Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].diejenigen, die über seiner Genialität die schroffen Seiten seines Karakters vergessen konnten; die Uebelwollenden bestanden aus der zahlreichen Klasse der ruhigen, gesetzten Naturen, die man in derberer Weise Philister zu nennen pflegt. Auf diese hatte Klein es besonders abgesehn; es machte ihm Vergnügen, sie durch seine kurzen paradoxen Bemerkungen aus dem Sattel des "gewohnten Gedankentrabes" zu heben. Alles was nach Engherzigkeit schmeckte, war ihm auf das äußerste verhaßt. Seine Ungebundenheit nach jeder Seite hin machte ihn inkonsequent. War er vom Geiste des Widerspruches besessen, was nur zu oft vorkam, so behauptete er heute das Gegentheil von dem, was er gestern gesagt, und wußte seine Sätze mit seltenem Scharfsinne durchzuführen. War es ihm aber Ernst um eine Sache, so hatten seine Gespräche einen fesselnden Gedankeninhalt. Unter vielen andern erinnre ich mich eines Gespräches über Göthes Faust, von dem damals nur der erste Theil erschienen war; Klein hatte aber von den Gebrüdern Boisseree, die er in Köln sehr genau gekannt, sichere Kunde, daß Göthe an dem zweiten Theile arbeite, Göthe hatte seinen Freunden im allervertrautesten Kreise einige Scenen aus der erweiterten Walpurgisnacht vorgelesen, die an großartigem Cynismus alles bisher bekannte übertrafen. Die jungen Litteraten waren damals getheilter Ansicht über den muthmaaßlichen Schluß des Ganzen, ob Faust gerichtet oder gerettet werde? Abeken, der den ersten Theil wörtlich auswendig wußte, war für die Rettung, indem er die Worte des Herrn citirte: Ein guter Mensch in seinem dunkeln Drange Ist sich des rechten Weges wohl bewußt. diejenigen, die über seiner Genialität die schroffen Seiten seines Karakters vergessen konnten; die Uebelwollenden bestanden aus der zahlreichen Klasse der ruhigen, gesetzten Naturen, die man in derberer Weise Philister zu nennen pflegt. Auf diese hatte Klein es besonders abgesehn; es machte ihm Vergnügen, sie durch seine kurzen paradoxen Bemerkungen aus dem Sattel des „gewohnten Gedankentrabes“ zu heben. Alles was nach Engherzigkeit schmeckte, war ihm auf das äußerste verhaßt. Seine Ungebundenheit nach jeder Seite hin machte ihn inkonsequent. War er vom Geiste des Widerspruches besessen, was nur zu oft vorkam, so behauptete er heute das Gegentheil von dem, was er gestern gesagt, und wußte seine Sätze mit seltenem Scharfsinne durchzuführen. War es ihm aber Ernst um eine Sache, so hatten seine Gespräche einen fesselnden Gedankeninhalt. Unter vielen andern erinnre ich mich eines Gespräches über Göthes Faust, von dem damals nur der erste Theil erschienen war; Klein hatte aber von den Gebrüdern Boisserée, die er in Köln sehr genau gekannt, sichere Kunde, daß Göthe an dem zweiten Theile arbeite, Göthe hatte seinen Freunden im allervertrautesten Kreise einige Scenen aus der erweiterten Walpurgisnacht vorgelesen, die an großartigem Cynismus alles bisher bekannte übertrafen. Die jungen Litteraten waren damals getheilter Ansicht über den muthmaaßlichen Schluß des Ganzen, ob Faust gerichtet oder gerettet werde? Abeken, der den ersten Theil wörtlich auswendig wußte, war für die Rettung, indem er die Worte des Herrn citirte: Ein guter Mensch in seinem dunkeln Drange Ist sich des rechten Weges wohl bewußt. