Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].Der alte Blücher mochte wohl bei Hofe von diesem Besuche gesprochen, und den muntern Geist der hellgrauen Jugend gerühmt haben: denn am 28. September erschien der Kronprinz (nachheriger König Friedrich Wilhelm IV.) auf dem Turnplatze, und die Jahresfeier der Schlacht von Leipzig am 19. Oktober 1814 ward durch die Gegenwart aller Prinzen und Prinzessinnen verherrlicht. Bei diesen vornehmen Gästen herrschte natürlich viel Ceremoniel; wir durften uns nicht so nahe herandrängen, als zum alten Blücher; die Uebungen wurden mit großer Regelmäßigkeit ausgeführt, und das Ganze hatte mehr den Karakter einer feierlichen Schaustellung, als den eines gemüthlichen Zusammenseins. Während des Winters von 1813 auf 1814 fanden wir einen großen Genuß in den Briefen der Tante Jettchen aus Nachod in Böhmen. Sie hatte im Sommer 1813 die Frau Elisa von der Recke nach Karlsbad als Gesellschaftsdame begleitet. Beim Schlusse der Brunnenkur zogen sich an der böhmisch-sächsischen Gränze die Gewitterwolken des Krieges auf das schwärzeste zusammen, es war sogar die Frage, ob Frau von der Recke über die sächsische Gränze werde nach Dresden zurückkehren können. Da bot ihr die Herzogin von Sagan, ihre Nichte, eine Freistatt für sich und ihren unzertrennlichen Begleiter Tiedge in dem böhmischen Schlosse Nachod. Tante Jettchen folgte ihr, um den ganzen Winter dort zuzubringen. Ihre lebendigen Schilderungen in den nach Inhalt, Form und Schrift mustergültigen Briefen machten uns in dem fremden Orte, von dem wir nie etwas gehört, ganz heimisch. Es war jedesmal ein Fest in unsrer Familie, wenn der Briefträger ein blaues Couvert an meine Mutter, an den Der alte Blücher mochte wohl bei Hofe von diesem Besuche gesprochen, und den muntern Geist der hellgrauen Jugend gerühmt haben: denn am 28. September erschien der Kronprinz (nachheriger König Friedrich Wilhelm IV.) auf dem Turnplatze, und die Jahresfeier der Schlacht von Leipzig am 19. Oktober 1814 ward durch die Gegenwart aller Prinzen und Prinzessinnen verherrlicht. Bei diesen vornehmen Gästen herrschte natürlich viel Ceremoniel; wir durften uns nicht so nahe herandrängen, als zum alten Blücher; die Uebungen wurden mit großer Regelmäßigkeit ausgeführt, und das Ganze hatte mehr den Karakter einer feierlichen Schaustellung, als den eines gemüthlichen Zusammenseins. Während des Winters von 1813 auf 1814 fanden wir einen großen Genuß in den Briefen der Tante Jettchen aus Nachod in Böhmen. Sie hatte im Sommer 1813 die Frau Elisa von der Recke nach Karlsbad als Gesellschaftsdame begleitet. Beim Schlusse der Brunnenkur zogen sich an der böhmisch-sächsischen Gränze die Gewitterwolken des Krieges auf das schwärzeste zusammen, es war sogar die Frage, ob Frau von der Recke über die sächsische Gränze werde nach Dresden zurückkehren können. Da bot ihr die Herzogin von Sagan, ihre Nichte, eine Freistatt für sich und ihren unzertrennlichen Begleiter Tiedge in dem böhmischen Schlosse Nachod. Tante Jettchen folgte ihr, um den ganzen Winter dort zuzubringen. Ihre lebendigen Schilderungen in den nach Inhalt, Form und Schrift mustergültigen Briefen machten uns in dem fremden Orte, von dem wir nie etwas gehört, ganz heimisch. Es war jedesmal ein Fest in unsrer Familie, wenn der Briefträger ein blaues Couvert an meine Mutter, an den <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="1"> <p> <pb facs="#f0436" n="424"/> </p><lb/> <p>Der alte Blücher mochte wohl bei Hofe von diesem Besuche gesprochen, und