Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].nun die Sache in der That nicht gut, so pflegte er zu sprechen: das hatte ich ja vorhergesagt! und ging die Sache gut, so wagte niemand, ihn an seine negative Aeußerung zu erinnern. Je näher die Russen an Berlin heranrückten, desto unruhiger wurden die Leute in der Stadt. Es war kaum anzunehmen, daß der Marschall Augereau versuchen werde, die offene Stadt zu halten, doch dauerte sein Abzug den Berliner Bürgern gar zu lange. Am 18. Februar 1813 kam es bei dem 2 Meilen entfernten Dorfe Werneuchen zu einem ernsthaften Gefechte zwischen Kosacken und Franzosen, worin die letzteren zurückgedrängt wurden. Am 20. Februar schwärmten die Kosacken an allen Thoren auf der Ostseite Berlins, und schossen auf die französischen Thorwachen. An demselben Abende wurde den Bürgem von Polizeiwegen befohlen, die ganze Nacht Licht an die Fenster zu stellen. Es läßt sich denken, daß in dieser Nacht die Kinder von fieberhafter Unruhe getrieben, im ganzen Hause herumliefen, und auf jeden Lärm horchten. Fritz hatte in unserer Stube ein ganzes Arsenal von Taschenmessern auf dem Tische angelegt, und nach vergeblichem Widerspruche der Köchin noch das Küchenbeil hinzugefügt, um uns, falls die abziehenden Franzosen plündern wollten, vertheidigen zu können. Allein es blieb alles ruhig; nach Mitternacht machte der Schlaf seine Rechte geltend; als wir am andern Morgen wohlgemuth erwachten, wunderten wir uns, daß Berlin noch auf dem alten Flecke stehe. In diesen Tagen der allgemeinen Aufregung geschah das Unglaubliche, daß bei dem Hin- und Herziehn der französischen Truppen eine französische Kanone von dem nun die Sache in der That nicht gut, so pflegte er zu sprechen: das hatte ich ja vorhergesagt! und ging die Sache gut, so wagte niemand, ihn an seine negative Aeußerung zu erinnern. Je näher die Russen an Berlin heranrückten, desto unruhiger wurden die Leute in der Stadt. Es war kaum anzunehmen, daß der Marschall Augereau versuchen werde, die offene Stadt zu halten, doch dauerte sein Abzug den Berliner Bürgern gar zu lange. Am 18. Februar 1813 kam es bei dem 2 Meilen entfernten Dorfe Werneuchen zu einem ernsthaften Gefechte zwischen Kosacken und Franzosen, worin die letzteren zurückgedrängt wurden. Am 20. Februar schwärmten die Kosacken an allen Thoren auf der Ostseite Berlins, und schossen auf die französischen Thorwachen. An demselben Abende wurde den Bürgem von Polizeiwegen befohlen, die ganze Nacht Licht an die Fenster zu stellen. Es läßt sich denken, daß in dieser Nacht die Kinder von fieberhafter Unruhe getrieben, im ganzen Hause herumliefen, und auf jeden Lärm horchten. Fritz hatte in unserer Stube ein ganzes Arsenal von Taschenmessern auf dem Tische angelegt, und nach vergeblichem Widerspruche der Köchin noch das Küchenbeil hinzugefügt, um uns, falls die abziehenden Franzosen plündern wollten, vertheidigen zu können. Allein es blieb alles ruhig; nach Mitternacht machte der Schlaf seine Rechte geltend; als wir am andern Morgen wohlgemuth erwachten, wunderten wir uns, daß Berlin noch auf dem alten Flecke stehe. In diesen Tagen der allgemeinen Aufregung geschah das Unglaubliche, daß bei dem Hin- und Herziehn der französischen Truppen eine französische Kanone von dem <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <p><pb facs="#f0351" n="339"/> nun die Sache in der That nicht gut, so pflegte er zu sprechen: das hatte ich ja vorhergesagt! und ging die Sache gut, so wagte niemand, ihn an seine negative Aeußerung zu erinnern. </p><lb/> <p>Je näher die Russen an Berlin heranrückten, desto unruhiger wurden die Leute in der Stadt. 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Allein es blieb alles ruhig; nach Mitternacht machte der Schlaf seine Rechte geltend; als wir am andern Morgen wohlgemuth erwachten, wunderten wir uns, daß Berlin noch auf dem alten Flecke stehe. </p><lb/> <p>In diesen Tagen der allgemeinen Aufregung geschah das Unglaubliche, daß bei dem Hin- und Herziehn der französischen Truppen eine französische Kanone von dem </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [339/0351]
nun die Sache in der That nicht gut, so pflegte er zu sprechen: das hatte ich ja vorhergesagt! und ging die Sache gut, so wagte niemand, ihn an seine negative Aeußerung zu erinnern.
Je näher die Russen an Berlin heranrückten, desto unruhiger wurden die Leute in der Stadt. Es war kaum anzunehmen, daß der Marschall Augereau versuchen werde, die offene Stadt zu halten, doch dauerte sein Abzug den Berliner Bürgern gar zu lange. Am 18. Februar 1813 kam es bei dem 2 Meilen entfernten Dorfe Werneuchen zu einem ernsthaften Gefechte zwischen Kosacken und Franzosen, worin die letzteren zurückgedrängt wurden. Am 20. Februar schwärmten die Kosacken an allen Thoren auf der Ostseite Berlins, und schossen auf die französischen Thorwachen. An demselben Abende wurde den Bürgem von Polizeiwegen befohlen, die ganze Nacht Licht an die Fenster zu stellen. Es läßt sich denken, daß in dieser Nacht die Kinder von fieberhafter Unruhe getrieben, im ganzen Hause herumliefen, und auf jeden Lärm horchten. Fritz hatte in unserer Stube ein ganzes Arsenal von Taschenmessern auf dem Tische angelegt, und nach vergeblichem Widerspruche der Köchin noch das Küchenbeil hinzugefügt, um uns, falls die abziehenden Franzosen plündern wollten, vertheidigen zu können. Allein es blieb alles ruhig; nach Mitternacht machte der Schlaf seine Rechte geltend; als wir am andern Morgen wohlgemuth erwachten, wunderten wir uns, daß Berlin noch auf dem alten Flecke stehe.
In diesen Tagen der allgemeinen Aufregung geschah das Unglaubliche, daß bei dem Hin- und Herziehn der französischen Truppen eine französische Kanone von dem
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/351>, abgerufen am 16.07.2024. |