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[N. N.]: Der berühmte Ertz-Dieb und Strassen-Räuber Cartouche. Leipzig, 1722.

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keit in ihnen erwecket haben, daß sie alle menschliche Empfindung dadurch
verlohren. Aus fast dergleichen rasenden Wuth hat ein gantzer Tropp
von den Cartouchischen Cameraden am 24. Octobr. eine von Meaux kom-
mende Weibes-Person auf öffentlicher Land-Strasse angefallen und der-
selben das Jhrige genommen. Weil aber dieser Strassen-Raub just
an dem Orte geschahe, wo einige Tage vorher einer von ihren Camera-
den war gerädert worden, so vermeynten die Bösewichter, sich nicht bes-
ser rächen zu können, als wenn sie das unglücklich Weib lebendig neben
ihren Cameraden auf das Rad anbänden, welches sie auch bewerckstel-
ligten. Diese vor Schrecken und Marter halb todte Frau wäre auch
gewiß gestorben, wenn nicht ohngefehr einige Reuter daselbst vorbey gerit-
ten, die sie zwar wieder loß gebunden, aber dadurch nicht verhindern kön-
nen, daß sie ein paar Stunden darnach gestorben. Cartouche selbst hat
in allen Vorstädten von Paris 4. biß 5. Quartiere, auch viel alte Weiber
an sich gehabt, die sein geraubtes Gut vertrödelt. Von diesen alten Vet-
teln wurden einige zu Eingang des Monats Novembr. von dem Scharff-
richter geschoren, ihnen die Röcke unten abgekürtzet und sie in dieser Posi-
tur in das Spinnhauß eingesperret.

Den 1. Novembr. ward Cartouche aus dem Chartelet in das Ge-
fangniß der Conciergerie, in einer Carosse gebracht. Bey ihm sassen 2.
Officiers und seine Begleitung bestund aus 8. Mann zu Pferde von der
Nacht-Wache und 8. biß 10. Gerichts-Dienern. Sobald sie vor dieser
neuen Residentz angelanget waren, stieg einer von denen Officiers ab, und
da er den Cartouche bey dem Aussteigen ein wenig drücken mochte, so
hatte dieser die Verwegenheit zu sagen: Ey ihr Schelme gebt Ach-
tung, daß ihr mir nicht Schaden thut.
Der Officier fieng an
hertzlich darüber zu lachen, fassete dem Cartouche um seinen schmahlen
Leib und trug ihn in das Gefängniß. Man wolte ihm anfänglich an den
Ort setzen, wo der bekannte Königs-Mörder Ravaillac gesessen, es ward
aber anders resolviret, und der Maleficante in den Thurn von Montgo-
meri, in ein 18. Schuh dickes Gewölbe gebracht, in welchem ihn weder
Sonne noch Mond bescheinen und er, wegen Enge des niedrigen Platzes,
weder sitzen, noch recht stehen, noch gestreckt liegen konte, sondern allezeit
krum gebücket seyn muste. Durch diese Veränderung des Quartiers
ward Cartouche desperat, daß er Gifft zu sich nahm, so aber die erwünschte
Würckung nicht hatte; doch ward er einige Tage darauf von einem heff-

tigen
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keit in ihnen erwecket haben, daß ſie alle menſchliche Empfindung dadurch
verlohren. Aus faſt dergleichen raſenden Wuth hat ein gantzer Tropp
von den Cartouchiſchen Cameraden am 24. Octobr. eine von Meaux kom-
mende Weibes-Perſon auf oͤffentlicher Land-Straſſe angefallen und der-
ſelben das Jhrige genommen. Weil aber dieſer Straſſen-Raub juſt
an dem Orte geſchahe, wo einige Tage vorher einer von ihren Camera-
den war geraͤdert worden, ſo vermeynten die Boͤſewichter, ſich nicht beſ-
ſer raͤchen zu koͤnnen, als wenn ſie das ungluͤcklich Weib lebendig neben
ihren Cameraden auf das Rad anbaͤnden, welches ſie auch bewerckſtel-
ligten. Dieſe vor Schrecken und Marter halb todte Frau waͤre auch
gewiß geſtorben, wenn nicht ohngefehr einige Reuter daſelbſt vorbey gerit-
ten, die ſie zwar wieder loß gebunden, aber dadurch nicht verhindern koͤn-
nen, daß ſie ein paar Stunden darnach geſtorben. Cartouche ſelbſt hat
in allen Vorſtaͤdten von Paris 4. biß 5. Quartiere, auch viel alte Weiber
an ſich gehabt, die ſein geraubtes Gut vertroͤdelt. Von dieſen alten Vet-
teln wurden einige zu Eingang des Monats Novembr. von dem Scharff-
richter geſchoren, ihnen die Roͤcke unten abgekuͤrtzet und ſie in dieſer Poſi-
tur in das Spinnhauß eingeſperret.

