Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].blieben, da kannte unsre Wuth keine Gränzen mehr. Die Berichte waren freilich äußerst unbestimmt. Daß unser Liebling Körner nicht gefangen sei, schien sicher, aber niemand wußte anzugeben, wo er sich befinde; wir hatten den unsäglichen Schmerz, uns den verehrten und geliebten Freund in der hülflosesten Lage zu denken. Mein Vater stand mit Körners Aeltern in Dresden in der vertrautesten Freundschaft, allein er wagte nicht, dorthin zu schreiben, weil Dresden noch in französischen Händen war, und man wohl wußte, daß viele Briefe geöffnet wurden. Dies galt damals bei dem großen Publikum noch für eine bübische Verrätherei, und die französische Regierung, die sich dieses Mittels im ausgedehntesten Maaße bediente, hielt man in dieser Hinsicht für ehrlos. Das Wenige, was man von den Verhandlungen in Dresden vernahm, wurde in Berlin begierig angegriffen. Napoleon schien sich dort ganz häuslich niederlassen zu wollen. Um seinen Feinden zu zeigen, daß er gar keine Lust habe, Dresden bald wieder zu verlassen, ließ er Schauspieler von Paris kommen, und richtete ein französisches Theater ein. Der berühmte Talma und Mademoiselle Mars spielten vor dem kleinen Kreise der französischen Generale und des sächsischen Hofadels. Der König Friedrich August von Sachsen hielt mit unbegreiflicher Zähigkeit an dem Bündnisse mit Napoleon fest, von dem er doch unmöglich nach den Erfahrungen der letzten Jahre Heil für sein Land und für ganz Deutschland erwarten konnte. Dem beschränkten, gutmüthigen Könige, dessen Horizont sich nicht über seine Hauptstadt hinaus erstreckte, mochte man diese Servilität hingehn lassen, doch gab es auch manche heller blickende Köpfe, denen die Befreiung blieben, da kannte unsre Wuth keine Gränzen mehr. Die Berichte waren freilich äußerst unbestimmt. Daß unser Liebling Körner nicht gefangen sei, schien sicher, aber niemand wußte anzugeben, wo er sich befinde; wir hatten den unsäglichen Schmerz, uns den verehrten und geliebten Freund in der hülflosesten Lage zu denken. Mein Vater stand mit Körners Aeltern in Dresden in der vertrautesten Freundschaft, allein er wagte nicht, dorthin zu schreiben, weil Dresden noch in französischen Händen war, und man wohl wußte, daß viele Briefe geöffnet wurden. Dies galt damals bei dem großen Publikum noch für eine bübische Verrätherei, und die französische Regierung, die sich dieses Mittels im ausgedehntesten Maaße bediente, hielt man in dieser Hinsicht für ehrlos. Das Wenige, was man von den Verhandlungen in Dresden vernahm, wurde in Berlin begierig angegriffen. Napoléon schien sich dort ganz häuslich niederlassen zu wollen. Um seinen Feinden zu zeigen, daß er gar keine Lust habe, Dresden bald wieder zu verlassen, ließ er Schauspieler von Paris kommen, und richtete ein französisches Theater ein. Der berühmte Talma und Mademoiselle Mars spielten vor dem kleinen Kreise der französischen Generale und des sächsischen Hofadels. Der König Friedrich August von Sachsen hielt mit unbegreiflicher Zähigkeit an dem Bündnisse mit Napoléon fest, von dem er doch unmöglich nach den Erfahrungen der letzten Jahre Heil für sein Land und für ganz Deutschland erwarten konnte. Dem beschränkten, gutmüthigen Könige, dessen Horizont sich nicht über seine Hauptstadt hinaus erstreckte, mochte man diese Servilität hingehn lassen, doch gab es auch manche heller blickende Köpfe, denen die Befreiung <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <p><pb facs="#f0378" n="366"/> blieben, da kannte unsre Wuth keine Gränzen mehr. Die Berichte waren freilich äußerst unbestimmt. Daß unser Liebling Körner nicht gefangen sei, schien sicher, aber niemand wußte anzugeben, wo er sich befinde; wir hatten den unsäglichen Schmerz, uns den verehrten und geliebten Freund in der hülflosesten Lage zu denken. Mein Vater stand mit Körners Aeltern in Dresden in der vertrautesten Freundschaft, allein er wagte nicht, dorthin zu schreiben, weil Dresden noch in französischen Händen war, und man wohl wußte, daß viele Briefe geöffnet wurden. Dies galt damals bei dem großen Publikum noch für eine bübische Verrätherei, und die französische Regierung, die sich dieses Mittels im ausgedehntesten Maaße bediente, hielt man in dieser Hinsicht für ehrlos. </p><lb/> <p>Das Wenige, was man von den Verhandlungen in Dresden vernahm, wurde in Berlin begierig angegriffen. Napoléon schien sich dort ganz häuslich niederlassen zu wollen. Um seinen Feinden zu zeigen, daß er gar keine Lust habe, Dresden bald wieder zu verlassen, ließ er Schauspieler von Paris kommen, und richtete ein französisches Theater ein. Der berühmte Talma und Mademoiselle Mars spielten vor dem kleinen Kreise der französischen Generale und des sächsischen Hofadels. Der König Friedrich August von Sachsen hielt mit unbegreiflicher Zähigkeit an dem Bündnisse mit Napoléon fest, von dem er doch unmöglich nach den Erfahrungen der letzten Jahre Heil für sein Land und für ganz Deutschland erwarten konnte. Dem beschränkten, gutmüthigen Könige, dessen Horizont sich nicht über seine Hauptstadt hinaus erstreckte, mochte man diese Servilität hingehn lassen, doch gab es auch manche heller blickende Köpfe, denen die Befreiung </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [366/0378]
blieben, da kannte unsre Wuth keine Gränzen mehr. Die Berichte waren freilich äußerst unbestimmt. Daß unser Liebling Körner nicht gefangen sei, schien sicher, aber niemand wußte anzugeben, wo er sich befinde; wir hatten den unsäglichen Schmerz, uns den verehrten und geliebten Freund in der hülflosesten Lage zu denken. Mein Vater stand mit Körners Aeltern in Dresden in der vertrautesten Freundschaft, allein er wagte nicht, dorthin zu schreiben, weil Dresden noch in französischen Händen war, und man wohl wußte, daß viele Briefe geöffnet wurden. Dies galt damals bei dem großen Publikum noch für eine bübische Verrätherei, und die französische Regierung, die sich dieses Mittels im ausgedehntesten Maaße bediente, hielt man in dieser Hinsicht für ehrlos.
Das Wenige, was man von den Verhandlungen in Dresden vernahm, wurde in Berlin begierig angegriffen. Napoléon schien sich dort ganz häuslich niederlassen zu wollen. Um seinen Feinden zu zeigen, daß er gar keine Lust habe, Dresden bald wieder zu verlassen, ließ er Schauspieler von Paris kommen, und richtete ein französisches Theater ein. Der berühmte Talma und Mademoiselle Mars spielten vor dem kleinen Kreise der französischen Generale und des sächsischen Hofadels. Der König Friedrich August von Sachsen hielt mit unbegreiflicher Zähigkeit an dem Bündnisse mit Napoléon fest, von dem er doch unmöglich nach den Erfahrungen der letzten Jahre Heil für sein Land und für ganz Deutschland erwarten konnte. Dem beschränkten, gutmüthigen Könige, dessen Horizont sich nicht über seine Hauptstadt hinaus erstreckte, mochte man diese Servilität hingehn lassen, doch gab es auch manche heller blickende Köpfe, denen die Befreiung
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