Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

Zeit verleidete. Ein alter Hausbahn, dem der Kopf abgehackt war, sprang fort und lief mehrere Male um den Hof herum, ehe er vom Blutverluste erschöpft zusammensank.

Dem Taubenschlage auf dem Boden des Holzstalles widmete mein Vater eine besondere Sorgfalt. Für mich war es ein großes Fest, ihn dahin begleiten zu dürfen, wenn er am Abend die äußere Klappe geschlossen und den ganzen Schwarm beisammen hatte. Die nächste Nähe der reinlichen, zarten Thiere, die man sonst nur in der Luft oder auf den Dächern gewahrte, ihr unruhiges Durcheinanderfahren bei irgend einer raschen Bewegung, das zornige Kullern der Täuber, die sanften Augen der jungen schneeweißen Tauben, selbst der specifische Geruch ihrer Nester und der daneben liegenden Fenchelkuchen erweckten mir eine höchst angenehme Empfindung. Mein Vater beobachtete die Neigungen der einzelnen Paare: anfangs bauen sie zusammen ein Nest, das bald einige Eier erhält, und leben in der schönsten Eintracht; dann aber findet sich ein Hausfreund, der der Frau den Hof macht, der sie zur böslichen Verlassung ihres Mannes und ihrer unflüggen Kinder, so wie zur Anlegung eines neuen Nestes verführt. Aber solche Unregelmäßigkeiten duldete mein Vater nicht; die pflichtvergessene Gattin wurde einige Zeit mit ihrem rechten Manne zusammen eingesperrt, wo sich denn bald das alte Verhältniß wiederherstellte.

Es kam auch einige Male vor, daß ein Sperber oder eine Weihe, aus den Rüdersdorfer Kalkbergen herüberkommend, in hoher Luft kreisend sich zeigte, und sowohl den Hühnerhof als auch das Taubenvolk in den ungeheuersten Allarm setzte. Der Gärtner holte dann eine alte verrostete Flinte hervor, und obgleich der Raubvogel viel

Zeit verleidete. Ein alter Hausbahn, dem der Kopf abgehackt war, sprang fort und lief mehrere Male um den Hof herum, ehe er vom Blutverluste erschöpft zusammensank.

Dem Taubenschlage auf dem Boden des Holzstalles widmete mein Vater eine besondere Sorgfalt. Für mich war es ein großes Fest, ihn dahin begleiten zu dürfen, wenn er am Abend die äußere Klappe geschlossen und den ganzen Schwarm beisammen hatte. Die nächste Nähe der reinlichen, zarten Thiere, die man sonst nur in der Luft oder auf den Dächern gewahrte, ihr unruhiges Durcheinanderfahren bei irgend einer raschen Bewegung, das zornige Kullern der Täuber, die sanften Augen der jungen schneeweißen Tauben, selbst der specifische Geruch ihrer Nester und der daneben liegenden Fenchelkuchen erweckten mir eine höchst angenehme Empfindung. Mein Vater beobachtete die Neigungen der einzelnen Paare: anfangs bauen sie zusammen ein Nest, das bald einige Eier erhält, und leben in der schönsten Eintracht; dann aber findet sich ein Hausfreund, der der Frau den Hof macht, der sie zur böslichen Verlassung ihres Mannes und ihrer unflüggen Kinder, so wie zur Anlegung eines neuen Nestes verführt. Aber solche Unregelmäßigkeiten duldete mein Vater nicht; die pflichtvergessene Gattin wurde einige Zeit mit ihrem rechten Manne zusammen eingesperrt, wo sich denn bald das alte Verhältniß wiederherstellte.

