Mutter Eva saß da mit andächtig gefalteten Hän- den, als sei sie in der Kirche -- sie sah bewundernd zu ihrem Sohne auf und wußte gar nicht mehr, was sie vor freudigem Staunen thun und sagen sollte. Außer den Versen im Gesangbuch und den Hochzeitcarmen, wie sie zuweilen im Dorfe üblich waren, hatte sie nie Verse gehört. Diese ganze Kunft erschien ihr als so außer- ordentlich, daß sie gar nicht begriff, wie ihr Sohn dazu komme und wie sie selbst dazu komme, einen solchen Sohn zu haben -- vor Bewunderung war sie ganz still ge- worden. Traugott aber und ein paar der jüngern Män- ner sprangen hastig auf, umarmten unsern Johannes und sagten, auf einmal ganz zutraulich geworden: Und das hast Du wirklich Deinen vornehmen Bekannten vor- gelesen und in den großen Blättern drucken lassen? -- Ja Du bist unser Bruder, unser alter Johannes!"
Unser Pfarrer aber trat auch zu ihm hin: legte seine Hand wie segnend auf seine Stirn und sagte zur Mutter Eva: "Wohl dem, der Freude an seinen Kindern erlebt!"
Unser Schullehrer, der eigentlich nicht gut auf Jo- hannes zu sprechen gewesen, weil er ihm mit Suschen zu vertraut that, streckte ihm jetzt auch die Hand über den Tisch weg hin und sagte herzlich: "Nun kann ich
Mutter Eva ſaß da mit andaͤchtig gefalteten Haͤn- den, als ſei ſie in der Kirche — ſie ſah bewundernd zu ihrem Sohne auf und wußte gar nicht mehr, was ſie vor freudigem Staunen thun und ſagen ſollte. Außer den Verſen im Geſangbuch und den Hochzeitcarmen, wie ſie zuweilen im Dorfe uͤblich waren, hatte ſie nie Verſe gehoͤrt. Dieſe ganze Kunft erſchien ihr als ſo außer- ordentlich, daß ſie gar nicht begriff, wie ihr Sohn dazu komme und wie ſie ſelbſt dazu komme, einen ſolchen Sohn zu haben — vor Bewunderung war ſie ganz ſtill ge- worden. Traugott aber und ein paar der juͤngern Maͤn- ner ſprangen haſtig auf, umarmten unſern Johannes und ſagten, auf einmal ganz zutraulich geworden: Und das haſt Du wirklich Deinen vornehmen Bekannten vor- geleſen und in den großen Blaͤttern drucken laſſen? — Ja Du biſt unſer Bruder, unſer alter Johannes!“
Unſer Pfarrer aber trat auch zu ihm hin: legte ſeine Hand wie ſegnend auf ſeine Stirn und ſagte zur Mutter Eva: „Wohl dem, der Freude an ſeinen Kindern erlebt!“
Unſer Schullehrer, der eigentlich nicht gut auf Jo- hannes zu ſprechen geweſen, weil er ihm mit Suschen zu vertraut that, ſtreckte ihm jetzt auch die Hand uͤber den Tiſch weg hin und ſagte herzlich: „Nun kann ich
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Mutter Eva ſaß da mit andaͤchtig gefalteten Haͤn-
den, als ſei ſie in der Kirche — ſie ſah bewundernd
zu ihrem Sohne auf und wußte gar nicht mehr, was
ſie vor freudigem Staunen thun und ſagen ſollte. Außer
den Verſen im Geſangbuch und den Hochzeitcarmen, wie
ſie zuweilen im Dorfe uͤblich waren, hatte ſie nie Verſe
gehoͤrt. Dieſe ganze Kunft erſchien ihr als ſo außer-
ordentlich, daß ſie gar nicht begriff, wie ihr Sohn dazu
komme und wie ſie ſelbſt dazu komme, einen ſolchen Sohn
zu haben — vor Bewunderung war ſie ganz ſtill ge-
worden. Traugott aber und ein paar der juͤngern Maͤn-
ner ſprangen haſtig auf, umarmten unſern Johannes
und ſagten, auf einmal ganz zutraulich geworden: Und
das haſt Du wirklich Deinen vornehmen Bekannten vor-
geleſen und in den großen Blaͤttern drucken laſſen? —
Ja Du biſt unſer Bruder, unſer alter Johannes!“
Unſer Pfarrer aber trat auch zu ihm hin: legte ſeine
Hand wie ſegnend auf ſeine Stirn und ſagte zur Mutter
Eva: „Wohl dem, der Freude an ſeinen Kindern
erlebt!“
Unſer Schullehrer, der eigentlich nicht gut auf Jo-
hannes zu ſprechen geweſen, weil er ihm mit Suschen
zu vertraut that, ſtreckte ihm jetzt auch die Hand uͤber
den Tiſch weg hin und ſagte herzlich: „Nun kann ich
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Otto-Peters, Louise: Ein Bauernsohn. Leipzig, 1849, S. 52. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/otto_bauernsohn_1849/60>, abgerufen am 04.12.2024.
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