns wieder entronnen. Durch dieſe Finte wurde Cartouche betrogen, daß er unter die Bett-Decke kroch und ſich unſicht- bar machte. Wie ſolches geſchehen, fiel ihm der Sergant auf den Halß, grieff deinſelben gleich in die Armen und die uͤbrigen Soldaten faſſeten ihn dergeſtalt, daß er ſich nicht bewegen und die unter der Bett-Decke liegende geladene Piſtolen gebrauchen konte. Cartouche muſte hierauf ſein bißheriges Lager verlaſſen, und, nachdem er Hoſen und Veſte ange- kleidet, baarfuß mit fort marſchiren. Der Wirth und die Wirthin mu- ſten zu gleicher Zeit mit an den Tantz, und die Soldaten, ſo ſie begleite- ten wurden unter Weges noch mit zwoͤlff Mann verſtaͤrcket. Man brach- te die Arreſtanten ſo gleich zu dem Staats Secretario in Kriegs-Sachen, Herrn le Blanc, der aber alſobald Befehl gab, daß man ſie nach dem Chatelet fuͤhren ſolte. Man hat kaum iemals in einer Proceßion ſo viel Volcks beyſammen geſehen, als damahls neubegierige Perſonen den Cartouche nach dem Gefaͤngniſſe begleiteten. Jederman war uͤber ſein freches und vermeſſenes Ausſehen zum hoͤchſten verwundert, und als eine Dame von Qvalitaͤt ſich bemuͤhete, ihn zu ſehen, zeigte er ſich derſelben auf eine ſehr ausgelaſſene Manier. Die gluͤcklichen Faͤnger deſſelben haben zu ihrer Ergoͤtzlichkeit ſo gleich 1000. Livres erhalten. Bey dem Eintritt ins Chatelet ward Cartouche von den Gerichts- Dienern uͤbernommen. Wie nun einer von dieſen mit dem Arreſtanten Schertz treiben wolte, ſo bekam er von demſelben, an ſtatt der Antwort eine ſo derbe Maulſchelle, daß dem Gerichts-Diener das Schertzen druͤ- ber vergieng. Cartouche ward hierauſ geſchloſſen und kurtz darnach, in ſolcher Figur vor den Lieutenant Criminel gebracht. Vor dieſem fuͤh- rete

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/oa_cartouche_1722
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/oa_cartouche_1722/13
Zitationshilfe: [N. N.]: Der berühmte Ertz-Dieb und Strassen-Räuber Cartouche. Leipzig, 1722, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/oa_cartouche_1722/13>, abgerufen am 21.11.2024.