Es kam auch einige Male vor, daß ein Sperber oder eine Weihe, aus den Rüdersdorfer Kalkbergen herüberkommend, in hoher Luft kreisend sich zeigte, und sowohl den Hühnerhof als auch das Taubenvolk in den ungeheuersten Allarm setzte. Der Gärtner holte dann eine alte verrostete Flinte hervor, und obgleich der Raubvogel viel

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="1">
          <p><pb facs="#f0125" n="113"/>
Zeit verleidete. Ein alter Hausbahn, dem der Kopf abgehackt war, sprang fort und lief mehrere Male um den Hof herum, ehe er vom Blutverluste erschöpft zusammensank. </p><lb/>
          <p>Dem Taubenschlage auf dem Boden des Holzstalles widmete mein Vater eine besondere Sorgfalt. Für mich war es ein großes Fest, ihn dahin begleiten zu dürfen, wenn er am Abend die äußere Klappe geschlossen und den ganzen Schwarm beisammen hatte. Die nächste Nähe der reinlichen, zarten Thiere, die man sonst nur in der Luft oder auf den Dächern gewahrte, ihr unruhiges Durcheinanderfahren bei irgend einer raschen Bewegung, das zornige Kullern der Täuber, die sanften Augen der jungen schneeweißen Tauben, selbst der specifische Geruch ihrer Nester und der daneben liegenden Fenchelkuchen erweckten mir eine höchst angenehme Empfindung. Mein Vater beobachtete die Neigungen der einzelnen Paare: anfangs bauen sie zusammen ein Nest, das bald einige Eier erhält, und leben in der schönsten Eintracht; dann aber findet sich ein Hausfreund, der der Frau den Hof macht, der sie zur böslichen Verlassung ihres Mannes und ihrer unflüggen Kinder, so wie zur Anlegung eines neuen Nestes verführt. Aber solche Unregelmäßigkeiten duldete mein Vater nicht; die pflichtvergessene Gattin wurde einige Zeit mit ihrem rechten Manne zusammen eingesperrt, wo sich denn bald das alte Verhältniß wiederherstellte. </p><lb/>
          <p>Es kam auch einige Male vor, daß ein Sperber oder eine Weihe, aus den Rüdersdorfer Kalkbergen herüberkommend, in hoher Luft kreisend sich zeigte, und sowohl den Hühnerhof als auch das Taubenvolk in den ungeheuersten Allarm setzte. Der Gärtner holte dann eine alte verrostete Flinte hervor, und obgleich der Raubvogel viel
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[113/0125] Zeit verleidete. Ein alter Hausbahn, dem der Kopf abgehackt war, sprang fort und lief mehrere Male um den Hof herum, ehe er vom Blutverluste erschöpft zusammensank. Dem Taubenschlage auf dem Boden des Holzstalles widmete mein Vater eine besondere Sorgfalt. Für mich war es ein großes Fest, ihn dahin begleiten zu dürfen, wenn er am Abend die äußere Klappe geschlossen und den ganzen Schwarm beisammen hatte. Die nächste Nähe der reinlichen, zarten Thiere, die man sonst nur in der Luft oder auf den Dächern gewahrte, ihr unruhiges Durcheinanderfahren bei irgend einer raschen Bewegung, das zornige Kullern der Täuber, die sanften Augen der jungen schneeweißen Tauben, selbst der specifische Geruch ihrer Nester und der daneben liegenden Fenchelkuchen erweckten mir eine höchst angenehme Empfindung. Mein Vater beobachtete die Neigungen der einzelnen Paare: anfangs bauen sie zusammen ein Nest, das bald einige Eier erhält, und leben in der schönsten Eintracht; dann aber findet sich ein Hausfreund, der der Frau den Hof macht, der sie zur böslichen Verlassung ihres Mannes und ihrer unflüggen Kinder, so wie zur Anlegung eines neuen Nestes verführt. Aber solche Unregelmäßigkeiten duldete mein Vater nicht; die pflichtvergessene Gattin wurde einige Zeit mit ihrem rechten Manne zusammen eingesperrt, wo sich denn bald das alte Verhältniß wiederherstellte. Es kam auch einige Male vor, daß ein Sperber oder eine Weihe, aus den Rüdersdorfer Kalkbergen herüberkommend, in hoher Luft kreisend sich zeigte, und sowohl den Hühnerhof als auch das Taubenvolk in den ungeheuersten Allarm setzte. Der Gärtner holte dann eine alte verrostete Flinte hervor, und obgleich der Raubvogel viel

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/125
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/125>, abgerufen am 21.11.2024.