Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871].

Bild:
<< vorherige Seite

Ja, wenn ein Hirtenknabe ruhig auf dem Felde stände, und wäre einem verständigen Adler vielleicht selbst behülflich, in die richtige Lage zu kommen, so würde er wohl so in die Höhe gehoben werden. Diese Ausstellung hinderte mich jedoch nicht, die prachtvolle Zeichnung des Knaben und die reizende Verbindung der Linien des Körpers mit dem Adler zu bewundem.

Auf den antiken Monumenten ist die Darstellung noch weniger rationell; es kam ja nur darauf an, einen bekannten mythischen Vorfall bildlich anzudeuten. In einer Gruppe des Vatikan faßt der Adler die beiden Hüften des Knaben so sanft, als ob seine Klauen mit Sammt überzogen wären.

Zu meinen ganz speciellen Lieblingen in der Gallerie gehörte die kleine, grau in grau gemalte Kreuzschleppung von A. Dürer, in welcher der tief melancholische Geist des Meisters sich recht deutlich ausspricht. Die herbe, aber korrekte Zeichnung, der plastische Ausdruck der Köpfe, die peinlich gewissenhafte Ausführung versöhnten mich mit dem widerlichen Gegenstande, und steigerten meine Bewunderung, je öfter ich vor die unscheinbare, stark nachgedunkelte Tafel trat. Bei den Italiänern stand natürlich die Sixtinische Madonna obenan, und bei den unvergleichlichen Correggios konnte man nicht vorübergehn, ohne wenigstens einen bewundernden Blick darauf zu werfen. Von den kleineren Bildern entzückten mich besonders die dem Lionardo da Vinci zugeschriebene Herodias mit dem Haupte des Johannes, und das Bildniß des Goldschmiedes Morett, welches letztere man neuerdings dem jüngeren Holbein beilegen will.

Da ich meine Besuche in der Gallerie immer mit dem

Ja, wenn ein Hirtenknabe ruhig auf dem Felde stände, und wäre einem verständigen Adler vielleicht selbst behülflich, in die richtige Lage zu kommen, so würde er wohl so in die Höhe gehoben werden. Diese Ausstellung hinderte mich jedoch nicht, die prachtvolle Zeichnung des Knaben und die reizende Verbindung der Linien des Körpers mit dem Adler zu bewundem.

Auf den antiken Monumenten ist die Darstellung noch weniger rationell; es kam ja nur darauf an, einen bekannten mythischen Vorfall bildlich anzudeuten. In einer Gruppe des Vatikan faßt der Adler die beiden Hüften des Knaben so sanft, als ob seine Klauen mit Sammt überzogen wären.

Zu meinen ganz speciellen Lieblingen in der Gallerie gehörte die kleine, grau in grau gemalte Kreuzschleppung von A. Dürer, in welcher der tief melancholische Geist des Meisters sich recht deutlich ausspricht. Die herbe, aber korrekte Zeichnung, der plastische Ausdruck der Köpfe, die peinlich gewissenhafte Ausführung versöhnten mich mit dem widerlichen Gegenstande, und steigerten meine Bewunderung, je öfter ich vor die unscheinbare, stark nachgedunkelte Tafel trat. Bei den Italiänern stand natürlich die Sixtinische Madonna obenan, und bei den unvergleichlichen Correggios konnte man nicht vorübergehn, ohne wenigstens einen bewundernden Blick darauf zu werfen. Von den kleineren Bildern entzückten mich besonders die dem Lionardo da Vinci zugeschriebene Herodias mit dem Haupte des Johannes, und das Bildniß des Goldschmiedes Morett, welches letztere man neuerdings dem jüngeren Holbein beilegen will.

