Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].der wechselnden Bewegung für eines der schwierigsten Gesangstücke halten. Als sie dieselbe mit seltener Vollendung vorgetragen, sagte Klein ganz kurz: Sie singen gut! Es folgten andre Musikstücke, und zuletzt sang Klein, mit Beziehung auf das warme Wetter sein schönes Frühlingslied: Die lauen Lüfte sind erwacht, das eines allgemeinen Beifalls sich erfreute. Von diesem Abende an verging selten eine Woche, in der wir Klein nicht 2 oder 3 Mal bei uns sahen; er wurde die Seele unsrer musikalischen Unterhaltungen, die nun einen wahrhaft künstlerischen Werth erhielten. Ich schloß mich auf das engste an ihn an; er hat auf mein Leben und auf meinen Karakter den grösten Einfluß gehabt. Die Schärfe seines Urtheils machte vieles zunichte, was ich bisher angestaunt; seine kurzen schlagenden Bemerkungen zeigten mir manches in einem ganz anderen Lichte, als ich es bisher betrachtet. Seine Kritik war immer herb, oft boshaft und höhnisch, aber niemals ungerecht. Sein unerbittlicher Witz verschonte niemanden, am wenigsten sich selbst. Eine böse Eigenschaft von ihm war es, alles ins Lächerliche zu ziehn, und bei den ernsthaftesten Vorgängen eine komische Bemerkung anzubringen. Er hatte in seinem Wesen eine entschieden dämonische Gewalt, gegen die man nicht gleichgültig bleiben konnte. So geschah es denn sehr bald, daß unser Kreis sich in zwei Parteien theilte, in solche die ihn liebten und in solche die ihn haßten, wenn man mit diesen beiden äußersten Ausdrücken die gelinden Schattirungen des geselligen Wohl- oder Uebelwollens bezeichnen will. Zu den Wohlwollenden gehörten die meisten Musiker, die ihm ohne Widerrede den ersten Platz einräumten, so wie alle der wechselnden Bewegung für eines der schwierigsten Gesangstücke halten. Als sie dieselbe mit seltener Vollendung vorgetragen, sagte Klein ganz kurz: Sie singen gut! Es folgten andre Musikstücke, und zuletzt sang Klein, mit Beziehung auf das warme Wetter sein schönes Frühlingslied: Die lauen Lüfte sind erwacht, das eines allgemeinen Beifalls sich erfreute. Von diesem Abende an verging selten eine Woche, in der wir Klein nicht 2 oder 3 Mal bei uns sahen; er wurde die Seele unsrer musikalischen Unterhaltungen, die nun einen wahrhaft künstlerischen Werth erhielten. Ich schloß mich auf das engste an ihn an; er hat auf mein Leben und auf meinen Karakter den grösten Einfluß gehabt. Die Schärfe seines Urtheils machte vieles zunichte, was ich bisher angestaunt; seine kurzen schlagenden Bemerkungen zeigten mir manches in einem ganz anderen Lichte, als ich es bisher betrachtet. Seine Kritik war immer herb, oft boshaft und höhnisch, aber niemals ungerecht. Sein unerbittlicher Witz verschonte niemanden, am wenigsten sich selbst. Eine böse Eigenschaft von ihm war es, alles ins Lächerliche zu ziehn, und bei den ernsthaftesten Vorgängen eine komische Bemerkung anzubringen. Er hatte in seinem Wesen eine entschieden dämonische Gewalt, gegen die man nicht gleichgültig bleiben konnte. So geschah es denn sehr bald, daß unser Kreis sich in zwei Parteien theilte, in solche die ihn liebten und in solche die ihn haßten, wenn man mit diesen beiden äußersten Ausdrücken die gelinden Schattirungen des geselligen Wohl- oder Uebelwollens bezeichnen will. Zu den Wohlwollenden gehörten die meisten Musiker, die ihm ohne Widerrede den ersten Platz einräumten, so wie alle <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0196" n="188"/> der wechselnden Bewegung für eines der schwierigsten Gesangstücke halten. Als sie dieselbe mit seltener Vollendung vorgetragen, sagte Klein ganz kurz: Sie singen gut! 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Eine böse Eigenschaft von ihm war es, alles ins Lächerliche zu ziehn, und bei den ernsthaftesten Vorgängen eine komische Bemerkung anzubringen. Er hatte in seinem Wesen eine entschieden dämonische Gewalt, gegen die man nicht gleichgültig bleiben konnte. So geschah es denn sehr bald, daß unser Kreis sich in zwei Parteien theilte, in solche die ihn liebten und in solche die ihn haßten, wenn man mit diesen beiden äußersten Ausdrücken die gelinden Schattirungen des geselligen Wohl- oder Uebelwollens bezeichnen will. Zu den Wohlwollenden gehörten die meisten Musiker, die ihm ohne Widerrede den ersten Platz einräumten, so wie alle </p> </div> </body> </text> </TEI> [188/0196]
der wechselnden Bewegung für eines der schwierigsten Gesangstücke halten. Als sie dieselbe mit seltener Vollendung vorgetragen, sagte Klein ganz kurz: Sie singen gut! Es folgten andre Musikstücke, und zuletzt sang Klein, mit Beziehung auf das warme Wetter sein schönes Frühlingslied: Die lauen Lüfte sind erwacht, das eines allgemeinen Beifalls sich erfreute.
Von diesem Abende an verging selten eine Woche, in der wir Klein nicht 2 oder 3 Mal bei uns sahen; er wurde die Seele unsrer musikalischen Unterhaltungen, die nun einen wahrhaft künstlerischen Werth erhielten. Ich schloß mich auf das engste an ihn an; er hat auf mein Leben und auf meinen Karakter den grösten Einfluß gehabt. Die Schärfe seines Urtheils machte vieles zunichte, was ich bisher angestaunt; seine kurzen schlagenden Bemerkungen zeigten mir manches in einem ganz anderen Lichte, als ich es bisher betrachtet. Seine Kritik war immer herb, oft boshaft und höhnisch, aber niemals ungerecht. Sein unerbittlicher Witz verschonte niemanden, am wenigsten sich selbst. Eine böse Eigenschaft von ihm war es, alles ins Lächerliche zu ziehn, und bei den ernsthaftesten Vorgängen eine komische Bemerkung anzubringen. Er hatte in seinem Wesen eine entschieden dämonische Gewalt, gegen die man nicht gleichgültig bleiben konnte. So geschah es denn sehr bald, daß unser Kreis sich in zwei Parteien theilte, in solche die ihn liebten und in solche die ihn haßten, wenn man mit diesen beiden äußersten Ausdrücken die gelinden Schattirungen des geselligen Wohl- oder Uebelwollens bezeichnen will. Zu den Wohlwollenden gehörten die meisten Musiker, die ihm ohne Widerrede den ersten Platz einräumten, so wie alle
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