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0197" n="189"/> diejenigen, die über seiner Genialität die schroffen Seiten seines Karakters vergessen konnten; die Uebelwollenden bestanden aus der zahlreichen Klasse der ruhigen, gesetzten Naturen, die man in derberer Weise Philister zu nennen pflegt. Auf diese hatte Klein es besonders abgesehn; es machte ihm Vergnügen, sie durch seine kurzen paradoxen Bemerkungen aus dem Sattel des „gewohnten Gedankentrabes“ zu heben. Alles was nach Engherzigkeit schmeckte, war ihm auf das äußerste verhaßt. Seine Ungebundenheit nach jeder Seite hin machte ihn inkonsequent. War er vom Geiste des Widerspruches besessen, was nur zu oft vorkam, so behauptete er heute das Gegentheil von dem, was er gestern gesagt, und wußte seine Sätze mit seltenem Scharfsinne durchzuführen. War es ihm aber Ernst um eine Sache, so hatten seine Gespräche einen fesselnden Gedankeninhalt. </p><lb/> <p>Unter vielen andern erinnre ich mich eines Gespräches über Göthes Faust, von dem damals nur der erste Theil erschienen war; Klein hatte aber von den Gebrüdern Boisserée, die er in Köln sehr genau gekannt, sichere Kunde, daß Göthe an dem zweiten Theile arbeite, Göthe hatte seinen Freunden im allervertrautesten Kreise einige Scenen aus der erweiterten Walpurgisnacht vorgelesen, die an großartigem Cynismus alles bisher bekannte übertrafen. Die jungen Litteraten waren damals getheilter Ansicht über den muthmaaßlichen Schluß des Ganzen, ob Faust gerichtet oder gerettet werde? Abeken, der den ersten Theil wörtlich auswendig wußte, war für die Rettung, indem er die Worte des Herrn citirte:<lb/><lg><l rendition="#et">Ein guter Mensch in seinem dunkeln Drange</l><lb/><l rendition="#et">Ist sich des rechten Weges wohl bewußt.</l></lg><lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [189/0197]
diejenigen, die über seiner Genialität die schroffen Seiten seines Karakters vergessen konnten; die Uebelwollenden bestanden aus der zahlreichen Klasse der ruhigen, gesetzten Naturen, die man in derberer Weise Philister zu nennen pflegt. Auf diese hatte Klein es besonders abgesehn; es machte ihm Vergnügen, sie durch seine kurzen paradoxen Bemerkungen aus dem Sattel des „gewohnten Gedankentrabes“ zu heben. Alles was nach Engherzigkeit schmeckte, war ihm auf das äußerste verhaßt. Seine Ungebundenheit nach jeder Seite hin machte ihn inkonsequent. War er vom Geiste des Widerspruches besessen, was nur zu oft vorkam, so behauptete er heute das Gegentheil von dem, was er gestern gesagt, und wußte seine Sätze mit seltenem Scharfsinne durchzuführen. War es ihm aber Ernst um eine Sache, so hatten seine Gespräche einen fesselnden Gedankeninhalt.
Unter vielen andern erinnre ich mich eines Gespräches über Göthes Faust, von dem damals nur der erste Theil erschienen war; Klein hatte aber von den Gebrüdern Boisserée, die er in Köln sehr genau gekannt, sichere Kunde, daß Göthe an dem zweiten Theile arbeite, Göthe hatte seinen Freunden im allervertrautesten Kreise einige Scenen aus der erweiterten Walpurgisnacht vorgelesen, die an großartigem Cynismus alles bisher bekannte übertrafen. Die jungen Litteraten waren damals getheilter Ansicht über den muthmaaßlichen Schluß des Ganzen, ob Faust gerichtet oder gerettet werde? Abeken, der den ersten Theil wörtlich auswendig wußte, war für die Rettung, indem er die Worte des Herrn citirte:
Ein guter Mensch in seinem dunkeln Drange
Ist sich des rechten Weges wohl bewußt.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription.
(2014-01-07T13:04:32Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1)
(2014-01-07T13:04:32Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |