Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

oder die Tortur wirklich erhalten habe, ist mir nicht mehr erinnerlich; genug, er sollte hingerichtet werden.

Am Abende vor der Execution saß der Kriminalbeamte, der die Sache betrieb, noch sehr spät in seinem Arbeitszimmer bei den Akten. Vor ihm auf dem Tische lagen, vom trüben Kerzenscheine beleuchtet, die Gegenstände des Prozesses, darunter der Strick mit dem die Wittwe erdrosselt wurde. Da läßt sich der Scharfrichter melden, um die Anordnungen für den folgenden Tag zu verabreden. Er wird eingelassen, und der Richter bemerkt, daß der Scharfrichter während des Gespräches den auf dem Tische liegenden Strick sehr aufmerksam ansieht. "Was betrachtet er den Strick so genau?" fragt der Richter. "Herr", war die Antwort, "das will ich ihm wohl sagen: ich sehe darin einen Knoten, den niemand anderes kann gemacht haben, als ein Henkersknecht."

Auf dieses wichtige Zeugniß hin ward die Execution verschoben und die Sache von neuem untersucht. Da man einen so guten Fingerzeig hatte, so stellte es sich bald heraus, daß der Mord in der That von einem Henkersknechte verübt worden sei. Der arme Kandidat entging glücklich dem Tode; die Erben der alten Frau wollten aber das Haus, in dem die Gräuelthat begangen war, nicht behalten. So kam es an den Magistrat, welcher die Probstei der Petrikirche darin einrichtete.

Seit wir jene Geschichte gehört, konnten wir bei der Probstei nicht ohne ein gewisses Grauen vorübergehn, und dachten uns oft, wie es dem Probste Teller zu Muthe sein müsse, in einem solchen Hause zu wohnen; später habe ich gefunden, daß dieses Grauen vergeblich war: denn der Mord und die merkwürdige Entdeckung desselben ereig-

oder die Tortur wirklich erhalten habe, ist mir nicht mehr erinnerlich; genug, er sollte hingerichtet werden.

Am Abende vor der Execution saß der Kriminalbeamte, der die Sache betrieb, noch sehr spät in seinem Arbeitszimmer bei den Akten. Vor ihm auf dem Tische lagen, vom trüben Kerzenscheine beleuchtet, die Gegenstände des Prozesses, darunter der Strick mit dem die Wittwe erdrosselt wurde. Da läßt sich der Scharfrichter melden, um die Anordnungen für den folgenden Tag zu verabreden. Er wird eingelassen, und der Richter bemerkt, daß der Scharfrichter während des Gespräches den auf dem Tische liegenden Strick sehr aufmerksam ansieht. „Was betrachtet er den Strick so genau?“ fragt der Richter. „Herr“, war die Antwort, „das will ich ihm wohl sagen: ich sehe darin einen Knoten, den niemand anderes kann gemacht haben, als ein Henkersknecht.“

Auf dieses wichtige Zeugniß hin ward die Execution verschoben und die Sache von neuem untersucht. Da man einen so guten Fingerzeig hatte, so stellte es sich bald heraus, daß der Mord in der That von einem Henkersknechte verübt worden sei. Der arme Kandidat entging glücklich dem Tode; die Erben der alten Frau wollten aber das Haus, in dem die Gräuelthat begangen war, nicht behalten. So kam es an den Magistrat, welcher die Probstei der Petrikirche darin einrichtete.

