Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].Hiervon verlautete aber sehr wenig im Publikum. Wir waren nur besorgt, daß Napoleon irgend welche Friedensbedingungen annehmen, und bei erster Gelegenheit wieder losbrechen werde. Dazu kam, daß im geselligen Verkehr bei meinem Vater auch eine napoleonische Partei sich geltend machte. Der König Friedrich August von Sachsen hatte, als er nach Berlin gefangen abgeführt ward, einen Theil seines Hofstaates mitgenommen. Mein Vater war ein geborner Sachse und hatte einige Jahre in Dresden gelebt. Er kannte mehrere Herren aus der Umgebung des Königs: den Hofrath Breyer, den Hofrath Griesinger, den Hofsekretär Wendt. Mit seiner gewohnten Gastfreundschaft lud er die Fremden zu sich ein, und erwies ihnen als Landsleuten jede Artigkeit. Da hörten wir denn eine der unseren gerade entgegengesetzte Ansicht mit vieler Mäßigung, doch mit Ueberzeugung vortragen. Der unbegränzte Ehrgeiz Napoleons wurde nicht in Abrede gestellt, doch unterließ man nicht, seine großen Eigenschaften hervorzuheben. Noch entsinne ich mich eines Gespräches zwischen dem Vetter Valentin und den sächsischen Herren. Valentin, auch ein geborner Sachse, stand ganz und gar auf der deutschen patriotischen Seite, und erwähnte in seiner Rede des von Napoleon gestifteten Rheinbundes mit Abscheu, obgleich er wohl wußte, daß Sachsen demselben bisher angehörte. Als ihn darauf einer der sächsischen Gäste mit vieler Ruhe fragte, ob er denn die Verfassung des römischdeutschen Reiches vorziehe? mußte er die Antwort schuldig bleiben: denn die Reichsverfassung hatte von jeher nur zum allgemeinen Spotte gedient, nicht anders als 60 Jahre später der jetzt (1868) glücklich beseitigte Deutsche Bundestag. Hiervon verlautete aber sehr wenig im Publikum. Wir waren nur besorgt, daß Napoléon irgend welche Friedensbedingungen annehmen, und bei erster Gelegenheit wieder losbrechen werde. Dazu kam, daß im geselligen Verkehr bei meinem Vater auch eine napoleonische Partei sich geltend machte. Der König Friedrich August von Sachsen hatte, als er nach Berlin gefangen abgeführt ward, einen Theil seines Hofstaates mitgenommen. Mein Vater war ein geborner Sachse und hatte einige Jahre in Dresden gelebt. Er kannte mehrere Herren aus der Umgebung des Königs: den Hofrath Breyer, den Hofrath Griesinger, den Hofsekretär Wendt. Mit seiner gewohnten Gastfreundschaft lud er die Fremden zu sich ein, und erwies ihnen als Landsleuten jede Artigkeit. Da hörten wir denn eine der unseren gerade entgegengesetzte Ansicht mit vieler Mäßigung, doch mit Ueberzeugung vortragen. Der unbegränzte Ehrgeiz Napoléons wurde nicht in Abrede gestellt, doch unterließ man nicht, seine großen Eigenschaften hervorzuheben. Noch entsinne ich mich eines Gespräches zwischen dem Vetter Valentin und den sächsischen Herren. Valentin, auch ein geborner Sachse, stand ganz und gar auf der deutschen patriotischen Seite, und erwähnte in seiner Rede des von Napoléon gestifteten Rheinbundes mit Abscheu, obgleich er wohl wußte, daß Sachsen demselben bisher angehörte. Als ihn darauf einer der sächsischen Gäste mit vieler Ruhe fragte, ob er denn die Verfassung des römischdeutschen Reiches vorziehe? mußte er die Antwort schuldig bleiben: denn die Reichsverfassung hatte von jeher nur zum allgemeinen Spotte gedient, nicht anders als 60 Jahre später der jetzt (1868) glücklich beseitigte Deutsche Bundestag. