Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

Klein war für die Vernichtung, und entgegnete: den Weg kennen wir wohl, aber nicht das Ziel! Ich machte für die Rettung geltend, daß Fausts redliches Bestreben im zweiten Theile gewiß noch deutlicher hervortreten werde, als im ersten, Klein stellte den Satz auf: wer das Maaß seiner Kräfte nicht kennt, geht zu Grunde! Aber keins von uns war auf den im zweiten Theile gegebenen Ausgang gefaßt, wo durch ein geistreiches Taschenspielerstückchen, Fausts Unsterbliches gleichsam hinter dem Rücken des durch ein abgeschmacktes Gelüste bethörten Mephistopheles, von den Engeln in den Himmel entführt wird.

Von meinem Freunde Abeken hatte ich mir angewöhnt, aus meiner viel geringeren Belesenheit allerlei Brocken zu citiren, und als ich in Göckingks Leben Nicolais die Notiz fand, daß Nicolai die Stellen der alten Autoren mit beneidenswerther Sicherheit angeführt, so bestrebte ich mich nicht ohne Selbstgefälligkeit, meinem Grosvater hierin ähnlich zu werden. Von dieser Pedanterei heilte mich Klein durch eine einzige Bemerkung, indem er mir bei einem solchen, vielleicht zu weit hergeholten Citate lachend sagte: man wird sich künftig kein Loch in die Hose reißen können, ohne daß du eine Stelle aus Shakspeare oder Plinius anführst!

Meiner Schwester Lilli widmete Klein die aufrichtigste Verehrung, wagte aber lange nicht, sich anders als in begeisterten Klängen am Klaviere auszusprechen. Nachdem er gesehn, daß seine Musik ihr und uns allen zusagte, so kam er selten in unseren Cirkel, ohne eine neue Komposition mitzubringen. Es waren schöne genußreiche Abende, als er uns zuerst Rodrigo und Ximene, den Erlkönig, den Fischer, die Prager Musikanten und so viele

Klein war für die Vernichtung, und entgegnete: den Weg kennen wir wohl, aber nicht das Ziel! Ich machte für die Rettung geltend, daß Fausts redliches Bestreben im zweiten Theile gewiß noch deutlicher hervortreten werde, als im ersten, Klein stellte den Satz auf: wer das Maaß seiner Kräfte nicht kennt, geht zu Grunde! Aber keins von uns war auf den im zweiten Theile gegebenen Ausgang gefaßt, wo durch ein geistreiches Taschenspielerstückchen, Fausts Unsterbliches gleichsam hinter dem Rücken des durch ein abgeschmacktes Gelüste bethörten Mephistopheles, von den Engeln in den Himmel entführt wird.

Von meinem Freunde Abeken hatte ich mir angewöhnt, aus meiner viel geringeren Belesenheit allerlei Brocken zu citiren, und als ich in Göckingks Leben Nicolais die Notiz fand, daß Nicolai die Stellen der alten Autoren mit beneidenswerther Sicherheit angeführt, so bestrebte ich mich nicht ohne Selbstgefälligkeit, meinem Grosvater hierin ähnlich zu werden. Von dieser Pedanterei heilte mich Klein durch eine einzige Bemerkung, indem er mir bei einem solchen, vielleicht zu weit hergeholten Citate lachend sagte: man wird sich künftig kein Loch in die Hose reißen können, ohne daß du eine Stelle aus Shakspeare oder Plinius anführst!