den muntern Geist der hellgrauen Jugend gerühmt haben: denn am 28. September erschien der Kronprinz (nachheriger König Friedrich Wilhelm IV.) auf dem Turnplatze, und die Jahresfeier der Schlacht von Leipzig am 19. Oktober 1814 ward durch die Gegenwart aller Prinzen und Prinzessinnen verherrlicht. Bei diesen vornehmen Gästen herrschte natürlich viel Ceremoniel; wir durften uns nicht so nahe herandrängen, als zum alten Blücher; die Uebungen wurden mit großer Regelmäßigkeit ausgeführt, und das Ganze hatte mehr den Karakter einer feierlichen Schaustellung, als den eines gemüthlichen Zusammenseins. </p><lb/> <p>Während des Winters von 1813 auf 1814 fanden wir einen großen Genuß in den Briefen der Tante Jettchen aus Nachod in Böhmen. Sie hatte im Sommer 1813 die Frau Elisa von der Recke nach Karlsbad als Gesellschaftsdame begleitet. Beim Schlusse der Brunnenkur zogen sich an der böhmisch-sächsischen Gränze die Gewitterwolken des Krieges auf das schwärzeste zusammen, es war sogar die Frage, ob Frau von der Recke über die sächsische Gränze werde nach Dresden zurückkehren können. Da bot ihr die Herzogin von Sagan, ihre Nichte, eine Freistatt für sich und ihren unzertrennlichen Begleiter Tiedge in dem böhmischen Schlosse Nachod. Tante Jettchen folgte ihr, um den ganzen Winter dort zuzubringen. Ihre lebendigen Schilderungen in den nach Inhalt, Form und Schrift mustergültigen Briefen machten uns in dem fremden Orte, von dem wir nie etwas gehört, ganz heimisch. Es war jedesmal ein Fest in unsrer Familie, wenn der Briefträger ein blaues Couvert an meine Mutter, an den </p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [424/0436]
Der alte Blücher mochte wohl bei Hofe von diesem Besuche gesprochen, und den muntern Geist der hellgrauen Jugend gerühmt haben: denn am 28. September erschien der Kronprinz (nachheriger König Friedrich Wilhelm IV.) auf dem Turnplatze, und die Jahresfeier der Schlacht von Leipzig am 19. Oktober 1814 ward durch die Gegenwart aller Prinzen und Prinzessinnen verherrlicht. Bei diesen vornehmen Gästen herrschte natürlich viel Ceremoniel; wir durften uns nicht so nahe herandrängen, als zum alten Blücher; die Uebungen wurden mit großer Regelmäßigkeit ausgeführt, und das Ganze hatte mehr den Karakter einer feierlichen Schaustellung, als den eines gemüthlichen Zusammenseins.
Während des Winters von 1813 auf 1814 fanden wir einen großen Genuß in den Briefen der Tante Jettchen aus Nachod in Böhmen. Sie hatte im Sommer 1813 die Frau Elisa von der Recke nach Karlsbad als Gesellschaftsdame begleitet. Beim Schlusse der Brunnenkur zogen sich an der böhmisch-sächsischen Gränze die Gewitterwolken des Krieges auf das schwärzeste zusammen, es war sogar die Frage, ob Frau von der Recke über die sächsische Gränze werde nach Dresden zurückkehren können. Da bot ihr die Herzogin von Sagan, ihre Nichte, eine Freistatt für sich und ihren unzertrennlichen Begleiter Tiedge in dem böhmischen Schlosse Nachod. Tante Jettchen folgte ihr, um den ganzen Winter dort zuzubringen. Ihre lebendigen Schilderungen in den nach Inhalt, Form und Schrift mustergültigen Briefen machten uns in dem fremden Orte, von dem wir nie etwas gehört, ganz heimisch. Es war jedesmal ein Fest in unsrer Familie, wenn der Briefträger ein blaues Couvert an meine Mutter, an den
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Zitationshilfe: | Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 424. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/436>, abgerufen am 16.07.2024. |