Den 1. Novembr. ward Cartouche aus dem Chartelet in das Ge-
fangniß der Conciergerie, in einer Caroſſe gebracht. Bey ihm ſaſſen 2.
Officiers und ſeine Begleitung beſtund aus 8. Mann zu Pferde von der
Nacht-Wache und 8. biß 10. Gerichts-Dienern. Sobald ſie vor dieſer
neuen Reſidentz angelanget waren, ſtieg einer von denen Officiers ab, und
da er den Cartouche bey dem Ausſteigen ein wenig druͤcken mochte, ſo
hatte dieſer die Verwegenheit zu ſagen: Ey ihr Schelme gebt Ach-
tung, daß ihr mir nicht Schaden thut.
Der Officier fieng an
hertzlich daruͤber zu lachen, faſſete dem Cartouche um ſeinen ſchmahlen
Leib und trug ihn in das Gefaͤngniß. Man wolte ihm anfaͤnglich an den
Ort ſetzen, wo der bekannte Koͤnigs-Moͤrder Ravaillac geſeſſen, es ward
aber anders reſolviret, und der Maleficante in den Thurn von Montgo-
meri, in ein 18. Schuh dickes Gewoͤlbe gebracht, in welchem ihn weder
Sonne noch Mond beſcheinen und er, wegen Enge des niedrigen Platzes,
weder ſitzen, noch recht ſtehen, noch geſtreckt liegen konte, ſondern allezeit
krum gebuͤcket ſeyn muſte. Durch dieſe Veraͤnderung des Quartiers
ward Cartouche deſperat, daß er Gifft zu ſich nahm, ſo aber die erwuͤnſchte
Wuͤrckung nicht hatte; doch ward er einige Tage darauf von einem heff-

tigen
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[13/0019] keit in ihnen erwecket haben, daß ſie alle menſchliche Empfindung dadurch verlohren. Aus faſt dergleichen raſenden Wuth hat ein gantzer Tropp von den Cartouchiſchen Cameraden am 24. Octobr. eine von Meaux kom- mende Weibes-Perſon auf oͤffentlicher Land-Straſſe angefallen und der- ſelben das Jhrige genommen. Weil aber dieſer Straſſen-Raub juſt an dem Orte geſchahe, wo einige Tage vorher einer von ihren Camera- den war geraͤdert worden, ſo vermeynten die Boͤſewichter, ſich nicht beſ- ſer raͤchen zu koͤnnen, als wenn ſie das ungluͤcklich Weib lebendig neben ihren Cameraden auf das Rad anbaͤnden, welches ſie auch bewerckſtel- ligten. Dieſe vor Schrecken und Marter halb todte Frau waͤre auch gewiß geſtorben, wenn nicht ohngefehr einige Reuter daſelbſt vorbey gerit- ten, die ſie zwar wieder loß gebunden, aber dadurch nicht verhindern koͤn- nen, daß ſie ein paar Stunden darnach geſtorben. Cartouche ſelbſt hat in allen Vorſtaͤdten von Paris 4. biß 5. Quartiere, auch viel alte Weiber an ſich gehabt, die ſein geraubtes Gut vertroͤdelt. Von dieſen alten Vet- teln wurden einige zu Eingang des Monats Novembr. von dem Scharff- richter geſchoren, ihnen die Roͤcke unten abgekuͤrtzet und ſie in dieſer Poſi- tur in das Spinnhauß eingeſperret. Den 1. Novembr. ward Cartouche aus dem Chartelet in das Ge- fangniß der Conciergerie, in einer Caroſſe gebracht. Bey ihm ſaſſen 2. Officiers und ſeine Begleitung beſtund aus 8. Mann zu Pferde von der Nacht-Wache und 8. biß 10. Gerichts-Dienern. Sobald ſie vor dieſer neuen Reſidentz angelanget waren, ſtieg einer von denen Officiers ab, und da er den Cartouche bey dem Ausſteigen ein wenig druͤcken mochte, ſo hatte dieſer die Verwegenheit zu ſagen: Ey ihr Schelme gebt Ach- tung, daß ihr mir nicht Schaden thut. Der Officier fieng an hertzlich daruͤber zu lachen, faſſete dem Cartouche um ſeinen ſchmahlen Leib und trug ihn in das Gefaͤngniß. Man wolte ihm anfaͤnglich an den Ort ſetzen, wo der bekannte Koͤnigs-Moͤrder Ravaillac geſeſſen, es ward aber anders reſolviret, und der Maleficante in den Thurn von Montgo- meri, in ein 18. Schuh dickes Gewoͤlbe gebracht, in welchem ihn weder Sonne noch Mond beſcheinen und er, wegen Enge des niedrigen Platzes, weder ſitzen, noch recht ſtehen, noch geſtreckt liegen konte, ſondern allezeit krum gebuͤcket ſeyn muſte. Durch dieſe Veraͤnderung des Quartiers ward Cartouche deſperat, daß er Gifft zu ſich nahm, ſo aber die erwuͤnſchte Wuͤrckung nicht hatte; doch ward er einige Tage darauf von einem heff- tigen B 3

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Zitationshilfe: [N. N.]: Der berühmte Ertz-Dieb und Strassen-Räuber Cartouche. Leipzig, 1722, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/oa_cartouche_1722/19>, abgerufen am 21.11.2024.