Seit wir jene Geschichte gehört, konnten wir bei der Probstei nicht ohne ein gewisses Grauen vorübergehn, und dachten uns oft, wie es dem Probste Teller zu Muthe sein müsse, in einem solchen Hause zu wohnen; später habe ich gefunden, daß dieses Grauen vergeblich war: denn der Mord und die merkwürdige Entdeckung desselben ereig-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="1">
          <p><pb facs="#f0047" n="35"/>
oder die Tortur wirklich erhalten habe, ist mir nicht mehr erinnerlich; genug, er sollte hingerichtet werden. </p><lb/>
          <p>Am Abende vor der Execution saß der Kriminalbeamte, der die Sache betrieb, noch sehr spät in seinem Arbeitszimmer bei den Akten. Vor ihm auf dem Tische lagen, vom trüben Kerzenscheine beleuchtet, die Gegenstände des Prozesses, darunter der Strick mit dem die Wittwe erdrosselt wurde. Da läßt sich der Scharfrichter melden, um die Anordnungen für den folgenden Tag zu verabreden. Er wird eingelassen, und der Richter bemerkt, daß der Scharfrichter während des Gespräches den auf dem Tische liegenden Strick sehr aufmerksam ansieht. &#x201E;Was betrachtet er den Strick so genau?&#x201C; fragt der Richter. &#x201E;Herr&#x201C;, war die Antwort, &#x201E;das will ich ihm wohl sagen: ich sehe darin einen Knoten, den niemand anderes kann gemacht haben, als ein Henkersknecht.&#x201C; </p><lb/>
          <p>Auf dieses wichtige Zeugniß hin ward die Execution verschoben und die Sache von neuem untersucht. Da man einen so guten Fingerzeig hatte, so stellte es sich bald heraus, daß der Mord in der That von einem Henkersknechte verübt worden sei. Der arme Kandidat entging glücklich dem Tode; die Erben der alten Frau wollten aber das Haus, in dem die Gräuelthat begangen war, nicht behalten. So kam es an den Magistrat, welcher die Probstei der Petrikirche darin einrichtete. </p><lb/>
          <p>Seit wir jene Geschichte gehört, konnten wir bei der Probstei nicht ohne ein gewisses Grauen vorübergehn, und dachten uns oft, wie es dem Probste Teller zu Muthe sein müsse, in einem solchen Hause zu wohnen; später habe ich gefunden, daß dieses Grauen vergeblich war: denn der Mord und die merkwürdige Entdeckung desselben ereig-
</p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[35/0047] oder die Tortur wirklich erhalten habe, ist mir nicht mehr erinnerlich; genug, er sollte hingerichtet werden. Am Abende vor der Execution saß der Kriminalbeamte, der die Sache betrieb, noch sehr spät in seinem Arbeitszimmer bei den Akten. Vor ihm auf dem Tische lagen, vom trüben Kerzenscheine beleuchtet, die Gegenstände des Prozesses, darunter der Strick mit dem die Wittwe erdrosselt wurde. Da läßt sich der Scharfrichter melden, um die Anordnungen für den folgenden Tag zu verabreden. Er wird eingelassen, und der Richter bemerkt, daß der Scharfrichter während des Gespräches den auf dem Tische liegenden Strick sehr aufmerksam ansieht. „Was betrachtet er den Strick so genau?“ fragt der Richter. „Herr“, war die Antwort, „das will ich ihm wohl sagen: ich sehe darin einen Knoten, den niemand anderes kann gemacht haben, als ein Henkersknecht.“ Auf dieses wichtige Zeugniß hin ward die Execution verschoben und die Sache von neuem untersucht. Da man einen so guten Fingerzeig hatte, so stellte es sich bald heraus, daß der Mord in der That von einem Henkersknechte verübt worden sei. Der arme Kandidat entging glücklich dem Tode; die Erben der alten Frau wollten aber das Haus, in dem die Gräuelthat begangen war, nicht behalten. So kam es an den Magistrat, welcher die Probstei der Petrikirche darin einrichtete. Seit wir jene Geschichte gehört, konnten wir bei der Probstei nicht ohne ein gewisses Grauen vorübergehn, und dachten uns oft, wie es dem Probste Teller zu Muthe sein müsse, in einem solchen Hause zu wohnen; später habe ich gefunden, daß dieses Grauen vergeblich war: denn der Mord und die merkwürdige Entdeckung desselben ereig-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/47
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 1. Berlin, [1871], S. 35. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen01_1871/47>, abgerufen am 21.11.2024.