Meiner Schwester Lilli widmete Klein die aufrichtigste Verehrung, wagte aber lange nicht, sich anders als in begeisterten Klängen am Klaviere auszusprechen. Nachdem er gesehn, daß seine Musik ihr und uns allen zusagte, so kam er selten in unseren Cirkel, ohne eine neue Komposition mitzubringen. Es waren schöne genußreiche Abende, als er uns zuerst Rodrigo und Ximene, den Erlkönig, den Fischer, die Prager Musikanten und so viele

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0198" n="190"/>
Klein war für die Vernichtung, und entgegnete: den Weg kennen wir wohl, aber nicht das Ziel! Ich machte für die Rettung geltend, daß Fausts redliches Bestreben im zweiten Theile gewiß noch deutlicher hervortreten werde, als im ersten, Klein stellte den Satz auf: wer das Maaß seiner Kräfte nicht kennt, geht zu Grunde! Aber keins von uns war auf den im zweiten Theile gegebenen Ausgang gefaßt, wo durch ein geistreiches Taschenspielerstückchen, Fausts Unsterbliches gleichsam hinter dem Rücken des durch ein abgeschmacktes Gelüste bethörten Mephistopheles, von den Engeln in den Himmel entführt wird. </p><lb/>
        <p>Von meinem Freunde Abeken hatte ich mir angewöhnt, aus meiner viel geringeren Belesenheit allerlei Brocken zu citiren, und als ich in Göckingks Leben Nicolais die Notiz fand, daß Nicolai die Stellen der alten Autoren mit beneidenswerther Sicherheit angeführt, so bestrebte ich mich nicht ohne Selbstgefälligkeit, meinem Grosvater hierin ähnlich zu werden. Von dieser Pedanterei heilte mich Klein durch eine einzige Bemerkung, indem er mir bei einem solchen, vielleicht zu weit hergeholten Citate lachend sagte: man wird sich künftig kein Loch in die Hose reißen können, ohne daß du eine Stelle aus Shakspeare oder Plinius anführst! </p><lb/>
        <p>Meiner Schwester Lilli widmete Klein die aufrichtigste Verehrung, wagte aber lange nicht, sich anders als in begeisterten Klängen am Klaviere auszusprechen. Nachdem er gesehn, daß seine Musik ihr und uns allen zusagte, so kam er selten in unseren Cirkel, ohne eine neue Komposition mitzubringen. Es waren schöne genußreiche Abende, als er uns zuerst Rodrigo und Ximene, den Erlkönig, den Fischer, die Prager Musikanten und so viele
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[190/0198] Klein war für die Vernichtung, und entgegnete: den Weg kennen wir wohl, aber nicht das Ziel! Ich machte für die Rettung geltend, daß Fausts redliches Bestreben im zweiten Theile gewiß noch deutlicher hervortreten werde, als im ersten, Klein stellte den Satz auf: wer das Maaß seiner Kräfte nicht kennt, geht zu Grunde! Aber keins von uns war auf den im zweiten Theile gegebenen Ausgang gefaßt, wo durch ein geistreiches Taschenspielerstückchen, Fausts Unsterbliches gleichsam hinter dem Rücken des durch ein abgeschmacktes Gelüste bethörten Mephistopheles, von den Engeln in den Himmel entführt wird. Von meinem Freunde Abeken hatte ich mir angewöhnt, aus meiner viel geringeren Belesenheit allerlei Brocken zu citiren, und als ich in Göckingks Leben Nicolais die Notiz fand, daß Nicolai die Stellen der alten Autoren mit beneidenswerther Sicherheit angeführt, so bestrebte ich mich nicht ohne Selbstgefälligkeit, meinem Grosvater hierin ähnlich zu werden. Von dieser Pedanterei heilte mich Klein durch eine einzige Bemerkung, indem er mir bei einem solchen, vielleicht zu weit hergeholten Citate lachend sagte: man wird sich künftig kein Loch in die Hose reißen können, ohne daß du eine Stelle aus Shakspeare oder Plinius anführst! Meiner Schwester Lilli widmete Klein die aufrichtigste Verehrung, wagte aber lange nicht, sich anders als in begeisterten Klängen am Klaviere auszusprechen. Nachdem er gesehn, daß seine Musik ihr und uns allen zusagte, so kam er selten in unseren Cirkel, ohne eine neue Komposition mitzubringen. Es waren schöne genußreiche Abende, als er uns zuerst Rodrigo und Ximene, den Erlkönig, den Fischer, die Prager Musikanten und so viele

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/198
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 190. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/198>, abgerufen am 24.11.2024.