Da ich meine Besuche in der Gallerie immer mit dem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0308" n="300"/>
Ja, wenn ein Hirtenknabe ruhig auf dem Felde stände, und wäre einem verständigen Adler vielleicht selbst behülflich, in die richtige Lage zu kommen, so würde er wohl so in die Höhe gehoben werden. Diese Ausstellung hinderte mich jedoch nicht, die prachtvolle Zeichnung des Knaben und die reizende Verbindung der Linien des Körpers mit dem Adler zu bewundem. </p><lb/>
        <p>Auf den antiken Monumenten ist die Darstellung noch weniger rationell; es kam ja nur darauf an, einen bekannten mythischen Vorfall bildlich anzudeuten. In einer Gruppe des Vatikan faßt der Adler die beiden Hüften des Knaben so sanft, als ob seine Klauen mit Sammt überzogen wären. </p><lb/>
        <p>Zu meinen ganz speciellen Lieblingen in der Gallerie gehörte die kleine, grau in grau gemalte Kreuzschleppung von A. Dürer, in welcher der tief melancholische Geist des Meisters sich recht deutlich ausspricht. Die herbe, aber korrekte Zeichnung, der plastische Ausdruck der Köpfe, die peinlich gewissenhafte Ausführung versöhnten mich mit dem widerlichen Gegenstande, und steigerten meine Bewunderung, je öfter ich vor die unscheinbare, stark nachgedunkelte Tafel trat. Bei den Italiänern stand natürlich die Sixtinische Madonna obenan, und bei den unvergleichlichen Correggios konnte man nicht vorübergehn, ohne wenigstens einen bewundernden Blick darauf zu werfen. Von den kleineren Bildern entzückten mich besonders die dem Lionardo da Vinci zugeschriebene Herodias mit dem Haupte des Johannes, und das Bildniß des Goldschmiedes Morett, welches letztere man neuerdings dem jüngeren Holbein beilegen will. </p><lb/>
        <p>Da ich meine Besuche in der Gallerie immer mit dem
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[300/0308] Ja, wenn ein Hirtenknabe ruhig auf dem Felde stände, und wäre einem verständigen Adler vielleicht selbst behülflich, in die richtige Lage zu kommen, so würde er wohl so in die Höhe gehoben werden. Diese Ausstellung hinderte mich jedoch nicht, die prachtvolle Zeichnung des Knaben und die reizende Verbindung der Linien des Körpers mit dem Adler zu bewundem. Auf den antiken Monumenten ist die Darstellung noch weniger rationell; es kam ja nur darauf an, einen bekannten mythischen Vorfall bildlich anzudeuten. In einer Gruppe des Vatikan faßt der Adler die beiden Hüften des Knaben so sanft, als ob seine Klauen mit Sammt überzogen wären. Zu meinen ganz speciellen Lieblingen in der Gallerie gehörte die kleine, grau in grau gemalte Kreuzschleppung von A. Dürer, in welcher der tief melancholische Geist des Meisters sich recht deutlich ausspricht. Die herbe, aber korrekte Zeichnung, der plastische Ausdruck der Köpfe, die peinlich gewissenhafte Ausführung versöhnten mich mit dem widerlichen Gegenstande, und steigerten meine Bewunderung, je öfter ich vor die unscheinbare, stark nachgedunkelte Tafel trat. Bei den Italiänern stand natürlich die Sixtinische Madonna obenan, und bei den unvergleichlichen Correggios konnte man nicht vorübergehn, ohne wenigstens einen bewundernden Blick darauf zu werfen. Von den kleineren Bildern entzückten mich besonders die dem Lionardo da Vinci zugeschriebene Herodias mit dem Haupte des Johannes, und das Bildniß des Goldschmiedes Morett, welches letztere man neuerdings dem jüngeren Holbein beilegen will. Da ich meine Besuche in der Gallerie immer mit dem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wolfgang Virmond: Bereitstellung der Texttranskription. (2014-01-07T13:04:32Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Christian Thomas: Bearbeitung der digitalen Edition. (2014-01-07T13:04:32Z)
Staatsbibliothek zu Berlin – Stiftung Preußischer Kulturbesitz: Bereitstellung der Bilddigitalisate (Sign. Av 4887-1) (2014-01-07T13:04:32Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Bogensignaturen: nicht übernommen
  • Kolumnentitel: nicht übernommen
  • Kustoden: nicht übernommen
  • langes s (ſ): als s transkribiert
  • Silbentrennung: aufgelöst
  • Zeilenumbrüche markiert: nein



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/308
Zitationshilfe: Parthey, Gustav: Jugenderinnerungen. Bd. 2. Berlin, [1871], S. 300. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/parthey_jugenderinnerungen02_1871/308>, abgerufen am 02.06.2024.