Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].Berliner Pöbel erbeutet, nach der Schleusenbrücke geschleppt, und dort in die Spree geworfen wurde, wo wir sie mehrere Tage lang mit aufwärts gekehrten Lafetten liegen sahen. Am 25. Februar hörte man deutlich eine Kanonade in östlicher Richtung, und erfuhr nachher, daß bei Köpenick ein heftiges Gefecht Statt gefunden habe. Endlich in der Nacht vom 3. zum 4. März, viel zu spät für die Ungeduld der Bürger, verließen die Franzosen Berlin, und am 4. März zog General Czernitschef an der Spitze der russischen Truppen ein. Er wurde von der ganzen Bevölkerung als Befreier empfangen, und die Stadt am Abend festlich erleuchtet. Unmöglich läßt sich der Jubel der durcheinander wogenden Menschenmassen beschreiben. Es schien allen, als sei ein bleierner Druck entfernt, der auf jeglicher Brust gelastet, und das Athemholen erschwert hatte. Daß die Franzosen mit verstärkter Macht zurückkehren, und die schutzlose Hauptstadt wieder einnehmen könnten, wurde von den weitsichtigen alten Politikern gefürchtet; sie warnten daher vor einem allzu unmäßigen Jubel, um nicht den Zorn des Kaisers Napoleon zu erregen; die jungen vorwärts dringenden Geister verlachten eine solche Befürchtung. Eher müsse man, so ließen sie sich in ihrem unbändigen Freiheitsgefühle vernehmen, das Beispiel von Moskau nachahmen, und dem heranrückenden Feinde nur eine rauchende Brandstätte überlassen. Als bald darauf Hamburg von den Franzosen geräumt und dann wieder besetzt wurde, erschien eine Broschüre von Varnhagen von Ense, die wir damals wegen der abgerundeten Darstellung mit Vergnügen lasen, und worin jene vandalische Idee auch für Hamburg allen Ernstes empfohlen wurde. Berliner Pöbel erbeutet, nach der Schleusenbrücke geschleppt, und dort in die Spree geworfen wurde, wo wir sie mehrere Tage lang mit aufwärts gekehrten Lafetten liegen sahen. Am 25. Februar hörte man deutlich eine Kanonade in östlicher Richtung, und erfuhr nachher, daß bei Köpenick ein heftiges Gefecht Statt gefunden habe. Endlich in der Nacht vom 3. zum 4. März, viel zu spät für die Ungeduld der Bürger, verließen die Franzosen Berlin, und am 4. März zog General Czernitschef an der Spitze der russischen Truppen ein. Er wurde von der ganzen Bevölkerung als Befreier empfangen, und die Stadt am Abend festlich erleuchtet. Unmöglich läßt sich der Jubel der durcheinander wogenden Menschenmassen beschreiben. Es schien allen, als sei ein bleierner Druck entfernt, der auf jeglicher Brust gelastet, und das Athemholen erschwert hatte. Daß die Franzosen mit verstärkter Macht zurückkehren, und die schutzlose Hauptstadt wieder einnehmen könnten, wurde von den weitsichtigen alten Politikern gefürchtet; sie warnten daher vor einem allzu unmäßigen Jubel, um nicht den Zorn des Kaisers Napoléon zu erregen; die jungen vorwärts dringenden Geister verlachten eine solche Befürchtung. Eher müsse man, so ließen sie sich in ihrem unbändigen Freiheitsgefühle vernehmen, das Beispiel von Moskau nachahmen, und dem heranrückenden Feinde nur eine rauchende Brandstätte überlassen. Als bald darauf Hamburg von den Franzosen geräumt und dann wieder besetzt wurde, erschien eine Broschüre von Varnhagen von Ense, die wir damals wegen der abgerundeten Darstellung mit Vergnügen lasen, und worin jene vandalische Idee auch für Hamburg allen Ernstes empfohlen wurde. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <p><pb facs="#f0352" n="340"/> Berliner Pöbel erbeutet, nach der Schleusenbrücke geschleppt, und dort in die Spree geworfen wurde, wo wir sie mehrere Tage lang mit aufwärts gekehrten Lafetten liegen sahen. </p><lb/> <p>Am 25. Februar hörte man deutlich eine Kanonade in östlicher Richtung, und erfuhr nachher, daß bei Köpenick ein heftiges Gefecht Statt gefunden habe. Endlich in der Nacht vom 3. zum 4. 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Eher müsse man, so ließen sie sich in ihrem unbändigen Freiheitsgefühle vernehmen, das Beispiel von Moskau nachahmen, und dem heranrückenden Feinde nur eine rauchende Brandstätte überlassen. Als bald darauf Hamburg von den Franzosen geräumt und dann wieder besetzt wurde, erschien eine Broschüre von Varnhagen von Ense, die wir damals wegen der abgerundeten Darstellung mit Vergnügen lasen, und worin jene vandalische Idee auch für Hamburg allen Ernstes empfohlen wurde. </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [340/0352]
Berliner Pöbel erbeutet, nach der Schleusenbrücke geschleppt, und dort in die Spree geworfen wurde, wo wir sie mehrere Tage lang mit aufwärts gekehrten Lafetten liegen sahen.
Am 25. Februar hörte man deutlich eine Kanonade in östlicher Richtung, und erfuhr nachher, daß bei Köpenick ein heftiges Gefecht Statt gefunden habe. Endlich in der Nacht vom 3. zum 4. März, viel zu spät für die Ungeduld der Bürger, verließen die Franzosen Berlin, und am 4. März zog General Czernitschef an der Spitze der russischen Truppen ein. Er wurde von der ganzen Bevölkerung als Befreier empfangen, und die Stadt am Abend festlich erleuchtet. Unmöglich läßt sich der Jubel der durcheinander wogenden Menschenmassen beschreiben. Es schien allen, als sei ein bleierner Druck entfernt, der auf jeglicher Brust gelastet, und das Athemholen erschwert hatte. Daß die Franzosen mit verstärkter Macht zurückkehren, und die schutzlose Hauptstadt wieder einnehmen könnten, wurde von den weitsichtigen alten Politikern gefürchtet; sie warnten daher vor einem allzu unmäßigen Jubel, um nicht den Zorn des Kaisers Napoléon zu erregen; die jungen vorwärts dringenden Geister verlachten eine solche Befürchtung. Eher müsse man, so ließen sie sich in ihrem unbändigen Freiheitsgefühle vernehmen, das Beispiel von Moskau nachahmen, und dem heranrückenden Feinde nur eine rauchende Brandstätte überlassen. Als bald darauf Hamburg von den Franzosen geräumt und dann wieder besetzt wurde, erschien eine Broschüre von Varnhagen von Ense, die wir damals wegen der abgerundeten Darstellung mit Vergnügen lasen, und worin jene vandalische Idee auch für Hamburg allen Ernstes empfohlen wurde.
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/352>, abgerufen am 16.07.2024. |