Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].spruches zu erwarten sei. Ihm zu Gefallen blickte ich auch in den ersten Theil hinein, konnte aber nichts darin finden, als eine trübe Weltansicht, die dem Zufalle und dem Unglücke eine viel zu große Stelle einräumt. Paul erhielt endlich den zweiten Theil, war aber sehr wenig erbaut davon: denn er fand durchaus nichts tröstliches für sein zweifelndes Gemüth. Was ich hier in ein paar kurzen Sätzen skizzenweise hingeworfen, das bildete lange Zeit den Inhalt unserer Unterhaltungen. Da der Gegenstand mich sehr lebhaft interessirte, so glaube ich kaum etwas wesentliches ausgelassen zu haben. Ich zweifle nicht, daß alle diese Fragen schon längst in unseren theologischen Kompendien besprochen, und vielleicht zu einem Resultate gebracht seien, doch verweile ich gern bei den jugendlichen Anläufen zum Verständnisse der höchsten Wahrheiten. Das Endergebniß war bei uns beiden ein ganz verschiedenes: ich konnte durch alle Einwände und Bedenken von meinem Christenthum nicht abwendig gemacht werden. Je mehr ich mir Christus als einfachen Menschen dachte, um so größer und erhabener erschien er mir, während ich ihm, wenn er zum Gotte gemacht wurde, keine rechte Stelle anzuweisen wußte. Bei Paul trat das Gegentheil ein, und ich mußte mit Schmerzen gewahr werden, wie er immer mehr in einen öden Nihilismus hineingerieth. Während ich ohne alle Anstrengung an dem trostreichen Gedanken festhielt, daß die Geschicke der Menschen von einem gütigen Gotte geleitet werden, so betrachtete Paul den ganzen Weltplan als ein unvollkommenes, so zu sagen misglücktes Unternehmen, in dem er nirgend eine wohlthätige Harmonie zwischen Entschluß und Handlung, zwischen Wollen und spruches zu erwarten sei. Ihm zu Gefallen blickte ich auch in den ersten Theil hinein, konnte aber nichts darin finden, als eine trübe Weltansicht, die dem Zufalle und dem Unglücke eine viel zu große Stelle einräumt. Paul erhielt endlich den zweiten Theil, war aber sehr wenig erbaut davon: denn er fand durchaus nichts tröstliches für sein zweifelndes Gemüth. Was ich hier in ein paar kurzen Sätzen skizzenweise hingeworfen, das bildete lange Zeit den Inhalt unserer Unterhaltungen. Da der Gegenstand mich sehr lebhaft interessirte, so glaube ich kaum etwas wesentliches ausgelassen zu haben. Ich zweifle nicht, daß alle diese Fragen schon längst in unseren theologischen Kompendien besprochen, und vielleicht zu einem Resultate gebracht seien, doch verweile ich gern bei den jugendlichen Anläufen zum Verständnisse der höchsten Wahrheiten. Das Endergebniß war bei uns beiden ein ganz verschiedenes: ich konnte durch alle Einwände und Bedenken von meinem Christenthum nicht abwendig gemacht werden. Je mehr ich mir Christus als einfachen Menschen dachte, um so größer und erhabener erschien er mir, während ich ihm, wenn er zum Gotte gemacht wurde, keine rechte Stelle anzuweisen wußte. Bei Paul trat das Gegentheil ein, und ich mußte mit Schmerzen gewahr werden, wie er immer mehr in einen öden Nihilismus hineingerieth. Während ich ohne alle Anstrengung an dem trostreichen Gedanken festhielt, daß die Geschicke der Menschen von einem gütigen Gotte geleitet werden, so betrachtete Paul den ganzen Weltplan als ein unvollkommenes, so zu sagen misglücktes Unternehmen, in dem er nirgend eine wohlthätige Harmonie zwischen Entschluß und Handlung, zwischen Wollen und <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0176" n="168"/> spruches zu erwarten sei. Ihm zu Gefallen blickte ich auch in den ersten Theil hinein, konnte aber nichts darin finden, als eine trübe Weltansicht, die dem Zufalle und dem Unglücke eine viel zu große Stelle einräumt. 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Bei Paul trat das Gegentheil ein, und ich mußte mit Schmerzen gewahr werden, wie er immer mehr in einen öden Nihilismus hineingerieth. Während ich ohne alle Anstrengung an dem trostreichen Gedanken festhielt, daß die Geschicke der Menschen von einem gütigen Gotte geleitet werden, so betrachtete Paul den ganzen Weltplan als ein unvollkommenes, so zu sagen misglücktes Unternehmen, in dem er nirgend eine wohlthätige Harmonie zwischen Entschluß und Handlung, zwischen Wollen und </p> </div> </body> </text> </TEI> [168/0176]
spruches zu erwarten sei. Ihm zu Gefallen blickte ich auch in den ersten Theil hinein, konnte aber nichts darin finden, als eine trübe Weltansicht, die dem Zufalle und dem Unglücke eine viel zu große Stelle einräumt. Paul erhielt endlich den zweiten Theil, war aber sehr wenig erbaut davon: denn er fand durchaus nichts tröstliches für sein zweifelndes Gemüth.
Was ich hier in ein paar kurzen Sätzen skizzenweise hingeworfen, das bildete lange Zeit den Inhalt unserer Unterhaltungen. Da der Gegenstand mich sehr lebhaft interessirte, so glaube ich kaum etwas wesentliches ausgelassen zu haben. Ich zweifle nicht, daß alle diese Fragen schon längst in unseren theologischen Kompendien besprochen, und vielleicht zu einem Resultate gebracht seien, doch verweile ich gern bei den jugendlichen Anläufen zum Verständnisse der höchsten Wahrheiten. Das Endergebniß war bei uns beiden ein ganz verschiedenes: ich konnte durch alle Einwände und Bedenken von meinem Christenthum nicht abwendig gemacht werden. Je mehr ich mir Christus als einfachen Menschen dachte, um so größer und erhabener erschien er mir, während ich ihm, wenn er zum Gotte gemacht wurde, keine rechte Stelle anzuweisen wußte. Bei Paul trat das Gegentheil ein, und ich mußte mit Schmerzen gewahr werden, wie er immer mehr in einen öden Nihilismus hineingerieth. Während ich ohne alle Anstrengung an dem trostreichen Gedanken festhielt, daß die Geschicke der Menschen von einem gütigen Gotte geleitet werden, so betrachtete Paul den ganzen Weltplan als ein unvollkommenes, so zu sagen misglücktes Unternehmen, in dem er nirgend eine wohlthätige Harmonie zwischen Entschluß und Handlung, zwischen Wollen und
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