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <p><pb facs="#f0428" n="416"/> Hiervon verlautete aber sehr wenig im Publikum. Wir waren nur besorgt, daß Napoléon irgend welche Friedensbedingungen annehmen, und bei erster Gelegenheit wieder losbrechen werde. </p><lb/> <p>Dazu kam, daß im geselligen Verkehr bei meinem Vater auch eine napoleonische Partei sich geltend machte. Der König Friedrich August von Sachsen hatte, als er nach Berlin gefangen abgeführt ward, einen Theil seines Hofstaates mitgenommen. Mein Vater war ein geborner Sachse und hatte einige Jahre in Dresden gelebt. Er kannte mehrere Herren aus der Umgebung des Königs: den Hofrath Breyer, den Hofrath Griesinger, den Hofsekretär Wendt. Mit seiner gewohnten Gastfreundschaft lud er die Fremden zu sich ein, und erwies ihnen als Landsleuten jede Artigkeit. Da hörten wir denn eine der unseren gerade entgegengesetzte Ansicht mit vieler Mäßigung, doch mit Ueberzeugung vortragen. Der unbegränzte Ehrgeiz Napoléons wurde nicht in Abrede gestellt, doch unterließ man nicht, seine großen Eigenschaften hervorzuheben. Noch entsinne ich mich eines Gespräches zwischen dem Vetter Valentin und den sächsischen Herren. Valentin, auch ein geborner Sachse, stand ganz und gar auf der deutschen patriotischen Seite, und erwähnte in seiner Rede des von Napoléon gestifteten Rheinbundes mit Abscheu, obgleich er wohl wußte, daß Sachsen demselben bisher angehörte. Als ihn darauf einer der sächsischen Gäste mit vieler Ruhe fragte, ob er denn die Verfassung des römischdeutschen Reiches vorziehe? mußte er die Antwort schuldig bleiben: denn die Reichsverfassung hatte von jeher nur zum allgemeinen Spotte gedient, nicht anders als 60 Jahre später der jetzt (1868) glücklich beseitigte Deutsche Bundestag. </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [416/0428]
Hiervon verlautete aber sehr wenig im Publikum. Wir waren nur besorgt, daß Napoléon irgend welche Friedensbedingungen annehmen, und bei erster Gelegenheit wieder losbrechen werde.
Dazu kam, daß im geselligen Verkehr bei meinem Vater auch eine napoleonische Partei sich geltend machte. Der König Friedrich August von Sachsen hatte, als er nach Berlin gefangen abgeführt ward, einen Theil seines Hofstaates mitgenommen. Mein Vater war ein geborner Sachse und hatte einige Jahre in Dresden gelebt. Er kannte mehrere Herren aus der Umgebung des Königs: den Hofrath Breyer, den Hofrath Griesinger, den Hofsekretär Wendt. Mit seiner gewohnten Gastfreundschaft lud er die Fremden zu sich ein, und erwies ihnen als Landsleuten jede Artigkeit. Da hörten wir denn eine der unseren gerade entgegengesetzte Ansicht mit vieler Mäßigung, doch mit Ueberzeugung vortragen. Der unbegränzte Ehrgeiz Napoléons wurde nicht in Abrede gestellt, doch unterließ man nicht, seine großen Eigenschaften hervorzuheben. Noch entsinne ich mich eines Gespräches zwischen dem Vetter Valentin und den sächsischen Herren. Valentin, auch ein geborner Sachse, stand ganz und gar auf der deutschen patriotischen Seite, und erwähnte in seiner Rede des von Napoléon gestifteten Rheinbundes mit Abscheu, obgleich er wohl wußte, daß Sachsen demselben bisher angehörte. Als ihn darauf einer der sächsischen Gäste mit vieler Ruhe fragte, ob er denn die Verfassung des römischdeutschen Reiches vorziehe? mußte er die Antwort schuldig bleiben: denn die Reichsverfassung hatte von jeher nur zum allgemeinen Spotte gedient, nicht anders als 60 Jahre später der jetzt (1868) glücklich beseitigte Deutsche Bundestag.
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